Zeitabschnitte > 1939-1945





 

1. Gauleiter und Reichsverteidigungskommissar

 
 
 
Westfalen war in den Jahren zwischen 1939 und 1945 in zwei NS-Gaugebiete geteilt. Im nördlichen Teil erstreckte sich der NS-Gau Westfalen-Nord in Münster unter dem Gauleiter Dr. Alfred Meyer, im südlichen Teil befand sich der NS-Gau Westfalen-Süd in Bochum, der bis November 1941 von Josef Wagner, anschließend bis Januar 1943 von Paul Giesler und dann bis April 1945 von Albert Hoffmann geleitet wurde. Durch die seit 1942 verstärkten Luftangriffe drang die NSDAP mit ihren Gliederungen, zum Beispiel SA, SS, NS-Frauenschaft, NS-Volksfürsorge, auch in Westfalen immer mehr in kommunale und staatliche Bereiche ein. Nach dem "1.000-Bomber-Angriff" auf Köln in der Nacht des 29.05./30.05.1942 wurden so genannte Gaueinsatzstäbe zur zentralen Koordination aller Maßnahmen gebildet: Die Partei festigte damit ihren Einfluss auf die Bewältigung der Bombenangriffe. Aber auch im zivilen Luftschutzbau gewann die NSDAP bis 1944/1945 eine zentrale Funktion. So existierten 1944/1945 im NS-Gau Westfalen-Süd ein eigener Gauluftschutzstab mit einer verzweigten Untergliederung bis auf die Ebene von Ortsgruppen.

Das Amt des Reichsverteidigungskommissars, das im September 1939 gebildet wurde und an das politische Amt des Gauleiters gekoppelt war, besaß als Mittelinstanz zwischen Reichsebene und der Kommunal- und Landesverwaltung eine wichtige Funktion. Für den gesamten Wehrkreis VI in Münster war zunächst ein Reichsverteidigungskommissar zuständig. Die Kompetenzverteilung führte jedoch zu einer Rivalität unter den Gauleitern. Im November 1942 wurden deshalb alle Gauleiter in ihren eigenen Territorien zu Reichsverteidigungskommissaren ernannt. Für die zentrale Verwaltungslenkung in Westfalen spielte das Amt des Oberpräsidenten eine wichtige Rolle, die von Dr. Alfred Meyer wahrgenommen wurde. In dieser Funktion war er seinem südwestfälischen Amtskollegen verwaltungsmäßig vorgesetzt. Um dieses aus Sicht der südwestfälischen Gauleiter bestehende Missverhältnis zu beenden, drängten sie auf eine eigene Verwaltungsprovinz, was jedoch bis 1945 nicht gelang. Ab 1943 erlangten die Reichsverteidigungskommissare im Verwaltungsbereich eine Schlüsselfunktion in der Bewältigung von Luftangriffsfolgen. In besonders stark bombardierten Regionen, wie in Westfalen-Süd, übernahm daraufhin die Partei und ihre Gliederungen wichtige Arbeitsbereiche der kommunalen und staatlichen Verwaltung.



2. Kriegswirtschaft - "Waffenschmiede des Reiches"

Die Wirtschaft in Westfalen war bereits in den Vorkriegsjahren in die Rüstungsanstrengungen des Deutschen Reiches eingebunden. Bekannte westfälische Unternehmen, wie z. B. die Dürkopp-Werke in Bielefeld, Hoesch in Dortmund und die "Accumulatoren-Fabrik“ in Hagen, lieferten seit den 1930er Jahren Waffen, Munition, Zubehörteile und Geräte an alle Wehrmachtsteile (Heer, Marine, Luftwaffe). Im Zusammenhang mit der Autarkiepolitik (1936: Verkündung des Vierjahresplans) wurden vor allem im Ruhrgebiet neue Betriebe aufgebaut, die über Steinkohlenhydrierung gewonnene Treibstoffe und synthetisches Gummi produzierten.

Nach dem Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 weitete sich die Kriegsproduktion aus. So erhielt zum Beispiel der Bau von Kampfpanzern und Artillerie, an dem die südwestfälische Stahlindustrie maßgeblich beteiligt war, eine hohe Priorität. Die Rüstungswirtschaft wurde in Westfalen von der Wehrmacht und dem Reichsminister für Bewaffnung und Munition (ab 1944: Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion) betreut und gesteuert. Für Westfalen war die Rüstungsinspektion VI in Münster zuständig. In einzelnen Städten wurden so genannte Rüstungskommandos für die regionale Aufsicht eingerichtet.

Die verstärkten Bombardierungen bewirkten in Westfalen ab Frühjahr 1943 zunehmende Produktionsverluste der Rüstungsindustrie. Mit der Einrichtung des "Ruhrstabs" konstituierte das Reichsministerium für Bewaffnung und Munition im Sommer 1943 eine zentrale Koordinierungs- und Organisationsstelle für die Beseitigung von Sachschäden in Industrie- und Versorgungsbetrieben sowie im Verkehrswesen. Alle diese Maßnahmen, wie auch die Einsetzung des Industriellen Dr. Albert Vögler als "Rüstungsbevollmächtigter" im Dezember 1944 und die Gründung einer "Notgemeinschaft der Industriebetriebe", konnten ab Herbst 1944 nicht verhindern, dass in Westfalen sowohl der Bahnverkehr als auch die Industrieproduktion infolge der jetzt pausenlos erfolgenden Luftangriffe nahezu vollständig zusammenbrach.
Zum Thema "Zweiter Weltkrieg" bietet das Internet-Portal weitere
Ressourcen an


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Der aus Bremen stammende  Albert Hoffmann (1907-1972) - hier bei einer Festveranstaltung im Saal der Gauleitung Bochum am 23.06.1944 und einige Monate später in seinem Einsatzpanzer direkt nach einem Angriff auf Soest am 05.12.1944 - bekleidete ab 1943 das Amt des Gauleiters und Reichsverteidigungskommissars in Westfalen-Süd. Trotz seiner Rolle als Spitzenfunktionär der NSDAP, SS-Gruppenführer und zumindest Mitwisser von Kriegs- und Menschlichkeitsverbrechen - so sanktionierte er im Februar 1945 die Lynchjustiz an abgeschossenen, alliierten Piloten ("Fliegerbefehl") -, blieb er von der bundesdeutschen Justiz unbehelligt und starb 1972 als erfolgreicher Unternehmer bei Bremen.


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Überblickskarte der Wehrkreise (mit Lagern für sowjetische Kriegsgefangene), 1941


Karten zum militärischen Verlauf des Zweiten Weltkriegs in Europa vom History Department der US-Militärakademie West Point


Bild- und Textmaterialien für den Schulunterricht bietet das Themenheft  "Raesfeld im Zweiten Weltkrieg" von Volker Jakob


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Die Hagener "Accumulatoren-Fabrik" - hier nach Kriegszerstörungen - war ein bedeutendes Unternehmen in der Marine-Rüstung
 
 
In der Rüstungsindustrie sowie auch in nahezu allen anderen Bereichen der Wirtschaft wurden ausländische Arbeitskräfte, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene "beschäftigt". Ab 1943 erfolgte auch in Westfalen der "Einsatz" von Häftlingen in Aussenkommandos der Konzentrationslager (KZ), hauptsächlich des KZ Buchenwald bei Weimar. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen von sowjetischen Kriegsgefangenen, "Ostarbeitern", "Italienischen Militärinternierten" und KZ-Häftlingen gestaltete sich ausserordenlich schwer und waren häufig Ursache für den Tod der Zwangsarbeiter. Mit den "Arbeitserziehungslagern" und "Auffanglagern" errichteten die regionalen und lokalen Gestapo-Dienststellen ab Sommer 1943 eigene Haftstätten, die für die Inhaftierten - ausländische Arbeitskräfte, aber auch Deutsche - ähnliche Bedingungen besassen, wie sie in Konzentrationslagern üblich waren.
 
 
 
 

3. Bombenkrieg

 
 
 

3.1 Die ersten Bomben

 
 
 
Zu den ersten Bombenabwürfen kam es im Mai 1940. Bereits in diesem Jahr richtete das britische Bomber Command über 100 Einsatzflüge gegen den Verschiebebahnhof Hamm, der jedoch nur wenige Male tatsächlich getroffen wurde. 1941 griff das britische Bomber Command erstmals auch Wohnviertel in westfälischen Städten gezielt an. Vor allem in Dortmund, Münster und Bielefeld entstanden umfangreiche Zerstörungen und Personenverluste. Mit der Aufnahme von "Flächenangriffen" auf Wohnviertel und die Infrastruktur deutscher Großstädte kam es ab Frühjahr 1942 zu einer Verschärfung des Luftkriegs. Elektronische Zielfindungsverfahren und Radar ermöglichten ab 1942/1943 gezielte Bombenangriffe durch die Wolkendecke und bei ungünstigen Sichtbedingungen, sodass auch die Wetterlage keinen Schutz vor Luftangriffen mehr bot.


3.2 Die "Schlacht um die Ruhr"

In Westfalen wurden die Auswirkungen des auf Grund der "Flächenbombardierung" von Städten unterschiedslos geführten Luftkriegs erstmals 1943 in einem größeren Umfang spürbar. In der "Battle of the Ruhr" zwischen März und Juli 1943 erfolgten zahlreiche schwere Luftangriffe auf westfälische Städte. Besonders in Dortmund und Bochum entstanden gewaltige Zerstörungen und hohe Bevölkerungsverluste. Die Dortmunder Stadtarchivarin Luise von Winterfeld erlebte am 05.05.1943 den ersten Großangriff auf ihre Stadt:
"Zuerst blieb nach dem Alarm alles ruhig; dann sah ich konzentrierte Scheinwerfer im Norden der Stadt. Sofort erfolgte starkes Flakfeuer. [...] Pausenlos dröhnten die Motoren der an- und abfliegenden Maschinen. Bald war auch im Keller Brandgeruch. Während des starken Prasselns und der Erschütterungen durch Einschläge und Detonationen, war ein Gang zum Dachboden oder auf die Straße nicht möglich. In einer Pause sah ich an drei Stellen des Himmels lohenden Feuerschein: Im Norden, in der Mitte und wohl den ganzen Westenhellweg bzw. Parallelzüge entlang bis Huckarde-Dorstfeld, im Südwesten in größerer Entfernung." *
Themen-Portal "Bombenkrieg" von historicum.net


Der Bombenkrieg in englischen (Bomber Command War Diaries 1939-1945, Royal Air Force) und amerikanischen (US-Air Force Combat Records 1941-1945, Rutgers University, USA) Webangeboten


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In der Nacht vom 11. auf den 12.06.1940 wurde die Stadt Soest bombardiert. Einem Geschäftsmann gelang es, sein zerstörtes Haus noch während des Kriegs wiederherzustellen. Der mit Siegesrunen und Hakenkreuzen verzierte  Balkenfries erzählt die mythologisierte Geschichte des Angriffs, und ein  Gedenkstein in der Hauswand erinnerte schon während der Kriegszeit an die "durch feindliche Krieger" erfolgte Zerstörung des Hauses.





* Kriegschronik der Stadt Dortmund, 05.05.1943, in: Stadtarchiv Dortmund, Bestand 424-35
 
 

3.3 Zerstörung der Möhne-Talsperre

 
 
 
In einer Spezialoperation zerstörte das britische Bomber Command in der Nacht des 16.05./17.05.1943 die Sperrmauer der Möhne-Talsperre. In den Wasserfluten kamen über 1.500 Menschen ums Leben, darunter rund 1.000 ausländische Arbeitskräfte. Die Zerstörung der Sperrmauer wurden in der Gedenkkultur und in der Erinnerung von Zeitzeugen über Generationen tradiert. Neben Legenden, die bis zu 30.000 Todesopfer kolportieren, und zahlreiche Erzählungen sind die Spuren des Hochwassers noch heute im Ruhrtal sichtbar. Zwei Tage nach dem Angriff fasste der westfälische Landeshauptmann Karl Friedrich Kolbow das Geschehen zusammen:
"Die Zerstörung der Möhnetalsperre übersteigt alle Vorstellungen. Das untere Möhnetal und das Ruhrtal zwischen Neheim und Hengsteysee ist völlig zerstört. Wie oft hat die Menschheit schon solche fürchterlichen Rückschläge aus ihrer technischen Tätigkeit erleben müssen! Niemand hätte im Jahre 1911 bei der Fertigstellung der Möhnetalsperre geglaubt, daß sie der Heimat mehr Unheil als Segen bringen würde." (Kolbow an Dr. Runte vom 19.05.1943, Westfälisches Archivamt, Nachlass Kolbow)
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Die zerstörte Möhne-Talsperre. Britisches Aufklärungsfoto, aufgenommen am Vormittag des 17.05.1943 von einer Spitfire der 542 / RAF. In seinem Feature
 "Unternehmen Züchtigung" untersucht Ralf Blank die Planung, Auswirkung und Rezeption der Talsperren-Katastrophe am Möhnesee


Bilder zum Möhnesee im Internet-Portal
 
 

3.4 US-amerikanische Tagesangriffe

 
 
 
Ab Frühjahr 1943 unternahm die 8. United States Army Air Force (8. USAAF) ebenfalls Luftangriffe auf Ziele im westfälischen Raum. Im Gegensatz zu den britischen Bomberverbänden sollte die 8. USAAF vorwiegend Tagesangriffe auf Industrie- und Verkehrsanlagen fliegen. Bereits am 04.03.1943 hatte ein Verband von 16 US-amerikanischen Maschinen den Verschiebebahnhof Hamm bombardiert. Ein US-amerikanischer Tagesangriff auf Münster am 10.10.1943 traf besonders die Zivilbevölkerung schwer. Im Zusammenhang mit den Invasionsvorbereitungen bombardierte die 8. USAAF zwischen März und Mai 1944 mehrere Bahnhöfe in Westfalen, besonders in Münster, Hamm und Schwerte. Allein bei diesen Angriffen fanden rund 1.000 Menschen den Tod. Neben Berlin und Merseburg (Hydrierwerk Leuna) waren die beiden in Westfalen gelegenen Städte Hamm und Gelsenkirchen (Hydrierwerke Scholven und Nordstern) zwei der Hauptangriffsziele für die 8. USAAF auf dem europäischen Kriegsschauplatz. Auf Hamm wurden bis März 1945 über 11.000 Tonnen und auf Gelsenkirchen rund 15000 Tonnen Spreng- und Brandbomben abgeworfen. Allein das genügt, um zu verdeutlichen, wie umfangreich die Zerstörungen allein in diesen beiden westfälischen Städten bei Kriegsende waren.
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Ziviltote in Bochum - 4.095 (gezählte) Einwohner der Stadt verlieren infolge der Luftangriffe ihr Leben


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Abgeschossener US-Amerikanischer Pilot in Greven, 1944/1945
 
 

3.5 Verschärfung des Bombenkriegs im Herbst 1944

 
 
 
Mit einem Luftschlag gegen Dortmund am 06./07.10.1944 eröffnete das Bomber Command die zweite "Battle of the Ruhr". Bei diesem verheerenden Bombenangriff fanden in Dortmund über 1.100 Menschen den Tod, die Innenstadt glich einem Trümmerfeld. Auch in Bochum entstanden im November sehr große Sachschäden und hohe Personenverluste. Bielefeld wurde am 30.09.1944 von US-amerikanischen Bombern fast völlig zerstört. Die Luftangriffe gegen Münster, Hamm, Soest, Bochum, Dortmund, Hagen und vielen anderen Städten Westfalens übertraf vom Ausmaß der Zerstörungen und der Anzahl von Bevölkerungsverlusten alle bisherigen Befürchtungen und Vorstellungen.
Instrumentalisierung der Opfer:  Zeitungsanzeige Albert Hoffmanns, NS-Gauleiter von Westfalen-Süd und Reichsverteidigungskommissar, zum Gedenken an die Opfer des Angriffs auf Soest in der Nacht vom 05.12. auf den 06.12.1944 - fast 200 Tote wurden in der  Identifizierungsliste aufgeführt
 
 

3.6 Zerstörung von Klein- und Mittelstädten

Die Monate Februar und März 1945 waren nicht nur in Westfalen die wohl schlimmste Phase des Luftkriegs. Durch das "Ruhrabriegelungs-Programm" (16.02.-20.03.1945) sollte das Ruhrgebiet und der westdeutsche Raum von allen Verkehrsverbindungen abgeschnitten werden. Die Alliierten beabsichtigten damit, diese Region "sturmreif" zu bomben. Mit überschweren "Erdbebenbomben" ("Tallboy" mit 5 Tonnen, "Grand Slam" mit 10 Tonnen Gewicht) wurden die Eisenbahnviadukte bei Bielefeld, Minden und Arnsberg zerstört.
 
 
 
Ein Augenzeuge notierte seine Eindrücke unmittelbar nach einem US-amerikanischen Angriff auf Hagen am 28. Februar 1945 in sein Tagebuch:
"Auf einer Länge von 4 Kilometern ist das breite Bahngelände restlos zerstört. Mit allen Gebäuden, mit der Gleisanlage, mit sämtlichen Waggons und Lokomotiven. Haushoch ist alles aufeinandergetürmt. Ein Bombentrichter neben dem anderen. Rechts und links neben dem Bahngelände steht kein Haus mehr. Alles brennt, ist zerfetzt und vernichtet. Die große Fuhrparkbrücke liegt auf den Gleisen. Tote Menschen und Pferde liegen auf der Straße, zum Teil grässlich verstümmelt. Verzweifelte Menschen, verdreckt und verstaubt, einzelne mit schrecklichen Wunden irren umher, werden fortgetragen, oder suchen noch zu retten."*














*Tagebuch von R. Römer, Eintrag vom 28.02.1945, in: Stadtarchiv Hagen
 
 
Die Bischofsstadt Paderborn ging am 27.03.1945 in einem Feuersturm unter. Aber auch zahlreiche Klein- und Mittelstädte, in denen es nur unzureichende Luftschutzmaßnahmen gab, waren im Februar und März 1945 das Ziel alliierter Luftangriffe, die gerade dort schwere Zerstörungen und hohe Verluste unter der Bevölkerung hinterließen. Ende März 1945 lagen die meisten Städte Westfalens in Trümmern. Sie ähnelten mehr antiken Ruinenstätten als Gemeinwesen und symbolisierten damit auch äußerlich den endgültigen militärischen Zusammenbruch und den Untergang des nationalsozialistischen Regimes. Vor allem die beinahe pausenlos erfolgenden Jagdbomber-Angriffe stellten für die Bevölkerung in dieser Region eine große Belastung dar.
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Luftaufnahme der fast restlos zerstörten Innenstadt von Dülmen, März 1945
 
 
 

4. Kriegsalltag an der "Heimatfront"

4.1 Beton gegen Bomben

 
 
 
Um die Bevölkerung an der "Heimatfront" vor den Luftangriffen zu schützen, wurden in vielen westfälischen Städten Luftschutzbauten errichtet. Ein von Hitler befohlenes "Führer-Sofortprogramm" sollte ab Oktober 1940 in 61 deutschen Städten, darunter sechszehn in Westfalen, "bombensichere" Bunker errichten. Das groß angelegte "Sofortprogramm" zum Bau von Hochbunkern scheiterte jedoch bereits 1942 auf Grund von fehlenden Arbeitskräften und Rohstoffen. Die Bevölkerung musste daher mit einem Provisorium leben, da es zu wenige Schutzräume gab und sich ein absoluter Bombenschutz als Utopie erwies. Juden, "Ostarbeiter", "Zigeuner" und Kriegsgefangene waren darüber hinaus von der Benutzung öffentlicher Luftschutzräume ausgeschlossen.
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Hochbunker in Bochum, Springerplatz, einer von 15 Großbunkern mit insgesamt 74.000 Plätzen - Relikt inmitten zerstörter Häuser
 
 
Viele der im "Sofortprogramm" errichteten Hochbunker sind noch heute im Weichbild dieser Städte vorhanden. Sie erinnern an den Bombenkrieg an der "Heimatfront" und die nationalsozialistische Politik sowie an das Schicksal ihrer Erbauer, bei denen es sich zum überwiegenden Teil um ausländische Arbeitskräfte, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge handelte. Andere Hochbunker, zum Beispiel in Siegen, wurden auf den Standorten von Synagogen errichtet, die von den Nationalsozialisten erst geschändet, dann abgerissen und schließlich als Örtlichkeiten für den Luftschutz der deutschen Bevölkerung genutzt wurden.
 
 
 
Die Bevölkerung Westfalens war ab 1943 ständigen Luftangriffen ausgesetzt, die 1944/45 das Alltagsleben beherrschten. Der Aufenthalt in Bunkern und Luftschutzstollen bestimmte wie die sich gegen Kriegsende über mehrere Stunden ausdehnenden Fliegeralarme den Tagesablauf. Auf Grund des alliierten Vormarsches nach der geglückten Invasion in der Normandie am 06.06.1944 in Richtung Reichsgrenzen - am 21.10.1944 wurde mit Aachen die erste deutsche Großstadt erobert - kam es häufig zu einem Zusammenbruch des Flugmeldedienstes und Warnsystems. Anfang 1945 war Westfalen ein "frontnaher" Raum: die Alarmierungszeiten für die Bevölkerung verkürzten sich so sehr, dass oft bereits die Bomben fielen, während die Menschen noch zu den Luftschutzräumen liefen. In einigen Städten kam es zur so genannten Bunkerpanik, bei der in den Bunkern und Stollen sowie in den Eingangsbereichen viele Menschen von anderen Schutzsuchenden erdrückt oder zu Tode getrampelt wurden.
 
 
 
Im Sommer 1943 erfolgte im Rahmen der (erweiterten) Kinderlandverschickung (KLV) die Massenevakuierung von Kindern und Jugendlichen aus "luftgefährdeten" Städten. Ganze Schulen wurden nach Süddeutschland (Baden, Württemberg), Nordostdeutschland (Pommern, Ostpreußen) und in südöstliche Gebiete (Sudentenland, Ungarn), die als "luftsicher" angesehen wurden, evakuiert. Die KLV führte zur Trennung von Angehörigen und setzte die Kinder und Jugendlichen in den KLV-Lagern der fast lückenlosen "Betreuung" durch die Partei und HJ aus.
 
 

4.2 Versorgungslage der Bevölkerung

Die Versorgung mit Nahrungsmitteln konnte zumindest für die deutsche Bevölkerung bis zum Kriegsende in einem ausreichenden Umfang sichergestellt werden. Dies hatte seinen Grund jedoch weniger in den eigenen Ressourcen, sondern lag vielmehr an der rücksichtslosen Ausbeutung der von dem Deutschen Reich bis 1944 besetzten Gebiete Europas. Ab 1943 wurden zunehmende Probleme sichtbar. Durch die schweren Bombardierungen entstanden große Schwierigkeiten, die zahlreichen "Ausgebombten" und "Luftkriegsevakuierten" mit Hausrat, Bekleidung und Nahrungsmitteln zu versorgen. Brot, Kartoffeln und Fleisch zählten zu den Grundnahrungsmitteln, deren Bereitstellung an der "Heimatfront" sich ab 1943 immer schwieriger gestaltete. Auf so genannten Schwarzmärkten, die es 1944 in vielen Städten Westfalens gab, wurden zusätzliche Nahrungsmittel gegen Gebrauchsgüter und besonders gegen Zigaretten, die ihre Bedeutung als "Zweitwährung" bis in die Nachkriegszeit behielten, eingetauscht.
 
 
 

4.3 "Einsatz" von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen

 
 
 
Der Gauleiter in Westfalen-Süd, Albert Hoffmann, hatte bereits im August 1943 herausgestellt, dass es "unserer deutschen Einstellung [widerspricht], weisse Sklaven zu halten", schränkte dies jedoch mit dem Hinweis ein, "daß wir die Herren sind und die ausländischen Arbeitskräfte das zu tun haben, was wir von ihnen verlangen"*. Die Bewältigung der Luftangriffsfolgen ließ Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene zu Hauptakteuren werden. In den Städten mussten KZ-Häftlinge nach Bombenangriffen die Trümmer räumen, Leichen bergen und vor allem die zahlreichen Bombenblindgänger entschärfen. Nach schweren Bombardierungen setzten die Oberbürgermeister und die Reichsverteidigungskommissare in so genannten "Großräumaktionen" Tausende von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen zur Trümmer- und Schutträumung ein. Unter ihnen war die Zahl von Toten und Verletzten besonders hoch, da ihnen nur ungenügende Schutzmöglichkeiten vor den Bomben gewährt wurden. Allein bei einem britischen Nachtangriff auf Dortmund im Mai 1943 wurden etwa 200 sowjetische Kriegsgefangene getötet.
Bild- und Textmaterialien für den Schulunterricht bietet das Themenheft  "Das Stalag 326 (VI K) Senne - ein Kriegsgefangenenlager in Westfalen" von Reinhard Otto


 Bericht der ukrainischen Zwangsarbeiterin Ljuba Leontjewna Meleschko über ihren Arbeitseinsatz und die Lebensumstände in Meinerzhagen
 
 
In Soest, dessen Rangierbahnhof nach den Luftangriffen zwischen Dezember 1944 und März 1945 einer Mondlandschaft glich, trafen die Bomben am 28.02.1945 auch die Häftlinge einer SS-Baubrigade. Seit einigen Tagen waren die Häftlinge für Aufräumarbeiten und zur Entschärfung von Blindgängern auf dem Eisenbahngelände "eingesetzt". Mindestens 65 KZ-Häftlinge fanden den Tod, unter der Bevölkerung von Soest waren es allein an diesem Tag mehr als 70 Tote. Die "Einsätze" zur Trümmer- und Schutträumung waren für ausländische Arbeitskräfte bei Kriegsende lebensbedrohend. Nach einem Befehl des südwestfälischen Reichsverteidigungskommissars Albert Hoffmann sollten "flüchtige" Ausländer und "Arbeitsverweigerer" "zur Abschreckung" an der Arbeitsstelle sofort erschossen werden.
 
 
 

4.4 Schüler-Soldaten

 
 
 
Ab Februar 1943 wurden 15- bis 16-jährige Schüler als Luftwaffenhelfer ("Flakhelfer") in Flakbatterien eingesetzt. Bis 1944/45 wurden die Geburtsjahrgänge 1926, 1927 und 1928 zur Flak einberufen. Dort nahmen sie fast alle Funktionen von regulären Soldaten wahr. Ohne Jugendliche wäre in der zweiten Kriegshälfte kein Flakeinsatz mehr möglich gewesen. Ab 1944 erfolgte zusätzlich der Einsatz von jungen Frauen des Reichsarbeitsdienstes (weibliche Jugend) in Flakscheinwerfer-Stellungen. Dabei kam es auch zu Verlusten durch Bombentreffer auf die Stellungen. Die Erinnerung der ehemaligen Luftwaffenhelfer und der Flakwaffenhelferinnen bestimmt die Kriegswahrnehmung dieser Generation bis in die Gegenwart. Ein in Hagen eingesetzter Luftwaffenhelfer fasste im Februar 1944 in seinem Tagebuch den Tagesablauf zusammen: "Wir kommen kaum noch von den Geschützen. Ein Alarm jagt den anderen. Besonders tagsüber fliegen viele Bomberpulks über uns hinweg nach Sachsen, Thüringen und Anhalt. Dabei schießt unsere Großkampfbatterie mit ohrenbetäubendem Lärm viel Gruppenfeuer." *
Gerhard E. Sollbach über
"Schüler-Soldaten": Der Einsatz von Luftwaffenhelfern










* Gerhard E. Sollbach, Hagen. Kriegsjahre und Nachkriegszeit 1939-1948, S. 11
 
 

4.5 Schadensersatz aus jüdischem Eigentum

 
 
 
Mit der Zunahme der britischen Luftangriffe verschärfte sich in den Großstädten der Wohnungsmangel. Durch das "Freiwerden" von Wohnungen, die von Juden bewohnt wurden, durch Deportation und Zusammenfassung in "Judenhäusern" erhoffte sich die Staatsführung zusätzlichen Wohnraum für "Bombengeschädigte". Die in Westfalen in Frühjahr und Sommer 1942 forcierten Deportationen der Juden in Ghettos und Vernichtungslager "im Osten" lieferten jedoch nur einen Bruchteil des tatsächlich erforderlichen Wohnraumes. Aufgrund der schweren Auswirkungen alliierter Luftangriffe, die binnen weniger Stunden in einer Stadt Zehntausende "ausgebombte" Obdachlose zur Folge hatten, stieg auch der Bedarf an Ersatz für zerstörte Wohnungseinrichtungen, Bekleidung und Güter des täglichen Bedarfs ab 1942 stark an. Die deutschen Behörden und die Partei, hier besonders die NS-Volksfürsorge, konnten diesen Bedarf nicht mehr adäquat ausgleichen, sodass zwischen 1942 und 1944 auch auf das beschlagnahmte Eigentum von Juden zurückgegriffen wurde, die aus dem Deutschen Reich sowie aus West- und Osteuropa in die Vernichtungslager und Gettos deportiert wurden. In der "M-Aktion" (=Möbel-Aktion) wurden zahlreichen "Bombengeschädigten" in westfälischen Städten das beschlagnahmte Eigentum von Juden als Ersatz für ihren zerstörten Hausrat zur Verfügung gestellt oder zu günstigen Ankaufspreisen angeboten. Doch auch diese z. B. in Herne und Gelsenkirchen über die Binnenschifffahrt und Schienentransporten in großer Zahl eingetroffene Gegenstände konnten den tatsächlichen Bedarf nur zu einem geringen Teil ausgleichen.
Der Komplex "Judenverfolgung und Holocaust", der die beiden Zeitabschnitte 1933-1939 (Wolfgang Stelbrink) und 1939-1945 (Ralf Blank) umfasst, wird zu einem späteren Zeitpunkt in einem gesonderten Textbeitrag behandelt.


 Vermerk für den münsterschen Stadtbaurat Dr. Poelzig über die Versorgung Bombengeschädigter mit Möbeln aus jüdischem Besitz, 16.10.1942
 
 

4.6 Planungen zum Wiederaufbau

Die großflächigen Zerstörungen in den wichtigsten Städten Westfalens führten ab Herbst 1943 zu Planungen für einen Wiederaufbau. Diese Maßnahmen wurden von einem "Arbeitsstab Wiederaufbau bombenzerstörter Städte" unter dem Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion, Albert Speer, zentral koordiniert. Zu "Wiederaufbaustädten" wurden im Sommer 1944 in Westfalen die Gemeinden Bochum, Münster, Gelsenkirchen, Hagen, Hamm und Dortmund bestimmt. Bis März 1945 arbeiteten die Bauverwaltungen in den Kommunen an Plänen für den Wiederaufbau, die sowohl architektonische und städtebauliche Aspekte als auch organisatorische und technische Grundlagen berücksichtigten. Nach dem Krieg konnte sich der Wiederaufbau an diesen Planungen orientieren, wie z.B. eine bereits 1944 entworfene Rohstoffgewinnungsanlage für Trümmerschutt.
 
 
 
 

5. "Endkampf"

5.1 "Schanzaktionen" und Rückzugschaos

 
 
 
Nach der gescheiteren deutschen Gegenoffensive in den Ardennen (16.12.1944: Unternehmen "Wacht am Rhein") drangen die Alliierten bis zum Rhein vor. Seit September 1944 organisierten die beiden westfälischen Gauleitungen durch Schanzeinsätze ("Aktion Maulwurf") den Ausbau des "Westfalenwalls" sowie von Panzergräben und Verteidigungspunkten im linksrheinischen Raum. Allein vom 08.01. bis 10.01.1945 musste die Bevölkerung des Gaues Westfalen-Süd im Rahmen der "Maulwurf-Aktion XI" nochmals über 5.500 so genannte Maulwurf-Arbeiter, bei denen es sich vor allem um ausländische Zwangsarbeiter handelte, für das beinahe ständig von alliierten Tieffliegerangriffen begleiteten Schanzen von Grabensystemen am Niederrhein und für den propagandistisch hochstilisierten "Westfalenwall" stellen, um das zu Weihnachten des Vorjahres entlassene Personalkontingent des Gaugebiets zu ersetzen.
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Soldaten beim Bau des "Westfalenwalls" in Raesfeld
 
 
Vier Wochen später folgten im Zusammenhang mit der "Maulwurf-Aktion XII", nunmehr wohl letztmalig, erneut über 6.000 Arbeiter aus dem Gau Westfalen-Süd. Den massiven alliierten Truppeneinsatz hielten diese "geschanzten" Anlagen nicht stand. Die britisch-kanadische Bodenoffensive "Vertitable" und die zeitgleich angelaufene US-amerikanische Operation "Grenade" bewirkten im Februar 1945 ein Rückzugschaos über den Rhein, der zu diesem Zeitpunkt als natürliche Grenze zwischen den Westalliierten und den deutschen Verteidigern stand. Aus den linksrheinischen Städten flohen Hunderttausende Menschen über den Rhein nach Westfalen. Vor allem die "zurückflutenden" ausländischen Arbeitskräfte waren Repressalien ausgesetzt. Bereits am 11.03.1945 hatte der Amtsleiter des Gaustabs der Gauleitung Westfalen-Süd, Oberbereichsleiter Hans Strube, eine Anordnung an die Kreisleiter herausgegeben, wonach "flüchtige" ausländische Arbeiter und andere Arbeitskräfte aus dem - allerdings längst vom Krieg überholten - so genannten Schanzeinsatz im Westen "ohne Marschbefehl oder Begleitkommando" nach ihrer Ergreifung sofort der jeweiligen Kreiskommission für den "Totalen" Kriegseinsatz zu übergeben sowie bei der Gestapo anzuzeigen seien. Weiter heißt es, dass die "Arbeitsdisziplin dieser Männer und Frauen gegebenfalls durch abschreckende Beispiele zu erhalten" sei, was zweifellos als Umschreibung für eine Exekution dieser Personen zu verstehen sein dürfte.
 
 
 

5.2 Lynchjustiz und Radikalisierung

 
 
 
Justiz und Polizei, besonders die Geheime Staatspolizei (Gestapo), wurden im Kriegsverlauf zunehmend ideologisiert und radikalisiert. Die im Bereich des Oberlandesgerichts Hamm eingerichtete Sondergerichte verhängten die Todesstrafe und hohe Zuchthausstrafen für "Plünderungen" nach Bombenangriffen und so genannte Heimtücke-Verbrechen, worunter auch das Abhören von "Feindsendern" und das Verbreiten von alliierten Flugblättern zählte. Die Gestapo beschäftigte sich in den letzten Kriegsmonaten vor allem mit der Hinrichtung von Regimegegnern und Zwangsarbeitern. Allein in Dortmund, in der Bittermark und im Rombergpark, erschoss die dortige Gestapo im März und April 1945 rund 300 Menschen.
 
 
 
Der südwestfälische Gauleiter Albert Hoffmann erließ am 25.02.1945 einen "Fliegerbefehl" der Lynchmorde durch die Bevölkerung an "Jabo-Piloten" sanktionierte. In den letzten Kriegsmonaten wurden in Westfalen zahlreiche abgesprungene alliierte Flieger von Teilen der Bevölkerung, Wehrmachtsangehörigen, Gestapo-Beamten und Parteiangehörigen ermordet. Allein in Bochum waren es am 24.03.1945 vier britische Flieger, die von einer aufgeputschten Volksmenge gelyncht wurden. Am 11.03.1945 appellierte Hoffmann an die Polizeibehörden u. a. mit den Worten: "Äusserste Härte ist geboten! [...] Es geht hierbei um die Existenz des Reiches! Werden wir in den Knochen weich, müssen wir uns nicht wundern, wenn sich daraus Folgerungen für den Kriegsverlauf ergeben". Über eine "Sonderanordnung" * wies er an, dass gegen die aus den Kampfgebieten zurückströmenden Soldaten, die nach Hoffmanns Auffassung allesamt den Krieg für verloren hielten und sich in defaitistischen Äußerungen ergehen würden, durch eigene Kontrollposten sowie mit einem "rücksichtlosen" Waffengebrauch vorgegangen werden sollte. Ein "besonderes Eingreifkommando" konnte bei Bedarf zusätzlich von der Befehlsstelle Wetter-Harkortberg angefordert werden.
* Sonderanordnung vom 11.03.1945; Landesarchiv NRW Abt. Westfalen, Kreis Meschede/Landratsamt 2377.


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 20./21. Februar 1945 - Der letzte Flug der RAF PD421 IQ-F
 
 

5.3 Alliierter Rheinübergang und Ruhrkessel

Mit der Einnahme der Ludendorff-Brücke bei Remagen am 07.03.1945 bildete die US-Army einen ersten Brückenkopf auf rechtsrheinischem Gebiet. Mit der Luftlandeoperation "Varsity", der umfangreichsten Landung von Fallschirmjägern in der bisherigen Kriegsgeschichte, und dem amphibischen Rheinübergang im Raum Wesel während der Operation "Plunder" begannen die Alliierten, bei einem gleichzeitigen Vorstoß aus dem Brückenkopf bei Remagen, ab dem 24.03.1945 mit der zangenförmigen Einschließung des Ruhrgebiets. Der Rheinübergang wurde zwischen dem 20. und 25.03.1945 durch schwere Luftangriffe der strategischen und taktischen Luftflotten vorbereitet und begleitet. Vor allem im Münsterland und an den Randzonen des Ruhrgebiets kam es zu ständigen Bombardierungen. Ostersonntag 1945 war in Münster der Krieg zu Ende.




 "Proklamation Nr. 1 an das deutsche Volk" der Militärregierung in Deutschland, Kontrollgebiet des Obersten Befehlshabers General Dwight D. Eisenhower
 
 
Am 01.04.1945 wurde der "Ruhrkessel" im Raum Lippstadt abgeriegelt. Damit waren rund 350.000 Soldaten der Heeresgruppe B unter Generalfeldmarschall Walter Model eingeschlossen. Obwohl die Gauleiter und die Amtsträger der NSDAP bis zuletzt den "Endsieg" und den Kampf "bis zur letzten Patrone" propagierten, erkannte die Bevölkerung, dass der völlige Zusammenbruch nicht zu verhindern war. Hitler hatte bereits am 19.03.1945 einen Zerstörungsbefehl ("Nero-Befehl") herausgegeben. In Südwestfalen wurde dieser angesichts des alliierten Vormarsches sinnlose Befehl, der u. a. zu Brückensprengungen führte, auf Veranlassung des dortigen Reichsverteidigungskommissars teilweise umgesetzt. Die führenden Funktionäre der NSDAP ergriffen die Flucht, wie Albert Hoffmann, oder verübten Selbstmord, wie Dr. Alfred Meyer.
 
 
 
Während sich die Eroberung und Besetzung der Städte in Westfalen meist ohne größere Kampfhandlungen vollzog, "mopping up the Ruhr" heißt es dazu in alliierten Quellen, gab es vereinzelt auch größere Gefechte zwischen deutschen und alliierten Truppen. Eine offizielle Kapitulation einer ganzen Einheit, wie sie am 15.04.1945 in Iserlohn vollzogen wurde, blieb jedoch die Ausnahme. Bis Mitte April 1945 wurde der Kessel durch die US-Truppen immer enger gezogen, sodass zunächst der östliche Teilkessel im Raum Hagen-Iserlohn kapitulierte und am 21.04.1945 auch im Bergischen Land und bei Duisburg/Düsseldorf der Widerstand einstellt wurde. Für die Bevölkerung in Westfalen war damit der Zweite Weltkrieg de facto beendet.

Wie sich die Einnahme einer Stadt in der Regel abspielte, zeigen die Ereignisse in der Kleinstadt Hohenlimburg. Am Südrand des Ruhrgebiets gelegen, überlebte die vor dem Krieg rund 12.000, nun aber durch Evakuierte etwa 35.000 Einwohner zählende Stadt den Bombenkrieg ohne nennenswerte Schäden. Seit März 1945 beherbergte Hohenlimburg das Ausweichquartier des "Ruhrstabs" unter dem Industriellen Walter Rohland, auch lagen mehrere Einheiten der Feuerschutzpolizei Köln, Organisation Todt und Wehrmacht in der Umgebung der Stadt.

Am 14.04.1945 sprengten Wehrmachtseinheiten die große Lennebrücke sowie eine kleinere Eisenbahnbrücke. Bereits am nächsten Tag hatten US-Truppen einen Großteil des Stadtgebiets besetzt. Zwischen dem amerikanischen Regimentskommandeur und dem seit 1937 amtierenden Bürgermeister, einem "alten Kämpfer" und SA-Führer, begannen nun Übergabeverhandlungen. Doch zeigte deutsches Artilleriefeuer, dass an ein Ende der Kämpfe nicht zu denken war. Eine mit SS-Soldaten besetzte Geschützbatterie schoss von einem Bergplateau mitten in die Innenstadt, wohl wissend, dass sich dort nicht nur US-Soldaten aufhielten, sondern auch "Landsleute". Amerikanische Artillerie erwiderten diesen Beschuss sowie deutsches Geschützfeuer aus Richtung der Kreisstadt Iserlohn.
 
 
Der amerikanische Offizier sprach nun eine deutliche Drohung aus: Hohenlimburg sollte in Schutt und Asche bombardiert werden, falls der Widerstand nicht beendet würde. Doch auch am 16.04.1945 lag die Kleinstadt und ihre Umgebung unter ständigem deutschen und amerikanischen Artilleriebeschuss, der eine Anzahl von Zivilisten und Soldaten tötete. Nachdem der Bürgermeister sich und seine dreiköpfige Familie am Vortag umgebracht hatte, ergriffen jetzt drei Geistliche die Initiative. Nach Kontaktaufnahme mit dem amerikanischen Kommandeur, der zunächst noch auf sofortiger Übergabe bestand und erneut ein vernichtendes Bombardement androhte, rückten am 16.04.1945 schließlich US-amerikanische Panzerverbände in die Stadt ein. Am Abend war für die Bevölkerung Hohenlimburgs der Krieg vorbei. Ähnlich wie in Hohenlimburg spielten sich Kriegsende und alliierter Einmarsch in vielen Städten des Deutschen Reichs ab. Weiße Fahnen und aus den Fenstern der Häuser hängende Bettwäsche begleiteten den alliierten Vormarsch im Westen, Norden und Süden.
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Feier anlässlich der Befreiung der Zwangsarbeiter im Sammellager Maximilian/Hamm durch US-Truppen, 01.05.1945


Kriegsende und erste Nachkriegszeit aus deutscher Sicht:  Bericht der Flaesheimer Lehrerin Klara Reisener, 1945
 
 
Die Bilanz des Zweiten Weltkriegs war für Westfalen erschütternd: Allein durch alliierte Luftangriffe fanden über 38.000 Menschen den Tod. Die Erfahrungen, Auswirkungen und Spuren des Zweiten Weltkriegs bestimmten nicht nur den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Neubeginn nach 1945: Sie blieben bis in die Gegenwart tief im Gedächtnis und der lebensgeschichtlichen Erfahrungswelt der so genannten Kriegsgenerationen verankert.
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Todesanzeigen für gefallene Wehrmachtssoldaten in der Westfälischen Tageszeitung/Borkener Zeitung, 09.09.1944
 
 
 

6. Literatur

6.1 Allgemeine Geschichte

Blank, Ralf
Kriegsalltag und Luftkrieg an der "Heimatfront". In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 9, München 2004.
Umfangreicher Beitrag aus vor allem erfahrungsgeschichtlicher Sicht zum Bombenkrieg und Kriegsalltag. Angereichert mit zahlreichen Quellen und zeitgenössischen Quellen wird eine Darstellung der Entwicklung an der "Heimatfront" gegeben.

Blank, Ralf
Ruhrschlacht. Das Ruhrgebiet im Kriegsjahr 1943. Essen 2013.

Boog, Horst
Der anglo-amerikanische Luftkrieg über Europa und die deutsche Luftverteidigung. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 6, Stuttgart 1990, S. 429-560.
Strategischer Luftkrieg in Europa und Reichsluftverteidigung 1943-1944, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 7 (Das Deutsche Reich in der Defensive), Stuttgart 2001, S. 3-415.
Die beiden Studien des Sammelwerks des Militärgeschichtlichen Forschungsamts der Bundeswehr geben einen detaillierten und umfassenden Überblick der Entwicklung des Luftkriegs aus der Perspektive einer militärhistorischen und -technischen Darstellung.

Bremer, Ricarda / Vogel, Detlef/Wette, Wolfram (Hg.)
Das letzte halbe Jahr. Stimmungsberichte der Wehrmachtspropaganda 1944-1945. Schriftenreihe der Bibliothek für Zeitgeschichte, (NF) Bd. 13. Essen 2001
Detaillierte "Stimmungsberichte" geben einen Überblick über die Situation an der "Heimatfront" in den letzten Monaten des Kriegs. Angesprochen werden die militärische Lage, die Versorgung der Bevölkerung, der Luftschutz und die vielfältigen Gerüchte, die innerhalb der Bevölkerung zirkulierten.

Freeman, Roger A.
Mighty Eighth War Diary. London 1981.
Einsatzstatistik der 8. United States Army Air Force, die zwischen 1943 und 1945 zahlreiche Luftangriffe auf Deutschland unternahm. Die Tagesstatistik enthält auch alle Operationen gegen Ziele in Westfalen.

Groehler, Olaf
Bombenkrieg gegen Deutschland. Berlin 1990.
Populärwissenschaftliches Standardwerk des ostdeutschen Historikers über den Bombenkrieg. Enthalten sind zahlreich Quellen und Fotografien sowie eine Darstellung der Entwicklung des Luftkriegs seit den 1930er Jahren.

Henke, Klaus-Dietmar
Die amerikanische Besetzung Deutschlands. Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 17. München 1995.
Umfassende und quellenreiche Studie zur Eroberung Deutschlands. Detaillierte Darstellung der Besetzung auch westfälischer Städte sowie Überblick zur Entwicklung in der frühen Nachkriegszeit.

Heinz Boberach (Hg.)
Meldungen aus dem Reich. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS 1938-1945, Bde. 1-17, Herrsching 1984.
Edition von Lageberichten des SD, die als zeitgenössische Quellen einen Einblick in die "Stimmungslage" und "Haltung" an der Heimatfront geben.

Middlebrook, Martin/Everitt, Chris
The Bomber Command War Diaries. Harmondsworth-New York 1985.
Umfangreiche Operationsstatistik des britischen Bomber Command. Enthält eine tägliche Übersicht und Zusammenfassung der einzelnen Angriffsoperationen unter Hinzuziehung deutscher Quellen.

Paul, Gerhard / Mallmann, Klaus-Michael (Hg.)
Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg. "Heimatfront" und besetztes Europa. Darmstadt 2000.
Grundlegendes Sammelwerk über die Funktion und Aufgabenstellung der Gestapo im "Heimatkriegsgebiet". Die Autoren geben einen detaillierten Überblick über verschiedene Aspekte, wie die Organisation, Befehlsstruktur und Umsetzung politischer Vorgaben. Die gerade auch in Westfalen häufig begangenen "Kriegsendphasenverbrechen" werden untersucht und detailliert beschrieben.

Tewes, Ludger
Jugend im Krieg. Von Luftwaffenhelfern und Soldaten 1939-1945. Essen 1989.
Umfassende Darstellung des Einsatzes von jugendlichen Luftwaffenhelfern. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf dem westlichen und nördlichen Ruhrgebiet, wobei die damalige "Flakgruppe" Dorsten, einschließlich Gelsenkirchen und Marl, besonders umfangreich abgehandelt wird.
 
 
 

6.2 Westfälische Geschichte

Beer, Wilfried
Kriegsalltag an der Heimatfront. Alliierter Luftkrieg und deutsche Gegenmaßnahmen zur Abwehr und Schadensbegrenzung, dargestellt für den Raum Münster. Bremen 1990.
Detaillierte Studie über die Luftangriffe auf Münster und die Bewältigung der Angriffsfolgen an der "Heimatfront". Die Untersuchung von W. Beer zählt zu den Standardwerken regionalhistorischer Studien zum Bombenkrieg.

Golücke, Friedhelm
Der Zusammenbruch Deutschlands - eine Transportfrage? Der Altenbekener Eisenbahnviadukt im Bombenkrieg 1944/45. Paderborner historische Forschungen, Bd. 3. Paderborn 1990.
Sorgfältig recherchierte Studie über den Eisenbahnviadukt, der in der Kriegsendphase ab Herbst 1944 mehrfach von den alliierten Luftstreitkräften bombardiert wurde. Im März 1945 zerstörten "Erdbebenbomben" das historische Brückenbauwerk aus dem 19. Jahrhundert.

Mues, Willi
Der große Kessel. Eine Dokumentation über das Ende des Zweiten Weltkrieges zwischen Lippe und Ruhr/Sieg und Lenne. 3. Aufl. Erwitte 1984.
Voluminöses Werk über den "Ruhrkessel", das vor allem militärhistorische und militärtaktische Darstellungen enthält. Detailliert wird die Eroberung einzelner Städte und Gemeinden geschildert.

Sollbach, Gerhard E. (Hg.)
Dortmund. Bombenkrieg und Nachkriegsalltag 1939-1948. Mit einer Einleitung von Hans Mommsen. Hagen 1996.
Die regionalhistorische Studie über die - gemessen an der Einwohnerzahl - größte westfälische Stadt enthält eine quellenreiche Darstellung der alliierten Luftangriffe und ihrer Auswirkungen sowie eine Studie über die frühe Nachkriegszeit. Dortmund zählt neben Gelsenkirchen und Hamm zu den am häufigsten bombardierten Städten Westfalens.

Sollbach, Gerhard E.
Flucht vor Bomben. Kinderlandverschickung aus dem östlichen Ruhrgebiet im 2. Weltkrieg. Hagen 2002.
Quellennahe und umfangreich bebilderte Studie über die Kinderlandverschickung aus regionalhistorischer Sicht. Neben zahlreichen Erinnerungs- und Zeitzeugenberichten sind besonders auch die vielen Bildquellen bemerkenswert.
 
 
 
Stand des Haupttextes: 2004.