QUELLE

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DATUM1915-02-08   Suche   Suche DWUD
URHEBER/AUSSTELLERSchulz, W., Feldwebel
EMPFÄNGERStegemann, Heinrich
AUSSTELLUNGSORTChermizy/Frankreich
GEOPOSITIONGoogle MapsOSM| 49.469963 (NS), 3.725979999999936 (EW) (nicht-exakt)
TITEL/REGESTSchreiben von Feldwebel W. Schulz an Familie Stegemann bzgl. des Todes von Johannes Stegemann und der weiteren Umstände, der vorangegangenen Kampfhandlungen und den allgemeinen Verlusten
TEXTChermizy 8.2.15.

Sehr geehrte Familie Stegemann

Es tut mir herzl[ich] leid Ihnen mitteilen
zu müssen, daß Ihr Sohn[1] am 25 gefallen
ist, wenigstens hatte ich es auf der Karte
so geschrieben, diese Karte müssen Sie
schon entschuldigen, denn das geht alles
in einer Hast und Eile. Ihr Sohn
ist am 25. beim Sturm auf den
Höhen von Craonne verwundet
worden, und zwar bekam er erst
eine leichte Verwundung am Bein
nachdem er diese verbunden hatte,
erhielt er einen Granatsplitter und
dieses dumme Ding verletzte ihm
den Oberschenkel so schwer, daß ich
kaum glaube, daß er das Bein erhalten
hätte. Er wurde in einer großen
Höhle gebracht und behandelt. Von da

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wurde er mit dem Krankenwagen
nach Neuville gebracht, und ist dann
in der Nacht gestorben. Er liegt auf
dem Militärfriedhof dortselbst begraben.
Ich würde Ihnen gerne nähere Schilderungen
machen, aber leider ist es mir nicht
vergönnt, gerade auf Ihre Fragen
einzugehen. Ihr Sohn war Gruppen-
führer und war zur Beförderung
zum U[n]t[ero]ff[i]z[ier] eingereicht, mir auch persöhnl[ich]
gut bekannt, da er ja zu meiner
Zeit schon akt[iv] in Mülheim gedient
hat. Er war mir ein lieber Kamerad,
von dem ich wußte, daß er keinen
Feind fürchtete, er wäre nach dem
Sturm sicher zum "E[isernen] K[reuz]" vorgeschlagen
worden, und hätte es auch für sein
Draufgehen erhalten. Aber leider
mußte er sein Leben für’s Vater-
land einsetzten. Mir und der
ganzen Komp[anie] wird er stets im
treuen Andenken bewahrt bleiben,

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denn er war stets ein lieber,
tapferer gern gesehener Mensch.
Er ruhe sanft!

Sie haben recht in ihrem Briefe,
hier ging es heiß her. Beim Sturm
2?[2] Off[i]z[iere] tot 28 Off[i]z[iere] verwundet, 489
U[n]t[ero]ff[i]z[iere] u Mannsch[aft] tot 1186 U[n]t[ero]ff[i]z[iere] und Mannsch[aft]
verwundet, und 250-300 Vermißte.
Sturm und Bajonettkampf ist das
grausigste Schauspiel welches auf
Gottes Erdboden existiert. Man ist
kein Mensch mehr, sondern ein Tier,
was fällt, das fällt, man weiß nicht
was rechts oder links vor sich geht und
ist nicht fähig wiederzugeben was man gemacht
und gesehen hat. In den Zeitungen
heißt es, die Sachsen hätten die
Höhen und das Wäld[ch]en von Voulon
genommen. Das stimmt nicht ganz.
Das I/B[at]t[ai]l[lon] 159 hat alles im Wäldchen
und Erdwerk gemacht. Furchtbar
hat es hergegangen. Hauptsächlich

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mit Beilen und Schanzzeug ist
gearbeitet worden. Manchen, manchen
Franzosen wurde der Schädel auseinander
geschlagen. Das war ein Ehrentag, aber
auch ein Tag, dem viel Jammer und
Elend folgt. Glauben Sie nur auch mir
tut es weh, meine lieben, tapferen,
lebensfrischen Leute als Gefallene
zu sehen. Man weiß was das Vater-
land und die Lieben daheim schon
gekostet haben. Wir sind zu 6 Brüder
im Felde, 3 sind gefallen. Ich verstehe
wohl, was es heißt 3 Brüder zu ver-
lieren, aber sage mir wo 1000de fallen,
darf auch ein Bruder von mir liegen,
aber die Eltern und Geschw[ister] können
es nicht so leicht. Die Franzosen sind
Schweine. Nach dem Sturm haben wir
zwischen den Stellungen, unsere Gefallenen
Kameraden, von 13.-20. September noch
unbeerdigt gefunden, nein, nicht nur
das, sondern sie waren mit menschlichem
Kot, von diesen Sausäcken, besudelt.

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27 Mann von unserer Komp[anie] sind
gefallen, 6 habe ich jetzt auf dem
Kirchof und 21 liegen noch zwischen
unseren und den feindlichen Schützen-
gräben und können nicht geholt
werden. Viele, viele Franzosen liegen
aber Gott sei Dank auch dabei. Unsere
Masch.[inen] Gew[ehre] haben beim Gegenangriff
der Franzosen gut gemäht! Was
es hier für ein Elend gibt, davon
macht sich keiner, der nicht hier ge-
wesen ist eine Vorstellung. Es ist
traurig, wenn man manchmal
Berichte aus den Schützengräben? in
deutschen Zeitungen ließt, die
meistens von Großschnautzen hinter
der Front, die noch keine rote
Hose[2] gesehen haben, gemacht
werden. Z. Beisp. mit Pantoffel in den
Schützengraben gehen, od. ein freund-
schaftliches Verhältnis mit den Franzosen

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anknüpfen, Klavier im Schützen-
graben und derartigen Blödsinn mehr.
Hier ist bitterer Ernst, aber ganz bitter,
nur einen Fehltritt, einmal mit
dem Kopf über die Deckung, schon
sitzt eine feindl[iche] Kugel im Kopf,
daß die Knochensplitter und Gehirn in
die Luft geht. Heute einer tot, vor-
gestern zwei, des Tages davor einer,
so geht es hier. Hier weiß man
was Krieg und Elend heißt! -

Nun wünsche ich Ihnen, daß Gott
Ihnen helfen möge zu tragen, was er
Ihnen auferlegt hat. Nicht nur Sie, 1000de
und Abertausende, müssen es so nehmen
wie es kommt, wie es bestimmt war.

Ich teile mit Ihnen, nebst seiner
lieben Braut, Stolz und Trauer beim
Heldentode eines, meiner lieben
Kameraden!

In Eile
Ihr W. Schulz
Feldw[ebel] 2/159


[1] Die anderen Feldpostbriefe geben Auskunft darüber, dass Johannes Stegemanns Eltern zum Zeitpunkt seines Todes nicht mehr lebten. Feldwebel Schulz spricht also irrtümlich Stegemanns Eltern an.
[2] Ziffer unleserlich.
[3] rote Hose = Umschreibung für französische Soldaten, die bei Beginn des Konflikts noch auffällige, rote Hosen trugen.


PROVENIENZ  Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen
BESTANDNachlass Heinrich Stegemann
SIGNATURNr. 1


MATERIALPapier
SPRACHEdeutsch
ÜBERLIEFERUNGSARTOriginal


PROJEKT    Der Erste Weltkrieg in Westfalen - Ausgewählte Archivquellen
SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ45   Brief, Bildpostkarte / Briefsammlung
Zeit3.9   1900-1949
Sachgebiet5.7   Soldatinnen/Soldaten
5.7.2   Kriegsalltag / Soldaten
5.7.3   Verwundung, Tod
DATUM AUFNAHME2014-03-07
DATUM ÄNDERUNG2014-04-01
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