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(88 KB)   Aldegrever, Heinrich (1502-1555/61): IV. Die Herrschaft der Täufer, Königsherrschaft: "Jan van Leiden" (ca. 1510-1536), datiert 1536 / Münster, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster / Münster, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster   Informationen zur Abbildung

Aldegrever, Heinrich (1502-1555/61): IV. Die Herrschaft der Täufer, Königsherrschaft: "Jan van Leiden" (ca. 1510-1536), datiert 1536 / Münster, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster / Münster, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster
FAMILIELeiden, van
VORNAMEJan
BERUF / FUNKTIONTäufer in Münster


VERWEISUNGSFORMBecukelsz, Jan / Bockelson von Leiden, Johan
GESCHLECHTmännlich
GEBURT DATUM1509/1510 [um]   Suche
GEBURT ORTSoevenhoven bei Leiden
TOD DATUM1536-01-22   Suche
TOD ORTMünster
TODESURSACHEHinrichtung auf dem Prinzipalmarkt in Münster


VATERBockel, Unterschultheiß


BIOGRAFIEJan van Leiden ist die wohl faszinierendste Figur des münsterischen Täuferreiches 1534/35. Seitdem er im April 1534 als Nachfolger des Jan Matthys zum Propheten aufgestiegen war, drückte er dem Leben in der Täuferstadt den Stempel seiner Persönlichkeit auf und ließ sich schließlich im September 1534 zum König ausrufen.

Sein Erfolg war ihm indes nicht in die Wiege gelegt. Geboren als unehelicher Sohn einer aus dem Münsterland stammenden Magd und des Unterschultheißen Bockel aus Soevenhoven bei Leiden, hatte er ein unstetes Leben geführt und war nach einer Schneiderlehre Kaufmann gewesen. In Leiden dürfte er einer der "Rhetorikkammern" angehört haben, die Laienschauspieler zusammenführte, um geistliche und bald auch weltliche Theaterstücke einzustudieren und aufzuführen und die sich nach 1530 als Zentren einer reformationsfreundlichen und obrigkeitskritischen Oppositionsbewegung etabliert hatten. Schon im Sommer 1533 besuchte er Münster als eine radikalreformatorischen Gedanken aufgeschlossene Stadt. Im November 1533 empfing er von dem Haarlemer Bäcker Jan Matthys, dem selbsternannten Nachfolger des Laienpredigers Melchior Hoffman, die Glaubenstaufe. Melchior, erfüllt von spiritualistischen und apokalyptischen Vorstellungen, hatte für Ende 1533 das Gottesgericht vorhergesagt, das nur diejenigen überleben würden, die sich zuvor mit dem in der Offenbarung des Johannes geweissagten "Signum Tau" bezeichnen ließen - mit einer erneuten Taufe. Jan Matthys hatte die von Melchior wegen der obrigkeitlichen Verfolgungen unterbrochene Glaubenstaufe wieder aufgenommen und war an die Spitze der niederländischen Melchioriten getreten - und er nannte mit dem Osterfest 1534 ein neues Datum für die Erlösung. Die Predigt war in den von einer schweren Wirtschaftskrise betroffenen Niederlanden begierig aufgesogen worden. Auch in der Stadt Münster, wo die Reformation im Streit zwischen dem lutherisch gesinnten Rat und den radikalen Predigern um den Reformator Bernhard Rothmann gescheitert war, fanden diese apokalyptischen Gedanken Aufnahme. Um den 05.01.1534 trafen die Apostel des Jan Matthys in der Stadt ein und begannen die Taufe. Als eine Woche später, um den 13.01.1534, Jan van Leiden in die Stadt kam, sollen schon 1.500 Menschen, etwa ein Sechstel der Bevölkerung, die Erwachsenentaufe empfangen haben.

Der junge Mann aus Leiden, kaum 25 Jahre alt, war Gast im Hause des  Bernd Knipperdollinck, eines der treuen Gefolgsleute Bernd Rothmanns, gewann schnell das Vertrauen der münsterischen Täufergemeinde und bereitete das Eintreffen seines Propheten, des Jan Matthys, vor. Die Aktualisierung der apokalyptischen Erwartungen, d.h. die Hoffnung auf das baldige erlösende Gottesgericht, wurde von außen in die im Glaubensstreit zerfallene Stadt hineingetragen. Die zugewanderten niederländischen Propheten gewannen damit die geistige Führung, die Deutungshoheit über die Geschehnisse in der Stadt. Als die entschiedensten Gegner des Bischofs vermochten sie auch diejenigen münsterischen Bürger an sich zu ziehen, die nichts mehr als das bischöfliche Eingreifen fürchteten. Bürgerlicher Abwehrwille und täuferische Welterneuerung verbanden sich.

Jan van Leiden übte als enger Vertrauter des Jan Matthys bedeutenden Einfluß aus und wurde als der einheimischen Mundart mächtig - seine Mutter stammte aus Darup bei Coesfeld - zum Sprecher des Propheten, so bei der Vertreibung der Ungetauften am 24./27.02.1534 und der Etablierung einer Schreckensherrschaft, d.h. dem Versuch, die Zweifelnden und Widerstrebenden mit Todesdrohungen einzuschüchtern. Nach dem Tode des Jan Matthijs am Ostertag 1534 (05.04.1534) wurde er dessen Nachfolger - angeblich habe ihm schon Gott geoffenbart, daß Jan Matthijs bei dem Versuch, sich zum Schwert Gottes machen und das Heer der Belagerer mit eigener Hand vertreiben, fallen würde.

Jan Matthys hatte das Gottesgericht vorbereiten wollen, indem er das "Neue Jerusalem" Münster von allem Gottlosen reinigte (Austreibung der Ungetauften, Abschaffung des Geldes, Verbrennung des Ratsarchivs und aller Bücher außer der Bibel, Bildersturm) und nach urchristlichem Vorbild neu organisierte (Gütergemeinschaft). Jan van Leiden entwickelte dieses Prinzip des Vorgängers weiter und entdeckte das Alte Testament als Vorbild für das "neue Israel", das auserwählte Gottesvolk, als das sich die Täufergemeinschaft in Münster verstand.. Dabei verstand er es, bei der Wiederherstellung biblischer Zustände ("Restitution") seine eigene Stellung zielbewußt zu stärken. Die Ordnung der Zwölf Ältesten des neuen Gottesvolkes sicherte seinen Einfluß; die Einführung der Polygamie (Mehrehe für Männer) war Verwirklichung biblischer Vorbilder, Ausdruck täuferischen Veränderungs- und Erneuerungswillens, eine Frucht seiner Überredungskunst und eine erfolgreich bestandene Machtprobe mit den übrigen Würdenträgern - und zugleich angesichts puritanischer Sittenstrenge die Lösung eines moralischen Problems: in einer Stadt mit hohem Frauenüberschuß gab es außereheliche Sexualkontakte, die das Image einer heiligen Stadt in Frage stellen und sogar die Erlösung selbst gefährden konnten. Die Antwort war also ein "Legalize it"! Kaum etwas hat aber die Herrschaft der Wiedertäufer stärker diskreditiert als die Mehrehe.

Die Erhebung des Propheten zum König der Täufer im September 1534, entsprungen aus der Notwendigkeit, die Verteidigung der belagerten Stadt straff zu lenken, trug ihm zusätzlich zu der geistlichen auch die volle weltliche Gewalt ein, um "die Ungerechtigkeit (zu) strafen in der Welt". Zugleich König und Prophet und damit ein neuer David, wollte er als endzeitlicher "König der Gerechtigkeit" und Vollstrecker der "Restitution" die Welt auf das Gottesgericht vorbereiten und die Wiederkunft Christi durch Reformen, durch eine Welterneuerung einleiten. Jan van Leiden erhob den Anspruch auf die Weltherrschaft, weil die Welterlösung, d.h. das Reich Christi, die ganze Welt umspannen würde.

Bei seinen Reformen brach Jan van Leiden mit den puritanischen Idealen der Täufer. War die Mehrehe noch aus puritanischem Geist erwachsen - der Geschlechtstrieb sollte allein der Fortpflanzung in der Ehe dienen - so wurde nun die "Herrlichkeit der Kinder Gottes" (nach Jeremia 30,19) wörtlich verstanden. Der König knüpfte an traditionelle Symbole der Monarchie an (mit Reichsapfel und Schwertern als königlichen Symbolen) umgab sich mit fürstlichem Aufwand, heiratete insgesamt 16 Frauen und herrschte unumschränkt. Er scheute sich nicht, aufsässige Landsknechte und Glaubensbrüder eigenhändig mit dem Schwert zu töten. In der Person Jan van Leidens kulminiert die so seltsame Vermischung von Berechnung, emotionaler Hochstimmung, Fanatismus und Brutalität, die das münsterische Täuferreich in den Augen der Nachwelt kennzeichnete.

Als militärischer Führer erfolgreich, bemühte sich der König, einerseits die Belagerten durch "Brot und Spiele" von der Misere abzulenken, bis die Hungersnot nach und nach die Hoffnungen erstickte. Andererseits scheiterten aber seine Versuche, in den Niederlanden Hilfstruppen und ein Entsatzheer zu mobilisieren. Am 24.06.1535 fiel die Stadt Münster durch Verrat. Jan van Leiden geriet in Gefangenschaft. Kurz vor seiner Hinrichtung bot er den Obrigkeiten die Zusammenarbeit an, um die militante Täuferbewegung zu entschärfen und auf eine friedliche Grundlage zurückzuführen, hielt aber im Kern an seinen täuferischen und apokalyptischen Anschauungen fest.


Literatur

Richard van Dülmen, Reformation als Revolution. Soziale Bewegung und religiöser Radikalismus in der deutschen Reformation, München 1978; Ausst.Kat. Stadtmuseum Münster 1982: Die Wiedertäufer in Münster (5. Aufl. 1986); Ralf Klötzer, Die Täuferherrschaft von Münster. Stadtreformation und Welterneuerung, Münster 1992; ders. / Wilhelm Ribhegge u.a. in: Ausst.Kat. Stadtmuseum Münster 2000: Das Königreich der Täufer, Bd. 1: Reformation und Herrschaft der Täufer in Münster, S. 64-251, hier S. 98, 162-169, 205-214, 234-239

Gerd Dethlefs
AUFNAHMEDATUM2004-01-08


PERSON IM INTERNET  Jochen Rath: August 1535 - Der "Wiedertäufer“-König Jan van Leiden wird auf der Sparrenburg gefangen gehalten
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QUELLE    Plaßmann, Joseph Otto | Johann von Leyden (1509-1536) |
   | Köln Westfalen 1180-1980 | Bd. 1, S. 476

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Zeit2.20   1450-1499
3.1   1500-1549
3.1.20   Täuferzeit in Münster <1534-1535>
Ort2.21   Münster, (Fürst-)Bistum < - 1802>
3.5   Münster, Stadt <Kreisfr. Stadt>
Sachgebiet5.9   Kriege, militärische Konflikte
16.5   Sonstige Kirchen, Konfessionen, Sekten
DATUM AUFNAHME2004-01-08
DATUM ÄNDERUNG2010-12-16
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