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2. Schranken - Hürden - Umwege


 
 
 
Preußen gehörte in Europa zu den Schlusslichtern, als Frauen 1908 das Recht zum akademischen Studium erhielten. Nun standen ihnen theoretisch alle Laufbahnen offen. Unabhängig von Ehemann oder Familie konnten sie aus eigener Kraft gehobenen Lebensstandard, gesellschaftliche Anerkennung und Persönlichkeitsentwicklung erreichen. Doch bis weit in die Nachkriegszeit war der Weg von Frauen in öffentliche Ämter, Wirtschaft und freie Berufe beengt durch rechtliche Einschränkungen, gesellschaftliches Frauenbild und finanzielle Hürden. Es brauchte drei Generationen, bis man um 1980 von annähernd gleichen Rechten für Frauen und Männer sprechen konnte.

Dicht gedrängt sitzen die Studierenden im Hörsaal. Trotz Kriegsbeginn sind Frauen immer noch eine Ausnahmeerscheinung; unter ihnen sitzt Brigitte Engel, geb. Schur aus Ostpreußen. Studentinnen werden nicht selten von Professoren vor allen vorgeführt - bevorzugt mit Fragen zu Sexualorganen.

Bis auf wenige Ausnahmen machen junge Frauen ihr Abitur an einer höheren Schule, dem Lyzeum. Nicht alle Mädchenschulen führen zum Großen Latinum, das eine notwendige Eingangsvoraussetzung für bestimmte Studiengänge ist.


 Teil 1: Ausstellung
 Teil 2: Tagung


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Blick in eine Anatomievorlesung an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin (Wintersemester 1939/40)
 

 

Harte und weiche Hürden
Woran Frauen scheitern konnten

 
 
 
  • Vor 1908: Studieren und promovieren durften Frauen nur mit Ausnahmegenehmigung des preußischen Königs oder im Ausland.
  • Es fehlten Schulen, die Mädchen zum Abitur führten. Viele junge Frauen legten ihr Abitur nach Privatunterricht als Externe an Knabengymnasien ab. Vor allem auf dem Land führte der Weg zum Abitur über das weit entfernte Internat.
  • Das Große Latinum war Voraussetzung für ein wissenschaftliches Studium. Viele Mädchengymnasien unterrichteten dieses Fach zunächst nicht.
  • Schulen forderten Schulgeld. Freiplätze an Gymnasien waren knapp. Lange Zeit entstammten Abiturientinnen ausschließlich wohlsituierten bürgerlichen Familien.
  • Das Studium war teuer, Stipendien waren rar, staatliche Hilfen fehlten gänzlich. Die Familie trug Unterhalt und Studiengebühren. Fleißprüfungen reduzierten die Gebühren. Mädchen studierten bis in die Nachkriegszeit fast nur auf Wunsch der Eltern.
  • Im Hörsaal waren Frauen zunächst Ausnahmeerscheinungen. Sie mussten bis nach dem Zweiten Weltkrieg mit subtiler oder offener Feindseligkeit rechnen. Es fehlten weibliche Vorbilder für Studium und akademische Karriere.
  • 1880 legte ein Reichsgesetz das Ausscheiden von Frauen aus dem öffentlichen Dienst bei ihrer Heirat fest; damals ging es nur um mittlere Laufbahnen. Der "Beamtinnenzölibat" - eine der einschneidendsten Hürden überhaupt - verdrängt Frauen aus der höheren Verwaltungslaufbahn. Immer wieder führten restriktive Gesetze (1923, 1932, 1950) zur Ausgrenzung verheirateter Frauen, um dem sog. Doppelverdienertum gegenzusteuern.
  • Die Evangelische Landeskirche von Westfalen ließ Frauen erst 1974 zur Ordination - der Beauftragung zum Dienst an Wort und Sakrament - zu. 1978 wurde die rechtliche Gleichstellung von Pfarrerinnen in allen Landeskirchen außer Schaumburg-Lippe endgültig vollzogen, dort erst 1991.
  • Erst 1922 standen Frauen alle Berufsfelder der Rechtspflege offen. Zuvor wurden sie nicht zum Zweiten Staatsexamen zugelassen. Die Befähigung zum Richteramt und Berufen mit dieser Voraussetzung waren ihnen bis dahin verwehrt.
  • Kammern erteilen verheirateten Freiberuflerinnen als sog. "Doppelverdienerinnen" keine Zulassung. Auch nach dem Krieg werden Zulassungen bei verheirateten Frauen z.T. nur unter Vorbehalt gewährt.
  • Ein konservatives Frauenbild und gesellschaftliches Beharrungsvermögen warfen junge Frauen zurück. Immer wieder wurden ihnen geistige Fähigkeiten, Durchsetzungswillen und körperliche Eignung abgesprochen.
  • Die nationalsozialistische Ideologie propagierte eine Senkung des Frauenanteils bei Studierenden. Schon bald fielen die Beschränkungen. Das Ziel wurde stillschweigend aufgegeben, weil Männer fehlten.
  • Angehende Studentinnen mussten im Dritten Reich vor Studienbeginn "freiwillige" soziale Dienste leisten und ihre "Kameradschaftlichkeit" beweisen (Arbeitsdienst).
  • "Doppelverdienerinnen" mussten sich immer wieder gesellschaftlicher Kritik stellen.
  • Bis zur Reform des Ehe- und Familienrechts 1976 durfte der Ehemann die Berufstätigkeit seiner Frau untersagen, wenn familiäre Pflichten darunter leiden könnten. Erst 1976 wurde aus der Hausfrauenehe die sogenannte "partnerschaftliche" Ehe.
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Frauenstudium in Europa


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Studierende an der Universität Münster (1908 bis 2006)


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Karikatur "Frauenstudium" (1899)


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Karikatur "Bange Ahnung" (1900)


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Karikatur "Die Philologin" (1943)
 
 

Lebenswege

 
 









Marie Torhorst (1888-1989) und
Adelheid Torhorst (1884-1968)

 
 
 
Beide Frauen sind als Töchter eines evangelischen Pfarrers in Ledde (Kreis Steinfurt) geboren. Dank einer Erbschaft ihrer Mutter bekommen sie wie die vier Brüder eine akademische Ausbildung. Abitur machen sie in einem Internatsstift. Sie gehören zu den wenigen privilegierten Frauen, die im ausgehenden Kaiserreich ihr Studium beenden und eine erstaunliche Karriere machen. Adelheid studiert Mathematik und Physik in Bonn und Göttingen und promoviert 1915. Nach ihrer Oberlehrerinnenprüfung schließt sich ein Germanistikstudium mit dem Staatsexamen 1918 an. Sie unterrichtet in Essen als Studienrätin und arbeitet beim Provinzialschulkollegium in Düsseldorf. Die rhetorisch Begabte engagiert sich gegen Konfessionsschulen und für eine qualifizierte Mädchenbildung. Sie wird Mitglied der SPD, gehört dort zum linken Flügel. 1931 tritt sie zur KPD über und wird Funktionärin.

1933 emigriert sie in die Niederlande und kann sich vor dem NS-Zugriff durch eine Scheinehe retten. Nach der Gründung der DDR ­siedelt sie zu ihrer Schwester Marie nach Weimar über. Marie studiert Geografie, Mathematik und Physik in Bonn, später noch Betriebs- und Volkswirtschaft in Köln. 1918 promoviert sie in Bonn. Auch sie wird SPD-Mitglied. Nach Zwischenstationen ist sie Studienrätin an einer reformpädagogischen Modellschule in Berlin-Neukölln, hält sich vorübergehend in der UdSSR auf und kommt 1943 in ein Arbeitslager. Nach 1945 tritt sie erst in die KPD, dann SED ein und wird 1947 in Thüringen Ministerin für Volksbildung, 1962 Professorin in Berlin. Sie stirbt nach zahlreichen hohen Auszeichnungen der DDR.
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Marie und Adelheid Torhorst (1911)
 









Theanolte Bähnisch (1899-1973)
geborene Nolte

 
 
 
Ein lebenslanger Kampf für die Gleichberechtigung der Geschlechter zeichnet Theanolte Bähnisch aus. 1899 kommt Dorothea Nolte als Tochter eines Warendorfer Gymnasiallehrers zu Welt und wächst mit sechs Geschwistern auf. Wie viele andere ihrer Generation muss sie wegen fehlender höherer Mädchenschulen in ein Internat nach Köln ausweichen, wo sie 1919 das Abitur ablegt. Zum Jurastudium geht sie nach Münster. Ihr Ziel ist die höhere Verwaltungslaufbahn. Als ihr die Zulassung zum Referendariat verweigert wird, interveniert sie persönlich beim preußischen Innenminister - mit Erfolg. Sie ist die erste Juristin, die ein Zweites Staatsexamen ablegt.

Die junge Assessorin wird 1926 nach Berlin ins Polizeipräsidium berufen. Die persönlichen Nachteile ihrer 1927 geplanten Heirat mit ihrem Kollegen Alfred Bähnisch fordern erneut ihren ganzen Widerstand heraus. Nur mit Mühe kann sie ihre Entlassung aus dem öffentlichen Dienst aufgrund der "Zölibatsgesetze" erreichen: Erst als der Dienstherr ihr die Garantie der Weiterbeschäftigung gibt, schließt sie den Bund der Ehe. Ein weiteres Ärgernis ist der Familienname: als Ehefrau muss sie ihren Geburtsnamen ablegen. Aus Protest hängt sie ihren Geburtsnamen an den Vornamen an - er wird ihr Markenzeichen werden. Als ihr Mann 1930 Landrat in Merseburg wird, kündigt sie, zieht zwei Kinder auf und gründet einen Verlag, der Schriften gegen den Nationalsozialismus publiziert. Mutig verteidigt die Sozialdemokratin Widerstandskämpfer. 1945 lässt sie sich in Köln als Anwältin nieder, wird aber schon 1946 zur ersten Regierungspräsidentin Niedersachsens nach Hannover berufen. 1959 steigt sie für sechs Jahre zur Bevollmächtigten des Landes Niedersachsen beim Bund im Rang einer Staatssekretärin auf. Die Frauenaktivistin wird mit zahlreichen Ehrungen und Medaillen ausgezeichnet bevor sie 1973 stirbt.
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Theanolte Bähnisch (um 1950)
 








Florentine Rickmers-Neuhaus (1881-?)
geborene Neuhaus

 
 
 
Ihr Leben spiegelt das ganze Spektrum der Hürden der ersten Akademikerinnengeneration. Florentine Neuhaus ist 1881 in Berlin geboren. Ihre Mutter, Agnes Neuhaus, ist Gründerin des Sozialdienstes katholischer Frauen und seit 1919 Zentrumspolitikerin in der Nationalversammlung und im Reichstag. Frauenbildung und sozial­politisches Engagement haben in der Dortmunder Familie eine lange Tradition. Florentine Neuhaus wechselt häufig die Schule, wird auch im Ausland unterrichtet. Ihr Leben erscheint wie ein langer Wartestand: jahrelang hofft sie auf das Signal zum Frauenstudium. Seit 1905 bereitet sie sich auf das Abitur vor. Mit 27 Jahren legt sie 1908 endlich das Abitur (Matura) als Externe an einem Knabengymnasium in Münster ab. Sie studiert nun Jura in Freiburg, München und Leipzig und schließt 1912 ab.

Der angestrebte Beruf im höheren Verwaltungsdienst setzt ein zweites Staatsexamen voraus. Doch ihr Antrag auf Zulassung wird abgelehnt. 1915 heiratet sie André Rickmers. Der Erste Weltkrieg mit seinem Männermangel bietet neue, ungeahnte Chancen: Sie wird in München Referentin für die Organisation von Frauenarbeit. 1919 kündigt sie, um in Münster in Staatswissenschaften zu promovieren. 1923 gelingt ihr die Verbeamtung als Regierungsrätin im Bayerischen Wirtschaftsministerium. Dies ist in einem schmalen Zeitfenster von 1919 bis ­1923 möglich. Seit 1932 tritt sie in die Fußstapfen ihrer Mutter und arbeitet in gehobener Position an der Frauenschule des Katholischen Frauenbundes, die Wohlfahrtspflegerinnen ausbildet; ein Einfluss des Netzwerkes ihrer Mutter ist dabei anzunehmen. 1946 wird sie nach der Entnazifizierung pensioniert.
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Florentine Rickmers-Neuhaus
 
 

Diskriminierung im Parlament

 
 
 
Erst im Jahre 1908 durften Frauen in Preußen Mitglied in politischen Vereinen werden - zehn Jahre später erst erhielten sie in Deutschland das Recht, weibliche Abgeordnete in Parlamente zu wählen.

Unmittelbar nach der Einführung des Frauenwahlrechts am 12.11.1918 bildeten sich Ausschüsse der Frauenverbände und Frauenarbeitsgemeinschaften der Parteien. Um die 17,7 Millionen wahlberechtigten Frauen zu motivieren, ihr Wahlrecht wahrzunehmen, wurden Flugblätter verteilt, politische Schulungen durchgeführt und Aufrufe in Tageszeitungen veröffentlicht.

Bei der Aufstellung der Wahllisten erfuhren Frauen von den Parteien allerdings kaum Berücksichtigung. Daraufhin schließen sie sich in einigen Kommunen zu eigenständigen 'Frauenlisten' zusammen, um so ihrem Recht auf politische Partizipation Nachdruck zu verleihen.

Trotz der hohen weiblichen Wahlbeteiligung von fast 90% und ihres scheinbar großen Mandatserfolgs von 9,6 % in der Nationalversammlung gehörten weibliche Abgeordnete während der Weimarer Republik zu einer verschwindend geringen Minderheit in den Parlamenten. Aus Protest gegen ihre Diskriminierung auf Wahllisten kritisierten Frauen in allen Parteien das Vorgehen ihrer Parteileitungen mit Verweis auf den höheren Anteil der Wählerinnen.
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Chronologie des Frauenwahlrechts in Europa


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Mandatsverteilung im Reichstag (1920-1933)


  Informationen zur
Einführung des Frauenwahlrechts
in Deutschland

 
 

Lebenswege

 
 









Helene Drießen (1876-1938)
geborene Dübigk

 
 
 

"Wir wollen nicht als weibliche Standesvertreterinnen in die Parlamente, sondern als Frauen.... Es muss festgestellt werden: soviel Sitze sind vorhanden, soviel Männer, soviel Frauen"

 
 
 
- so die Auffassung der ehemaligen Lehrerin Helene Drießen, die sie in ihrer Eigenschaft als Mitglied des Provinzvorstandes der Westfälischen Zentrumspartei und Vorsitzenden des Bocholter Zweigvereins des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KFD) Anfang 1920 auf dem Reichsparteitag ihrer Partei vertritt. Als am 12.11.1918 per Dekret des Rates der Volksbeauftragten das gleiche, geheime, direkte und allgemeine Wahlrecht für alle Frauen und Männer ab 20 Jahren in Deutschland eingeführt werden soll, haben die Parteien nur knapp zwei Monate Zeit, ihre Wahlvorschläge für die Verfassungsgebende Nationalversammlung einzureichen und die rund 18 Millionen wahlberechtigten Frauen zu ihrer ersten Entscheidung in der demokratisch zu gestaltenden neuen Republik zu mobilisieren. Schließlich sind nun alle Parteien gezwungen, Frauen als politisch Handelnde anzusprechen, um sie für sich zu gewinnen, obgleich sich bis zu diesem Zeitpunkt nur die SPD ausdrücklich für das Frauenwahlrecht ausgesprochen hatte.
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Helene Drießen (1932)
 
 
Auch die Zentrumspartei macht nun mobil und bemüht sich aus den katholischen Verbänden geeignete Frauen zur politischen Mitarbeit heranzuziehen. Während Wahlkampfhelferinnen gerne gesehen sind, gestaltet sich die Aufstellung von weiblichen Kandidaten für die 36 Wahlkreise allerdings mehr als schwierig. Bereits im Dezember 1918 beklagt deshalb Helene Drießen, dass in Westfalen unter den von ihrer Partei vorgeschlagenen 23 'Wahlmännern' des Wahlkreises Borken-Recklinghausen nur eine Frau wie auch auf der Wahlliste Münster-Minden bei sechs bis sieben sicheren Plätzen lediglich eine Frau - und diese erst an neunter Stelle - aufgeführt sei.
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Präsidium der Zentrumspartei (1921)
 
 
Entsprechend schmal ist die Ausbeute an Mandaten bei den Wahlen zur Nationalversammlung - nur sechs von insgesamt 90 Plätzen für das Zentrum werden von Frauen eingenommen. Doch statt eines Zuwachses gehen die Listenplatzierungen in den folgenden Jahren noch weiter zurück. Helene Drießen nimmt dies zum Anlass, das Vorgehen ihrer Partei zu kritisieren: Es könne nicht angehen, so Drießen, dass Frauen lediglich analog der ständischen Gliederung nach Berufsgruppen bei Wahllistenaufstellungen und Parteiämterbesetzungen berücksichtigt würden, es sei denn, man wolle weiterhin höchstens eine Frau in den jeweiligen Gremien sitzen haben.
 Telegramm von Helene Drießen an Hedwig Dransfeld (1918)

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Vorstand der Zentrumspartei (1921)
 
 
Neben ihren Versuchen, innerparteilich den Einsatz der Frauen und deren politische Repräsentanz in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen, setzt sie sich in der neu gegründeten 'Kommission für staatsbürgerliche Schulung' des KDF dafür ein, Frauen zu motivieren, im Wahlkampf Frauenkandidaturen zu unterstützen und selbst politisch tätig zu werden. Gleichzeitig bewirbt auch sie sich um ein Mandat: Von 1921 bis 1933 zieht sie als Abgeordnete in den Westfälischen Provinziallandtag sowie schließlich - nach siebenjähriger Wartezeit auf der Reserveliste - in den Jahren 1931 und 1932 als Nachrückerin in den Reichstag ein.
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Abgeordnete des Westfälischen Provinziallandtages (um 1920)
 










Hedwig Dransfeld (1871-1925)

 
 
 
1871 in Dortmund-Hacheney als Tochter eines Oberförsters und einer Arzttochter geboren, wächst Hedwig Dransfeld nach dem frühen Tod ihrer Eltern zunächst bei ihrer Großmutter und nach deren Tod in einem Waisenhaus auf. Bereits mit 16 Jahren erhält sie die Möglichkeit, eine Ausbildung am Katholischen Lehrerinnen-Seminar in Paderborn zu absolvieren. Trotz ihrer Erkrankung an Knochentuberkulose, durch die sie ihren linken Arm verliert, besteht sie 1890 ihr Lehrerinnen-Examen mit Auszeichnung und findet eine Anstellung zunächst als Hilfslehrerin und bereits 1897 - nach einem Fernstudium für Schulvorsteherinnen - als Schulleiterin an der Werler Ursulinenschule, die aufgrund ihrer Qualifikation nun zu einem Mädchenlyzeum ausgebaut wird.

Nach der Zulassung von Frauen zum Universitätsstudium im Jahre 1908 beginnt Dransfeld Kulturwissenschaften in Münster, später in Bonn zu studieren. Darüber hinaus ist sie schriftstellerisch tätig, veröffentlicht Gedichtbände und Beiträge für die Zeitschrift "Die christliche Frau", deren Redaktion sie im Jahre 1905 übernimmt.

Ihr konsequentes Eintreten für Frauenrechte verleiht der seit 1912 zur Vorsitzenden des Katholischen deutschen Frauenbundes (KDF) gewählten Dransfeld Anerkennung weit über das katholische Milieu hinaus. Im Jahre 1919 wird Dransfeld - als eine von insgesamt nur sechs Frauen der Zentrumsfraktion - in die Nationalversammlung gewählt. Gleichzeitig ist sie Mitglied der preußischen Landesversammlung. Ab 1920 gehört sie zu den wenigen weiblichen Abgeordneten des Reichtags. Darüber hinaus ist sie bis zu ihrem frühen Tod im Jahre 1925 zunächst Vorstandsmitglied der rheinischen, später dann der westfälischen Zentrumspartei, Beisitzerin im Vorstand der Zentrums-Reichstagsfraktion sowie seit 1922 Vorsitzende des Reichsfrauenbeirats ihrer Partei.

Frauen sollten selbst wählen und ihre politischen Interessen durch Frauen vertreten lassen - so die Auffassung von Hedwig Dransfeld, die sie Anfang 1920 auf dem Reichsparteitag des Zentrums vertrat. Um die verfassungsmäßig verankerte Gleichberechtigung innerparteilich umzusetzen, forderte Dransfeld auf dem ersten Reichsparteitag der Zentrumspartei eine zahlenmäßig gleiche Berücksichtigung von Frauen durch eine "Mindestziffer" an Kandidatinnen.
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Hedwig Dransfeld (um 1920)

 Telegramm von Maria Schmitz an Hedwig Dransfeld (1918)
 










Clara Schmidt (1874-1949)
geborene Willebrand

 
 
 
Nach anfänglichen parlamentarischen Erfolgen regt sich Mitte der 1920er Jahre deutlicher Unmut gegen die etablierten Parteien - auch unter Parteifrauen - als deutlich wird, dass die bürgerlichen Parteien immer weniger geneigt sind, weibliche Kandidaten auf sichere Listenplätzen zu stellen. Dennoch lehnen die meisten - zumeist die älteren - Vertreterinnen der Frauenbewegung eine eigenständige Frauenpartei ab. Stattdessen plädieren viele von ihnen für die Aufstellung kommunaler überparteilicher Frauenlisten.

Auch in Warendorf schließen sich 1924 aus Protest über die Nichtberücksichtigung von weiblichen Kandidaten bei der anstehenden Kommunalwahl sieben angesehene Bürgerfrauen unter Führung von Clara Schmidt, der Vorsitzenden des örtlichen Katholischen Deutschen Frauenbundes, zu einer Frauenliste zusammen. Ihr Erfolg gilt als eine der ersten Manifestationen einer eigenständigen parlamentarischen Partizipation von Frauen in der Weimarer Republik, die reichsweit Beachtung erfährt.

Nachdem zunächst die lokale Zentrumspartei zusichert, mindestens ein Mandat mit einer Frau zu besetzen, dann jedoch der zugesagte Listenplatz den Begehrlichkeiten der unterschiedlichen Berufsgruppen geopfert wird, denen allesamt Männer vorstehen, und auch die Sozialdemokraten nicht gewillt sind, ihrer bisherigen Kandidatin Anna Stoffers, der bislang ersten und einzigen Frau in der Warendorfer Stadtverordnetenversammlung, einen aussichtsreichen Listenplatz einzuräumen, kommt es - angeführt von Clara Schmidt - zu einer Protestversammlung von über 80 Warendorfer Frauen. So entsteht eine der reichsweit ersten 'Frauenlisten' in Warendorf, mit dem Anspruch, ihr Recht auf Selbstvertretung einzufordern.

Als Reaktion auf diese Ankündigung entbrennt eine heftige Leserbriefdebatte, in der die Frauen als "Unzufriedene und Quertreiber" bezeichnet werden. Schließlich verkündet sogar der Stadtverordnetenvorsteher: "Solange ich im Rathaus bin, kommt kein Unterrock ins Stadtparlament!"

Letztlich jedoch erweist sich das Wahlergebnis der Frauenliste als großer Erfolg und vier der Kandidatinnen - mit Clara Schmidt an der Spitze - ziehen in das Warendorfer Stadtparlament ein.

Die Meldung von den mutigen Frauen in Warendorf verbreitet sich über ganz Deutschland, so dass Zeitungen in Köln, Hannover und Hamburg lange Artikel bringen mit Schlagzeilen wie: "Amazonenschlacht in Warendorf!"; "Da werden Weiber zu Hyänen!"; "Schmerz, lass nach!"; "Frauen kämpfen um ihr Recht!". Auch im Ausland machen die Warendorfer Frauen von sich reden. Ein Londoner Blatt titelt: "Wir beglückwünschen und grüßen die Warendorfer Suffragetten!"

Nicht zuletzt wegen des großen Wahlerfolges der Frauenliste erhalten in der darauf folgenden letzten Gemeindewahl während der Weimarer Republik im November 1929 mit Clara Schmidt und Elisabeth Schwerbrock zumindest zwei Frauen auf der bürgerlichen Zentrumsliste ein Mandat. Der Magistrat bleibt ihnen allerdings auch in der Folgezeit versperrt.