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Das rasante Wachstum der Schülerzahlen durch die Aufnahme der Flüchtlinge und Vertriebenen sowie die Zerstörung von Schulen im Bombenkrieg machen vielerorts den Neubau von Schulen nötig. Das Bild zeigt die Grundsteinlegung der Alexanderschule in Raesfeld 1949 (Ausschnitt) / LWL-Medienzentrum für Westfalen







Krisenjahre und Aufbruchsstimmung -
die Nachkriegszeit in Deutschland
1945-1965



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Inhaltsverzeichnis
Veronika Jüttemann /  Einleitung

Thomas Abeler /  1. Von der Not zur Normalität

Adalbert Hoffmann /  2. Kriegskinder

Ursula Janik /  3. Freizeitverhalten von Jugendlichen

Hans-Peter Johannsen /  4. Töchterheim Sonnenwinkel

Edith Kreyenschulte /  5. Vertriebenenkinder

Angela Prinz /  6. "Aufwachsen" im Sportverein

Norbert Schäfers und Roland F. Stiegler /  7. Besatzungskinder

Wilfried Voß /  8. Evangelische Kindheit



 
 






Edith Kreyenschulte

Flüchtlings- und Vertriebenenkinder in Neuenkirchen St. Arnold

 
 
 
 

1. Einleitung

 
 
 

1.1 Die Intention

 
 
 
Bei meinem Zuzug nach Neuenkirchen bei Rheine vor etwa 30 Jahren fielen mir drei Dinge besonders auf: die sogenannte Kluse am Ortseingang mit dem Grundsatz aus der Tradition der Benediktiner "Bete und arbeite" und die beeindruckend große katholische Kirche St. Anna, der Ortsteil St. Arnold in großem Abstand zum Ortszentrum und die kleine evangelische Kirche, noch im Ortszentrum gelegen in Richtung St. Arnold.

Neuenkirchen ist überwiegend römisch-katholisch geprägt und die Kirche ist in allen Bereichen des örtlichen Lebens sehr präsent. An dem Blumenschmuck und den stets brennenden Kerzen ist zu erkennen, dass sich die Neuenkirchener ihrer Kluse sehr verbunden fühlen. Da durch den Zuzug der Ostvertriebenen eine größere Anzahl evangelischer Christen nach Neuenkirchen kam, wurde gemeinsam mit Wettringen eine evangelische Gemeinde gegründet und die Gnadenkirche an der Emsdettener Straße gebaut. Der Ortsteil St. Arnold entstand vor allem durch den Wohnungsbau der Ostvertrieben nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Lage weit von der Ortsmitte entfernt ist auch heute noch problematisch, da sowohl die Kirchen als auch die Versorger wie Post und Lebensmitteleinzelhandel bis auf einen kleinen Laden ihr Angebot eingeschränkt bzw. sich ganz aus diesem Ortsteil zurückgezogen haben und die Busverbindungen nicht optimal sind.

Das ist die Kurzfassung einer sehr einschneidenden Veränderung, die in Neuenkirchen wie auch in vielen anderen Orten im ländlichen Bereich nach dem Zweiten Weltkrieg stattgefunden hat. Ich versuchte, mehr darüber zu erfahren und hielt mich zunächst an mehrere Dorfchroniken, die sich mit der Geschichte Neuenkirchens befassen. Bei dieser Recherche war das Ergebnis jedoch wenig ergiebig. Diese geringe Beachtung wird 2006 von einem Ostvertriebenen in einem Vortrag bedauert.
"Leider ist die Entwicklung des rapide gewachsenen Ortsteils [St. Arnold] ebenso wie die riesige Eingliederungsaktion der 40er und 50er Jahre in den Annalen der Gemeinde Neuenkirchen bisher ohne eine angemessene Würdigung geblieben." [1]
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Katholische Kirche St. Anna, Neuenkirchen

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Evangelische Gnadenkirche, Neuenkirchen

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"Kluse" an der Rheiner Str., Neuenkirchen

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Wegweiser zwischen Neuenkirchen und St. Arnold
 
 
So befindet sich in der umfangreichen Chronik der Gemeinde zur 750-Jahr-Feier im Jahr 1997 nur ein kurzer Absatz, in dem das Eintreffen der Flüchtlinge und Vertriebenen in den Jahren 1945 und 1946 erwähnt wird:
"Ab Ende 1945 und vor allem 1946 setzte der Flüchtlingsstrom ein. Die bedauernswerten Leute aus dem Osten mußten innerhalb einiger Stunden Haus und Hof verlassen. Sie durften nur das mitnehmen, was sie tragen konnten. In der britisch besetzten Zone wurde angeordnet, daß Städte und Gemeinden, die nur wenige Kriegsschäden aufwiesen, bis zu einem Drittel der bisherigen Einwohnerzahl aufzunehmen hatten. Das führte natürlich in manchen Fällen zu Spannungen zwischen Flüchtlingen und Hausbesitzern. Die örtliche Verwaltung mußte manches Mal schlichtend tätig werden." [2]

Es gibt jedoch auch von den Ostvertriebenen selbst keine umfassende und grundlegende Aufarbeitung der Flucht, der Vertreibung, der Ankunft und des Lebens danach in Neuenkirchen. Hilke Lorenz beobachtet in ihrer Untersuchung über das Leben nach Flucht und Vertreibung bundesweit: "Integration war die Devise. So übten sich viele Flüchtlinge und Vertriebene in Selbstverleugnung. Die Menschen, die sie vermissten, und die Orte, nach denen sie sich sehnten, erwähnten sie nicht." [3] Das könnte auch für Neuenkirchen der Fall gewesen sein.

Es finden sich jedoch Einzeldokumente: Zeitungsberichte mit Einzelschicksalen, oben erwähntes Manuskript für einen Vortrag, ein Buch über die alte Heimat Schreibendorf oder eine private Chronik des "Flüchtlingslehrers" Anton Bednorz mit einem Kapitel "Lehrer an der Volksschule Dorfbauerschaft Neuenkirchen(St. Arnold)". [4]
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Deckblatt der Chronik des Lehrers Bednorz
 
 
Wenn wir uns mit dem Schicksal der Ostvertriebenen in unserer Gemeinde auseinandersetzen wollen und diese Aufarbeitung nicht nur aus Jahreszahlen und Statistiken bestehen soll, so wird es Zeit damit zu beginnen. Uns stehen heute noch Zeitzeugen zur Verfügung, die die Flucht oder Vertreibung und den Neubeginn hautnah miterlebt haben. Erst die erlebten Geschichten machen Geschichte lebendig. Neben der Recherche in Archiven und der vorhandenen Literatur sind ein sehr wesentlicher Bestandteil der Arbeit daher Interviews mit Zeitzeugen und ihre Sicht der Aufnahme und des Aufwachsens in einem westfälischen Dorf. Da unser Thema "Aufwachsen in Westfalen von 1945 bis 1965" heißt, habe ich mich besonders der Geschichte und Einzelschicksale jener Ostvertriebenen angenommen, die die Flucht oder Vertreibung als Kind miterlebt und die Veränderung in ihrem Leben bewusst wahrgenommen haben, aber auch der hier geborenen Kinder von Ostvertriebenen, die die Heimat der Eltern nicht mehr kennengelernt haben. Die Zeitzeugen leben teilweise noch heute in St. Arnold oder in der näheren Umgebung und gehören beiden christlichen Konfessionen an. Ein Interview wurde vollständig transkribiert und steht als Textdokument zur Verfügung, auf die übrigen Interviews kann man als Tondokument zugreifen.

Es soll jedoch nicht nur die Wahrnehmung der Zeitzeugen dargestellt werden, sondern auch das Umfeld und die Lebensumstände, in denen sie aufwachsen. Diese Hintergründe haben sie selbst als Kind und Jugendliche nicht unbedingt gesehen, sie haben jedoch ihr Leben beeinflusst. Mit der Frage, ob es sich um eine geglückte Integration handelt, setze ich mich abschließend auseinander.

Ich möchte mit diesem Beitrag eine Lücke in der Geschichtsschreibung Neuenkirchens ausfüllen. Dieser Abschnitt der Neuenkirchener Geschichte bedarf einer Ergänzung, vorzugsweise durch die Betroffenen.
 
 
 

1.2 Die Unterscheidung
Flüchtlinge - Vertriebene

 
 
 
In den Gesprächen, die ich mit Flüchtlingen und Vertrieben geführt habe, wurde deutlich, dass ihnen die Unterscheidung der Begriffe sehr wichtig war. Häufig Verwendung in den Unterlagen der Archive und in Büchern finden auch die Begriffe "Ostvertriebene" und "Heimatvertriebene". Die britische Besatzungsmacht unterschied ebenfalls nicht klar, sie verwendete das Wort "refugees", sprach aber später auch "sachgerecht von Vertreibung und Vertriebenen (expulsion of the German population sowie expellees)." [5] Der St. Arnolder Erich Linde erläutert in seinem Vortragskonzept den Unterschied folgendermaßen:
"Flüchtlinge waren Zivilisten, die vor Kriegshandlungen oder auf politischen Druck hin ihre Heimat verlassen haben und später wieder dahin zurückkehren wollten, aber gewaltsam daran gehindert wurden. Heimatvertriebene sind Deutsche, die nach dem Kriegsende ihre deutsche Heimat im Osten verlassen mussten!" [6]

Von den Flüchtlingen, die bereits 1945 vor dem Anrücken der russischen Front aufbrachen, machten viele zwischenzeitlich Station in den späteren Vertreibungsgebieten, in der Hoffnung auf eine Rückkehr nach Kriegsende. Durch die Verschiebung Polens nach Westen wurde dies jedoch unmöglich. Es mussten weitere Gebiete geräumt werden, in größerem Umfang als es die Westmächte für notwendig hielten. Sie konnten sich auf der Potsdamer Konferenz vom 17. 07. bis zum 02.08.1945 mit ihren Vorstellungen gegenüber Stalin nicht durchsetzen. Lediglich die Forderung der Westmächte, dass diese Überführung der Deutschen in ordnungsgemäßer und humaner Weise erfolgen sollte, wurde in das Potsdamer Abkommen aufgenommen. [7] Es waren jedoch schon vor der Potsdamer Konferenz Tatsachen geschaffen worden in Form von Zwangsausweisungen durch polnische und tschechische Grenztruppen (Soldaten und Bürgermiliz) [8].
"Der Exodus begann mit der Flucht vor der Sowjetarmee, es folgten sogenannte wilde Vertreibungen durch polnische und tschechoslowakische Machthaber, die vor Beginn der Grenzverhandlungen Fakten schaffen wollten; am Ende stand die festgelegte Vertreibung nach dem Potsdamer Abkommen." [9]

Das Bundesvertriebenengesetz hat später die Flüchtlinge zu den Vertriebenen gerechnet und im §1 eine Begriffsbestimmung vorgenommen.
"Vertriebener ist, wer als deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger seinen Wohnsitz in den zur Zeit unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten oder in den Gebieten außerhalb der Grenzen des deutschen Reiches nach dem Gebietsstande vom 31.12.1937 hatte und diesen im Zusammenhang mit den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges infolge Vertreibung, insbesondere durch Ausweisung oder Flucht, verloren hat." [10]

Warum war meinen Gesprächspartnern, die überwiegend zu den Vertriebenen zählen, die Unterscheidung der Begriffe so wichtig? Ich denke, sie wollten den zeitlichen Ablauf von Flucht und Vertreibung verdeutlichen und mit Nachdruck darauf hinweisen, dass sie nie freiwillig ihre Heimat und ihren Besitz, der häufig landwirtschaftlicher Besitz war, verlassen hätten, sondern nur unter Zwang und Lebensbedrohung dazu genötigt waren.
 
 
 
 

2. Neuenkirchen nach dem
Zweiten Weltkrieg

 
 
 
"Nieenkiäken is 'n Duop int schöne Mönsterland". So beginnt ein Gedicht des Heimatdichters Heinrich Wenker. Trotz des Einzugs der Textilindustrie im 19. Jahrhundert sind der dörfliche Charakter und die Verwendung der plattdeutschen Sprache ein Merkmal Neuenkirchens nach dem Zweiten Weltkrieg. Neben der Ortsmitte gibt es die Bauerschaften Landersum, Offlum, Sutrum-Harum und die Dorfbauerschaft. Der Name St. Arnold stand zuerst nur für das Missionshaus der Steyler Missionare und den Bahnhof der Bahnlinie Oberhausen - Rheine (ehemals Neuenkirchen-Land). Der Krieg ist an dem Dorf Neuenkirchen und seinen Bauerschaften nicht spurlos vorübergegangen, obwohl der Lehrer Anton Bednorz 1946 bei seiner Ankunft nach der Vertreibung schreibt:
"Neuenkirchen ... liegt südwestlich vom 'Thieberg', eingebettet in der schönen münsterländischen Heckenlandschaft. Der Krieg war spurlos an diesem Dorf vorübergegangen, während er in vielen Städten große Zerstörungen verursacht hatte." [11]
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Neuenkirchen: Rheiner Str. mit Kluse und St. Anna Anfang der 50er Jahre
 
 
Im Antoniusstift und im Missionshaus St. Arnold waren Lazarette eingerichtet worden. [12] Heinrich Fischer und Robert Wehmschulte berichten in ihrer umfassenden Chronik von Luftangriffen und Bombardierungen, die jedoch im Vergleich zur Nachbarstadt Rheine keine größeren Gebäude- und Personenschäden anrichteten. [13] Das schwerste Unglück ereignete sich 1944 bei der Explosion eines notgelandeten Flugzeugs außerhalb des Ortes mit 24 Toten, vorwiegend Kindern, die sich dem Flugzeug zu sehr genähert hatten. Außerdem hatte die Neuenkirchener Bevölkerung zahlreiche Gefallene zu beklagen und wartete auf die Rückkehr von Soldaten, deren Verbleib noch ungewiss war. Am 01.04.1945 wurde Neuenkirchen den britischen Besatzungstruppen kampflos übergeben. Fischer und Wehmschulte verweisen auf Kriegstagebücher der Alliierten, in denen es heißt:
"In der Morgendämmerung erreichten wir Neuenkirchen, eine Stadt mit einem Krankenhaus. Es war die einzige saubere und gut erhaltene Stadt, die wir in den letzten Monaten gesehen hatten. Sie sah sehr attraktiv aus." [14]

In den Planungsunterlagen des Kreises Steinfurt ist Neuenkirchen eine von wenigen Gemeinden, in der für 1945 keine Gebäudezerstörungen erfasst sind. [15] " Die im Amt Neuenkirchen entstandenen Kriegsschäden waren bereits am 31.12.1948 behoben." Dies teilt die Gemeinde Neuenkirchen dem Oberkreisdirektor im Februar 1950 mit. [16] Neben der Landwirtschaft spielt im Ort die Textilindustrie eine bedeutende Rolle [17], ebenso gibt es die Fertigung von Holzschuhen, die in der Nachkriegszeit eine übliche Fußbekleidung darstellen. Durch die geringen Gebäudeschäden und den damit vorhandenen Wohnraum, durch die Bauerschaften mit ihren landwirtschaftlichen Betrieben und die dadurch zu erwartende Versorgung mit Nahrungsmitteln, durch die Textilindustrie mit ihren Arbeitsplätzen war Neuenkirchen ein geeigneter Ort für die Aufnahme der Flüchtlinge und Vertriebenen aus dem Osten.

Am 09.02.1950 teilt die Gemeinde Neuenkirchen dem Oberkreisdirektor mit, dass sich im Amt Neuenkirchen bisher 1269 Flüchtlinge gemeldet haben und 22 Personen im Wege der Familienzusammenführung einen Antrag auf Zuzugsgenehmigung gestellt haben. [18] Die offizielle Volkszählung 1950 weist etwas andere Zahlen aus.

Die Einwohnerzahl Neuenkirchens wurde bei der Volkszählung 1939 mit 5.855 Personen angegeben, davon 2.898 männlich, 2.957 weiblich. Eine Statistik zeigt die Entwicklung der Bevölkerung und die deutliche Zunahme wesentlich durch die Flüchtlinge und Vertriebenen: [19]

Einwohnerzahl Neuenkirchens

Diese Entwicklung war ebenso in anderen Landgemeinden festzustellen. Neuenkirchen hat vergleichsweise keinen außergewöhnlichen Bevölkerungszuwachs und liegt auch bei dem Anteil der Heimatvertriebenen unter dem Durchschnitt der umliegenden Gemeinden. Es war trotzdem eine enorme Kraftanstrengung erforderlich, sich auf diese Zunahme der Bevölkerung einzustellen und die erforderlichen Maßnahmen für die Wohnungs- und Nahrungsbeschaffung zu ergreifen.
 
 
 
 

3. Die Ankunft der Vertriebenen

 
 
 

3.1 Die Herkunft der Vertriebenen und
ihr Weg nach Westfalen

 
 
 
In den Interviews mit den Flüchtlingen und Vertriebenen wird es sehr deutlich, welch hohen Stellenwert in ihrer Erinnerung die Kriegs- und Nachkriegszeit in der alten Heimat und die Umstände der Vertreibung haben. Die Erinnerung an diese Zeit nimmt den größten Anteil in den Interviews ein. Dieses schwere seelische Gepäck hat sie ein Leben lang begleitet und es ist ihnen wichtig, dass ihre Kinder und Enkel davon erfahren. Es ist aber auch für die einheimischen Neuenkirchener wichtig zu wissen, welches Schicksal ihre heutigen Mitbürger zu tragen hatten.

Bereits im Jahr 1945 treffen die ersten Flüchtlinge in Neuenkirchen ein. Im Gemeindearchiv gibt es u.a. eine Erfassung von 46 Flüchtlingen am 01.11.1945, z.B. aus dem Sudetenland und Ostpreussen. Am 04.12.1945 wird die Gesamtzahl der Flüchtlinge mit 280 angegeben, davon 129 männlich, 89 weiblich und 62 Kinder unter 14 Jahren. Die Gemeinde wird in diesem Jahr aufgefordert, Wochenmeldungen an den Landrat zu übermitteln. [20] Es handelt sich hierbei um Flüchtlinge im eigentlichen Sinne oder Personen der ungeordneten Vertreibung, die der Gemeinde nicht zugewiesen wurden. In den Flüchtlingslisten jener Zeit tauchen Ortsnamen wie Königsberg, Memel, Insterburg, Schwiebus, Gumbinnen, Schneidemühl als Heimatorte der Flüchtlinge auf. [21] Der Beginn der ungeordneten Vertreibungen liegt bereits im April 1945, also vor der Potsdamer Konferenz.

Von einem abenteuerlichen Fluchtweg berichtet die Zeitzeugin Barbara, die im Januar 1945 als Zwölfjährige mit ihrer Mutter, einer Schwester und zwei Brüdern vor der anrückenden Front geflohen ist. Die Flucht beginnt in Oberschlesien, dorthin war die Familie noch 1944 gezogen, da der Vater dorthin auf eine Pfarrstelle versetzt worden war. Der Vater ist jedoch noch nicht aus dem Krieg zurück. Morgens früh beginnt die Zugfahrt. Ein Aussteigen in Breslau ist nicht möglich, der Zug fährt durch bis Liegnitz. Dort müssen alle aussteigen und keiner weiß, wie es weitergeht. Mit einem anderen Zug fährt die Familie dann zurück nach Breslau. Als Breslau zur Festung erklärt wird, müssen im Januar 1945 Frauen und Kinder die Stadt verlassen. Im offenen Lastwagen bei Eiseskälte erfolgt der Transport bis Schweidnitz. Dort herrscht wieder große Ungewissheit über die Weiterfahrt. Die Familie entschließt sich nach Heideanger zurückzukehren, wo der Vater vor 1944 eine Pfarrstelle hatte. Diesen Ort müssen sie im März wieder verlassen. Bis Mai leben sie in einem Ort (der Name ist nicht mehr bekannt) in einem Gasthaussaal. Aus Angst vor den heranrückenden Russen geht es im Mai weiter. Mit einem Bollerwagen, auf dem die jüngeren Geschwister sitzen, zieht die Familie zu Fuß in einem Treck mit flüchtenden Soldaten und Pferdefuhrwerken Richtung Westen. Nach einer Übernachtung in einem überfüllten Haus kehren sie zu dem Gasthaus zurück, das inzwischen ausgeräumt ist. Sie finden vorübergehend Unterkunft bei einer Tschechin, die sie später zur deutschen Grenze bringt. Die Familie kommt wieder in Heideanger an. Das Dorf ist inzwischen zerschossen und ausgebrannt. Hier erreicht sie aber wundersamerweise im Oktober ein Brief des Vaters aus amerikanischer Gefangenschaft. Er will seine Entlassung nach Rheine bewirken und seine Familie soll bis zu seiner Entlassung versuchen, zu einem Kriegskameraden in der Nähe von Bünde zu kommen. Es beginnt erneut eine abenteuerliche Flucht mit der großen Schwierigkeit, die Grenze der sowjetischen Besatzungszone zu überqueren. Schließlich erreicht die Familie Helmstedt und das Auffanglager, wo sie ausreichend verpflegt wird. Von dort geht die Zugfahrt nach Lüstringen. Nach einer Nacht im Gasthof müssen sie am nächsten Morgen zurück bis Bünde und anschließend wieder einmal mit einem anstrengenden Fußmarsch nach Schwenningdorf . Bei der befreundeten Familie werden sie jedoch freundlich aufgenommen und können die Entlassung des Vaters aus der Gefangenschaft abwarten. Weihnachten 1945 feiern sie noch mit ihren Gastgebern, im nächsten Jahr erfolgt der Umzug nach Rheine in ein Zimmer der Schule bei dem Pfarrhaus der Jakobigemeinde. Im Herbst 1946 bietet ein Presbyter der Jakobigemeinde sein Haus in St. Arnold als Unterkunft an und damit ist die Familie des Pfarrers Matthes in Neuenkirchen angekommen. [22]

Die Geschichte von Barbara ist ein Beispiel für eine Irrfahrt, wie sie unzählige Menschen in der damaligen Zeit erlebt haben. Die Kurzfassung der Wegbeschreibung gibt jedoch in keiner Weise die Schrecken, Strapazen und Ängste einer solchen Flucht wider.

Eine große Anzahl der in Neuenkirchen aufgenommenen Menschen aus dem Osten stammt aus der "geordneten" Vertreibung im Jahr 1946, der Operation "Swallow". Unter diesem Namen lief der Transport der Vertriebenen in die britische Besatzungszone, die Vertriebenen wurden von den Briten salopp als "swallows" bezeichnet. [23]

Auf vier Routen (A bis D) [24] erfolgte der Transport der Vertriebenen. Die Vertreibung aus Schlesien, insbesondere aus Niederschlesien wurde über die C-Route durchgeführt: von Liegnitz nach Kohlfurt, östlich von Görlitz.
"Hier wurden die Transporte offiziell von den Briten übernommen, wobei allerdings die jeweilige polnische Bewachungsmannschaft, bestehend aus einem Offizier und zehn Mann, bis zum Erreichen der britischen Zone im Zug verblieb." [25]

Die anschließende Fahrt durch die sowjetisch besetzte Zone verlief auf einer strikt festgelegten Route bis nach Marienthal bei Helmstedt. [26]

Der Monthly Report der britischen Militärregierung vom 01.-31.03.1946 berichtet in dem Abschnitt "Refugees" über die Anzahl der angekommenen Vertriebenen und deren Allgemeinzustand. Vier Züge mit Vertriebenen erreichten Rheine in der Zeit bis zum 20.03., zwei davon aus Marienthal mit jeweils 1.500 Personen. Die überwiegende Anzahl waren Frauen und Kinder.
"The average health condition and state of cleanliness of the refugees received were poor. A large part of them were lice infected had scabbies and tuberculosis. One woman died (heart attack). [27]

Die Zeitzeugin Gertrud, die 1938 in Haselbach, Kreis Landeshut, Schlesien geboren wurde, erzählt von dem Jahr 1945, in dem zuerst russische Soldaten in ihrem Heimatort ankamen und dann polnische Miliz. Die Polen wurden in die Häuser eingewiesen und "übernahmen die Herrschaft" (Zitat Gertrud).
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Zeitzeugin Gertrud als Kind in Schlesien


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Heimatlicher Hof der Zeitzeugin Gertrud in Schlesien
 
 
Sie mussten im Januar 1946 ihr Haus verlassen, bekamen aber drei Häuser weiter zusammen mit einer anderen Familie eine neue Unterkunft zugewiesen, die von Deutschen verlassen worden war. Die erste "ungeordnete" Vertreibung erfolgte im Sommer, als ein Sudetentreck durch den Ort kam. Da wurden Einwohner Haselbachs in kürzester Zeit aus den Häusern geholt und mit diesem Treck weiter getrieben. Die Familie der Zeitzeugin floh jedoch in der Dunkelheit und kehrte nach Haselbach zurück. Im August 1946 erfolgte dann die offizielle Vertreibung mit dem Pferdewagen in die Kreisstadt Landeshut. Dort kamen die Bewohner des Kreises in bereit stehende Güterwaggons, die in Richtung Kohlfurt fuhren und von dort weiter in den Westen über Marienthal bis nach Warendorf. Die Schilderung Gertruds verdeutlicht sehr gut die Wirrungen dieser Zeit in den Vertreibungsgebieten, die Unsicherheit, unter der die Menschen lebten und die Ängste, weil sie nicht wussten, wohin die Vertreibung erfolgt. Sie berichtet außerdem von grausamen Erlebnissen bei der Vertreibung. [28]

Der Neuenkirchener Helmut Kuhs, der aus Schreibendorf (Kreis Habelschwerdt, Grafschaft Glatz, Schlesien) vertrieben wurde, berichtet in einem Buch über Schreibendorf von den Umständen seiner Vertreibung. Seine Familie wurde am 22.08.1946 mit dem vierten und letzten Transport aus dem Heimatort vertrieben und kam über Mittelwalde, Marienthal und Warendorf nach Neuenkirchen. Er schildert ebenso wie auch Gertrud die Ungewissheit unter den Zuginsassen über das Ziel der Fahrt und die Ängste, dass es Richtung Sibirien gehen sollte. [29]

Ebenfalls aus Schreibendorf stammt die Zeitzeugin Walburga, die mit 14 Jahren mit ihrer Mutter, den Großeltern und vier Geschwistern die Besetzung ihres Heimatortes und die Vertreibung erlebte.
"Wir wussten nur: jetzt sind wir dran. Und dann kamen die morgens, die hatten Peitschen und hatten auch hier eh Gewehre in der Hand. Das waren zwei - zwei Polen-, Miliz oder wie die sich nannten. "Raus, raus, raus", ging das nur. Und weil wir ja jetzt auch vorbereitet waren, wir hatten gepackt...Großvater hatte so einen großen Wäschekorb, der war so hoch, da haben alle Säuglinge drin gelegen ..., wie es früher halt so war. Den hatte Mutter ganz mit Wäsche vollgepackt. Das ist schwer so was. ..Oberbett so drüber. Und Großvater, der war immer geschickt, der hatte da Achsen drunter gemacht und vom alten Kinderwagen Räder, so dass wir das fahren konnten. Und die Räder haben sie uns drunter weggeschlagen. Weil die sagten, 30 kg kann man genug so tragen. 30 kg durften wir mitnehmen."

Die Zeitzeugin berichtet, wie die Familie in strömendem Regen mit dem Gepäck im Ochsenwagen bergauf 6 km zum Bahnhof fahren musste, mit einem zugepackten Kinderwagen, in dem die kleine Schwester (2 1/2 Jahre) saß. Nach einer Nacht in der Baracke fuhr der Güterzug mit den Vertrieben nach Kohlfurt. Die Familie wurde getrennt, da die Mutter mit dem Kinderwagen in einem anderen Wagen untergebracht wurde. Walburga berichtet von ihrer Angst, die Mutter nicht wiederzufinden. Aber in Marienthal wurde die Familie wieder vereint und fuhr weiter nach Warendorf. Dort verbrachten sie zwei oder drei Nächte in den Pferdeställen des Landgestüts.
"So schöne Pferdeställe hatten wir noch nie gesehen. Die waren ja alle gefliest...da war unten so Stroh drin, da schlief man. Da hab ich das erste Mal in meinem Leben Knäckebrot gegessen ... und immer wieder zwischendurch war Entlausung".

Walburga sind die mehrfachen Entlausungsaktionen während des Transports in sehr unangenehmer Erinnerung geblieben. [30]

Zeitzeugin Carolin wird 1946 mit 10 Jahren aus Glatz mit den Eltern und acht Geschwistern vertrieben, zwei größere Brüder sind noch vermisst, ein Bruder war bei Stalingrad gefallen. Auch in ihrem Bericht wird die Angst zum Ausdruck gebracht, dass niemand weiß, wohin die Fahrt geht. Durch Schlitze in den Waggons wird beobachtet, wohin der Zug sich bewegt.
"Und dann wurden wir immer, wenn wieder irgendwo eine Station war, wurden wir entlaust... So lange Dinger hatten die ... in die Ärmel rein, in die Hosen rein, oben rein... Und meine Schwester, die hatte so die Wut. Ist ja wohl lächerlich, sagt sie, wir sind ja erst entlaust worden, wir haben überhaupt keine Läuse."

Carolin verbringt ebenfalls die Nacht in den Pferdeställen des Landgestüts Warendorf und wird dann Neuenkirchen zugeteilt. [31]

Eine ehemalige Helferin im damaligen Notaufnahmelager Landgestüt Warendorf berichtet von ihren Erfahrungen.
"Auf diese schon angespannte Versorgungslage[in der Stadt Warendorf, Anm. der Autorin] traf nun (Ende September) die Ankündigung, dass aus dem Osten Vertriebene eintreffen würden. Die Nachricht kam sehr überraschend. Im Gestüt wurde die große Reithalle frei gemacht, in den hinteren Räumen eine Küche eingerichtet, in der Suppe gekocht und Brote gestrichen werden konnten. In den Stallboxen wurde Stroh als Schlaflager gestreut.[...] Wir standen an langen Tischen am oberen Ende der Halle, jeweils zu zweit, eine zum Austeilen der Suppe, die andere zur Brotausgabe. Die Brote waren mit Fett und Aufschnitt belegt, die Suppe war gehaltvoll." [32]
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Pferdeboxen im Landgestüt Warendorf, die den Flüchtlingen als vorübergehende Unterkunft dienten
 
 
Zeitzeuge Helmut geriet auf seiner Flucht aus dem Schrecken von Breslau in den Schrecken von Dresden. Helmut wurde 1939 in Breslau geboren, seine Eltern führten ein Lebensmittelgeschäft. Er musste im Januar 1945 ohne seine Eltern die Stadt verlassen, da diese einen lebensunterhaltungswichtigen Betrieb führten. Eine Krankenschwester, die ihn schon vorher als Pflegemutter betreut hatte, nahm ihn mit ihrem eigenen Sohn bei zwar schönem Wetter aber eisiger Kälte mit auf den Treck der Flüchtlinge. Ihr Ziel war Dresden, da dort eine Schwester der Pflegemutter mit ihrer Familie wohnte. Dieses Ziel war auch den Eltern des Zeitzeugen bekannt. Die Flüchtlinge entkamen jedoch nicht dem Kriegsgeschehen, sondern gerieten in die schwere Bombardierung Dresdens im Februar 1945. [33] Sie wurden in einem Keller verschüttet, hatten durch den Staub kaum Luft zum Atmen und standen furchtbare Ängste aus, die auch nicht geringer wurden, als sie vom Volkssturm aus dem Keller befreit wurden.
"Dort war alles lichterloh in Flammen. ... Man musste mich festhalten, damit ich nicht vom Feuersog weggerissen wurde. ...Wir liefen auf die Elbwiesen, z.T. waren die überflutet, und ich kann mich erinnern, dass dort also Leute, brennende Leute in die Elbe gesprungen sind... nebenan war ein Kinderwagen mit Kind, der durch den Luftdruck einfach weggepustet wurde, die Frau, die Mutter ist wahnsinnig geworden, die hat da geschrien. ..."

Von Dresden ging die Flucht weiter nach Leipzig, wo sie nach dem Angriff auf Leipzig ankamen. Sie wurden dann einquartiert in Chemnitz, wo sie sich einige Wochen aufgehalten haben. Da der Mann der Pflegemutter bei der Landgendarmerie in Allach bei München war, begaben sie sich auf eigene Faust nach München. Die Unterbringung in der dortigen Kaserne ist dem Zeitzeugen in unangenehmer Erinnerung wegen des Lagerleiters, von dessen schlimmen Ende durch die Amerikaner der Zeitzeuge berichtet. Nach mehreren Wochen erfolgte die Unterbringung in einer Privatwohnung, wo sie das Kriegsende am 08.05.1945 erlebt haben. Der Zeitzeuge Helmut berichtet dann von einer Odyssee über die amerikanisch-russische Grenze zurück nach Chemnitz, wo sie Kleidung zurückgelassen hatten (die jedoch inzwischen andere Abnehmer gefunden hatte), dann weiter nach Dresden. Die Zeit dort hat Helmut wegen der Wohnverhältnisse und mangelnder Ernährung in schlechter Erinnerung.
"Irgendwann sind wir zurück nach Bayern, auch wieder schwarz über die grüne Grenze, vom Russen zum Ami...Wir waren eine Gruppe von zwanzig Leuten, die sich dort zusammengefunden hatten."

Sie wurden durch zwei Russen mit erhobenen Waffen gestellt, die die Gruppe durchstöberten und nach dem Ziel fragten. Nach einer Drohung, fuhren die Soldaten weiter. Die falsche Zielangabe haben sie akzeptiert, "der hat genau gewusst, was wir wollten, aber der hat uns in Frieden gelassen." Die Wohnung in Allach war inzwischen anderweitig vergeben, so dass sie in ein Vertriebenenlager kamen, mit drei Familien in einem Raum. Sie wurden dann auf Lastwagen verladen und auf die Bauerndörfer gebracht und dort einquartiert, in der Nähe von Holzkirchen bei München. Dort wurde er eingeschult und hat bayerisch gelernt. Die Eltern konnten nach einer schweren Zeit in Breslau die Stadt verlassen und haben bei der Mutter des Vaters eine Zeit im Glatzer Gebirge gelebt. Von dort sind sie vertrieben worden und mit vielen aus diesem Ort in Neuenkirchen angekommen. Über das Rote Kreuz und den Kontakt in Dresden wurde später die Verbindung nach Bayern hergestellt. Dann wurde er von den Eltern geholt, obwohl er nicht mitwollte. "Und ich hatte Recht." Die Wohnverhältnisse haben sich für ihn nicht verbessert. Die Familie wohnte mit vier Personen in einem Raum bei einem unfreundlichen Quartiergeber. [34]

Die Familie des Lehrers Anton Bednorz kam getrennt zu verschiedenen Zeiten und auf verschiedenen Wegen von Lublinitz in Oberschlesien nach Neuenkirchen. Der älteste Sohn des Lehrers berichtet, dass die Frau mit drei Kindern, Omas und Tanten zunächst von Lublinitz nach Waldenburg in Niederschlesien umsiedelte. Dort waren sie in einem Sägewerk untergebracht und hatten es gut, da sie von der Ziege und den Gänsen der Quartiergeberin profitierten. Da sie Angst hatten, von den Russen ausgeplündert zu werden, wurden nicht nur die Wohnung, sondern auch die Ställe verriegelt. Es wurden Töpfe an die Türen gehängt, um hören zu können, wenn sich jemand am Stall zu schaffen machte. Auch die Gänse schnatterten sofort los, wenn jemand an den Ziegenstall wollte. Sie haben bei den Gefechten mit den Russen Tote gesehen auf den Bürgersteigen und sind bei einem Angriff in der evangelischen Kirche untergeschlüpft. Nach etwa einem Jahr erfolgte die Vertreibung aus Werl, in Güterzügen, die unterwegs verriegelt wurden. Auch bei Haltepunkten öffnete man nicht die Türen aus Angst vor Plünderung.
"Ein Säugling ist während der Fahrt verstorben. Dann hat an einem Bahnhof, vorm Bahnhof, an einem Wäldchen der Zug gehalten und die Familie hat das Baby in Tücher gewickelt, es wurde ein Loch gegraben im Wald, das Kind wurde da drin beerdigt. Das wurde auch für uns Kinder, mein Bruder drei und ich fünf Jahre, eine ewige Erinnerung." [35]

Während Frau Bednorz mit den drei Kindern und weiteren Verwandten zunächst in Werlte unterkam, wurde Herr Bednorz über Rheine der Gemeinde Neuenkirchen zugewiesen, wo er im Juni 1946 mit 16 anderen Vertriebenen ankam.
"Das Dorf präsentierte sich den Vertriebenen nach den aufregenden Monaten unter der polnisch-russischen Verwaltung wie eine Oase des Friedens. Hier gab es keine Milizsoldaten oder Russen, die einen jederzeit abführen konnten. Hier war man vor Verfolgung oder Gefährdung des Lebens sicher."

Herr Bednorz bekam eine Unterkunft bei dem Lehrer Heisterborg zugewiesen. [36]

Die Schicksale der Neuenkirchener Zeitzeugen zeigen, was in den Nachkriegsjahren millionenfach erlitten wurde und von der Nachkriegsgeneration kaum nachempfunden werden kann. Ein Hirtenbrief der Bischöfe von Köln, Trier, Paderborn und Münster weist die Bevölkerung am 30.01.1946 auf die zu erwartenden Vertriebenenströme hin und fordert zur Hilfe auf.
"Alle diese Menschen sind mit gewaltsamer Vertreibung aus ihrer angestammten Heimat bedroht, ohne dass sie ihr Hab und Gut mitnehmen können, ohne dass ihnen in Westdeutschland eine ausreichende und menschenwürdige Existenz gegeben werden könnte. Millionen sind schon von diesem entsetzlichen Schicksal ereilt. In Schlesien allein dürften es mehrere Millionen sein. Die Austreibung ist mit furchtbarer Brutalität, unter Nichtachtung der Menschlichkeit erfolgt [...]. Im Namen der Gerechtigkeit und der Liebe erheben wir uns für unsere Landsleute im Osten. Wir bitten die Gläubigen, in ihren Gebeten immer wieder dieser Not zu gedenken und wenn die Ostflüchtlinge zu uns kommen, sie mit der ganzen Opferbereitschaft christlicher Liebe zu empfangen." [37]

Für die Aufnahme der Vertriebenen war eine umfangreiche Organisation notwendig und die Bereitschaft der einheimischen Bevölkerung, Wohnung, Kleidung und Nahrungsmittel mit den Betroffenen zu teilen.
 
 
 

3.2 Die Vorbereitung im Kreis und
in der Gemeinde

 
 
 
Die britische Militärregierung traf die Entscheidungen über Transportwege und Verteilung der Flüchtlinge. So wie Transporte in den Vertreibungsgebieten nach Orten zusammengestellt wurden, kamen sie in der Regel auch in den Auffanglagern, z.B. in Warendorf, an und wurden auch in größeren Gruppen nach ihren Heimatorten auf die westdeutschen Gemeinden verteilt. Es kam zum Beispiel mit dem vierten und letzten Treck aus der schlesischen Gemeinde Schreibendorf eine Gruppe von 100 Personen über Warendorf am 03.09.1946 nach Neuenkirchen. [38] Manfred Woll berichtet in seinem letzten Kapitel der persönlichen Erinnerungen an die Zwangsausweisung ebenfalls davon, dass seine Dorfgemeinschaft trotz des Durchlaufens von drei Lagern nicht getrennt worden war.
"Dies war kein Zufall, sondern offensichtlich Prinzip bei der Aufteilung der Vertriebenen, und galt auch für die Angehörigen anderer Dörfer. So erhielt jedes Dorf der Aufnahmegemeinden zu einem gewissen Prozentsatz den Kern der Einwohner eines früheren ostdeutschen Dorfes. Für die Vertriebenen war dieses Zusammenbleiben zweifelsohne hilfreich für die ersten Jahre in ihrer neuen Heimat." [39]

Die Ausführung der Unterbringung wurde den örtlichen Verwaltungen der Kreise und Gemeinden überlassen. Bereits 1945 informierte der Regierungspräsident des Bezirks Münster die Landräte in einem Schnellbrief darüber, dass große Flüchtlingsmassen zu erwarten seien und die Vorkehrungen für die Aufnahme sofort in Angriff zu nehmen seien. Im Regierungsbezirk Münster seien die Flüchtlinge ausschließlich in den mehr ländlichen Gemeinden unterzubringen. Die Verantwortung für die Betreuung innerhalb der Kreise liege bei den Landräten. Eine Kopie dieses Schnellbriefes wurde an die Gemeinden weitergeleitet mit der zusätzlichen Information, welche Aufgaben die jeweilige Gemeinde zu erfüllen hatte. [40] Ein weiteres Schreiben des Landrats an den Bürgermeister der Gemeinde Neuenkirchen vom 14.3.1946 befasst sich mit der Organisation des Flüchtlingswesens. U.a. wird darin gefordert, dass Flüchtlingsstellen und Einrichtungen für das Eintreffen von Waisen und Kindern ohne Eltern vorzubereiten sind, ein Gemeindeflüchtlingsamt einzurichten ist, das deutlich zu kennzeichnen ist mit entsprechenden Hinweisschildern am Bahnhof. Die Polizeiwache hat einen Alarmplan für das Eintreffen unvermuteter Flüchtlingstransporte vorzubereiten. Im Flüchtlingsausschuss sollen die Flüchtlinge ebenfalls vertreten sein. [41] Diese Weisungen müssen zusammenhängen mit schlechten Erfahrungen aus den Aufnahmegemeinden, wo sich nach Ankunft der Flüchtlinge niemand um sie gekümmert hatte. Die Gemeinde Neuenkirchen erstellte eine "Nachweisung der Quartiergeber", in der jedes Haus, jede Straße aufgeführt wird mit Namen der Eigentümer und der Flüchtlinge, die aufgenommen wurden. Einen Flüchtlingsausschuss gab es in der Gemeinde Neuenkirchen bereits seit dem 03.01.1946. Bei der Ratssitzung wurden als Mitglieder benannt: Kaufmann Bernhard Albers, der damalige Bürgermeister Baving, Kaplan Rohe und Maria Hecking, Mitglied der Textilfabrikantenfamilie Hecking und spätere Ehrenbürgerin von Neuenkirchen. Am 03.04.1946 wird ein erweiterter Flüchtlingsausschuss an die Kreisverwaltung gemeldet. Vorsitzender war der Ehrenbürgermeister Albers, weitere Mitglieder der Gemeindedirektor Baving [42], Maria Hecking, Kaplan Rohe und Bernhard Langehaneberg, ein Landwirt mit einer besonderen Fluchtgeschichte. [43] Für die Bauerschaften wurden Betreuer eingesetzt, vorwiegend Lehrer. Am 14.05.1946 kam als weiteres Mitglied der "Flüchtlingsarzt" Dr. Schoenwiese hinzu. Aus den Unterlagen der Gemeinde ergibt sich, dass die Zusammensetzung des Flüchtlingsausschusses häufig Veränderungen unterworfen war. Auskunft über die Tätigkeiten des Flüchtlingsausschusses gibt ein Protokoll über eine Sitzung am 20.05.1946, bei der auch der katholische Pfarrer Focke anwesend ist. Es wird festgestellt, dass zu diesem Zeitpunkt 701 Flüchtlinge in Neuenkirchen registriert sind. Wegen der besseren Verpflegung sollen zuerst die Bauerschaften belegt werden, eventuell aus beruflichen Gründen auch Unterkünfte in der geschlossenen Ortschaft. Ein Lob erhalten die Ordensschwestern des Antoniusstifts, die für die Verteilung und Änderung der gespendeten Kleidungsstücke zuständig sind. Getadelt wird ausdrücklich eine junge Frau, die nach Erhalt der Kleidung mit einem Polen das Weite suchte, ohne Wissen der Mutter. Die Anzahl der ausgegebenen Kleidungsstücke und der Haushaltsgegenstände wird aufgelistet. Es herrscht Mangel an Kochtöpfen und kleinen Kochherden. 50 kg Zuckerwaren waren vom Flüchtlingsamt Burgsteinfurt zugewiesen worden. Sie sollen vom Antoniusstift an Kinder unter 14 Jahre verteilt werden. Eine Witwe aus der Dorfbauerschaft wird abgemahnt, weil sie die Aufnahme von Flüchtlingen verweigert hat. Sie wird aufgefordert, die 2 bis 3 beschlagnahmten Zimmer zur Verfügung zu stellen. [44]

Dieser letzte Punkt des Protokolls zeigt, dass es auch in Neuenkirchen nicht ohne Probleme möglich war die Flüchtlinge in Quartiere einzuweisen.
 
 
 

3.3 Die Ankunft und Verteilung im Ort
und die Aufnahme durch die Bevölkerung

 
 
 
Die größte Herausforderung für die Gemeinde bestand darin, größere Gruppen von Vertriebenen möglichst schnell unterzubringen. Am 03.09. kam eine Gruppe von 100 Schreibendorfern in Neuenkirchen an und verbrachte die erste Nacht in der Gaststätte Lorenbeck. Am 04.09.1946 wurde die Gemeinde durch einen Schnellbrief benachrichtigt, dass am Montag, dem 09.09.1946 aus Warendorf kommend 100 Flüchtlinge eintreffen. Handschriftlich wurde auf dem Schnellbrief vermerkt, dass 84 Personen am 10.09. eintrafen. [45]

Die Zeitzeugin Walburga gehörte zu der Gruppe der Schreibendorfer und berichtet von der weiteren Verteilung ihrer Familie.
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Im Saal der Gaststätte Lorenbeck verbrachten viele Vertriebene die erste Nacht
 
 
"Das war gegen Abend und da kamen wir nach Lorenbeck hin, ... auf den Saal. Da war auch Stroh und so und man schlief einfach, man war ja so was von müde. Und der Lorenbeck, der hat dann Milch organisiert und hat Milchsuppe gekocht, dass es was zu essen gab. Ich weiß nicht, ob es auch noch Kartoffeln gab. Und am anderen Tag - da sind wir eine Nacht gewesen- und am anderen Tag ging dann die Verteilung los. ... Rengers hieß der ... der nahm die Verteilung vor. Es waren ja mehrere. Wir kamen nach Offlum hin und da hat der uns verteilt. Da waren ja mehr Pferdewagen. So wie mein Großvater, die kamen an die Emsdettener Straße. Das war ein anderes Gefährt dann. ... Da kam unser Gepäck dann drauf. Vorne in Offlum als allererste wurde ich aufgerufen. Das kann ja wohl nicht sein, ich allein, man war ja auch noch ein Kind, ich war noch keine 14, die anderen müssen doch auch mitkommen. Nein, ich allein. Dann kriegte ich meinen Rucksack und dann kam ich nach Hölscher hin. ... Das ist dieser kleine Laden, der da heute noch ist in Offlum. Da ist die Zeit stehen geblieben, glaube ich. Ja, da bin ich hingekommen und das war ja ganz vorne in Offlum. ... Die brauchten mich nicht zu nehmen, 'Wi häbbt kine Slaopgeliägenhait'hat er gesagt. Was immer das auch sein mochte.'Slaopgeliägenheit', ich hatte das ja noch nie gehört. Aber das lernt man schnell, dies reden. Und die hatten vier Jungs, die schliefen sowieso schon zwei und zwei und dann hatten die ein Dienstmädchen aus Wadelheim. ... Und die war so gutmütig, war ja auch allerhand so von ihr, die war damals so um 20, ... die sagte, 'Dat Wicht kann wohl bi mi sloapen'. 'Sieht ja auch ganz proper ut' hat sie gesagt. War ja auch kein Wunder. Wir waren ja auch dreimal entlaust worden. Aber trotzdem: sie hat mich in die Badewanne gekriegt. Ja und da hat der Herr Hölscher gesagt, wenn du meinst, dann kann sie auch bei uns bleiben, sie kann ja wohl Kartoffeln schälen. Und ich musste ja auch noch zur Schule. Ich hatte noch nie Kartoffeln geschält. Wir hatten ja Oma. ... Aber so einen Marmeladeneimer voll Kartoffeln, das sind 10 Liter, das ist 'ne Menge. Die musste ich dann nachmittags schälen. Und Socken stopfen musste ich. Das hatten wir als Kinder auch wohl alles schon gelernt, auch stricken. ... Das war diese Baumwolle von Hecking ... Hecking war Spinnerei, Spulerei, da kam ja die ganze Baumwolle her, da wurde ja nachher, nach dem Krieg haben sie gesagt, da sind die Sünden alle vergeben. In Köln sagte man ja fringsen dazu. ... Von dieser Baumwolle wurden ja Socken gestrickt. ... Die gingen so schnell kaputt in den Holzschuhen ... ich konnte so auf der Hand nicht stopfen, ... ne Suppenkelle hab ich dann darein getan. ... Das musste ich ganz schnell lernen, dieses Laufen in den Holzschuhen. Ich hab mir die Knöchel so kaputt geschlagen. Der machte nebenbei Holzschuhe, der Herr Hölscher. ... und ich hatte so ein Heimweh.

Als nächste wurde dann meine Schwester abgeladen, ... allein, aber die ist ein ganz anderer Typ als ich, ... die ging auch schon als Kind in Ferien mit Tanten mit. Ich hatte Heimweh und das tut weh. ...

Die wurde da abgeladen und war gut. Da war ein Mädchen, die war auch so alt wie sie, ... sie war zwei Jahre jünger als ich.

Als nächstes wurde mein älterer Bruder abgeladen, bei Hilbers in Offlum ... aber die wollten lieber ein Mädchen haben und da wurde dann ausgetauscht. ... dann nach der Unterführung, die haben meinen Bruder nicht aufgenommen. Die haben gesagt, die haben keinen Platz und die ließen den auf dem Rucksack sitzen. ... Mein Bruder, der war 10, ... ein Butterbrot haben sie ihm wohl gegeben. Und dann wurde meine Mutter mit der damals jüngsten Schwester, (nachher sind hier noch drei geboren, es war kein Einhalten), da wurde meine Mutter mit der jüngsten Schwester bei der Witwe Engbers abgeladen. Und die hatte am allerwenigsten und die war die beste. ... "Wenn die mir von der Gemeinde die Wand verputzen, ... dann könnt ihr alle drei hier bleiben. ... Mein Bruder musste dann bei dem Bernhard Engbers schlafen, der war so 16, auch in einem Bett. ... Wenn man das heut jemandem zumuten würde." [46]

An diesem Interview werden mehrere Probleme deutlich, die bei der Aufnahme grundsätzlich auftraten. Die Familien, die hier entwurzelt ankamen und ihre sozialen Strukturen in der alten Heimat aufgeben hatten, mussten hinnehmen, dass sie bei der Verteilung auseinander gerissen wurden. Kinder wurden in jungen Jahren von ihren Eltern getrennt untergebracht.

Die Zeitzeugin Carolin, ebenfalls aus einer großen Familie, war zuerst mit ihren drei Schwestern gemeinsam untergebracht, getrennt von den Eltern mit dem kleinen Bruder. Bei einem Quartierwechsel wurde sie jedoch von ihren Schwestern getrennt.
"Da bin ich eine Woche lang bei meiner Mutter und meinem Vater gewesen, irgendwie ging das und dann haben sie für mich was gesucht. Und dann war das der Hof nebenan, ... da sollte ich dann hin auf einem Sonntag. Mein Vater wollte mit mir dahin und dann war der ganze Hof voll Leute, die hatten so viel Besuch. [...] Auf einmal kam mir das so in den Sinn: warum musst du jetzt weg von Mama und Papa, warum musst du jetzt weg, konnte ich einfach irgendwie nicht verstehen. Papa, warum muss ich denn weg? Und der hat mir das versucht zu erklären. "Wir haben doch für dich nichts zu essen. [...] und dann hab ich so geweint, da war für mich Weltuntergang, ich wollte einfach nicht weg, da hab ich geweint, da hab ich mich unten auf die Erde geworfen, hab mich an seinen Beinen festgehalten."

Carolin wurde von ihren neuen Quartiergebern jedoch freundlich empfangen: "Du sollst es gut bei uns haben". [47]

Trotzdem war in dem Interview heute noch zu spüren, welcher Schock für die damals Zehnjährige mit dieser Trennung verbunden war. Desweiteren wird in dem Interview von Walburga deutlich, dass die Quartiergeber Mithilfe erwarteten. Sie war in ihrem Alter von Nutzen, weil sie für die Familie Kartoffeln schälen und stopfen konnte. Außerdem musste sie sich an die plattdeutsche Sprache, die Alltagssprache war, gewöhnen und als Fußbekleidung Holzschuhe tragen war für die Vertriebenen ebenfalls eine neue Erfahrung.

Die Zeitzeugin Gertrud hat Glück gehabt. Ihre kleine Familie wurde nach einer Nacht in der Gaststätte Lorenbeck gemeinsam im Bahnhofshotel Diercksen untergebracht, wo sie drei Jahre wohnte. Sie berichtet auch von guten Erfahrungen, die sie hier mit der einheimischen Bevölkerung gemacht hat.
"... und Agnes [Tochter eines einheimischen Schusters, Anm. d. Autorin] war meine Schulfreundin. Ich hab da manches Butterbrot bekommen. Ich habe die ersten Weihnachtskugeln bekommen. Frau Albers hatte mich gefragt: Schmückt ihr denn auch 'nen Tannenbaum? Tja und ich sag nein, wir haben keinen und auch nichts zum Dranhängen. Und dann hat sie uns so Kugeln, das waren Pappkugeln mit Silber und grün, Silber und blau und dann hab ich acht solche Dinger bekommen. Und ich hab meine Mutter so gequält, die mussten dann einen Tannenbaum holen. Die Kugeln haben wir dann aufgehängt, wir haben dann auch ein paar Kerzen bekommen und so war unser erstes Weihnachten. Und diese Kugeln, die haben wir so lange wir am Haarweg gewohnt haben zur Erinnerung zwei oder drei Jahre hinten dran gehangen. Das war einfach so ein tolles Geschenk. Wenn man nichts hat, dann ist alles schön." [48]
 
 
Nicht für alle Vertriebenen war die Aufnahme und Fürsorge so entgegenkommend. Es wurde von den Zeitzeugen jedoch im Rückblick Verständnis gezeigt. Es prallten doch sehr unterschiedliche Gruppen von Menschen aufeinander. Die Historikerin Doris von der Brelie-Lewien stellt fest:
"Herkunft, Sprache und Verhalten boten schon genug Stoff für Diskriminierungen, hinzu traten Armut und vor allem im ländlichen Raum die Zugehörigkeit zur anderen christlichen Konfession. Die Gräben waren tief, sie verliefen zwischen Einheimischen und Entwurzelten, zwischen Besitzenden und Mittellosen. [...]Die einheimische Bevölkerung hatte fast alles bewahren können, was einem Leben Halt und Kontinuität gibt: Heimat, Haus, Besitz, Erwerbsquelle, Land zur Sicherstellung der Nahrung und vor allem den angestammten sozialen Status und die gesicherte Identität. Den Vertrieben fehlte fast alles." [49]

Einem beliebten Neuenkirchener Arzt, der inzwischen verstorben ist, wird nachgesagt, dass er geäußert habe, es sei gut, dass frisches Blut in den Ort käme. Das dürften nicht alle Einheimischen genau so gesehen haben. Der Ausdruck "Pollacken" ist auch hier für die Vertriebenen gefallen, man fühlte sich nicht verantwortlich oder glaubte nicht, dass ein Jahr nach Kriegsende noch jemand fliehen müsste.

Die zwangsweise Anordnung zur Unterbringung einer Frau mit ihren zwei kleinen Kindern bei einem Landwirt führte zu Schikanen und Streit. Erst als der Landwirt feststellte, dass die Frau nichts ausplauderte über Schwarzschlachterei oder Tauschgeschäfte und auch nichts entwendete, entspannte sich die Lage. Die Familien sind noch heute in zweiter Generation miteinander befreundet. [50]

In den Unterlagen des Gemeindearchivs wird ein Vorgang zur Erzwingung von Wohnraum protokolliert, bei dem einer Bäuerin und ihrem Sohn Schutzhaft und die Vorführung bei der Militärregierung in Burgsteinfurt angedroht wird. Ein anderer Quartiergeber wird aufgefordert, ein Bett zur Verfügung zu stellen, wie er der Wohnungskommission zugesagt habe. [51]

Im Juli 1946 gab es eine Resolution der Arbeiterschaft, die vom Ratsmitglied Gottke verlesen wurde. In dieser wird bemängelt, dass sich ehemalige Parteigenossen (NSDAP) vielfach sträubten, Ostflüchtlinge aufzunehmen. [52]

Ein Bürger hat mehrmals versucht, die Wohnungskommission über die Anzahl der Räume zu täuschen, indem er den Zugang zu einem Zimmer mit einem Kleiderschrank verstellte.

Selbst die Einquartierung im katholischen Pfarrheim verläuft nicht ohne Schwierigkeiten. Kaplan Rohe gab bei der Einweisung der Flüchtlinge die Schlüssel an diese und der Gemeinderat bestätigt, dass er damit seine Pflicht als Bürger erfüllt hat. Wenn dadurch seine Versetzung von Neuenkirchen in die Wege geleitet würde, so stellte sich die Wohnungskommission schützend vor den Kaplan. Der Bürgermeister wird beauftragt, eine entsprechende Stellungnahme dem Generalvikariat zu unterbreiten. [53]

Aufgrund dieser verschiedenen Vorkommnisse wird in derselben Ratssitzung die Wohnungskommission ermächtigt, jede Person oder Familie, die sich den Anordnungen hartnäckig widersetzt, namentlich im Aushangkasten der Gemeinde zur öffentlichen Kenntnis zu bringen und in besonders krassen Fällen der Militärregierung Meldung zu erstatten.

Die Frage ist auch, ob die nicht offiziellen Titel "Flüchtlingsarzt", "Flüchtlingspfarrer", "Flüchtlingslehrer" heute nicht als diskriminierend angesehen würden, vor allem wenn sie in offiziellen Anschreiben z.B. der Schulbehörde verwendet wurden.

Bei der großen Aufgabe, die zu bewältigen war, scheint mir der Anteil der Negativbeispiele jedoch sehr gering zu sein, auch wenn es für die Betroffenen schmerzhaft war. In der Gemeinderatssitzung am 23.09.1946 nach der ersten Wahl hält der gerade gewählte Bürgermeister Joseph Gottke eine Antrittsrede und hebt besonders das Flüchtlingsproblem hervor.
"Er appelliert an das Weltgewissen, dass diesen armen Menschen ihre Heimat wieder zurückgegeben werden müsse. Es müsse versucht werden, den Flüchtlingen wenigstens ein bescheidenes Heim mit kleinem Garten zu sichern." [54]

Erich Linde äußert sich in seinem Manuskript über das Zusammenleben der alten und neuen Bürger.
"Gewiss, geteilt wurde nicht ohne Schmerzen. Aber auch das Annehmen ohne den Groll Almosenempfänger zu sein, fiel schwer. Jedoch wurde schnell deutlich, dass Heimatvertriebene wie Einheimische dem großen christlichen Kulturkreis angehörten, in dem die 10 Gebote das Verhalten im Zusammenleben der Menschen in den Grundzügen bestimmten. Und so war die Zeit der Not auch reich an Beispielen guten Willens, aus dem schließlich eine äußerst stabile Gemeinschaft erwuchs." [55]
 
 
 
 

4. Die Wohn- und Lebenssituation
in der neuen Heimat

 
 
 

4.1 Die Bewältigung der
Versorgungsprobleme

 
 
 
Neben der angespannten Wohnsituation führte der Zustrom der Flüchtlinge und Vertriebenen auch zu einer Verschärfung der Versorgungslage mit Lebensmitteln, Kleidung und Hausrat.

Die Versorgung der Bevölkerung war laut des Verwaltungsberichts des Landkreises Steinfurt nach der Besatzung durch die britischen Truppen vollkommen zusammengebrochen. Die Vorräte und Erzeugnisse der Landwirtschaft im Kreise Steinfurt reichten nicht aus, um den notwendigen Lebensunterhalt der Bevölkerung sicherzustellen." Das schwierigste Jahr war danach das Jahr 1947/1948. "Die Lebensmittelversorgung erreichte zu dieser Zeit einen Tiefstand, wie ihn niemand für möglich gehalten hätte." Dem Brot wurde bis zu 80 % Maismehl beigemischt. Zwischen zugeteilten und erforderlichen Lebensmittelmengen und den tatsächlich vorhandenen Mengen klafften große Lücken. Die festgesetzte Kalorienmenge von 1550 sank zeitweise auf 800 herab. Ab April 1949 stieg das Kalorienmaß auf 1850. Zu den Aufgaben des Kreises gehörte auch die Durchführung der Schulspeisung ab 1947, die zunächst in den größeren Orten, dann auch im ländlichen Bereich erfolgte, jedoch nicht für alle Schulkinder ausreichte.

"Die schwerste Zeit während der ganzen Bewirtschaftung war das letzte Jahr vor der Währungsreform. Es war fast unmöglich, im Handel ein Bezugsrecht gegen Ware einzulösen. Das gesamte Bewirtschaftungssystem drohte infolge der mehr und mehr sinkenden Kaufkraft des Geldes zusammenzubrechen. Ein Teil der Bevölkerung schritt in dieser Situation zur Selbsthilfe. Diese nahm einen solchen Umfang an, daß sie nicht mehr unterbunden werden konnte. Die Währungsreform führte auf wirtschaftlichem Gebiet zu einer Besserung und Normalisierung der Verhältnisse. Die Bezugsrechte wurden wieder ausnahmslos angenommen, ihre Zuteilung erhöhte sich."

Die letzte Ausgabe von Lebensmittelbezugsscheinen an die Bevölkerung erfolgte im Februar 1950. [56]

Dieser Verwaltungsbericht des Landkreises Steinfurt macht deutlich, dass jeder darum kämpfen musste, satt zu essen zu bekommen. So konnte auch die Zeitzeugin Walburga nicht zu ihrer Familie ziehen, als dieser nach Ankunft des Vaters im Februar 1947 eine Wohnung zugeteilt wurde. Sie musste bei der Familie Hölscher bleiben und dort auch nach der Schule ihre Lehre machen, weil sie dort satt zu essen hatte. Es gab dort vier Kühe und den kleinen Laden. Sie musste kein Maisbrot essen. Wenn sie sonntags nachmittags frei hatte und ihre Familie besuchen konnte, freute diese sich schon auf die mitgebrachten Butterbrote. Sie berichtet, dass ihre Geschwister gehungert haben und wegen Brot bis nach Wettringen [Nachbarort] laufen mussten. Ein Ereignis hat sich bei der Zeitzeugin besonders eingeprägt. Ihr Vater musste als Arbeiter der Gemeinde bei einem Bauern in Offlum Wasser holen. Die Gemeinde hatte einen Wagen mit einem Fass und versorgte auf diese Weise Bewohner mit Wasser. Dieser Bauer hatte Kartoffeln angebaut. Als er dort Wasser holte, hat er sich ein Herz gefasst und gefragt, ob er Kartoffeln bekommen könnte. "Ja, er sollte man kommen." Zu Hause hat er gesagt: "Heute Abend kriegt ihr alle satt Kartoffeln. Freut euch mal schon." Er geht abends mit einem Säckchen zu dem Bauern und dann kommt er mit einer Hand voll, 5 Stück, nach Hause. "Da hat mein Vater so bitterlich geweint." Er fühlte sich abgespeist wie ein Bettler. [57]

Zeitzeugin Gertrud erinnert sich an das Brot in dieser Zeit.
"Und es gab ja erst mal Maisbrot. Dieses Maisbrot, am ersten Tag schmeckte das ganz toll, es sah gelb aus wie Kuchen. Aber am dritten Tag hätte man ein Beil gebraucht, um es durchzuhacken, es wurde knochenhart."

Sie berichtet von den guten Erfahrungen bei der Bäckerei Stegemann.
"...dann sagte die Frau Stegemann zu meiner Mutter, was soll ich denn hier noch abschneiden - die duzte alle Leute - , es ist der halbe Monat rum, ich kann doch fast gar nichts mehr abschneiden, behalt deine Marken. Und du kannst auch wiederkommen, hat sie zu ihr gesagt. Und wir werden das nie vergessen, also, wir haben da so manches Brot bekommen."

Sie berichtet außerdem, dass die Vertriebenen von der Gemeinde am Ortsrand Ackerfläche zur Selbstversorgung erhielten. Dort wurden u.a. Kürbisse angebaut.
"...und im Herbst, ich weiß es noch, es gab jeden Abend Kürbissuppe und Maisbrot." [58]

Aus einem Bericht der Gemeinde an den Oberkreisdirektor ergibt sich, dass an die Ostvertriebenen 121 Kleingärten verteilt wurden. [59] Bereits bis Mai 1947 konnte für 61 Familien Gartenland beschafft werden. Im August 1947 wurde beschlossen, das Gemeindeland auf dem Berge den betreffenden Pächtern zu kündigen, um Gartenland für Einheimische und Ostvertriebene zu schaffen. Hier wurden nicht nur Kürbisse angebaut, sondern zum Erstaunen der Einheimischen auch Mohn und Tabak.

Zeitzeuge Helmut berichtet:
"Da wurden Tomaten angebaut. Da wurde Mohn angebaut, das war ja in Neuenkirchen total fremd. Denn Mohnkuchen gab es nicht. Nun, zu der Zeit bei uns auch noch nicht, weil es einfach kein Mehl gab. Und dann wurde Tabak angebaut. ...Es wurden natürlich alle Gemüse angebaut... wo man auch Samen bekam. Es war gar nicht so einfach an diese Dinge heranzukommen. Aber untereinander, wie sich die Flüchtlinge dann trafen, der eine hatte dies, der andere das, und dann wurde das auch ausgetauscht. Ja, und diese Gärten, die haben wir eine ganze Zeit gehabt. ... Das waren Wege für uns, die wir alle zu Fuß machten.... Was man damals auch machte: Ähren nachsuchen auf Kornfeldern, Kartoffeln nachsuchen, Bucheckern suchen. Da sind wir mit dem Bollerwagen, den wir uns geliehen hatten, weit raus nach Landersum, Gut Stovern: Holz suchen und Bucheckern. Da waren natürlich auch Profis am Werk. Die spannten unter den Buchen Bettlaken und gingen in die Bäume rein und schüttelten....Die Bucheckern wurden gemahlen..., es gab auch schon Mühlen, da konnte man die abgeben und ein Fläschchen Öl dafür kriegen. Wir haben Sirup selbst gemacht, hier sagt man Rübenkraut.... Da wurden auch Bonbons draus gemacht aus diesem Rübenkraut...Wir haben Butter geschlagen in einer Flasche, das hatte Probleme, wenn der Klumpen in der Flasche war. Dann musste man das wieder mit warmem Wasser verflüssigen, dass er aus der Flasche heraus kam. Aber man konnte sich helfen." [60]

Man musste sich zu helfen wissen und musste sich gegenseitig helfen, um in dieser Zeit die Ernährung sicher zu stellen.

Die Zeitzeugin Barbara erinnert sich an die Bemühungen, für die Konfirmation die geeignete Kleidung zu finden, aus Stoffen, die völlig ungeeignet sind. Der Bruder fällt mit seinem Anzug am Konfirmationstag beim Frösche fangen in das Baggerloch Marokko, damit ist der Anzug nicht mehr brauchbar. Ihr Kleid wurde aus Nessel genäht und sie bekam weinrote Schuhe aus ganz dickem Leder, wie bei Gärtnerschuhen. Aus dem karierten Kopfkissenbezug und dem Stück Inlett, das sie als Geschenk zur Konfirmation bekam, wurde später ein Kleid genäht. [61]

Auch für einen Lehrer war es notwendig, in den Ferien zu arbeiten, um die Familie besser ernähren zu können.
"Auch in den Herbstferien half ich bei Sanders [in Werlte] auf dem Felde, meistens beim Kartoffelklauben und bei der Rübenernte. Dieser Einsatz war notwendig, wenn man für die Ernährung der Kinder ausreichend Kartoffeln, Brot, Fettigkeiten oder Obst haben wollte. Für Geld waren Lebensmittel nur auf Lebensmittelkarten zu bekommen, und die Zuteilungen waren zu knapp." [62]

In den Sommerferien hat sich der Lehrer Anton Bednorz durch die Arbeit bei der Ernte ein Fahrrad erarbeitet. Ab Herbst 1947 war er bei einem Kötter "in Kost und Logis" untergebracht.
"Die Kost war recht einförmig. Zu Mittag gab es täglich Eintopf, bestehend aus Gemüsebohnen, eingeschnittener luftgetrockneter Mettwurst oder durchwachsenem Speck. In der Küche hingen die Mettwürste und Speckseiten von der Decke über dem Herd herab." [63]

Da Frau Bednorz mit den Kindern noch in Werlte untergebracht war, musste Herr Bednorz für Besuche mit der Bahn fahren. Er berichtet von überfüllten Zügen, da die Menschen aus dem Ruhrgebiet ins Emsland fuhren, um gegen Zigaretten, Tabak, Tee, Haushaltsgeräte, Wäsche, Kleidung usw. Lebensmittel zu tauschen. Über die Einführung der Schulspeisung berichtet er:
"In großen Schulen gab man warme Mahlzeiten aus, in kleineren erhielten die Kinder abgemessene Portionen Haferflocken mit Kakao, Milchpulver oder Graupen u.a. Oft gab es für alle Kinder Blockschokolade." [64]

Zu den Maßnahmen der Gemeinde in der Zeit von 1945 bis 1950 gehörte es, dass eine Geldsammlung durchgeführt wurde, "um die Not der Angekommenen zu lindern." [65]

Die Neuenkirchener Bevölkerung leistete außerdem Sachspenden, wie Möbelstücke, Herde, Öfen und Bekleidung, die über die Ordensschwestern des Antoniusstiftes verteilt wurden. In einem Protokoll des Flüchtlingsausschusses erscheint eine lange Liste der verteilten Gegenstände:" 52 Stk. Jacken, 154 Paar Schuhe, 124 Stk. Kleider,..., Porzellan, Tassen, Schüsseln" usw. [66] Die Versorgung mit Brot, Holzschuhen und Kohle beschäftigte auch die Gemeinderatsmitglieder auf verschiedenen Sitzungen. War jedoch auch der Anbau von Tabak lebensnotwendige Versorgung?

"Für viele schon", lautete die Antwort des Zeitzeugen Helmut mit einem Schmunzeln.
"Interessant war, wenn die Männer sich trafen, was die alles mit ihrem Tabak anstellten. Der eine beizte den, der andere kochte den noch mal in Essigwasser ein,...jedenfalls hatte jeder sein eigenes Rezept da."

Lebensnotwendig dagegen war wieder die Versorgung mit Fleisch.
"Natürlich wurde auch schwarz geschlachtet im Haus. Das durften wir gar nicht mitkriegen. ... Dazu muss man auch sagen. Wir waren die Pollacken. ...Obwohl wir Niederschlesier waren und nicht so sprachen wie Leute von Ratibor und Oberschlesien [spricht im Dialekt]. Und natürlich sprach meine Großmutter schlesisch, Glatzer Dialekt, hab ich auch hier erst gelernt von ihr, obwohl die ein sehr gutes Hochdeutsch auch sprechen konnte. ... Das Misstrauen war da, und manchmal bekamen wir dann vom Schlachten etwas ab, weil die gute Frau, die Vermieterin ganz `psch` leise eben an die Tür klopfte und uns das so kurz rein gab, die wollte mit ihrem Gatten auch keinen Ärger haben. Die war eigentlich sehr, sehr lieb..."

Der Ehemann dagegen verbot sogar, Äpfel aufzusuchen, die vom Apfelbaum des Nachbarn direkt vor ihr Fenster fielen, "bis die Nachbarin ... Bescheid sagte: 'Dat sin usse Appel un de küernt sik de Lüde niemen'." Die zum Heizen verwendete Schlammkohle [angefeuchteter Kohlestaub] musste aus 150 m Entfernung mit Marmeladeneimern herangetragen werden.

Unter diesen erschwerten Wohnbedingungen waren die Vertriebenen erleichtert, als neue Wohnungen gefördert und gebaut wurden. [67]
 
 
 

4.2 Wohnraumbeschaffung und
die Siedlung in St. Arnold

 
 
 
In der ersten Zeit nach der Vertreibung ging es nur darum, den Vertriebenen, die notdürftig in Baracken, Lagern, Bunkern und Kasernen ein Dach über dem Kopf gefunden hatten, eine menschenwürdige Unterbringung zu verschaffen. Mit dem Soforthilfegesetz kam es zu einer Förderung des Wohnungsbaus durch staatliche Maßnahmen wie zinsgünstige Darlehen und Steuervergünstigungen. Ziel war die Schaffung von Wohnraum in der Nähe von Arbeitsplätzen, in erster Linie der Bau von Mietwohnungen. Mit dem Lastenausgleichsgesetz wurde der Wohnungsbau über die Wohnraumhilfe und Aufbaudarlehen für den Wohnungsbau gefördert. Die Aufbaudarlehen waren Einzeldarlehen, die den Geschädigten auf Antrag direkt zugesprochen werden konnten. Der Gesamtbetrag dieser Darlehen betrug in der Bundesrepublik 6,8 Milliarden DM, woran die Vertriebenen mit zwei Dritteln beteiligt waren. Der überwiegende Teil der Aufbaudarlehen, die für die Landwirtschaft bereit gestellt wurden, wurde für die Förderung von Nebenerwerbsstellen in Anspruch genommen. [68]

Da auch in Neuenkirchen Personen in Notunterkünften lebten und die Einquartierungen für beide Seiten Probleme bereiteten, bemühte sich die Gemeinde früh um eine Lösung für das Wohnungsproblem, zuerst ohne Fördermittel durch Finanzierung über Spenden von Material und Geld und den Arbeitseinsatz der Betroffenen.
"Auf dem Gebiet des Wohnungswesens wurden insgesamt zehn Häuser mit insgesamt 32 Wohnungen in Form einer Siedlung errichtet. Außerdem wurden 18 Wohnungen durch Ausbau von Dachgeschossen für Ostvertriebene gewonnen. Zehn Ostvertriebenen wurden von der Gemeinde Bauplätze auf Erbpacht zur Verfügung gestellt. Geplant sind noch 6 Häuser mit insgesamt 24 Wohnungen, wodurch sämtliche Elendsquartiere und Notwohnungen beseitigt sind."

Dies berichtet der Amtsdirektor bzw. das Vertriebenenamt von Neuenkirchen am 18.09.1950 an den Oberkreisdirektor. Damit konnte eine erhebliche Verbesserung der Wohnverhältnisse festgestellt werden. Die zwangseingewiesenen Ostvertriebenen, die bei vielen Quartiergebern nicht erwünscht waren, erhielten endlich eine Wohnung. Familien, die getrennt waren, konnten gemeinsam untergebracht werden.

Bei den zehn Häusern, die in dem Bericht erwähnt werden, handelt es sich um die sogenannte 'Haarwegssiedlung', die den Anfang bildet für den Ausbau des Ortsteils St. Arnold. Neuenkirchen handelt so wie viele Gemeinden. Es wird ein neues Siedlungsgebiet erschlossen für die Ostvertriebenen. Bei den meisten Gemeinden liegt diese Siedlung am Ortsrand mit Straßennamen, die den Bezug zur alten Heimat deutlich machen. So ist es bei der Nachbargemeinde Wettringen mit dem Ortsteil Tie-Esch, in dem es die Breslauer Str., Glatzer Str. u.a. gibt. Die Isolierung der Vertriebenen, die fremde Bräuche, eine fremde Sprache mitbrachten und häufig evangelisch waren, wurde auf diese Weise gefördert. [69] Neuenkirchen erschließt für die Siedlung ein Gebiet, das 4 km vom Ort entfernt liegt und in den Chroniken des Dorfes nicht sehr positiv dargestellt wird. Robert Wehmschulte benutzt in seiner Chronik die Begriffe "Einöde", "Sandwüste", "St. Urwald" und spricht von der schrecklichen Einsamkeit dieses großen Heide- und Waldgebietes. Hier hatte man im Ersten Weltkrieg ein Straflager für französische Kriegsgefangene errichtet, mit Absicht in einer möglichst unwirtlichen Gegend. [70] So schlimm, wie es sich anhört, ist es nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Die Siedlung "Rote Erde" gibt es bereits, die Steyler Missionare haben inzwischen ein Missionshaus hier errichtet, die Bahnlinie Oberhausen - Rheine mit dem Bahnhof St. Arnold existiert und auch die kleine Dorfbauerschaftsschule ist bereits vorhanden. Der Verdacht liegt nahe, dass es den Einheimischen nicht unlieb war, dass die Siedlung so weit von der Ortsmitte entfernt erschlossen wurde.
"Ich glaube auch, die haben das dahinten hin gebaut: 'Dot de Pollakken wied wiäg van Duorp', und so fühlten wir uns natürlich auch zu der Zeit.... Das war nun mal eben das Dorf der Verjagten." [71]

Das lässt sich jedoch nicht belegen, sondern es wird von offizieller Seite ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es zum damaligen Zeitpunkt keine andere Möglichkeit gab. So berichtet der Gemeindebürgermeister Lorenbeck am 28.09.1963 bei einer kommunalpolitischen Aussprache mit den Bürgern von St. Arnold, wie es zu der Besiedlung dieses Ortsteils kam:
"Die Gemeinde hatte im Jahre 1938 von einem Bauern 72 Morgen und im Jahr 1939 von anderen Grundbesitzern 40 Morgen Land erworben. Als nach dem Zweiten Weltkrieg bzw. nach der Währungsreform die Bautätigkeit einsetzte, mußte die Gemeinde auf diese erworbenen Gelände zurückgreifen." [72]

Das Grundstück am Haarweg, auf dem insgesamt 15 Vier-Familienhäuser gebaut wurden, erwarb die Gemeinde im Tauschweg.

Ebenso im Tauschweg wurden weitere Grundstücke von mehreren Landwirten erworben, für das Baugelände der Lönsstr., Schillerstr., Paul-Keller-Str. und Wibbeltstr. Bürgermeister Lorenbeck weist ausdrücklich darauf hin, dass am und im Ort kein Bauland zur Verfügung stand. In den Protokollen des Gemeinderats lässt sich jedoch feststellen, dass der Gemeindevertreter Mussenbrock den Standpunkt vertrat, dass die geplante Siedlung nicht in St. Arnold sondern nur in Ortsnähe liegen könne. Er stellte mehrfach einen entsprechenden Antrag. Im November 1946 wird eine ausgedehnte Debatte im Rat protokolliert, die Argumente werden jedoch nicht aufgeführt. Der Beschluss lautet, es bei dem geplanten Siedlungsgelände in St. Arnold zu belassen. Es soll jedoch versucht werden, in Ortsnähe zusätzliches Gelände zu bekommen. [73] Für die Siedlung am Haarweg wurde Gelände getauscht, um für Wasser- und Lichtanschluss günstig gelegenes Gelände zu erhalten. [74] Am 07.01.1948 erfolgt der Beschluss über den Bau von Kleinsiedlungshäusern am Haarweg.
"Bei der Vergebung der Wohnungen sollen diejenigen Bewerber bevorzugt berücksichtigt werden, die bei den Erd- und Bauarbeiten selbst Hilfe leisten. Der Amtsdirektor soll außerdem beantragen, dass eine Omnibuslinie nach St. Arnold eingerichtet wird." [75]

Die Gemeinde erhält 1948 Bezugsscheine für vier Fahrräder, die für den Transport der Arbeiter zur Baustelle am Haarweg eingesetzt werden sollen. Mit sehr viel Eigenarbeit und mühsamer Beschaffung des Baumaterials werden die ersten Häuser gebaut. Eine Spendensammlung für die Gemeindesiedlungsbauten am Haarweg bringt 4.000 DM ein. Auf eine geplante Lotterie zugunsten der weiteren Bauten wird verzichtet, da es 1949 einen Landeszuschuss von 48.000 DM gibt und zusätzlich 12.000 DM für Dachausbauten von Privatleuten, die auf diese Weise Wohnungen schaffen. [76]

Die Wohnungen in der Haarwegssiedlung wurden zu einem günstigen Preis vermietet. So erhält die Familie Weniger am 26.09.1949 den Bescheid der Gemeinde, dass ihr eine Wohnung am Haarweg zugewiesen wird. Der Mietzins wird auf 24 DM monatlich festgesetzt; es muss sich um eine Ergeschosswohnung gehandelt haben, die Obergeschosswohnungen sollten 15 DM kosten. [77]

Der Zeitzeuge Helmut erzählt, dass die Eltern in der Haarwegssiedlung endlich auch ein Zimmer für sich hatten. Die gegenseitige Hilfe in der Siedlung war sehr gut und alle waren froh, dass sie jetzt eine eigene Wohnung hatten.

Die Bauplätze, die im Wege des Erbbaurechts vergeben wurden, in einer Größenordnung von 1.000 bis 1.200 qm, waren sehr preisgünstig mit einem Erbbauzins von 12 DM pro Platz und Jahr. Später bestand die Möglichkeit zum Kauf zum Preis von 3 DM pro qm.

Die günstigen Preise in St. Arnold waren nicht nur für die Ostvertriebenen interessant, sondern lockten auch einheimische Bauwillige an.
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Siedlung St. Arnold


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Siedlungshaus in St. Arnold mit dem Stallanbau
 
 
Die Zeitzeuginnen Bettina und Inge berichten, dass sie zwischen Einheimischen wohnten. Sie konnten unheimlich weit sehen, das Typische für St. Arnold: Heide und Birken, Äcker und Wiesen. Typisch auch die Sandpättkes, die unbefestigten Wege. Und sie waren damals praktisch Selbstversorger. "Wir hatten einen riesengroßen Garten, der musste uns ernähren." [78]

Anfang der 50er Jahre werden für ostvertriebene Landwirte Grundstücke erschlossen, die für Nebenerwerb geeignet waren. Die Siedlung St. Arnold wächst zu einem beachtlichen Ortsteil heran. Die Gemeinde muss für den Ausbau der Straßen und der Kanalisierung sorgen, Post und Lebensmittelgeschäfte sind vor Ort, es werden Kinderspielplätze und ein Sportplatz angelegt, Gewerbebetriebe entstehen, Banken und Kirchen lassen sich zum Ende des Untersuchungszeitraums nieder und auch die schulische Versorgung verbessert sich.

Auch für St. Arnold gilt, dass bei aller Aus- und Abgrenzung diese Siedlung für die Vertriebenen eine erste Zuflucht wurde in dem schwierigen Prozess, sich in der neuen Heimat auf Dauer zu integrieren.
"Hier fand die Gratwanderung zwischen Bewahrung des heimatlichen Erbes und Anpassung an neue Mentalitäten, Verhaltensnormen und Lebensformen statt." [79]

Zeitzeugin Gertrud:
"Und die Vertriebenen schätzten sich alle glücklich, wer da eine Wohnung bekommen hat. Und für uns Kinder war es das Paradies, rundherum alles frei, wir konnten spielen, wir durften alles, wir brauchten nirgends anecken." [80]

Zeitzeugin Carolin erzählt von Kühen, die in den kleinen Ställen gehalten und gefüttert wurden.
"Hühner hatten wir, Gänse hatten wir. Gänse haben wir auch verkauft. [...] Im Herbst hatten wir auch Kohl, den haben wir auch verkauft." [81]

"Wir kamen dahin[in die Siedlung am Haarweg], meine Eltern waren selig. Wir hatten keinen Strom, wir hatten Wasser und natürlich Plumpsklo, das war ja auch gang und gäbe. Spültoilette gab's in Neuenkirchen längst nicht überall. Aber meine Eltern waren einfach glücklich. Die Sandwüste wurde nach und nach kultiviert." [82]
 
 
 

4.3 Die Schulsituation

 
 
 

4.3.1 Die Schulen in Neuenkirchen nach 1945

 
 
 
In Neuenkirchen gab es nach dem Krieg drei Volksschulen: die Feldhofschule im Ort (1946 auch räumlich aufgeteilt in Knaben- und Mädchenschule), die Schule in der Bauerschaft Landersum und die für die spätere Siedlung St. Arnold zuständige Dorfbauerschaftsschule.

Darüber hinaus gibt es ein Internat im Missionshaus St. Arnold mit einer angeschlossenen Missionsschule. Am 12.03.1940 war diese Schule jedoch geschlossen und zur Einrichtung eines Reservelazaretts beschlagnahmt worden. Die Education Branch, eine Unterabteilung der englischen Besatzungsbehörde, erteilte am 26.03.1946 die Genehmigung zur Wiedereröffnung als Missionsschule. Aufnahmegesuche werden in dieser Zeit sorgfältig daraufhin überprüft, ob sich die Jungen ernsthaft für den Missionsberuf interessieren. Ab 1953 wird die Schule zu einem Progymnasium und ab 1964 beginnt der Aufbau zur Vollanstalt mit der ersten Obersekunda.

Die Kreisberufsschule unterhält eine Zweigstelle vor dem Friedhofsgelände.

Die Volksschulen sollten so früh wie möglich wieder geöffnet werden. Dafür war die Genehmigung der britischen Besatzungsmacht notwendig, die in dem sensiblen Bildungsbereich nicht nur die verwendeten Lehrbücher überprüfte, sondern auch die Personen, die in der Schulaufsicht und als Lehrer eingesetzt wurden. So wurde ein Lehrer in Neuenkirchen nicht sofort wieder in den Schuldienst übernommen, da er in der Partei tätig gewesen war.

In einem 'monthly report' der britischen Verwaltung aus dem Jahr 1945 wird die schulische Situation im Kreis beschrieben: August Bakenecker wird zum 07.07.1945 als vorläufig handelnder Schulrat bestimmt. Im Kreis Steinfurt sind 12.159 Kinder zwischen sechs und zehn Jahren, davon 11.080 in den Städten und 1079 auf dem Land. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, die Schulen sofort zu öffnen bis auf neun städtische Schulen, die von den Besatzungssoldaten belegt sind. Eine Liste von eventuell geeigneten Lesebüchern wird überprüft. Fragebögen für alle Lehrer sind dem Schulrat übergeben worden. Es wird eine Übersicht erstellt über das Schulmobiliar. Auch Leihbüchereien und Kinos fallen unter die Kontrolle der britischen Militärverwaltung. Leihbüchereien dürfen erst dann öffnen, wenn sie eine Genehmigung erhalten. Nicht für geeignet befundene Bücher dürfen nicht ausgeliehen werden. Ein separater Bericht über die Kinos und Filme im Kreis ist beantragt worden. Es gibt sechs Kinos, die alle für andere Zwecke verwendet werden. [83]

Noch im Jahr 1945 nehmen die Volksschulen ihre Tätigkeit wieder auf, wenn auch unter sehr schwierigen Verhältnissen. So wird in einem Zeitungsartikel zum Schultreffen der ehemaligen Kinder der Dorfbauerschaftsschule berichtet, dass am 20.09.1945 der Unterricht wieder beginnt - mit 76 Kindern der ersten vier Jahrgänge. Am 15.10.1945 war Unterrichtsbeginn für die oberen Jahrgänge mit 26 Schülern. Für alle Schüler gab es nur Fräulein Mevenkamp als einzige Lehrerin und das bis zum Sommer 1946, dann erhielt sie Unterstützung durch einen Kollegen. [84] Dieses Lehrer-Schüler-Zahlenverhältnis war durchaus üblich, da die Schülerzahlen durch Evakuierungen und Flüchtlinge stark angestiegen waren und nicht genügend Lehrer zur Verfügung standen.

Dies war den zuständigen Stellen in den Verwaltungen durchaus bekannt, es fehlten jedoch in ausreichendem Maße die Mittel.

Auch im Verwaltungsbericht des Kreises Steinfurt wird deutlich, dass neben der Ernährungs- und Wohnsituation die Sorge der Beseitigung der Schulraumnot gilt. Genau wie in Neuenkirchen konnte der Schulbetrieb an den meisten Schulen des Kreises in den Monaten September bis Oktober 1945 wieder aufgenommen werden, jedoch werden die Bedingungen für die Durchführung eines normalen Unterrichts als äußerst schlecht beschrieben. Man hatte in den Kriegsjahren nur wenig für die Schulen gesorgt und die meisten Gebäude waren durch die Belegung mit deutschen und alliierten Truppen stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Lehr- und Lernmittel waren zum großen Teil nicht mehr brauchbar oder wegen ihres Inhalts vernichtet. Die sanitären Anlagen befanden sich in einem unhaltbaren Zustand. Ein großer Teil der Schulgebäude war zerstört oder für andere Zwecke in Anspruch genommen. Das bedeutete, dass zuerst vor Unterrichtsbeginn die notwendigen Unterrichtsräume in benutzbaren Zustand gebracht werden mussten. Im Verwaltungsbericht wird angegeben, dass durch den Zuzug der Ostvertriebenen und Evakuierten im Kreis eine Vermehrung der Schülerzahl um rund 3300 schulpflichtige Kinder stattgefunden hatte und damit eine weitere Verschärfung der Schulraumnot bewirkt wurde. Wegen des Mangels an Klassenräumen war die Einführung des Schichtunterrichts an allen Schulen des Kreises Alltag, der für Schüler und Lehrer eine Belastung war. Das wird in den Berichten der Lehrer deutlich zum Ausdruck gebracht. Bis zur Währungsreform konnten die Ämter jedoch fast nichts für den Schulneubau tun. Danach setzte die Bautätigkeit, gefördert durch erhebliche Landeszuschüsse, in beachtlichem Umfange ein.

Die Entwicklung der Schülerzahlen und der Lehrereinstellungen in Neuenkirchen in den Nachkriegsjahren zeigt folgende Statistik. [85] 15.11.1946: 1.281 Schüler, 20 Lehrstellen; 15.11.1949: 1.388 bzw. 27; 15.11.1953: 1.111 bzw. 24.

Um die Durchführung des Unterrichts zu gewährleisten, wurden die Gemeinden angeschrieben, um eine Übersicht zu bekommen, wo sich Lehrer aus den Vertreibungsgebieten befanden. So erreichte auch den Lehrer Anton Bednorz die Mitteilung, dass eine Möglichkeit zur Wiedereinstellung bestand. Sein Wunsch war, in die Kreisstadt Burgsteinfurt zu kommen. Ihm wurde jedoch, da er katholisch ist, von dem Schulrat empfohlen, sich für Neuenkirchen zu bewerben und nicht für das evangelisch geprägte Burgsteinfurt.
"Da werden Sie nicht glücklich. Burgsteinfurt ist evangelisch und die akzeptieren keine Katholischen." [86]
 
 
Der "Flüchtlingslehrer" Anton Bednorz wurde mit Schreiben vom 18.11.1946 an der Dorfschule in Neuenkirchen mit der Verwaltung einer Lehrerstelle beauftragt, nachdem er sämtliche Einstellungsunterlagen beim Schulamt eingereicht hatte, u.a. auch Erklärungen über seine berufliche und politische Vergangenheit. Ihm wurde von dem kommissarischen Schulleiter Karl Evers [Autor der Chronik "Das Dorf entlang", 1947] der Unterricht in der Klasse 4 der Knabenschule übertragen. Diese Klasse war zu der Zeit noch in der Feldhofschule untergebracht, die übrigen Klassen der Knabenschule in einem Gebäude an der Friedensstraße. Trotz der Freude über seine Anstellung sieht er doch die Ausstattung der Neuenkirchener Schule im Vergleich zu seiner Schule in der alten Heimat recht kritisch.
"Ich hatte 76 Jungen im Alter von 10 Jahren zu unterrichten. Der Klassenraum mit geölter, dunkler Dielung war mit alten sechssitzigen, reich gekerbten Bänken ausgestattet, die wahrscheinlich schon vor der Jahrhundertwende Schulkindern als Sitzgelegenheit gedient hatten. Die übrigen Klassen waren nicht besser und machten einen düsteren Eindruck. Welch ein Gegensatz zur Volksschule in Lublinitz, mit ihren hellen Klassenräumen, dem gepflegten Parkettfußboden und dem modernen Gestühl!" [87]

Auch der Bestand an Unterrichtsmaterial, Lesebüchern, Kreide, Schreib- und Rechenheften für die Schüler ließ zu der Zeit zu wünschen übrig. Es wurde klassenweise Altpapier gesammelt, um dafür eine Zuteilung an Heften zu erhalten. In dem kalten Winter 1946/1947 konnten die Klassenräume mit den Kohleöfen nicht ausreichend beheizt werden. Wegen Kohleknappheit musste der Unterricht sogar ausfallen. Im Lehrerkollegium gab es noch zwei Lehrerinnen aus Ostpreußen und Schlesien und es kamen im Sommer 1947 weitere vertriebene Lehrerinnen und Lehrer aus Schlesien, dem Sudetenland und Ostpreußen hinzu, u.a. ein Herr Ladwig, dessen Frau mit zwei Kindern auf der Flucht beim Untergang der "Gustloff" ums Leben kam. [88]
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Mädchenklasse der Feldhofschule
 
 
Auch die Chronik der Dorfbauerschaftsschule berichtet von Unterrichtsausfall bzw. verlängerten Weihnachtsferien wegen der Schwierigkeit, die Räume ausreichend zu beheizen. Es wurde in den Wäldern Brennholz gesammelt und die Jungen mussten dies am Nachmittag zersägen und zerkleinern. Zu Beginn des Schuljahres 1947 wird der Lehrer Bednorz als mit 44 Jahren jüngste Kraft an die Dorfbauerschaftsschule versetzt zur Vertretung des erkrankten zweiten Lehrers. Er unterrichtete dort in der Oberklasse 64 Kinder aus den Jahrgängen 4 bis 8. Dazu teilte er die Klasse im Rechenunterricht in vier Abteilungen, im Deutschunterricht in zwei Abteilungen ein. Eine Stunde vor Unterrichtsbeginn schrieb er die Aufgaben für die Zeiten der Stillbeschäftigung an die Tafeln, um Leerläufe zu vermeiden.

Ober- und Unterklasse wechselten sich wöchentlich mit dem Vormittags- und Nachmittagsunterricht ab. Im Spätherbst und Winter fand der Unterricht ab 16 Uhr im Halbdunkel bei der kümmerlichen Beleuchtung einer Petroleumlampe statt. Die Kinder, die teilweise Wege von 5 km zurücklegen mussten, verließen die Schule um 17 Uhr bei Dunkelheit. Auch der Lehrer Bednorz hatte in der Anfangszeit einen Fußweg von täglich 10 km, da er noch im Ort wohnte. [89]

In der Schulchronik der Dorfbauerschaftsschule wird berichtet, dass im Jahr 1948 an das bestehende Gebäude ein hässlicher zweiter Klassenraum angebaut wurde. Die Gemeinde stattete die Räume mit alten, ausrangierten Bänken aus. Mit dieser notdürftigen Einrichtung und obwohl der Raum noch nicht geweißt war, wurde am 11.12. 1948 erstmals in dem Raum unterrichtet. [90]

Nur kurze Zeit (1951/1952) unterrichtete der Lehrer Willy Brehm an der Dorfbauerschaftsschule. Die Zustände an der Schule haben auch bei ihm offenbar nachhaltigen Eindruck hinterlassen und sind für heutige Schülergenerationen kaum vorstellbar. Neben den Problemen mit dem Heizen und dem Unterricht bei Dämmerlicht berichtet er von den Problemen mit dem Wasser. Neben der Eingangstür befand sich zwar eine Pumpe, aber in trockenen Sommern sank der Grundwasserspiegel so tief, dass man mit der einfachen Handpumpe kein Wasser mehr erhielt. Dann musste ein Kind mit einem Eimer zum Max-Clemens-Kanal gehen um in einer Pfütze Wasser zu schöpfen, damit die Tafel geputzt werden konnte. In den Pausen spielten die Mädchen Völkerball und die Jungen Fußball. Da viele Jungen mit Holzschuhen spielen mussten, landete häufig bei Torschüssen auch der Holzschuh unter der Latte. Willi Brehm berichtet, dass mit wenig Mitteln, aber viel Idealismus die Mängel ausgeglichen wurden. Es wurden Theaterstücke eingeübt und mit einem Schulchor mehrstimmig Lieder gesungen. [91]
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Theaterspiel der Dorfbauerschaftsschule mit dem Zeitzeugen Josef


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Chor der Dorfbauerschaftsschule mit dem Zeitzeugen Josef
 
 
Auch der Lehrer Anton Bednorz berichtet in seiner Chronik von dem Theaterspiel der Schulkinder und dem Schulchor. Jedes Jahr gab es in der Gastwirtschaft Heckmann eine Aufführung mit umfangreicher Vorbereitung. Dazu gehörte es, dass die Bühne aus Brettern selbst gezimmert wurde und der Saal mit Petroleumlampen beleuchtet wurde, da die Gegend erst 1953 an das Stromnetz angeschlossen wurde. Die Kostüme wurden vom Kloster entliehen. Im ersten Jahr (1950) standen neben plattdeutschen Gedichten mehrstimmige Lieder und die Stücke 'Pechvogel und Glückskind' und 'Der fahrende Schüler aus dem Paradeis' auf dem Programm. In späteren Jahren folgten u.a. Stücke wie 'Der Kalif Storch', 'Doktor Allwissend', 'Rumpelstilzchen'. [92]

Wegen der schwierigen Arbeitsverhältnisse und des häufigen Lehrerwechsels wurde 1951 das 50jährige Bestehen der Volksschule Dorfbauerschaft nicht gefeiert. Die Schule bereitete jedoch einen Elternabend vor, der im Saal der Gastwirtschaft Heckmann stattfand. In der Chronik wird festgehalten:
"Andererseits ist es ein Trauerspiel festzustellen, dass von Seiten der Gemeinde Neuenkirchen kaum Interesse und Anteilnahme an der Arbeit in der Dorfbauerschaftsschule bestand. Es sind immer noch fundamentale Schwierigkeiten zu bewältigen: Die Schule ist auch nach 50 Jahren noch nicht an die öffentliche Stromversorgung und die zentrale Wasserversorgung angeschlossen." [93]
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Die Dorfbauerschaftsschule mit dem Anbau aus dem Jahr 1948


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Lehrer Bednorz mit seiner Klasse in der Dorfbauerschaftsschule
 
 
1953 fordern die Eltern im Beisein des Bürgermeisters und des Amtsdirektors dringend den Bau einer neuen Schule im Gebiet der Siedlung St. Arnold. Die Bewohner der Bauerschaft sind andererseits für die Beibehaltung der Dorfbauerschaftsschule am alten Standort. Zur Überbrückung wird eine in Neuenkirchen frei werdende Schulbaracke (wegen des Neubaus der Ludgerischule) Ende Oktober 1953 auf dem künftigen Schulgelände in St. Arnold aufgestellt und am 13.01.1954 in Betrieb genommen, mit 88 Schülern. In der Dorfbauerschaftsschule verblieben 90 Kinder. Die Schülerzahlen verlagerten sich im Laufe der Jahre in Richtung Baracke. Traurige Berühmtheit durch die Verbreitung der Geschichte über den WDR erlangte die Baracke, weil ihr Dach im Herbst 1954 durch einen Sturm abgehoben wurde. Das mag den Beschluss für einen Neubau beschleunigt haben. [94] Am 23.10.1956 wurde die neu erbaute Josefschule eingeweiht. Zuletzt unterrichtet nur noch ein Lehrer in der Dorfbauerschaftsschule, die 1966 geschlossen wird.

Diese geschilderten Schulverhältnisse belasten natürlich die einheimischen Kinder ebenso wie die Kinder der Vertriebenen. Erschwerend kommt für die Kinder der Ostvertriebenen hinzu, dass sie mit größerer Verspätung den Unterricht wieder aufnehmen können, dass sie nicht nur im Umgang mit ihren Mitschülern die plattdeutsche Sprache lernen müssen und dass plötzlich evangelische Kinder in einem katholischen Dorf eingeschult werden.
 
 
 

4.3.2 Unterrichtsbeginn
nach der Vertreibung

 
 
 
Für viele einheimische Neuenkirchener Kinder, für die evakuierten Kinder und die Flüchtlingskinder, die 1945 bereits in Neuenkirchen angekommen waren, ist der Beginn des Unterrichts nach dem Krieg bestimmt nicht einfach unter den oben geschilderten Verhältnissen. Schwieriger ist es aber für die vertriebenen Kinder, die in ihrer Heimat bereits zur Schule gegangen waren oder die dort gerade eingeschult worden waren. Die Überlegungen in den Schulen gelten der Zuordnung zu geeigneten Klassen und Jahrgängen, da während der Besatzungszeit durch Russen und Polen in den Vertreibungsgebieten kein Unterricht erfolgt war. Die Kinder kommen nach der langen Zeit der Vertreibung ohne Unterricht manchmal in Klassen, die zwar ihrem Alter entsprechen, die aber bereits ein Jahr länger beschult worden sind. Viele kommen auch erst im Herbst 1946 in die Schule, nachdem das Schuljahr bereits lange begonnen hat. Zu allen anderen Problemen kommen dann noch Probleme mit der Schule. Sie werden häufig zurückgesetzt in Klassen mit jüngeren Schülern.

Zeitzeugin Gertrud berichtet:
"Ich bin eingeschult worden und kam natürlich folgerichtig in die zweite Klasse. Ich habe 14 Tage dort gesessen, habe wenig mitbekommen, was ja nicht verwunderlich war. Ich war bis zum großen 'E' gekommen in meiner Schule in Haselbach. Ich konnte nicht meinen Namen schreiben, ich konnte nicht rechnen und auch nicht lesen. Und dann hatte die Lehrerin etwas an die Tafel geschrieben und ich sollte das lesen. Und ich konnte nicht lesen. Und dann hat sie gefragt, wo ist denn deine Schularbeit, sie hatte nicht gemerkt, ich hatte 14 Tage keine Schularbeit gemacht. Ich wusste ja nicht wie. Dann hat die Lehrerin meine Mutter bestellt. Ich musste dann zurück in die Anfangsklasse. [...] Das war ja schon mittlerweile Ende September, die hatten ja schon fast ein halbes Jahr rum. Das hat mich ziemlich geschockt, muss ich sagen. Was Sitzenbleiben war, wusste ich noch nicht, aber es hörte sich nicht gut an. Da musst du eine Klasse zurück. Da hab ich gedacht, wieder in eine andere Klasse. Mein erstes Zeugnis sah nicht sehr gut aus, da waren 3en und 4en, was ja verständlich war, aber im dritten Schuljahr hab ich keine 4 mehr gehabt. Ich hab mich wirklich auf den Hosenboden gesetzt, meine Mutter hat auch etwas dafür getan, mit Schreiben und Lesen, das war ja kein Problem. Das war alles zu schaffen. Aber für mich war es auch, mal sagen, ich musste es bewältigen. Ich musste sehen, dass ich mitkam. Das ging ja nicht nur mir so, vielen anderen auch so. Aber ich hab mich dann in der Klasse auch sehr wohl gefühlt, muss ich ehrlich sagen. Ich hab der anderen Klasse nie nachgetrauert, dass ich da nicht geblieben bin." [95]
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Schulfoto (linke Seite) der Zeitzeugin Gertrud


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Schulfoto (rechte Seite) der Zeitzeugin Gertrud, Feldhofschule
 
 
Nach dem Umzug in die Haarwegssiedlung geht Gertrud weiterhin zur Feldhofschule bis zur Entlassung. Der lange Schulweg hat sie nicht abgeschreckt, im Gegenteil:
"Wir hatten einen schönen langen Schulweg, zu Fuß, und das hat immer Spaß gemacht. Wir waren ja 'ne ganze Meute. Im Winter ging's auf die Gräben. Da wurde das Eis kaputt gemacht. Ja und dann gab's ja auch mal ein Fahrrad, wenn auch ein gebrauchtes. Mein Vater hat manchmal geschimpft. Der hat das Fahrrad geflickt, noch und nöcher. Es war ja ein ganz altes und schwer gefahren hat's auch. Aber das hat man als Kind ja gar nicht gemerkt."

Zeitzeuge Helmut erinnert sich auch den langen Schulweg zur Knabenschule im Ort. Er war zuletzt noch in der neu gebauten Ludgerischule, aus der er entlassen wurde. Da hatte er für den Weg zur Schule schon ein Fahrrad.

Die Zeitzeugin Walburga berichtet, dass sie unheimlich Angst davor [vor der Schule]hatte.
"Wir waren ja zwei Jahre nicht in der Schule gewesen. Und meine Geschwister, die gingen halt ein Jahr zurück. [...] Ich hab in der Schule nicht gemerkt, dass mir viel fehlte. Die hatten hier auch viel Ausfall gehabt.[ ...] Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich irgendwie zurück war.[ ...] Ich hätte ja die Möglichkeit gehabt, noch ein Jahr zu gehen, aber das konnten sich meine Eltern dann auch nicht erlauben.[ ...] Nachher war ja auch die Berufsschule, drei Jahre[...].Und da waren alle die, die bei Hecking waren in der Spinnerei und Weberei, die waren alle mit uns in der Berufsschule, auch die, die im Haushalt waren."

Zeitzeuge Helmut kam nach seinem Aufenthalt in Bayern in der Feldhofschule. Er hatte in Bayern nur Blockschrift gelernt, hier wurde schon die lateinische Schrift verwendet, aber es ging schon. Zu leiden hatte er unter dem Spott der Mitschüler im Winter, weil er nicht die geeignete Kleidung hatte: das Leibchen zu kurz, die Strümpfe auch zu kurz, so dass das Gummi herausguckte. Die Zeit war damals nicht schön für ihn. Er erinnert sich an die Schulspeisung. "Manchmal bekamen Flüchtlinge eine Sonderration." Er bekam ein Täfelchen Schokolade, von dem er einer alten Flüchtlingsfrau etwas abgab, aber nicht den anderen Kindern der Flüchtlinge, so dass er sich deswegen Ärger einhandelte. [96]
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Zeitzeuge Josef mit dem damals wichtigsten Verkehrsmittel, dem Fahrrad, am Max-Klemens-Kanal in St. Arnold


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Lehrer Bednorz mit seinem Moped, auf dem ein Pater des Missionshauses sitzt. Ein weiterer Pater auf einem Motorrad
 
 
Sportunterricht in der Dorfbauerschaftsschule, wie auch in den anderen Schulen, bestand darin, dass draußen Fußball gespielt wurde, erinnert sich der Zeitzeuge Josef. Die Mädchen spielten Völkerball. Die Sportstunde war häufig beendet, wenn eine Scheibe zu Bruch ging. Die musste dann von dem Unternehmer Klumps für 3 Mark ersetzt werden. Er erinnert sich auch an eine Religionsstunde, in der viel Unsinn gemacht wurde und er als Lehrerssohn von seinem Vater herausgeholt wurde und Ohrfeigen bekam, immerhin nicht vor der Klasse, sondern auf dem Flur. [97]

Eine höhere Schulausbildung ist mit Kosten verbunden, die nicht alle tragen können. So besuchen nur wenige Kinder der Einheimischen und auch der Ostvertriebenen die höheren Schulen in Rheine, die mit der Bahn sowohl von Neuenkirchen als auch St. Arnold gut erreichbar sind.

Zeitzeugin Barbara, die von St. Arnold jeden Tag mit dem Zug nach Rheine fährt und dort das Emslandgymnasium besucht, berichtet, dass sie zu sechst gefahren sind, davon drei evakuierte Kinder aus Bochum und Essen, außerdem sie und ihr Bruder und die Tochter des Wasserwerksleiters.

Die Zeitzeugin Bettina besucht in den 60er Jahren von St. Arnold aus das Emslandgymnasium in Rheine. Sie geht als einzige Schülerin ihrer Klasse dorthin und lernt dort Neuenkirchener Schülerinnen kennen. Sie beneidet diese, weil sich alle schon vorher kannten. Sie kam sich sehr verloren vor.
 
 
 

4.3.3 Plattdeutsch - schlesisch -
hochdeutsch

 
 
 
"Die Neuenkirchener sprachen mit Vorliebe plattdeutsch. Auf diese Mundart bildeten sie sich viel ein; wer das Plattdeutsch nicht beherrschte, galt als Fremdling." [98]

Dieser erste Eindruck, den der Lehrer Bednorz von der Sprache in Neuenkirchen hatte, trifft durchaus zu. Er berichtet auch davon, dass die Bauernkinder in St. Arnold unter sich plattdeutsch sprechen. Auf der anderen Seite hört er gern, wenn die Kinder plattdeutsche Gedichte vortragen und fördert dies. Einen von dem Lehrer Evers veranstalteten Wibbelt - Abend gestaltet Frau Bednorz durch gute Klaviervorträge mit.

Im Unterricht wird natürlich hochdeutsch gesprochen. Der aus der Pfalz stammende Lehrer Willi Brehm erzählt aus seiner Zeit in St. Arnold, dass die Jüngeren im Unterricht Schwierigkeiten hatten, da sie zu Hause nur das Platt sprachen, das er nur schwer verstand.
"Zum Glück hatten wir eine Reihe von Kindern aus heimatvertriebenen Familien. Sie konnten mir ins Hochdeutsche übersetzen, was ich als Lehrer wissen durfte und sollte." [99]

Offensichtlich haben die Vertriebenenkinder sich sehr schnell an ihre Umgebung angepasst und die übliche Sprache gelernt, so dass sie übersetzen konnten.

Zeitzeuge Helmut erinnert sich, dass er bei dem Lehrer Evers gut angesehen war, weil er sehr schnell plattdeutsch gelernt hatte.

Die in Neuenkirchen geborene Zeitzeugin Gabi, Kind schlesischer Eltern, berichtet, dass sie nur schlesisch konnte, als sie in die Schule kam.
"Die Lehrer konnten mich nicht mal gut verstehen, ich konnte nur schlesisch.[...] Als ich an die Tafel kam und musste das Wort 'Tasse' zeigen oder erklären, da hab ich 'Tipla' gesagt. Alles hat gelacht. Von da an hat meine Mutter gesagt 'Es wird nur noch bei uns hochdeutsch gesprochen', damit ich die Sprache richtig lernte." [100]
 
 
 

4.3.4 Katholisch - evangelisch

 
 
 
Es gab in Neuenkirchen nach dem Krieg und noch lange darüber hinaus nur katholische Schulen. Die Bekenntnisschule war für die katholische Kirche "die wahre Einheitsschule voll innerer Harmonie". In der ersten Ausgabe des Kirchenblatts für das Bistum Münster "Kirche und Leben" nach dem Krieg stellt der Bischof Clemens August in Übereinstimmung mit dem Papst Pius XII. die Position der katholischen Kirche dar. Es geht nicht nur um getrennten Religionsunterricht, sondern auch darum, dass in allen Fächern katholische Kinder von katholischen Lehrern unterrichtet werden. Es gebe sonst für die Lehrer einen Gegensatz zwischen Lehre und Denken und Gegensätze zwischen Lehrern und Schülern. Es fehle die Harmonie zwischen Elternhaus und Schule und führe zu Gegensätzen zwischen den Schülern.
"Man spürt sehr früh die Verschiedenheit im Glauben. Schon beim Kreuzzeichen vor dem Schulgebet fällt sie auf, wenn überhaupt noch gebetet werden darf. Man erhält getrennt Religionsunterricht, feiert andere kirchliche Feste als die übrigen und kommt leicht zu verfrühten religiösen Auseinandersetzungen. [...] Nicht minder bedeutungsvoll ist der Gegensatz zwischen Religion und anderen Fächern. Im Unterricht knüpft man gern an das an, was in anderen Fächern gelehrt wird. Aber von katholischen Glaubenslehren darf man in anderen Stunden nicht sprechen. Es kann nicht sein, auch wenn es nahe läge, entweder weil der Lehrer nicht katholisch ist, oder weil er auf die nichtkatholischen Kinder Rücksicht nehmen muß." [101]

Die Statistik für Neuenkirchen aus dem Jahr 1950 zeigt sehr klar den Anteil der katholischen und evangelischen Schüler. Diese evangelischen Schüler sind auf die Gruppe der Vertriebenen zurückzuführen, die insbesondere aus den überwiegend evangelischen Landesteilen Oberschlesiens stammen. [102]

Anteil katholischer und evangelischer Schüler in Neuenkirchen, 1950

Deutlich wird aus der Statistik auch, dass darauf geachtet wurde, nur katholische Lehrer einzustellen.

Für die katholischen Kinder von Vertriebenen war ihre Religionszugehörigkeit ein Vorteil, der ihre Akzeptanz bei den Einheimischen erleichterte. Katholischer Religionsunterricht wurde von den Lehrern erteilt, Katechismusunterricht von Pfarrer Focke. Zeitzeuge Helmut erinnert sich, dass auswendig gelernt wurde. Wer es nicht konnte, musste es doppelt machen, Strafarbeit machen.
"Und wer es immer noch nicht konnte, hatte die Möglichkeit, es abzuverdienen. Der Pfarrer hatte ein etwa 40/50 cm langes Rohrstöckchen in der Innentasche seines Fracks. Und wer das nicht hatte, der hatte die Möglichkeit, es fünfmal machen oder abverdienen. Abverdienen waren fünf Schlag durch die Hand. Und das Gemeine daran war, er fragte nach dem dritten Schlag auch noch: Abverdienen oder doppelt machen? Manchmal hielt man es nicht mehr aus." [103]

Die Voraussetzungen für die evangelischen Schüler gestalteten sich dagegen schwieriger. Der Religionsunterricht fand selbstverständlich getrennt statt.

Zeitzeugin Gertrud berichtet über den Religionsunterricht.
"Wir waren die einzigen Evangelischen in der Klasse, daher die Freundschaft[drei ostvertriebene Mädchen]. Wir mussten zum Religionsunterricht, also wir hatten eine sehr großzügige Klassenlehrerin, die kannte auch meine Heimat, die hat da Urlaub gemacht, und wir durften beim Religionsunterricht bei ihr drinbleiben, aber als Kommunionunterricht war nicht. Ich weiß, die erste Zeit mussten alle Evangelischen, wenn Religionsunterricht war, auf den Flur. Und da waren wir wohl ein bisschen lauter gewesen, da hat es aber ein Donnerwetter gegeben. Und Frau Schneider, die gab ja damals schon Musikunterricht und dann hat die sich mal zwei Lehrerinnen geschnappt und gesagt, ist das denn nicht möglich, dass Sie die Religion auf die erste oder letzte Stunde legen, Sie haben doch dauernd den Ärger. Wir waren nicht besonders laut, aber wir sind dann mal die Treppengeländer runtergerutscht. Was Kinder halt so machen. Oder mal einen Wasserkran laufen gelassen. Wir sollten auf den Treppenstufen sitzen und mucksmäuschenstill sein. [...] Anfang der 50er Jahre muss das gewesen sein, Frl. Torhaus, die kam dann aus Hamm, die war Gemeindehelferin, die übernahm den evangelischen Religionsunterricht, Knabenschule und Mädchenschule, man hatte es hinbekommen mit den Lehrern, am Donnerstag in den letzten Stunden hatten die Evangelischen Religion. Man hatte uns einen Raum zugewiesen, in der Knabenschule ganz oben. Es war die Rumpelkammer. Als wir reinkamen, haben wir erst mal entstaubt."

Zeitzeugin Gabi, die in St. Arnold geboren wurde und schon in die neue Josefschule ging, hat es stärker empfunden, dass sie als evangelisches Kind ostvertriebener Eltern zurückgesetzt wurde. Einen konkreten Anlass aus der Schule kann sie nicht benennen, weiß aber, dass sich ihre Mutter einmal beschwert hat.
"Es gab auch Kinder, die sagten, 'da spielen wir nicht mit, die kommen aus Schlesien, das sind Evangelische'. "Da haben wir schon drunter gelitten." [104]
 
 
 

4.4 Die Arbeitssituation der Vertriebenen

 
 
 
Grundsätzlich gibt es nach dem Krieg in Nordrhein-Westfalen einen Mangel an Arbeitskräften. Die Schwierigkeiten bestehen darin, die Arbeitskräfte dorthin zu lenken, wo es Arbeitsplätze gibt, da häufig der entsprechende Wohnraum nicht vorhanden ist. Bei der Verteilung der Vertriebenen durch die britische Militärverwaltung wurde in keiner Weise auf die berufliche Qualifikation geachtet und die in deutschen Händen liegende Arbeitsverwaltung nicht eingeschaltet. So kamen Industriearbeiter in ländliche Gebiete und landwirtschaftliche Kräfte in reine Industriegebiete. Vordringlich wird in der ersten Zeit auf den richtigen Einsatz von Baufacharbeitern, bergbautauglichen Arbeitskräften und Facharbeitskräften für die Landwirtschaft geachtet, die für den Wiederaufbau besonders notwendig sind. [105] Viele Umsiedlungen von Flüchtlingen und Vertriebenen erfolgen durch Eigeninitiative aus beruflichen Gründen. Eine systematische Erfassung der Berufe von Vertriebenen erfolgt erst 1947, vorher gibt es einzelne Anfragen an die Gemeinden. In den Anträgen auf Ausstellung eines Flüchtlingsausweises werden die Eintragungen "erlernter Beruf" und "ausgeübter Beruf" vorgenommen. Diese Angaben werden zwar später statistisch ausgewertet, aber nicht für die Arbeitsverwaltung genutzt. Im Flüchtlingsfragebogen, mit dem alle Flüchtlinge und Vertriebenen erfasst werden sollen, gibt es die Rubriken "Für körperliche Arbeiten voll einsatzfähig", "Einsatzfähig im alten Beruf", "Erwerbstätig", "Heimarbeit - ausgeübt - erwünscht", "Bewerber für landwirtschaftliche Siedlung".

Im Juli 1946 muss für die Kreisverwaltung eine Nachweisung vorhandener "Flüchtlingslehrer" erstellt werden, ebenso eine Aufstellung anderer Berufsgruppen. In dieser Aufstellung finden sich: 35 Landwirte, die Landwirtschaft betrieben haben, 4 Landwirtsfrauen, deren Männer noch erwartet werden, 1 Gärtner, 1 Fleischer mit Handwerkszeug, 1 Kürschnermeister ohne Handwerkszeug, 1 Schumacher ohne Handwerkszeug, 1 Klempnermeister ohne Handwerkszeug, 1 Konditor ohne Handwerkszeug, 1 Schneidermeister ohne Handwerkszeug, 1 Schneiderin ohne Handwerkszeug, 1 Flüchtlingsarzt, der ohne Stellung ist, 2 Kaufleute aus der Lebensmittelbranche mit 27 bzw. 8 Jahren Berufserfahrung, 1 Gastwirt, 29 Jahre im Geschäft, 1 Kaufmann aus der Haushaltswarenbranche, 1 Kaufmann aus der Eisenhandel- und Lebensmittelbranche, 22 Beamte, die noch nicht untergebracht sind, 7 Angestellte, die noch nicht untergebracht sind, 6 kaufmännische Angestellte, die noch nicht untergebracht sind.

Viele arbeiten in der Landwirtschaft, weil sie dort untergebracht worden sind, in der Regel am Anfang für Kost und Logis. Da auch später häufig keine ordnungsgemäße Entlohnung für die geleistete Arbeit erfolgt, gibt der Arbeitsminister des Landes Nordrhein-Westfalen 1947 Richtlinien vor für die in der Landwirtschaft arbeitenden Flüchtlinge. Damit soll eine Ausbeutung verhindert werden und ein Missverhältnis zwischen Unterkunft und Verpflegung auf der einen Seite und Arbeitsleistung auf der anderen Seite vermieden werden. [106]

Ein berufsfremder Einsatz ist in den ersten Jahren üblich, die Flüchtlinge nehmen jede Arbeit an, die ihren Lebensunterhalt zu sichern versprach. So finden sich im Gemeindearchiv Plakat-Aufrufe insbesondere an Ostflüchtlinge und Heimatvertriebene, sich für Heimarbeit und Heilkräutersammlungen zu melden. In einem Aufruf vom 08.10.1946 heißt es:
"Die Arbeitsgemeinschaft für Heilpflanzenbeschaffung Westfalens hat angeregt, die zum großen Teil noch unbeschädigten Ostflüchtlinge für das Sammeln von Heilpflanzen und Wildfrüchten zu gewinnen. Die verweist auf den jetzt besonders großen Mangel an Heilmitteln und bemerkt, dass die Flüchtlingsfamilien sich durch das Sammeln von Heilkräutern und Wildfrüchten einen ansehnlichen Verdienst schaffen können." [107]

An dieses Sammeln von Heilkräutern erinnern sich auch der Lehrer Anton Bednorz und der Zeitzeuge Josef als Aufgabe für die Schulen. Die Heilkräuter wurden z.B. in der Dorfbauerschaftsschule oben unter dem Dach gelagert und in Säcke verpackt, u. a. Schafgarbe und Kamille.
 
 
Von der Gemüsebau- und Absatzgenossenschaft erhält das Flüchtlingsamt der Gemeinde im April 1947 folgende Anfrage nach Arbeitskräften:
"Da für den Aufbau der Wohnungen und der übrigen Werkgebäude noch diverse Handwerker benötigt werden, von uns aber nur Ostvertriebene eingesetzt werden, bittet die Genossenschaft um Mitteilung, ob im dortigen Bereich noch unbeschädigte Maurer, Zimmerer, Tischler,... vorhanden sind."

Viele Ostvertriebene werden vorübergehend in Arbeitsplätze eingewiesen, die sie räumen müssen, wenn Kriegsheimkehrer ihre Arbeit wieder aufnehmen können.
 
 
Langfristiger gesichert ist die Arbeit, die von den vier Textilunternehmen in Neuenkirchen und der Industrie in den umliegenden Orten zur Verfügung gestellt wird. Bereits im August 1946 wendet sich die Firma F.A.Kümpers aus Rheine - Baumwollspinnerei und Weberei- in einem ausführlichen Brief an den Bürgermeister der Gemeinde Neuenkirchen und bittet darum, sich um weibliche Arbeitskräfte und Anlernlinge aus Ostdeutschland für die Spinnerei zu bemühen, möglichst Jugendliche, Mädchen und Jungen sowie jüngere Frauen. Der Brief verweist auf die sozialen Einrichtungen der Firma und die guten Zukunftsaussichten in der Textilindustrie und darauf, dass die weiblichen Flüchtlinge einen Arbeitsplatz benötigen, damit sie nicht auf Dauer der Gemeinde zur Last fallen. [108]

Im Jahr 1950 berichtet die Gemeindeverwaltung an den Kreis, dass im Haupterwerbszweig, der Textilindustrie, nicht alle Beschäftigung finden könne. Ein großer Teil der Textilarbeiter hat einen Arbeitsplatz in Wettringen, Mesum und Rheine. Die Holzschuhproduktion war ein für Neuenkirchen typischer Produktionszweig, kam jedoch nach der Währungsreform zum Erliegen.

Ende 1947 bemüht sich die Arbeitsverwaltung in einer Verfügung um die Berufsberatung und die Lehrstellenvermittlung für Flüchtlinge. Das Amt Neuenkirchen teilt dem Oberkreisdirektor mit, dass es in Neuenkirchen keine Klagen über die Unterbringung der Flüchtlingslehrlinge gibt. Bei der geringen Zahl der schulentlassenen Flüchtlingskinder sei es nicht schwer, diese bei hiesigen Handwerkern oder Webereien und Spinnereien unterzubringen.

Wie sich die Berufswahl besonders für die Mädchen vollzog, berichtet die Zeitzeugin Walburga:
"...du kannst da bleiben, du kriegst da satt zu essen, wurde gesagt, nun bleib mal da. Das war meine Berufswahl." Das Mädchen in dem Haushalt ging in die Fabrik, weil sie dort mehr verdienen konnte und Walburga übernahm deren Stelle im Haushalt. Dort blieb sie 5 Jahre bis 1952. Sie hat in dieser Zeit keinen Urlaub und im ersten Jahr ist nicht für sie "geklebt" worden, d.h. es wurden keine Einzahlungen für die Kranken- und Rentenversicherung geleistet. In dieser Zeit besucht sie die Berufsschule. Walburga verdient im ersten Lehrjahr 20 Mark, im zweiten Jahr 30 Mark, im dritten Jahr 40 Mark. Das ist wenig im Vergleich zu dem Arbeitslohn in der Fabrik. Als die Familie eine Wohnung am Haarweg bekommt und Walburga mitgeht, nimmt sie eine Stelle in der Textilfabrik Frieling an. Das bedeutet jedoch, dass sie jeden Tag 3,5 km Weg zurücklegen muss. Vier Monate spart sie von ihrem Lohn. "Ich bin vier Monate nicht ins Kino gegangen, hab mir nichts gekauft, dann hatte ich 200 Mark. Da war ich 19 Jahre." Sie bekommt dafür das Fahrrad und weil der Vater noch 8 Mark herunterhandelt, behält sie noch etwas übrig. "Da war ich 19 Jahre und hatte noch 8 Mark."

Auch die Schwester hat eine hauswirtschaftliche Lehre gemacht und ist anschließend in die Fabrik gegangen. [109]
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Textilarbeiterin bei der Firma Hecking
 
 
Im Mai 1950 sind in der Bundesrepublik eine halbe Million junge Leute unter 25 Jahren als arbeitslos registriert, da geburtenstarke Vorkriegsjahrgänge in den Arbeitsmarkt drängen. [110] Obwohl für Neuenkirchen die Lage nicht dramatisch ist, berichten auch die Zeitzeugen von Problemen bei der Lehrstellensuche, zumindest ist die Wunschausbildung nicht immer erreichbar.

Zeitzeugin Gertrud wird 1954 aus der Schule entlassen.
"Ja, ich wollte und sollte Verkäuferin lernen. Ich habe keine Lehrstelle bekommen. Es war sowieso schwer mit Lehrstellen und ich habe sie nicht bekommen; denn im Konsum war eine, die hatte 'ne 1 im Rechnen, die hatte ich nicht und dann war das ganz klar: wer die 1 hatte, wurde eingestellt und die andere fiel durchs Raster.[...] Ja, meine Mutter sagt und mein Vater. lass sie mal Schneiderin werden. Schneider Kösters wollte keine nehmen, seine Tochter ging ein Jahr später raus und die hat er ausgebildet. [...]Und dann war da ein Geschäft neben "Ihr Platz", das ist heute noch, und da war eine Schneiderin und da saß auch eine - ob die verwandt war - wenn ich von der Schule kam und da vorbei ging, dann hab ich immer gedacht, da möchtest du nicht leben in dem Haus, die hatten die Mundwinkel immer runter, mürrisch guckten die aus und da sollte ich nun die Lehre machen. Und da hab ich zu meiner Mutter gesagt, du kannst mich überall hinschicken, nur nicht dahin. [...] . Ja, sie hat auch nicht weiter gesucht. Sie hat kurz entschlossen gesagt, dann gehst du eben in die Fabrik. Und so ist es auch gekommen. Das hat mit natürlich gar nicht geschmeckt, überhaupt nicht. Ich weiß noch, ich hab geheult, als ich das erste Mal zur Arbeit gegangen bin."

Sie hat dann nach zwei Jahren noch eine hauswirtschaftliche Lehre gemacht in Bielefeld, um dann mit 18 Jahren die Möglichkeit zu haben, Krankenschwester zu werden. Es wird jedoch nichts daraus, da der zukünftige Ehemann es lieber sieht, wenn sie sich in der Nähe eine Arbeit sucht.
"Ich bin dann zurück. Er konnte inzwischen dann eine Wohnung kriegen, aber in dem Jahr mussten wir dann noch standesamtlich heiraten, um überhaupt dafür infrage zu kommen. Ja, und dann bin ich ein Jahr in eine Näherei gegangen, um einfach Geld zu verdienen. Ja und dann haben wir 1961 im Dezember geheiratet." [111]

Zeitzeugin Christine ist in einer schwierigen Lage nach der Schulzeit, da der Vater verstorben und die Mutter krank ist. Sie bleibt zu Hause und macht den Haushalt und als es der Mutter wieder besser geht, arbeitet sie in der Textilfabrik.

Die Familien sind auf zusätzliches Einkommen und damit eine möglichst schnelle Erwerbstätigkeit angewiesen. Für Mädchen gilt immer noch die hauswirtschaftliche Ausbildung als geeignet, da sie wie die Zeitzeugen in den meisten Fällen mit der Heirat ihre berufliche Tätigkeit aufgeben. Im Handwerk war es immer üblich, Lehrlinge einzustellen, die zur Verwandtschaft gehörten oder zumindest persönlich bekannt waren. Der Zugang zu höherer Schulbildung und zum Studium war erschwert durch die damit verbundenen Kosten und für ärmere Bevölkerungsgruppen nicht erreichbar. [112]

Die Zeitzeugin Gabi, die 1963 aus der Schule in St. Arnold entlassen wird, berichtet, dass es für sie nicht schwierig war, eine Lehrstelle als Einzelhandelskauffrau zu finden. Sie hat eine Bewerbung geschrieben und sofort eine Zusage in Rheine bei Karstadt bekommen. In Rheine fand für sie auch die Berufsschule statt. Gabi musste mit dem Fahrrad bis nach St. Arnold zum Bahnhof fahren und von dort aus mit dem Zug nach Rheine.

Auch Zeitzeuge Helmut hat sich auf einen Hinweis eines Nachbarn hin auf eine Lehrstelle beworben und hatte das große Glück genommen zu werden. Die Lehre war in Münster und er war im Lehrlingsheim untergebracht. Nur manchmal kam er am Wochenende nach Neuenkirchen. Im ersten Lehrjahr gab es 8 Mark und die Arbeiterrückfahrkarte kostete 3,20 Mark. "Da blieb nicht mehr viel." Kost und Logis im Lehrlingsheim war allerdings dann frei, deswegen war das so wenig. Sehr viele aus der Klasse gingen ohne Lehre in die Fabrik. [113]

Der Zeitzeuge Josef macht nach Ende der Volksschule eine Lehre als Zweiradmechaniker in einem kleinen Fahrradgeschäft in Rheine, da es für seinen Berufswunsch Autoschlosser keine Lehrstelle gab. Er bekam 25 Mark 'Erziehungsbeihilfe', wovon er 20 Mark abgeben musste und 5 Mark sparen durfte. Von den 20 Mark wurde dann aber die Zugfahrkarte nach Rheine gekauft, die 14 Mark kostete.
"Ich hab dann einen Henkelmann bekommen, worin Reis mit Zimt und Zucker waren, das hab ich mir übergegessen....Das hab ich mir im Kolpinghaus in Rheine aufwärmen lassen und hab dafür 10 Pfennig bezahlt. Und für 20 Pfennig hab ich 'ne Suppe genommen dazu." [114]

Da er nach der Lehre dort nicht weiter beschäftigt werden konnte, machte er doch noch die gewünschte Lehre zum Autoschlosser bei Beresa in Emsdetten. Dort hat er noch nach der Arbeit an der Tankstelle bedient und Autos gewaschen, um sich zusätzlich Geld zu verdienen.

Schwierig ist es für ehemals selbstständige Gewerbetreibende, sich eine Existenz in der neuen Heimat aufzubauen. So verhandelt der Gemeinderat häufig über Anträge, in denen es um die Zulassung von Gewerbebetrieben nicht nur von Ostvertriebenen geht. Wenn bereits gleichartige Unternehmen bestehen, werden diese Anträge häufig abgelehnt.

Mit den größten Schwierigkeiten haben jedoch die vertriebenen Landwirte zu kämpfen, die in ihrer Heimat selbstständig gewesen waren. Fast die Hälfte der 1947 in Nordrhein Westfalen untergekommenen Bauern war in der Heimat selbstständig. Die langwierigen Siedlungsverfahren führen jedoch in der Regel nur zu Nebenerwerbsstellen, nur wenige zu Vollbauernstellen. [115] In einer Niederschrift des Kreisvertriebenenbeirats vom 24.03.1950 wird für Neuenkirchen festgestellt, dass 113 Landwirte registriert sind, von denen 67 siedlungsfähig und willig sind, 20 von ihnen sind in der Landwirtschaft als Knechte tätig. Die Jungen wandern in die Industrie ab. Die Gemeinde Neuenkirchen füllt im September 1950 in einem Fragebogen der Kreisverwaltung aus, dass sie an allgemeinen Flüchtlingskrediten einschließlich landwirtschaftlichen Krediten bisher 29.300 DM gewährt hat. Danach konnten sesshaft gemacht werden: 34 Handwerker und Gewerbetreibende und drei Landwirte. [116]

Zeitzeugin Gertrud berichtet, dass die Schwiegereltern 2.500 qm Land bekamen. Voraussetzung war, dass sie früher landwirtschaftliche Fläche gehabt haben. Sie konnten so Kartoffeln anbauen und Getreide. Es gab einen kleinen Stallanbau, so dass man Schweine halten konnte und Hühner. Es gab ein Darlehen der Bonner Sparkasse für die Finanzierung. [117]

So ist noch im Jahr 1961 in einer Statistik erkennbar, dass es in der Struktur der Erwerbstätigkeit deutliche Unterschiede gibt zwischen nichtvertriebenen und vertriebenen Personen: [118]

Struktur der Erwerbstätigkeit in Neuenkirchen, 1961

Der feste Wille, sich in der neuen Heimat etwas aufzubauen und den sozialen Status zu verbessern, hat bei vielen zu einer enormen Arbeitsanstrengung geführt. Zwei Zeitzeuginnen, die in St. Arnold als Kinder von Flüchtlingen geboren wurden, berichten, dass sie als Kind ihren Vater kaum gesehen haben, da er neben der regulären Arbeit noch zusätzlich in der Landwirtschaft mithalf. Uwe Kleinert vermerkt in seinem Beitrag:
"Im Rahmen der Verarbeitung ihres Heimatverlustes und aufgrund ihrer schlechteren Startbedingungen zeichneten sie sich aber durch einen stärkeren Drang nach höherem Lebensstandard aus und legten schärfere Maßstäbe an Anstand, Sauberkeit, Arbeitsethos, Fleiß und Außenwirkung." [119]

Diese Einschätzung kann ich auch bei meinen Zeitzeugen wahrnehmen.
 
 
 

4.5 Die Kirchen

 
 
 

4.5.1 Die Struktur der Religions-
zugehörigkeit in Neuenkirchen

 
 
 
Die Statistik der Volkszählungen von 1939 und 1950 zeigt deutlich die Veränderung, die in der Struktur der Religionszugehörigkeit in der Nachkriegszeit in der Gemeinde Neuenkirchen stattgefunden hat:

Wohnbevölkerung Neuenkirchens nach Religionszugehörigkeit [120], Ergebnis der Volkszählung vom 17.05.1939

Wohnbevölkerung Neuenkirchens nach Religionszugehörigkeit, Ergebnis der Volkszählung vom 17.05.1939

Der Anteil der evangelischen Christen im Jahr 1939 beträgt 1,2 %; der Anteil der katholischen Christen 98,3 %.

Wohnbevölkerung Neuenkirchens nach Religionszugehörigkeit, Ergebnis der Volkszählung vom 13.09.1950
 
 
 
Jetzt beträgt der Anteil der evangelischen Christen 7,8 % (einschl. der freik. ev.), der Anteil der katholischen Christen 92 % . Es handelt sich bei den evangelischen Christen also immer noch um eine kleine Minderheit in Neuenkirchen. Die Veränderung der Strukturen war in anderen Orten erheblich stärker. Auch in rein evangelischen Orten entstanden plötzlich katholische Gemeinden. Wenn Vertriebene in weithin geschlossene Gebiete anderer Konfession kamen, stießen sie häufig nicht nur als Vertriebene, sondern auch als Andersgläubige auf Vorurteile. Die Fremdheitserfahrung wurde dadurch für sie noch erheblich verstärkt. [121]
 
 
 
Nicht nur die evangelischen Vertriebenen mussten sich in Neuenkirchen mit dieser neuen Situation auseinandersetzen. Es ist in der Statistik gut zu erkennen, dass eine große Gruppe katholischer Vertriebener in Neuenkirchen angekommen ist. So stammt z.B. die Gruppe der Schreibendorfer aus dem überwiegend katholischen Teil Schlesiens. Es gab zwar bei den Katholiken keine Bekenntnisunterschiede, jedoch durchaus unterschiedliche liturgische Bräuche und kirchliche Mentalitäten. Die Vertriebenen treffen auf ein "anscheinend unerschütterliches katholisches Mehrheitsmilieu". [122]
 
 
 

4.5.2 Die katholischen Kirchen

 
 
 
Die St. Anna - Kirche wurde in den Jahren 1896 bis 1899 im neuromanischen Stil erbaut und prägt das Ortsbild von Neuenkirchen. Für Neuenkirchen gibt es nach dem Zweiten Weltkrieg neben der katholischen Kirchengemeinde St. Anna das Missionshaus in St. Arnold. Seit 1941 ist dem Missionshaus St. Arnold ein eigener Pfarrbezirk zugeteilt aus Teilen der Bauerschaften Sutrum-Harum und Dorfbauerschaft. Ein Pfarrrektor des Missionshauses betreut den Pfarrbezirk. [123]

Im Jahr 1960 wird in St. Arnold die St. Josefkirche geweiht, später werden ein Jugendheim und ein Kindergarten gebaut.

In die Betreuung der Flüchtlinge und Vertriebenen sind sowohl die Gemeinde St. Anna als auch das Missionshaus intensiv eingebunden, das geht von der Mitarbeit im Flüchtlings- und Wohnungsausschuss bis zu Sammlungen und Verteilung lebensnotwendiger Güter. Die Zeitzeugin Carolin erinnert sich an einen Pater aus dem Missionshaus, der die Familie mit Kleidung und Matratzen versorgt.

Die Kinder der katholischen Vertriebenen finden über die Teilnahme an der Kommunionvorbereitung und der Tätigkeit als Messdiener schnell in die kirchliche Gemeinschaft hinein. Zeitzeuge Helmut ging 1948 in St. Anna zur Erstkommunion.
"Ich sollte auch erst in Holzschuhen zur Erstkommunion gehen, ich hatte keine Schuhe. Da hat aber der Pfarrer Focke, im letzten Moment sind da noch ein Paar Schuhe aufgetrieben worden." Ein Kommunionbild konnte sich die Familie nicht leisten. "Der einzige, der hier in Neuenkirchen Fotografien machte, verlangte 200 Reichsmark und 1 Pfund Speck für ein Bild. Ich bekam einen Schlitten von meinem Onkel aus dem Sauerland und ein paar Brettchen Sperrholz, um Laubsägearbeiten machen zu können."

Die Familie ging auch von St. Arnold aus noch zur Kirche St. Anna, Helmut war dort auch als Messdiener tätig. [124]

Messdienen war eine sehr beliebte Tätigkeit auch bei dem Zeitzeugen Josef im Missionshaus St. Arnold. Dort fanden Hochzeiten statt, wenn die Braut schwanger war und die Trauung von den Priestern in den umliegenden Orten nicht vorgenommen wurde. "Hier können Sie nicht heiraten", hieß es und dann sind sie nach St. Arnold gekommen. Und das war für die Messdiener ein guter Verdienst. Wenn man gratulierte, bekam man einen kleinen Obolus. [125]

Eine Besonderheit bilden die Wallfahrten der Vertriebenen, u.a. nach Telgte und Werl und Eggerode. Wallfahrten hatten in den Herkunftsgebieten eine große Tradition. Michael Hirschfeld spricht in seiner Fallstudie davon, dass gerade menschliche Notsituationen wie Armut, Arbeitslosigkeit, fehlende Verwurzelung und menschliche Geborgenheit grundsätzlich einen Hang zu intensivierter Religiosität mit sich bringen. [126] Hinzu kommt, dass es in den Anfangsjahren nach dem Krieg das Koalitionsverbot [127] der Militärregierung gibt und diese Wallfahrten eine willkommene Gelegenheit sind, Verwandte, alte Nachbarn und Freunde, die es in andere Orte verschlagen hat, wieder zu sehen. So gibt es seit 1947 die Glatzer Wallfahrt nach Telgte, bei der es zu landsmannschaftlichen Treffen kommt. Diese Wallfahrt ist auch für die Neuenkirchener Vertriebenen ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens in Westfalen geworden.

Die Zeitzeugin Walburga hat an dieser Wallfahrt regelmäßig bis heute teilgenommen, obwohl die Zahl der Teilnehmer immer geringer wird.

Insbesondere die Wallfahrten nach Werl haben nicht nur einen religiösen Charakter. Der politische Charakter ist unter der Leitung des St. Hedwig-Werkes nach der Gründung der Bundesrepublik ausgeweitet worden. Damit erhofft man sich auch eine Magnetfunktion für weniger kirchlich eingestellte ostvertriebene Katholiken. Der aus Glatz gebürtige Generalvikar Monse hat bereits 1947 ein Memorandum des britischen Außenministers Bevin zur Rückgabe Schlesiens verlesen lassen. In Folge nehmen CDU-Minister an den Veranstaltungen teil, die ihren Höhepunkt 1953 mit einem Auftritt des Bundeskanzlers Adenauer vor 60.000 Zuhörern erreichen. [128]

An eine Wallfahrt nach Eggerode erinnert sich auch der 1950 in St. Arnold geborene jüngste Sohn des Lehrers Anton Bednorz, der spätere Nobelpreisträger für Physik Hans-Georg Bednorz. Als kleines Kind machte er "schlapp" und wurde von dem Pater Hartelt des Missionshauses , dessen wesentliche Merkmale ein Rauschebart und ein Motorrad der Marke BMW waren, auf dem Motorrad mitgenommen. [129]
 
 
 

4.5.3 Die evangelische Kirche

 
 
 
Für die Betreuung der geringen Anzahl evangelischer Christen in Neuenkirchen ist die Kirchengemeinde Jakobi in Rheine zuständig. Als jedoch nach dem Krieg die Anzahl der Gemeindemitglieder in den bisher rein katholischen Außenbezirken der Jakobigemeinde durch die Vertriebenen ansteigt, schickt die Kirchenleitung im Januar 1946 "Flüchtlingspfarrer" Hans Matthes nach Rheine , der die Soldaten in den Lazaretten und die Flüchtlinge in den umliegenden Gemeinden betreuen soll. In den Zuständigkeitsbereich der Jakobigemeinde gehören bis Dezember 1948 acht Predigtstätten: Rheine- Stadt, Neuenkirchen, Wettringen, Flüchtlingsaltersheim Haus Sonnenschein, Flüchtlingsaltersheim Haus Eichendorff, Gefängnis, St. Arnold und Hauenhorst. [130]

Die Neuorganisation erfolgt ab 1950. Der Nachbarort Wettringen, der ursprünglich von der evangelischen Gemeinde in Ochtrup versorgt wurde, aber wegen der Krankheit des zuständigen Pfarrers von Rheine übernommen worden war, wird mit Neuenkirchen und St. Arnold zu einem Bezirk zusammengefasst, der aber weiterhin von Rheine verwaltet wird. In dieser Zeit erhält Wettringen bereits eine neue Kirche, die von der Evangelical and Reformed Church aus den USA gestiftet und 1950 fertiggestellt und eingeweiht wird. Im März 1950 erhält die Gemeinde in Rheine eine zweite Pfarrstelle zugewiesen mit Sitz in Neuenkirchen. Diese Pfarrstelle wird mit Pfarrer Hans Matthes besetzt und am 01.04.1951 auf die neu eingerichtete Kirchengemeinde Neuenkirchen Wettringen übertragen. [131]

Neben der Kirche in Wettringen entsteht auch ein Pfarrhaus, so dass Pfarrer Matthes im Oktober 1951 mit seiner Familie nach fünf Jahren in dem Behelfsheim in St. Arnold einen angemessenen Wohnsitz erhält. Seine wiederholten Anträge an die Gemeinde Neuenkirchen auf Zuweisung einer Wohnung im Ort, in der er für seine Gemeindeglieder besser erreichbar sei, schlugen fehl. Die Wohnungen wurden an Einheimische vergeben. In der Bevölkerung wurde auch die Meinung vertreten, dass die Familie Matthes die Wohnung nicht bekommt, läge daran, dass sie evangelisch sei. Pfarrer Matthes verfasst aus diesem Grund einen umfassenden Beschwerdebrief an den Oberkreisdirektor, in der er die Vergabepraxis der Wohnungskommission kritisiert. [132]

Die Bemühungen um geeignete Gottesdiensträume gestalten sich in Neuenkirchen etwas schwieriger. Der erste Gottesdienst findet am 10.03.1946 im Tagesraum des Kindergartens im Antoniusstift mit 34 Personen statt. Da der Pfarrer ebenfalls aus Schlesien stammt und die liturgische Form des Gottesdienstes "wie zu Hause" ist, wird der Raum bald zu klein. Nach kurzer Gastzeit in der Feldhofschule werden für längere Zeit Räume in der Kreisberufsschule zur Verfügung stehen, zuerst in Klassenräumen, danach im noch unbenutzten Obergeschoss. [133] Am 04.12.1946 genehmigt der Gemeinderat Neuenkirchen die beantragte Überlassung von zwei Räumen in der Berufsschule: leihweise, auf jederzeitigen Widerruf, ohne Forderung einer Mietentschädigung. Die Trennwand zwischen den Räumen muss auf Kosten der evangelischen Kirchengemeinde entfernt werden und das Material so gelagert werden, dass es wiederverwendet werden kann. Weihnachten 1946 wird erstmalig der Gottesdienst in einem eigenen kirchlichen Raum gefeiert. Bis Mai 1953 werden dort alle Gottesdienste stattfinden, dann werden auch die oberen Räume für Zwecke der Schule benötigt. Taufen und Konfirmationen der Zeitzeugen fanden in diesen Räumen in der Berufsschule statt.
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Konfirmationsbild der Zeitzeugin Gertrud, die noch in den Räumen der Berufsschule konfirmiert wurde
 
 
Die Zeitzeugin Barbara wird im Jahr April 1947 ebenso wie ihr Bruder in den Räumen der Berufsschule konfirmiert.
"'Es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade'. Das ist mein Konfirmationsspruch." [134]

Zeitzeugin Gabi wurde hier getauft, Zeitzeugin Gertrud ist ebenfalls in diesen Räumen konfirmiert worden. Bis zur Fertigstellung des Neubaus einer Kirche finden noch Gottesdienste in der Kapelle des Marienhospitals statt, parallel dazu in St. Arnold im Pfarrsaal des Missionshauses und in der Werkstatt der Familie Grund, zuletzt auch in der Schulbaracke in St. Arnold.

In der Ratssitzung vom Dezember 1946 wird auch der Antrag auf Überlassung von Gelände für einen evangelischen Friedhof und die Errichtung einer Notkirche gestellt. Das wird von den Ratsmitgliedern abgelehnt. Es sei jedoch nichts dagegen einzuwenden, dass die evangelischen Toten einen bestimmten Platz auf dem Kommunalfriedhof bekommen. [135] In dem WDR-Dreiteiler "Flüchtlinge und Vertriebene an Rhein, Ruhr und Weser" erinnert sich ein 1946 in Neuenkirchen gestrandeter Flüchtling daran, dass die evangelischen Toten nicht durch den Haupteingang des Friedhofs über den katholischen Teil zum neu eingerichteten hinteren evangelischen Teil getragen werden durften. Sie wurden stattdessen von hinten über den Zaun gehoben. [136] Derartige Spannungen müssen keine Einzelfälle gewesen sein, da den evangelischen Pfarrern eine Anweisung des erzbischöflichen Generalvikariats Paderborn weitergeleitet wurde, von der sie entsprechend in geeigneten Fällen Gebrauch machen könnten. In dieser Anweisung werden die katholischen Pfarrer des Sauerlandes gehalten, die Beerdigung von evangelischen Ostvertriebenen auf katholischen Friedhöfen zu gestatten, soweit kein eigener oder kommunaler Friedhofsteil vorhanden ist. Sogar das Läuten der Kirchenglocken sollte gestattet werden. [137]

Im Jahr 1948 wird der Antrag gestellt und von Pfarrer Matthes erläutert, der evangelischen Gemeinde Baugelände auf dem Mühlenfeld zur Verfügung zu stellen. Dies wird jedoch ausgeschlossen, da das Mühlenfeld für Friedhofszwecke vorgehalten werden soll. Der Rat beschließt, an die katholische Gemeinde heranzutreten, um ein Grundstück gegen Tausch von Gelände zur Erweiterung des katholischen Friedhofs zu erhalten. [138] Die katholische Gemeinde antwortet darauf, dass das Mühlenfeld für Friedhofszwecke erhalten bleiben muss, und sie kein Baugelände zur Verfügung stellen kann. [139]

Am 10.03.1953 beraten die Gemeindevertreter erneut über die Grundstücksangelegenheit der evangelischen Kirchengemeinde. Das Protokoll vermerkt:
"Bürgermeister Lorenbeck trug den Antrag der evgl. Kirchengemeinde auf Überlassung eines etwa ½ Morgen großen Gemeindegrundstücks neben der Kreisberufsschule zum Bau einer Diasporakapelle vor. Inzwischen habe sich ergeben, daß die evgl. Kirchengemeinde für ihren Kirchenbau an günstigerer Stelle (Ecke Emsdettener Str. und Ringstraße) von Brüning und Janning ein Baugrundstück erhalten könne, jedoch der geforderte Kaufpreis von 5.- DM pro qm als zu hoch von der übergeordneten Kirchenleitung angesehen würde. Nach längerer Beratung beschloß die Gemeindevertretung, der evgl. Kirchengemeinde beim Erwerb dieses günstigeren Baugeländes durch Übernahme eines Teils des Kaufpreises zu helfen. Die Gemeindevertretung war der Ansicht, daß auch die kath. Kirchengemeinde der evgl. Kirchengemeinde durch einen Zuschuß zu den Kosten des Grunderwerbs helfen müsse. Man war der Meinung, daß, wenn die Hälfte des Kaufpreises von der evgl. Kirchengemeinde getragen und die andere Hälfte von der kath. Kirchengemeinde und der Gemeinde zu gleichen Teilen übernommen würde, dies eine gute Lösung bedeute. Die weiteren Verhandlungen sollen abgewartet werden." [140]

Nach längeren Verhandlungen kommt es zum Kauf des Grundstücks an der Emsdettener Straße von dem Zigarrenmacher Heinrich Brüning und dem Bäckermeister Hubert Janning. Zu dem Kaufpreis leistet die politische Gemeinde einen Beitrag von 1.500 DM. Der Architekt Zosel, der Mitglied der evangelischen Gemeinde in Wettringen ist, plant den Neubau der Kirche und führt ihn auch durch. Die Finanzierung muss durch viele Spenden mitgetragen werden; ein für damalige Zeiten hoher Anteil von 4.000 DM wird durch eine Haussammlung in der katholischen Gemeinde aufgebracht. [141]

Die beiden evangelischen Kirchen der Gemeinde in Wettringen (Friedenskirche) und Neuenkirchen (Gnadenkirche) tragen Namen, die eng verbunden sind mit der schlesischen Heimat der Gemeindemitglieder. Darauf weist Pastor Matthes auch in seiner Predigt zur Einweihung der Kirche in Wettringen hin. Friedenskirchen gibt es in Schweidnitz, Jauer und Glogau, verbunden mit dem Neubeginn des evangelischen Lebens in Schlesien nach der Gegenreformation. Ihnen folgten sechs Gnadenkirchen in Schlesien, u.a. in Landeshut und Hirschberg. Pastor Matthes gibt in der Predigt seiner Hoffnung Ausdruck, dass es auch hier Frieden gibt zwischen den Konfessionen, wie die Schlesier es bis zuletzt von zu Hause kannten. [142]
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Evangelische Gnadenkirche kurz nach der Fertigstellung


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Einweihung der Gnadenkirche , 20.06.1954


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Glockenweihe vor der Gnadenkirche
 
 
Am 20.06.1954 findet die Weihe der neuen evangelischen Kirche, die Glockenweihe und Schlüsselübergabe und eine weltliche Feier in der Gaststätte Lorenbeck statt, u.a. unter Beteiligung von Gemeindevertretern und dem Pfarrer Prinz der Gemeinde St. Anna. Zur Einweihung erhält die Gemeinde Glückwünsche vom damaligen Bundespräsidenten Heuss und als Geschenk eine Altarbibel mit Widmung. [143]

Zeitzeugin Barbara erinnert sich an die Aufbruchsstimmung in dieser Zeit in der evangelischen Kirche. Die Gottesdienste waren voll, jeder fühlte sich in der Kirche geborgen und angenommen. [144]

Abgeschlossen wird die Bautätigkeit der Gemeinde mit der Errichtung des Jugendheims und der Küsterwohnung in St. Arnold zum Ende des Untersuchungszeitraums.
 
 
 

4.6 Freizeitgestaltung

 
 
 

4.6.1 Freizeit der Kinder

 
 
 
Wie verbringen Kinder ihre Zeit, denen es an Lebensmitteln und Kleidung mangelt, für die kein Spielzeug vorhanden ist, für die es noch keine Kinderspielplätze, Musikschulen, Sporthallen gibt?

Zeitzeugin Gertrud:
"Die hatten alle kein Spielzeug. Wir haben draußen gespielt. Wir haben alle nichts vermisst.[...] Wir haben einfach uns gehabt, wir haben gespielt, wir haben was erfunden zum Spielen. Keiner hatte 'nen großartigen Puppenwagen, ich hatte am Anfang nicht mal Puppen. Ich habe dann mal Stoffpuppen gekriegt. Eine hatte einen Holzkopf, mit der wollten immer alle anderen spielen, nur ich nicht. [...] Als ich dann später eine andere haben wollte, hat meine Mutter gesagt, du bist jetzt groß, du brauchst keine mehr." [145]

"Wir haben zwar nicht das gehabt, was unsere Kinder heute haben, in materiellen Dingen hauptsächlich, aber wir waren trotzdem froh und glücklich. Wir haben draußen gespielt, wir haben im Wald gespielt, wir haben Pilze gesucht." [146]

"Wir haben nichts vermisst." Das ist eine häufige Auskunft der Zeitzeugen, die ihre Kindheit in der neuen Heimat verbringen und unter materieller Not leiden, aber nicht unter seelischer Not, wenn sie sich geborgen fühlen in der Familie. Gerade die trostlose Wald- und Heidelandschaft St. Arnolds hat für Kinder offensichtlich viel zu bieten.

Die Zeitzeuginnen Bettina und Inge berichten:
"Wir hatten ja noch das Birkenwäldchen vorm Haus. Das war eben ganz toll. Ich fand unsere Kindheit ganz toll, auch so vom Spielen her."

In den Ferien ging es mit Decke und Proviant zum Blaubeerpflücken in den Wald. Das war ein kleiner Ausflug mit Müttern und Nachbarkindern."Und dann gab es natürlich diesen tollen Blaubeerkuchen mit Streuseln." Und Pilze sammeln haben sie dort auch gelernt. [147]

So erinnert sich Hans-Georg Bednorz an Streifzüge mit den älteren Kindern und seinen Brüdern zu den Baggerlöchern, wo sie die Sandloren aus den Schienen gestoßen haben. Sie haben Baumhäuser und Bunker gebaut und Löcher in die Erde gegraben. [148]

"Am Baggerloch hab ich Schwimmen gelernt", erzählt Zeitzeugin Carolin, obwohl ihr Vater verboten hatte dorthin zu gehen. Im Sommer gingen aber alle dorthin, obwohl es gefährlich war. [149]
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Badevergnügen am Baggerloch in St. Arnold; eines der Baggerlöcher wurde "Marokko" genannt
 
 
Auch Zeitzeuge Josef hat an den Baggerlöchern viel Zeit verbracht und Schwimmen gelernt. Außerdem hat er an dem einen Baggerloch Sand geschippt. Für 1 m3 Sand gab es 50 Pfennig. "Es war für einen kleinen Jungen sehr viel Arbeit. [...] Und so hab ich mir auch mal ein Fahrrad zusammen gespart." Für Aufräumarbeiten beim Bäcker gab es auch mal ein Eis.

Außerdem hat er Schrott gesammelt. In St. Arnold gab es einen Munitionszug, der bombardiert wurde und explodiert ist. Da waren viele Splitter im Umkreis verstreut. Diese Teile haben die Jungen gesammelt und dann vom Schrotthändler etwas Geld bekommen. "Für das Geld hat man sich mal eine Tüte Hustelinchen gekauft." [150]

Der Zeitzeuge Helmut erinnert sich an einen Spielplatz der besonderen Art in Neuenkirchen, den alten Panzerfriedhof.
"Da waren kaputte Panzer, da waren kaputte Lastwagen, englische, und da tummelten wir uns. Da holten wir Sachen raus. Was ich raus geholt hab, das waren Kupferdrahtspulen. Die brauchten wir, um Sicherungen zu flicken."

Von St. Arnold aus ist er nicht mehr dort gewesen, es wurde auch abgesperrt.

Helmut hat auch Kinderschützenfest mitgefeiert. Damit dafür Kuchen gebacken werden konnte, sollten er und sein Freund Mehl kaufen, das zu der Zeit knapp war. Sein Freund, auch Flüchtlingskind, hat nichts bekommen. Dann ist er hingegangen, hat plattdeutsch gesprochen und hat das Mehl bekommen. Der Vogel beim Kinderschützenfest wurde mit dem Knüppel runtergeholt.

In St. Arnold haben die Jungen draußen Fußball gespielt und Indianer in den 'Urwäldern', dort, wo die Flakstellung war. Sie haben damals auch Schwarzpulver gefunden. [151]

Für die Zeitzeugin Waltraud ist die Kindheit jedoch abrupt zu Ende mit der Ankunft in Neuenkirchen und der getrennten Unterbringung von den Eltern. Sie muss nach dem Schulunterricht Socken stopfen und Kartoffeln schälen, um für ihren Unterhalt eine Gegenleistung zu erbringen. Von älteren Geschwistern (Mädchen) wird auch selbstverständlich erwartet, dass sie Arbeiten im Haushalt übernehmen und auf ihre jüngeren Geschwister aufpassen.
 
 
 

4.6.2 Freizeit der Jugend

 
 
 
Die Britische Militärregierung hat im Kreis Steinfurt, wie auch in anderen Kreisen für die Jugend Sommerfreizeiten durchgeführt. Im Monatsbericht vom September 1948 werden 38 Camps mit 1.800 Teilnehmern für den Kreis Steinfurt genannt. Die Mehrheit der Teilnehmer (60 %) sind Flüchtlinge. Für die medizinische Kontrolle und Versorgung war der Medical Officer of Health zuständig. Es wurden Gewichtszunahmen bis zu 8 lbs. festgestellt! [152]

In dem Verwaltungsbericht des Kreises Steinfurt der Jahre 1945/1946 bis 1955/1956 werden auch die Bemühungen für die Jugendlichen im Kreis dargestellt. Bis zum Berichtsende gibt es 40 Jugendheime im Kreis und 9 Ortsjugendringe, denen rund 190 große als förderungswürdig anerkannte Jugendgruppen angehören. Im Jahr 1951 verteilen sich die organisierten Jugendlichen auf folgende Gruppen: [153]

Mitgliederzahlen in Jugendringen
 
 
 
Die Konzepte der Jugendringe sahen vor: Belange des Jugendschutzes, Bekämpfung jugendgefährdender Schriften, Sauberkeit der Filme. In der Ausbildung der Jugendleiter wurde Wert gelegt auf die staatsbürgerliche Schulung und Anregungen für die Freizeitgestaltung, z.B. Musik, Laienspiele, Handwebkurse. Wanderfahrten und Zeltlager wurden gefördert und jährlich ein Kreissportfest veranstaltet. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Elternpädagogik gelegt. "Deshalb muß man zunächst die Eltern entsprechend vorbereiten, wenn man die Kinder und Jugendlichen beeinflussen will." [154]
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Vorbereitung auf die Karnevalsveranstaltung
 
 
In Neuenkirchen wird einiges aus den Konzepten des Kreises umgesetzt. Es gibt u.a. die katholische und evangelische Jugend, die Pfadfinder und den Sportverein 'Spiel und Sport' von 1909, deren Veranstaltungen gefördert werden.

Folgerichtig im Denken dieser Zeit findet sich auch mit Unterstützung des evangelischen Hilfswerks ein Krankenpflege- und Säuglingskurs für die Mädchen im Angebot von 1955 und zwei Jahre später ein hauswirtschaftlicher Lehrgang , in dem neuzeitliches Kochen und Backen, Weben, Handarbeiten und Heimgestaltung vermittelt wird. Außerdem gibt es ein Rundgespräch über lebenskundliche Fragen. [155]

Zeitzeugin Carolin ist in einer katholischen Mädchengruppe in St. Arnold, die für ein paar Tage kostenlos ins Sauerland fährt und dort in Familien untergebracht wird. Sie besichtigen dabei ein Mädchenpensionat, in dem 'höhere Töchter' Hauswirtschaft erlernen. In den regelmäßigen Treffen dieser 'Frohschar'-Gruppe werden Lieder geübt und Vorträge der Missionare angehört. "Da sind wir auch aufgeklärt worden durch den Pater." [156]

In den Angeboten, die der Kreis Steinfurt macht, findet sich z.B. der Werk- und Bastelkurs "Papier und Glas, wie schön wird das" oder 1958 ein Münsterländischer Heimattag "Durch Wandern zur Heimat [...] Ostdeutsche, westdeutsche und niederländische Jugend singt und tanzt". Es wird dazu aufgerufen, folgende Tänze einzuüben: "Junges Volk, man rufet Euch; Rosentor; Schwarzedener". [157]

Das Kino spielt in dieser Zeit eine bedeutende Rolle. Zeitweise gibt es in Neuenkirchen zwei Kinos, die zu Treffpunkten der Jugend werden. Mehrfach hat der Gemeinderat die Errichtung eines zweiten Kinos abgelehnt, ebenso weitere Tanzveranstaltungen. Aufgehalten hat er den Trend der Zeit nicht.

Die evangelische Jugend hat 1958 die Möglichkeit, an einer Wochenendveranstaltung mit dem Film "Wir Wunderkinder" teilzunehmen, einer der wenigen Filme aus dieser Zeit, der sich kritisch mit der NS-Zeit befasst.

Bereits 1957 findet für die evangelische Jugend ein gemischtes Wochenende (für Jungen und Mädchen ab 17 Jahre) in der Jugendherberge Gronau statt mit einem Referat: Rock and Roll - außer Rand und Band". Über Teilnahme und Erfolg der Veranstaltung ist nichts bekannt. [158]

Zeitzeugin Gertrud erinnert sich an den evangelischen Jungmädchenkreis und Veranstaltungen, an denen sie teilgenommen hat. An eine kirchliche Freizeitveranstaltung erinnert sie sich besonders:
"Die Pastoren im Kreis hatten sich etwas ausgedacht. Damit es nicht so viele Mischehen gab, haben sie ein Heiratsseminar gemacht, "Verliebt, verlobt, verheiratet" hieß es, jeder Pastor hat Beiträge geleistet.[...] Das war riesig gut besucht. Dann machen wir auch einen Abschlussball. Das war in Burgsteinfurt im Lutherhaus. Wir fanden das alle prima. Ihr könnt auch alle einen Freund oder eine Freundin einladen. Denn das muss ja ein bisschen bunt gemischt werden. Und an dem besagten Abend, es war ein paarmal getanzt worden und es war auch wirklich schön, da hat der Pfarrer Nolting aufgerufen und gefragt' wer hat denn einen katholischen Freund oder Freundin mitgebracht?' Und es stand ungefähr die Hälfte auf. (Lachen) Und genannt haben wir das Ganze dann 'Mischehenverhütungsball'. Das war doch logisch. Die meisten hatten doch katholischen Umgang. Da hat er gesagt: 'Um Himmels willen, heiratet bloß nicht alle, sonst sind wir schuld'."

An den evangelischen Jungmädchenkreis erinnert sich auch die Zeitzeugin Barbara. Sie berichtet von der Gemeindehelferin Frl. Torhaus, die sehr viel getan hat für die Gemeinde und die weit und breit als erste ein Moped hatte. In dem Mädchenkreis waren auch schon etwas ältere Mädchen, die allein auf Bauernhöfen hauswirtschaftlich tätig waren. In dem Kreis wurden Kirchenlieder und Volkslieder gesungen und z.B. Theater für die Kirchengemeinde gespielt.
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Die Sing- und Spielschar der Ostvertriebenen
 
 
Eine sehr lebendige Gruppe war nach Barbaras Auskunft die Sing- und Spielschar der Ostvertriebenen, eine richtige Heimatgruppe für alle Ostvertriebenen - ob katholisch oder evangelisch, das spielte keine Rolle in der Gruppe. Es gab die 'Flüchtlingsvergnügen 'mit Theater und Tanz. Ein Highlight war das Schweinschlachten mit dem Wurstverkauf und dem gemeinsamen Essen: Wellfleisch, Kartoffelbrei und Sauerkraut. [159]

Schwieriger als für die Jugendlichen aus dem Dorf ist es für die St. Arnolder, wenn sie sich in ihrer knapper als heute bemessenen Freizeit mit Gleichaltrigen treffen wollen. Von St. Arnold sind die Wege ins Dorf weit. Das Fahrrad als Transportmittel ist unbedingt notwendig, Moped und Motorrad sind die ersten Träume der Jungen. Die ersten Freundschaften aufrecht zu erhalten, wenn sie außerhalb des engeren Umfelds Neuenkirchens geschlossen werden, ist erheblich schwieriger als heute.

Die Zeitzeuginnen Carolin und Walburga und auch der Zeitzeuge Helmut erinnern sich an regelmäßige Kinobesuche. Das Fahrrad für die St. Arnolder wurde bei dem Fahrradhändler Krehenwinkel abgestellt und das Kino fand bei Niehues auf dem Saal statt oder im 'Deli' bei Diercksen, samstags und sonntags.
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Gebäude, in dem das Kino Niehues untergebracht war
 
 
An einen Eintrittspreis von 50 Pfennig für die Matinee am Sonntag erinnert sich Helmut. Walburga weiß noch, dass es einem jungen Mann bei einem im Aufklärungsfilm dargestellten Kaiserschnitt schlecht wurde. Tanzstunden hat Walburga nicht mitgemacht, aber sie ist tanzen gegangen bei 42 [160] und Kuhnt [161]. Da sie nicht singen konnte, kam der Sing- und Spielkreis der Vertriebenen für sie nicht in Frage, aber sie hat sich die Aufführungen angesehen. [162]

Zeitzeugin Carolin erinnert sich, dass die Tanzveranstaltungen sonntags abends stattfanden und man doch am nächsten Morgen wieder arbeiten musste. Sehr häufig sind sie daher nicht dort gewesen. [163]

Zeitzeugin Gabi berichtet, dass sie nach ihrer Schulentlassung und Konfirmation abends zu Hause sein musste. Auch als es das evangelische Jugendheim in St. Arnold schon gab, durfte sie noch nicht dorthin. Für ihre sechs Jahre jüngere Schwester galten diese strengen Regeln später nicht mehr. "Ich bin dann mit einer Freundin mal ins Kino gegangen oder wir sind spazieren gegangen." Für Mitgliedschaft in Vereinen fehlte auch das Geld. [164]

Was bieten Vereine und Kirchen für die Jugendlichen in dieser Zeit? In Neuenkirchen gibt es u.a. den Sportverein 'Spiel und Sport' von 1909 mit dem nach dem Krieg in Eigenarbeit früh errichteten Waldstadion, es gibt Schützenvereine, die auch Kinderschützenfeste veranstalten.

Zeitzeuge Helmut hat im SuS 09 Fußball gespielt. Nach seiner Erinnerung waren viele Flüchtlingsjungen im Verein und dort auch integriert. Fußball und Völkerball wurden draußen gespielt, Hallen gab es anfangs nicht. Turnen war deshalb am Anfang nicht üblich. Er erinnert sich, dass es an der Knabenschule ein Reck auf dem Hof gab. Als junge Lehrer kamen, haben sie auch mal am Reck geturnt. Auf dem Sportplatz am Waldstadion wurde u.a. auch Weitsprung gemacht. In St. Arnold wurde mit den Jungen aus der Siedlung Fußball gespielt, im Baggersee ist man zum Schwimmen gegangen und sonntags trieben sie sich als Zuschauer auf den Sportplätzen herum. Bei der Fußballweltmeisterschaft hingen alle am Radio, da es in St. Arnold nur in einer Gaststätte einen Fernseher gab. Das kostete jedoch Geld und daher mussten sie alles am Radio mitbekommen. Beim SuS 09 hat auch der Fußballer Hanne Weiner aus St. Arnold gespielt, der allerdings kein Flüchtlingskind ist. Er ist zu Tennis Borussia nach Berlin gegangen, später zu Hertha BSC und Bayern München und hat auch in Amerika gespielt. Nach seiner Rückkehr aus den Staaten ist er dann nach Berlin gegangen, wo er lange Jahre eine bekannte Kneipe geführt hat. [165]

In St. Arnold existiert bereits der Schützenverein Dorfbauerschaft, der Schützenverein St. Arnold kommt im Jahr 1953 hinzu. Schon im Jahr 1950 wird aber in St. Arnold ein Kinderschützenfest gefeiert. Der TuS St. Arnold wird erst 1964 gegründet, ebenso entstehen die Jugendheime der Kirchen erst zum Ende des Betrachtungszeitraums.

Zeitzeuge Josef war als Jugendlicher beim Roten Kreuz in Neuenkirchen. Die Leiterin war die Maria Hecking, die auch im Flüchtlingsausschuss gewesen war.
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Zeltlager des Roten Kreuzes
 
 
Die Zeitzeugin Bettina, die 1957 schon in die neue Josefsschule in St. Arnold eingeschult wurde, hat dort in der Sporthalle bereits die Möglichkeit gehabt Tischtennis zu spielen. Sie und ihre Schwester fanden es schade, dass sowohl Messdienergruppen als auch Pfadfindergruppen nur für die Jungen offen waren. Als Jugendliche hat Bettina im Kirchenchor in St. Arnold gesungen.
"Wahrscheinlich waren wir im Kirchenchor, um mal abends herauszukommen.[...] Wir fuhren auch höchst selten mal mit dem Fahrrad bis Neuenkirchen. Das Freibad in Neuenkirchen, wurde gelegentlich besucht, das man über den Haarweg erreichen konnte." [166]
 
 
 

4.7 Eheschließungen

 
 
 
Wie haben die jungen Leute ihre späteren Ehepartner kennen gelernt?

"Der wohnte auch am Haarweg, genau gegenüber, da war nur die Straße dazwischen." Zeitzeugin Walburga schildert, dass sie "spätberufen" waren, 24 und 33 Jahre. Es war so, dass die Eltern froh waren, wenn ein Mädchen bei so vielen Kindern wieder heiratete, da dann wieder ein Bett in der Wohnung frei wurde. Sie waren fünf Mädchen in einem Zimmer. Ihre jüngere Schwester schlief mit der kleinsten Schwester zusammen und musste morgens vor der Frühschicht dieser die Windeln (Stoffwindeln!) wechseln. "Die hat auch vor mir geheiratet."

Der spätere Ehemann Walburgas ist auch Sohn vertriebener Eltern und auch konfessionsgleich, so dass von daher keine Probleme zu erwarten waren. Etwas ärgert aber die Zeitzeugin noch heute. Sie hatte mit ihrem Mann ein paar Jahre eine Wohnung in Rheine gesucht. Für einen Wohnungsantrag war es notwendig, dass sie verheiratet waren. Der Brautunterricht war bei Pastor Focke und sie benötigten für die Trauung in der neuen Kirche in St. Arnold die Genehmigung. Dass sie schon drei Jahre amtlich verheiratet waren, fiel dabei dem Pastor unangenehm auf und er äußerte sich entsprechend. Das nimmt sie ihm heute noch übel. "Wenn wir so ein Pastorat mit 10 Zimmern gehabt hätten, hätten wir auch eher geheiratet." [167]

Carolin hat ihren Mann mit 18 Jahren durch Freunde kennen gelernt. Er stammt aus dem Nachbarort und ist ebenfalls katholisch. Eine Zeit lang ließ er sich nicht mehr blicken, weil sein Vater die Freundschaft mit einem Flüchtlingsmädchen nicht billigte. Die Mutter hat jedoch nichts dagegen und bei einem Besuch lernt der kranke Vater sie kennen. "Ab da war es gut." Sie ist nach der Heirat mit ihrem Mann in den Nachbarort Hauenhorst gezogen. Carolin erzählt, dass auch zwei Schwestern einheimische Neuenkirchener geheiratet und in St. Arnold gebaut haben. [168]

Gertrud heiratet ebenfalls einen Ostvertriebenen.
"Der wohnte in St. Arnold direkt hinter der Haarwegssiedlung. Ich kannte ihn schon als Schulmädchen, aber da war nichts. Und wir haben uns bei einer Karnevalsveranstaltung dann kennengelernt. Und wir haben uns dann getroffen und auch geschrieben nach Bielefeld, wie das so ist. Ich konnte mir das auch nicht leisten, so oft nach Hause zu kommen. Einmal im Monat, so üppig hat man in der Hauswirtschaft auch nicht verdient. Da gab's nur einmal im Monat ein Wiedersehen." [169]

Zeitzeugin Gabi hat außerhalb des Betrachtungszeitraums einen katholischen Mann geheiratet, nicht ostvertrieben, aber auch nicht aus Neuenkirchen. Sie wurde von ihrer Schwiegermutter massiv abgelehnt, weil sie evangelisch war. Diese wollte auch nicht zur Trauung kommen. Obwohl sie ökumenisch heiraten wollten, fand die Trauung schließlich nur evangelisch statt, da der katholische Pfarrer große Schwierigkeiten machte. [170] Die Mischehe war in dieser Zeit in beiden Kirchen ein stark diskutiertes Thema, wie es aus der oben geschilderten Veranstaltung für evangelische Jugendliche hervorgeht und wie es auch in Unterlagen im Archiv der evangelischen Kirche zu finden ist. In der katholischen Kirche gibt es 1961 ein gemeinsames Hirtenwort der deutschen Bischöfe, in der die Mischehe als 'furchtbares Unglück' bezeichnet wird. Zu den Gründen für eine Mischehe, zu den 'Gefahrenherden', die in diesem Hirtenwort aufgelistet werden, gehören: beruflich gemischte Umgebung, materielle Gesichtspunkte, Freizeit in interkonfessionellen Gemeinschaften (Spiel, Sport, Reise), Emotionales, das die Oberhand gewinnt, Lebenslust und 'Heiraten um jeden Preis', Versagen der Eltern und Priester, lax gewordene öffentliche Meinung. Der Kampf gegen die Mischehe beginne mit dem Kampf gegen die gemischte Bekanntschaft. [171] Unter diesem Einfluss ist es für junge Leute sehr schwierig, eine Mischehe durchzusetzen, vor allem, da bei einer evangelischen Eheschließung der katholische Partner damit rechnen muss, von den Sakramenten ausgeschlossen zu werden. In den Archivunterlagen der evangelischen Kirchengemeinde Neuenkirchen findet sich eine Aufstellung von Mischehen zum Jahr 1955. Es sind 51 Mischehen registriert, davon 17 seit dem Jahr 1946, und das für die evangelische Kirche in Wettringen und Neuenkirchen gemeinsam. Daraus geht auch hervor, dass in den meisten Fällen, die Kinder die Religionszugehörigkeit der Frau annehmen. [172]

Zeitzeugin Barbara lernt ihren späteren Mann mit 14 Jahren kennen und ist mit ihm gemeinsam in der Sing- und Spielschar. Er ist katholisch. In der ersten Zeit durfte sie ihren Mann nicht sehen. Sie traf ihn nur dienstags bei den Proben. Er brachte sie auf dem Fahrradlenker nach Hause nach St. Arnold, einen Weg, den sie sonst zu Fuß hätte zurücklegen müssen. Barbara vermutet, dass ihre Eltern mehr Angst um sie hatten, wenn sie von dem jungen Mann nach Haus gebracht wurde, als wenn sie zu Fuß gegangen ist. Am 05.12.1948 hat er sie zum ersten Mal ins Kino eingeladen. Sie hat versucht, das vor den Eltern zu verheimlichen. Aber da ihr Vater als evangelischer Pfarrer ein Telefon hatte, wusste er schon von ihrer Verabredung mit dem katholischen jungen Mann, bevor sie wieder zu Hause war. Ein Jahr haben ihre Eltern sie in eine Bibel- und Haushaltungsschule an den Bodensee geschickt, ohne den gewünschten Erfolg. Sie und ihr Freund haben sich 1954 verlobt und 1957 geheiratet. Ihr Mann ist damals evangelisch geworden. Seine Eltern haben sich ihr gegenüber sehr gut verhalten. Sie haben sich auch nicht durch den Besuch des katholischen Pfarrers und die Drohung mit dem Fegefeuer beirren lassen. Der Schwiegervater fand, dass es wichtiger sei, dass sie Klöße kochen konnte. [173]
 
 

 
 

5. Alte und neue Heimat

 
 
 

5.1 Sommersingen und Mohnkuchen

 
 
 
Summer, Summer, Summer,
ich bin a klenner Pummer,
ich bin a klenner Keenich,
gatt mer nich zu wenich,
lußt mich nich zu lange stiehn,
ich muß a Häusla wettergiehn. [174]
"Wir haben früher in der Siedlung immer Sommersingen gemacht. Dann hat meine Mutter so Schürzen genäht, wie Klammerbeutel, wo man so rein greifen konnte mit den Händen. Dann sind wir die Nachbarn rundgegangen, ob wir Süßigkeiten kriegen konnten und dann haben wir so ein Lied gesungen. Summer...[...] Ich kann's schon gar nicht mehr richtig. Und dann sind wir von Haus zu Haus gegangen. Da waren ja ganz viele Schlesier, die wussten das ja und dann haben wir ganz viele Süßigkeiten gekriegt." [175]

Sommersingen ist ein Brauch, der in Schlesien am Sonntag Lätare, dem 3. Sonntag vor Ostern, ausgeübt wurde. Mit bunten Stecken, an denen Papierbänder flatterten, zogen die Kinder von Haus zu Haus und bekamen bemalte Eier und Süßigkeiten. Noch heute findet dieser Brauch in manchen Gemeinden, die schlesische Traditionen stärker pflegen, statt. In Neuenkirchen ist er inzwischen nicht mehr üblich.

Anton Bednorz berichtet davon, dass sich junge Schlesier, meist aus Niederschlesien, allabendlich in der Gastwirtschaft Lorenbeck trafen. Sie sangen Heimatlieder und trugen Gedichte in heimatlicher Mundart vor. Aus dieser Gruppe heraus entstand der Entschluss zu einem Heimatabend, der Ende Februar 1947 im Saal der Gastwirtschaft Lorenbeck stattfand. Zum Programm gehörte das Theaterstück "Der Bergkrach" von Paul Keller, Gedichte und Vorträge in schlesischer Mundart und musikalische Beiträge des Vertriebenenchores. Auch einheimischen Besuchern gefiel dieser Abend. Das Riesengebirgslied war allen bekannt, es wurde auch häufig von Einheimischen gesungen. Der Vertriebenenchor traf sich einmal pro Woche zu Proben und es gab auch im Jahr danach einen Abend mit Theaterstück mit Tänzen und Melodien. [176]

Dieses Theaterstück "Der Bergkrach" findet sich auch wieder auf dem Programm des 3. Schlesischen Heimatabends in der Gaststätte Lorenbeck, ein Beitrag im Rahmen des Programms zur 700 -Jahrfeier der Gemeinde Neuenkirchen vom 13. bis 21.09.1947.
 
 
Die Zeitzeugin Gertrud gehört ab ihrem 18. Lebensjahr auch zu der Sing- und Spielschar der Vertriebenen.
"... in diesem Verein sind wir dann auch drin gewesen, das ist diese ostdeutsche Sing- und Spielschar. Die hat ostdeutsches Lied- und Kulturgut gepflegt. Da durfte man auch erst mit 18 rein. Früher wurden Heimatabende gemacht und dann ist diese Gesangsgruppe aufgetreten. Wir hatten dann alle eine Einheitstracht, so Dirndl, das war nicht die ursprüngliche Tracht. Mit Heimattracht haben wir hier gar nichts gemacht."

Sie erinnert sich auch an Treffen der schlesischen Familien, die hier sehr engen Kontakt gehalten haben, um sich gegenseitig zu unterstützen und zu informieren.
"Es gab auch einen Ortsverein Neuenkirchen, also einen Heimatvertriebenenverein. Der ist, glaube ich in den 70er Jahren eingegangen. [...]Ich bin auch zu keinem Schlesiertreffen gegangen. Mein Vater hatte schon sehr früh erkannt, er sagte, wir kommen nie mehr nach Hause. Viele haben am Anfang gesagt, wir bleiben hier nicht lange, wir kommen wieder nach Hause. Als die ersten ein Haus gebaut haben, da waren manche ganz erbost über die: Wollt ihr denn gar nicht mehr nach Hause? Das konnten die gar nicht fassen, aber mein Vater sagte immer, vor allem als die DDR gegründet wurde, das war ja ein Bollwerk, wir kommen nicht mehr nach Hause. Wie sollte das gehen. Und er ist auch nie nach Schlesien gefahren. Mein Vater sagte, die haben es sich genommen, die sollen es behalten, ich will es nicht mehr." [177]

Von einer weiteren Tradition, die in den Anfangsjahren noch gepflegt wurde, berichtet die Zeitzeugin Gabi: das Schlachtfest. Zu den schlesischen Spezialitäten gehören auch herzhafte Wurstwaren, wie z.B. Weiß- oder Wellwurst, die von schlesischen Fleischern hier angeboten werden. Gabi erinnert sich, dass es jedes Jahr in der Gaststätte Jörling in Neuenkirchen ein Karnevalsfest gab. Vorher fand dort "Schweinschlachten" statt.
"Da konnte man Wellwurst kaufen. Da haben meine Eltern auch immer was gekauft. Und anschließend war nachher Karneval, mit Verkleidung und allem Drum und Dran. Und als ich nachher älter war, durfte ich mit meinen Eltern mitgehen." [178]

Zur Gestaltung der Erntedankfeier in der evangelischen Kirche wird im Jahr 1962 die Schlesische Spinnstube aus Münster eingeladen, die in Wort, Lied und Spiel Erntebrauchtum aus dem deutschen Osten darstellte.

Noch heute in den Haushalten der Zeitzeugen finden sich die schlesischen Backwaren und Kartoffelklöße:
"Schlesischen 'Mohkucha', den kann ich, habe ich letzte Woche noch gebacken. Schlesische Klöße, klar." [179]

Nicht jeder aus Zeitzeugin Gabis Familie mag heute den Mohnkuchen, aber sie macht ihren Eltern eine Freude damit.

Zeitzeugin Walburga hat natürlich, da ihr Mann ebenfalls aus Schlesien stammte, die bekannte Küche weitergeführt:
"Was Küche und Kochen anbelangt, das hab ich von meiner Mutter alles mitgenommen. Da hat mein Mann auch viel Wert drauf gelegt, dass es auch so weiter ging wie bei seiner Mutter."

[180] Auch die Zeitzeugin Carolin musste weiterhin Klöße machen, da ihr Ehemann aus Hauenhorst sie so gern mochte.

Auch die Zeitzeugin Getrud beantwortet die Frage, ob sie noch schlesische Rezepte kennt, mit:
"Ja, Mohnkuchen ist ein Rezept, gibt’s bei uns noch jede Weihnachten. Mein Vater mochte auch gern Mohnklöße, aber die mach ich nicht mehr. Schlesische Gurken einlegen, das mach ich noch nach dem Rezept meiner Mutter."

Sie berichtet von einem Kochbuch ihrer Mutter:
"Es sind üppige Rezepte darin. Was ich auch noch mach sind Hefeklöße und Blaubeeren, unter Dampf gegart. Und Klöße mach ich auch noch, Kartoffelklöße. Das gibt’s bei uns öfter noch sonntags, wenn ich sie alle am Tisch hab, nicht jeden Sonntag." [181]

Dieses Kochbuch, das ihre Mutter auf der Flucht neben zwei Bibeln mitgenommen hatte, besteht nur noch aus losen Blättern, ist aber ein Schatz aus der alten Heimat.
 
 
Die einzige landsmannschaftliche Veranstaltung, die heute noch in Neuenkirchen stattfindet, ist das Treffen der Schreibendorfer, das alle zwei Jahre von Herbert Kuhs organisiert wird. Martha Tebbe ist eine Teilnehmerin dieses Treffens. Sie berichtet in einem Interview, das im Neuenkirchener Anzeiger der Westfälischen Nachrichten erscheint:
"Viele ehemalige Schreibendorfer treffen sich alle zwei Jahre in Neuenkirchen. Manche bringen ihre Kinder und einige sogar ihre Enkelkinder mit. Das Treffen beginnt am Nachmittag mit einem Gottesdienst im Antoniusstift. Danach wird bei 'Mohn- und Quarkkucha' viel erzählt." [182]

Auch die Zeitzeugin Walburga ist Teilnehmerin dieser Treffen. Sie erinnert sich auch daran, dass es früher mit Tanz bei '42' war. Martha Tebbe berichtet auch, dass sie immer wieder Kontakt zu den Bewohnern des Dorfes gesucht hat, dies aber nicht immer gelang, da viele auf Distanz gingen.

Eine Besonderheit ist die Situation in der Familie der Zeitzeuginnen Bettina und Inge. Ihr Vater war Vertriebener aus Schlesien, die Mutter stammte von einem Bauernhof in St. Arnold. So werden die Sonntage abwechselnd bei einheimischen Großeltern und den vertriebenen Großeltern in der Haarwegssiedlung verbracht. Diese Familientreffen haben bei den Zeitzeuginnen großen Eindruck hinterlassen: der Zusammenhalt in der Familie, der gute Kontakt zu den Kusinen. Es war so eng in den kleinen Räumen in der Haarwegssiedlung, dass nicht alle Platz fanden und die Kinder auf dem Schoß sitzen mussten. Dort in der Haarwegssiedlung gab es dann den Kontakt mit anderen Flüchtlingskindern. Es war ihnen damals aber nicht so bewusst, dass es Kinder von Flüchtlingen waren. Sie haben bei diesen Großeltern aber mitbekommen, dass von der Heimat gesprochen wurde. "Es gab den Streuselkuchen, das war Standard." Es kam dann auch öfter vor, dass die Erwachsenen Lieder aus der Heimat gesungen haben. Die einfachen Lieder konnten sie dann auch mitsingen. Untereinander wurde auch im schlesischen Dialekt gesprochen, mit den Kindern jedoch hochdeutsch. Jahre später unterhielten sich auch die Schwiegereltern von Bettina, beide Vertriebene, im schlesischen Dialekt. Das war ihr durchaus vertraut, sie konnte es verstehen. Die einheimische Mutter kochte auch schlesische Rezepte nach. "Ein Sonntag ohne Klöße war kein Sonntag." Das gegenseitige Helfen in der Familie bei besonderen Angelegenheiten oder bei Festen war auch sehr beeindruckend. Die Kommunion wurde zu der Zeit noch nicht außerhalb gefeiert, sondern mit Hilfe der Verwandten im eigenen Haus. [183] Als der Onkel sich eine Isetta kaufte, durften die Zeitzeuginnen Bettina und Inge auch einmal zum Märchenwald mitfahren.
 Schlesisches Lied aus dem Liederbuch "Seng mer a beßla"


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Zeitzeuginnen Bettina und Inge mit ihrem Vetter in der neuen Isetta des Onkels
 
 
Dieser von den Zeitzeuginnen berichtete Zusammenhalt in der Familie oder auch darüber hinaus im Kreis der Heimatvertriebenen ist ungeheuer wichtig, um mit dem Trauma der Vertreibung und der Bewältigung der Not fertig zu werden.
"Die Familie war oft das einzige, was den Vertriebenen aus der alten Heimat blieb, und bildete den einzigen stabilen Bezugsrahmen in einer völlig aus den Fugen geratenen Welt. Sie war die soziale Gruppe, aus der heraus und für die die ersten Aktivitäten in der neuen Umgebung unternommen wurde." [184]
 
 
 

5.2 Eine gelungene Integration?

 
 
 
"Pollacken", "Schnee in der Tasche" [185] , "Klein Moskau", das "Dorf der Verjagten". An diese Formulierungen der einheimischen Bevölkerung erinnern sich die Zeitzeugen, wenn es um die Vertrieben und die Siedlung St. Arnold geht. Gerade das mag dazu beigetragen haben, dass sich viele mit besonderem Einsatz, mit Fleiß und harter Arbeit ein neues gutes Leben aufgebaut haben und den Schock der Vertreibung und des Verlustes verarbeitet oder verdrängt haben. Welch eine Genugtuung auch, dass der einzige Nobelpreisträger, der in Neuenkirchen geboren wurde, ein Kind schlesischer Eltern ist und mit einer Straßenbezeichnung geehrt wurde. Die Kinder vertriebener Eltern, die hier geboren sind, nehmen Neuenkirchen auch als ihre Heimat an; diejenigen, die die Flucht bewusst miterlebt haben, empfinden eher so wie die Zeitzeugin Gertrud:
"Da [in Schlesien] ist meine Heimat, aber ich bin hier zu Hause. Ich möchte hier auch nicht mehr weg. Ich lebe hier, ich fühl mich hier wohl, aber es [Schlesien] bleibt meine Heimat. Die Kinder haben jetzt mal gesehen, wo wir herkommen, das ist wichtig, nicht nur vom Erzählen, dass sie es mal gesehen haben. Unser Jüngster sagte, so schön hab ich mir die Gegend nicht vorgestellt. Ja, es gibt überall schöne Gegenden, auch das Riesengebirge ist schön. Unsere Jugend interessiert sich ja herzlich wenig dafür, wenn es zu spät ist und keiner mehr lebt, dann wachen sie wahrscheinlich auf, die hätten jetzt manches erfahren können, viele sind schon tot, von denen sie es nicht mehr erfahren." [186]

Helga Hirsch formuliert in ihrem Buch 'Schweres Gepäck':
"Doch unabhängig davon, ob die Fluchterfahrungen artikuliert oder verdrängt wurden, - sie haben das Leben dieser und anderer Kinder bis in die Gegenwart geprägt. Äußerlich mögen sich die Vertriebenen integriert haben. In den Seelen aber sind Wunden und Narben geblieben." [187]

Herbert Kuhs sagt in seinem Schlusswort des Buchs über Schreibendorf:
"Ich wohne jetzt hier in Neuenkirchen und habe ein neues Zuhause gefunden. Viele Menschen lernte ich kennen. Habe auch Freunde gefunden und Freundschaften geschlossen. Eine Familie gegründet und Eigentum geschaffen. Dies alles aber kann mich nicht darüber hinweg trösten, denn meine Heimat ist und bleibt Schreibendorf..." [188]

Für die Zeitzeugen ist jetzt im Alter auch der Zeitpunkt gekommen, sich an diesen Abschnitt ihres Lebens zu erinnern, ihn aufzuarbeiten und die Erinnerungen an nachfolgende Generationen weiter zu geben. Integration heißt nicht, einen Abschnitt seines Lebens zu verleugnen und zu vergessen.

Wie ist es zu beurteilen, dass die Vertriebenen sich bei der Entstehung der Siedlung nicht weiter eingesetzt haben für Straßenbezeichnungen, die an die Orte ihrer alten Heimat erinnern, so wie dies in anderen Siedlungen üblich war? Kann man daran nicht vielleicht auch den besonderen Integrationswillen erkennen? Man möchte sich in dem neuen Zuhause nicht zusätzlich ausgrenzen.

Nach meiner Einschätzung ist eine teilweise gelungene Integration erfolgt. Die Gruppe der in Neuenkirchen angekommenen Vertriebenen sind in der westdeutschen Gesellschaft fester und integrierter Bestandteil. Das gilt sowohl für diejenigen, die als Kind die Flucht oder Vertreibung miterlebt haben, als auch noch klarer für die hier Geborenen. Die Zeitzeuginnen Bettina und Inge, die Anfang der 50er Jahre in St. Arnold geboren sind, haben nicht wahrgenommen, dass das "Flüchtling-Sein" überhaupt ein Thema war, vielleicht für die Erwachsenen. So haben sich in St. Arnold Flüchtlinge, Vertriebene und Einheimische eine funktionierende Gemeinschaft aufgebaut, die auch interkonfessionell ohne Konflikte ein gutes Miteinander aufweist. Einige der nachfolgenden Generationen haben St. Arnold verlassen, viele wohnen jedoch noch mit Kindern und Enkeln in diesem Ortsteil.

Ein Fehler war es jedoch, eine Siedlung in dieser Entfernung vom Ort Neuenkirchen zu errichten. Die Zeitzeuginnen Bettina und Inge berichten, dass sie in St. Arnold sehr isoliert gelebt und Neuenkirchen erst später wirklich kennen gelernt haben. St. Arnold liegt nicht nur geografisch, sondern auch im übertragenen Sinne abseits von dem eigentlichen Ortszentrum und muss auch heute noch immer wieder um Beachtung in politischen Belangen kämpfen und versuchen, seine Interessen zu wahren. Ebenso ergeht es der aus der Gemeinschaft der Vertriebenen entstandenen evangelischen Kirche in einem so übermächtigen katholischen Ort. Auch sie muss sich immer wieder um Beachtung und Achtung bemühen.
 
 

 
 

6. Zeitzeugen im Interview

 
 
 
Zeitzeuge Helmut, geb. 1939 in Breslau, über den Anfang in Neuenkirchen
Interview am 19.01.2011 (35:52 min, 16,7 MB, MPEG)




 
 
Zeitzeuge Helmut, geb. 1939 in Breslau, über die Freizeitgestaltung in Neuenkirchen
Interview am 19.01.2011 (11:30 min, 10,7 MB, MPEG)




 
 
Zeitzeuge Helmut, geb. 1939 in Breslau, über die Zeit in Bayern
Interview am 19.01.2011 (6:30 min, 6,0 MB, MPEG)




 
 
Zeitzeuge Josef, geb. 1939 in Lublinitz, Oberschlesien
Interview am 26.01.2011 (31:20 min, 29,3 MB, MPEG)




 
 
Zeitzeuge Josef, geb. 1939 in Lublinitz, Oberschlesien, über Religionsstunden
Interview am 26.01.2011 (1:09 min, 0,5 MB, MPEG)




 
 
Zeitzeugin Barbara, geboren 1933 in Oberlausitz, Niederschlesien, ev., über ihre Flucht und die Zeit in Neuenkirchen
Interview am 02.11.2009 (56:05 min, 52,4 MB, MPEG)




 
 
Zeitzeugin Barbara, geboren 1933 in Oberlausitz, Niederschlesien, ev., über Kleidung
Interview am 02.11.2009 (1:46 min, 1,6 MB, MPEG)




 
 
Zeitzeugin Barbara, geboren 1933 in Oberlausitz, Niederschlesien, ev., über ihre Konfirmation
Interview am 02.11.2009 (3:24 min, 1,6 MB, MPEG)




 
 
Zeitzeugin Carolin, geb. 1936 in Glatz/Halbendorf, kath.
Interview am 24.03.2010 (1:06:36 h, 62,3 MB, MPEG)




 
 
Zeitzeugin Gabi, geboren 1949 in Neuenkirchen, Eltern aus Schlesien, ev., über Schweineschlachten und Karneval
Interview am 21.10.2009 (2:23 min, 1,1 MB, MPEG)




 
 
Zeitzeugin Gabi, geboren 1949 in Neuenkirchen, Eltern aus Schlesien, ev., über ihre Zeit in St. Arnold
Interview am 21.10.2009 (21:12 min, 19,8 MB, MPEG)




 
 
Zeitzeugin Gertrud, geb. 1938 in Haselbach/Schlesien, Kreis Landshut, ev.
Interview am 19.10.2009 (1:24:17 h, 39,3 MB, MPEG)




 
 
Zeitzeugin Gertrud, geb. 1938 in Haselbach/Schlesien, Kreis Landshut, ev., über ein Eheseminar
Interview am 19.10.2009 (9:24 min, 4,3 MB, MPEG)




 
 
Zeitzeugin Gertrud, geb. 1938 in Haselbach/Schlesien, Kreis Landshut, ev., über die landwirtschaftliche Siedlung
Interview am 19.10.2009 (2:53 min, 2,7 MB, MPEG)




 
 
Zeitzeugin Walburga, geb. 1932 in Schreibendorf/Schlesien, kath.
Interview am 17.03.2010 (1:01:15 h, 57,3 MB, MPEG)




 
 
 

7 Quellen- und Literaturverzeichnis

 
 
 

7.1 Archive

 
 
 
a) Kreisarchiv Steinfurt

Planungsgrundlagen für den Landkreis Steinfurt(Westf.), Steinfurt 1950.

Die Einwohnerentwicklung in den Gemeinden des Kreises Steinfurt 1939 - 1950, Ergebnisse der VBBZ 1939 und 1950,in: Beiträge zur Statistik des Landes NRW. SRVZ 1950.

Akten der britischen Militärregierung, die als Kopie im Kreisarchiv Steinfurt und im Stadtarchiv Rheine vorhanden sind, PRO FO 1013/595.

Verwaltungsbericht der Rechnungsjahre der Jahre 1945/46 bis 1955/56 Landkreis Steinfurt.

Statistisches Landesamt Nordrhein-Westfalen, Namentliche Liste der öffentlichen und privaten Volksschulen in Nordrhein-Westfalen nach dem Stand vom 15.05.1950.

Zilliken, Jakob, Die Anerkennung von Vertriebenen und Flüchtlingen, Durchführung der §§ 1-20 des Bundesvertriebenengesetzes im Lande Nordrhein-Westfalen. Der Wegweiser Nr. 38, 1959 .



b) Gemeindearchiv Neuenkirchen

Bericht an den Oberkreisdirektor über durchgeführte Maßnahmen zur Lösung des Flüchtlingsproblems, C 179.

Nachweisung der Quartiergeber, C 169.

Protokoll Flüchtlingsausschuss, C169.

Schnellbrief: Ankündigung eines Flüchtlingstransports, C 169.

Erzwingung von Wohnraum, Abmahnung, C169.

Erfassung von Flüchtlingen, C 169.

Flüchtlingslisten, Anzahl und Art der Arbeitskräfte, gewährte Kredite, C 179.

Schreiben des Landrats zur Organisation des Flüchtlingswesens, C 169.

Rundverfügung Nr. 4/47 des Arbeitsministers des Landes NRW zur Arbeit in der Landwirtschaft, C 180.

Brief vom Landesflüchtlingsamt Westfalen, Heilkräutersammlung, C 180.

Anfragen nach Arbeitskräften, C180.

Ergebnis der Volkszählungen 1939 und 1950, C 467, C 482.

Vermietung der Wohnungen der Haarwegssiedlung, C 304.

Ratsprotokolle der Jahre 1946 bis 1954



c) Landesarchiv der evangelischen Kirche von Westfalen in Bielefeld (L LkA EKvW)

Beschwerdebrief Pastor Matthes an den Oberkreisdirektor vom 20.04.1948, LkA EKvW 4. 193 Nr. 314.

Vom Werden und Wachsen der evangelischen Gemeinde, Autor unbekannt, LkA EKvW 4. 193 Nr. 314.

Bischöfliche Weisungen an den Klerus zum Thema Mischehen, LkA EKvW 4. 193 Nr.41.

Brief vom 26.06.1950 zur Frage der Beerdigung Evangelischer auf katholischen Friedhöfen, LkA EKvW 4. 193 Nr. 14.

Akten über den Neubau, LkA EKvW 4. 193 Nr. 270.

Predigt zur Einweihung der Friedenskirche Wettringen, LkA EKvW 4. 193 Nr. 314.

Jugendarbeit: Krankenpflege- und Säuglingskurs, weitere Kursangebote, Wochenendveranstaltungen für die Jugend, LkA EKvW 4. 193 Nr.46.
 
 
 

7.2 Interviewpartnerinnen
und -partner

 
 
 
Zeitzeugin Gertrud, geb. 1938 in Haselbach/Schlesien, Kreis Landshut, ev., interview am 19.10.2009.

Zeitzeugin Gabi, geboren 1949 in Neuenkirchen, Eltern aus Schlesien, ev., Interview am 21.10.2009

Zeitzeugin Barbara, geboren 1933 Oberlausitz/Niederschlesien, ev., Interview am 02.11.2009

Zeitzeugin Walburga, geb. 1932 in Schreibendorf/Schlesien, kath., Interview am 17.03.2010

Zeitzeugin Carolin, geb. 1936 in Glatz/Halbendorf, kath., Interview am 24.03.2010

Zeitzeugin Bettina, geb. 1951 in Neuenkirchen, kath., Interview am 26.03.2010

Zeitzeugin Inge, geb. 1953 in Neuenkirchen, kath., Interview am 26.03.2010

Zeitzeuge Helmut, geb. 1939 in Breslau, Interview am 19.01.2011

Zeitzeuge Josef, geb. 1939 in Lublinitz, Oberschlesien, Interview am 26.01.2011

Gesprächspartner Johannes-Georg Bednorz, geb. 1950 in Neuenkirchen, Interview am 21.01.2010
 
 
 

7.3 Gedruckte Quellen und Literatur

 
 
 
Anon.
Dorfbauerschaftsschule Anno 1901. Festschrift zum 100-jährigen Gründungsjubiläum, Neuenkirchen 2001.

Anon.
Rapide Entwicklung von St. Arnold, in: Münsterländische Volkszeitung, 28.09.1963.

Bednorz, Anton
Lehrer an der Volksschule Dorfbauerschaft Neuenkirchen (St. Arnold), in: Chronik der Familie Bednorz, Privatbesitz der Familie Bednorz, Kopie des genannten Kapitels im Besitz der Verfasserin.

Evers, Karl
Das Dorf entlang, Beiträge zur Heimatkunde von Neuenkirchen Kreis Steinfurt, Zur 700-Jahrfeier im September 1947, Neuenkirchen 1947.

Ewering, Manfred
Baracke wird zum 'fliegenden Klassenzimmer', in: Westfälische Nachrichten vom 20.05.2009.

Fehse, Erika u. a.
Flüchtlinge und Vertriebene an Rhein, Ruhr und Weser, Dokumentation des WDR, Teil 1: Ankunft im Westen (1945-1949), gesendet am 23.02.2007. Die Dokumentation ist als DVD in der Reihe von WDR und WAZ "Wir in Nordrhein-Westfalen" als Nr. 53 erschienen.

Feld, Willi
Sie bauten mehr als ein Haus. Die Heimatvertriebenen in Steinfurt, Auswirkungen von Flucht und Vertreibung in Steinfurt, Schriftenreihe des Kreisheimatbundes Steinfurt Bd. 7, Hgg.: Kreisheimatbund Steinfurt in Verbindung mit den Vereinigten Landsmannschaften Burgsteinfurt.

Fischer, Heinrich / Wehmschulte, Robert
Neuenkirchen 750 Jahre, Beiträge zur Geschichte der Gemeinde, Neuenkirchen 1997.

Galen, Clemens August Graf von [Bischof]
Es geht um die katholische Schule, in: Kirche und Leben, 17.03.1946.

Hirsch, Helga
Schweres Gepäck. Flucht und Vertreibung als Lebensthema, Hamburg 2004.

Hirschfeld, Michael
Katholisches Milieu und Vertriebene. Eine Fallstudie am Beispiel des Oldenburger Landes 1945-1965, Köln u.a. 2002.

Joos-Koch, Christiane
Evangelische Kirchengemeinde Jakobi zu Rheine 1938 - 1988, Chronik zum 150jährigen Bestehen der Kirchengemeinde, Rheine 1988.

Käss, Friedrich
Die Arbeits- und Wohnraumbeschaffung, in: Hans Joachim von Merkatz (Hg.), Aus Trümmern wurden Fundamente, Düsseldorf 1979.

Ketteler-Zurhorn, Elisabeth
Notquartier Landgestüt Warendorf, in: URL: http://www.helmut-dinter.de/Schlesien/Warendorf.htm

Kleinert, Uwe
Die Flüchtlinge als Arbeitskräfte, in: Klaus J. Bade (Hg.), Neue Heimat im Westen, Westfälischer Heimatbund, Münster 1990, S. 37-60.

Koops, Heinz
Und ich will nur noch sagen..., Die 84-jährige Martha Tebbe erzählt, 2. Teil, in: Westfälische Nachrichten vom 31.12.2009.

Kossert, Andreas
Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 712, Bonn 2008.

Köster, Markus
Jugend, Wohlfahrtsstaat und Gesellschaft im Wandel. Westfalen zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik, Paderborn 1999.

Kuhs, Herbert
Heimatbuch Schreibendorf. Gründung, Geschichte, Leben um Schreibendorf bei Mittelwalde, Grafschaft Glatz, Schlesien, Neuenkirchen 2004.

Lehmann, Albrecht
Im Fremden ungewollt zuhaus. Flüchtlinge und Vertriebene in Westdeutschland 1945-1990, München 1991.

Linde, Erich
Alte und neue Heimat, 1946-Schicksalsjahr Ostdeutschlands, unveröffentlichtes Manuskript für einen Vortrag am 02.04.2006.

Lorenz, Hilke
Heimat aus dem Koffer. Vom Leben nach Flucht und Vertreibung, Berlin 2009.

Lüttig, Andreas
Fremde im Dorf. Flüchtlingsintegration im westfälischen Wewelsburg 1945 - 1958, Historische Schriften des Kreismuseums Wewelsburg, Bd. 1, Kreis Paderborn (Hg.), Redaktion: Michael Drewniok, 1993.

Nitschke, Bernadetta
Vertreibung und Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus Polen 1945 bis 1949, München 2003.

Rauch, Paul
Vertriebene und Nichtvertriebene im Vergleich, in: Hans Joachim Merkatz (Hg.), Aus Trümmern wurden Fundamente, Düsseldorf 1979, S. 263-278.

Wolf, Manfred
Operation Swallow, in: Westfälische Zeitschrift, 156. Bd., 2006, S. 117-138.
 
 
 




Anmerkungen

[1] Linde, Erich: Alte und neue Heimat, 1946-Schicksalsjahr Ostdeutschlands, Manuskript für einen Vortrag am 02.04.2006, Seite 20.
[2] Fischer, Heinrich / Wehmschulte, Robert, Neuenkirchen 750 Jahre, Beiträge zur Geschichte der Gemeinde, Neuenkirchen 1997, S. 241.
[3] Lorenz, Hilke, Heimat aus dem Koffer. Vom Leben nach Flucht und Vertreibung, Berlin 2009, Umschlagseite.
[4] Bednorz, Anton, Lehrer an der Volksschule Dorfbauerschaft Neuenkirchen (St. Arnold), in: Chronik der Familie Bednorz, Privatbesitz der Familie Bednorz, Kopie des genannten Kapitels im Besitz der Verfasserin.
[5] Wolf, Manfred, Operation Swallow, in: Westfälische Zeitschrift, 156. Bd./2006, herausgegeben vom Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens durch Franz-Josef Jakobi und Hermann-Josef Schmalor, S. 123, mit Hinweis auf die Akten der britischen Militärregierung PRO (Public Record Office London), FO (Foreign Office) 1052 Nr. 470.
[6] Linde, Erich, Alte und neue Heimat, S. 15.
[7] Anm. der Autorin: In Artikel XIII des Potsdamer Abkommens wird eine Vereinbarung über die "Ordnungsmäßige Überführung deutscher Bevölkerungsteile" getroffen.
[8] Nitschke, Bernadetta, Vertreibung und Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus Polen 1945 bis 1949, Kapitel 4.1. Vertreibungen und Zwangsaussiedlungen im Juni und Juli 1945, München 2003, S. 169 ff.
[9] Kossert, Andreas, Kalte Heimat, Die Geschichte der deutschen Vertriebenen, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 712, Bonn 2008, S. 27.
[10] Zilliken, Jakob, Die Anerkennung von Vertriebenen und Flüchtlingen, Durchführung der §§ 1-20 des Bundesvertriebenengesetzes im Lande Nordrhein-Westfalen. Der Wegweiser Nr. 38, 1959.
[11] Bednorz, Anton, Chronik, S. 274.
[12] Anm. der Autorin: Das Antoniusstift war ursprünglich als Kinderbewahranstalt (Kindergarten) und Haushaltungs- und Handarbeitsschule eingerichtet worden. Das Missionshaus St. Arnold beherbergte ein Internat mit Missionsschule.
[13] Fischer, Heinrich, Wehmschulte, Robert, Neuenkirchen 750 Jahre, S. 234 f.
[14] Fischer, Heinrich und Wehmschulte, Robert, Neuenkirchen 750 Jahre, S. 239.
[15] Planungsgrundlagen für den Landkreis Steinfurt(Westf.), Steinfurt 1950, Kreisarchiv Steinfurt.
[16] Gemeindearchiv C 179.
[17] Evers, Karl, Das Dorf entlang, Beiträge zur Heimatkunde von Neuenkirchen Kreis Steinfurt, Zur 700-Jahrfeier im September 1947, S. 54: Die Entwicklung der Textilindustrie Neuenkirchens.
[18] Gemeindearchiv C 179.
[19] Die Einwohnerentwicklung in den Gemeinden des Kreises Steinfurt 1939-1950, Ergebnisse der VBBZ 1939 und 1950. In: Beiträge zur Statistik des Landes NRW. SRVZ 1950. H.15. S. 6, Kreisarchiv Steinfurt.
[20] Gemeindearchiv Neuenkirchen C 169.
[21] Gemeindearchiv Neuenkirchen C 179.
[22] Interview mit Barbara in Neuenkirchen im Dezember 2009.
[23] Wolf, Manfred, Operation Swallow, in: Westfälische Zeitschrift, 156. Bd./2006, S. 123. Anm.: swallow = Schwalbe.
[24] A-Route: Seeweg von Stettin nach Lübeck, B-Route: Von Stettin nach Bad Segeberg, C-Route: Kohlfurt nach Marienthal und Alversdorf, D-Route: Kohlfurt nach Friedland, entnommen: Nitschke, Bernadetta, Vertreibung und Aussiedlung, S. 206.
[25] Wolf, Manfred, Operation Swallow, S. 125.
[26] Wolf, Manfred, Operation Swallow, S. 126.
[27] Akten der britischen Militärregierung, die als Kopie im Kreisarchiv Steinfurt und im Stadtarchiv Rheine vorhanden sind, PRO FO 1013/595. Übersetzung der Autorin: Der durchschnittliche Gesundheitszustand und der Zustand der Sauberkeit der angekommenen Flüchtlinge war niedrig. Ein großer Teil war mit Läusen infiziert und hatte Krätze und Tuberkolose. Eine Frau starb (Herzinfarkt).
[28] Interview mit Gertrud in Neuenkirchen im November 2009.
[29] Kuhs, Herbert, Heimatbuch Schreibendorf, Gründung, Geschichte, Leben um Schreibendorf bei Mittelwalde, Kreis Habelschwerdt, Grafschaft Glatz, Schlesien, Neuenkirchen 2004, S. 176. Anm. der Autorin: In dem Buch von Herbert Kuhs finden sich noch weitere Zeitzeugenberichte.
[30] Interview mit Walburga in Neuenkirchen im März 2010.
[31] Interview mit Carolin in Neuenkirchen im März 2010.
[32] Ketteler-Zurhorn, Elisabeth, Notquartier Landgestüt Warendorf, URL: http://www.helmut-dinter.de/Schlesien/Warendorf.htm, (Zugriff am 22.10.2010).
[33] URL: http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/kriegsverlauf/dresden/index.html, (Zugriff am 25.01.2011, 9.45 Uhr), Schilderung der Bombardierung Dresdens.
[34] Interview mit dem Zeitzeugen Helmut am 19.01.2011.
[35] Interview mit Zeitzeuge Josef am 26.01.2011.
[36] Bednorz, Anton, Chronik, S. 274.
[37] Hirtenbrief vom 23.01.1946, Historisches Archiv des Erzbistums Köln, Flüchtlingsseelsorge, Sign. CR II 25.50 b, 5, zit. n. Nitschke, Bernadetta, Vertreibung und Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus Polen 1945 bis 1949, Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Bd. 20, München 2003, S. 217.
[38] Kuhs, Herbert, Heimatbuch Schreibendorf, S. 177.
[39] Woll, Manfred, Operation Swallow S. 138.
[40] Feld, Willi, Sie bauten mehr als ein Haus, Die Heimatvertriebenen in Steinfurt, Auswirkungen von Flucht und Vertreibung in Steinfurt. Schriftenreihe des Kreisheimatbundes Steinfurt 7, Hgg.: Kreisheimatbund Steinfurt in Verbindung mit den Vereinigten Landsmannschaften Burgsteinfurt/VLB, S. 32.
[41] Gemeindearchiv Neuenkirchen C169.
[42] Baving wurde am 14.03.1946 bei der Umbildung der Verwaltung hauptamtlicher Gemeindedirektor.
[43] Wer war Bernhard Langehaneberg? Durch ein Telefongespräch am 13.12.2010 mit seinem Sohn– ebenfalls Bernhard Langehaneberg - erfuhr ich folgende Geschichte: 1934 heirateten in Metelen im Münsterland fünf Paare, denen eine Siedlungsstelle in Oberschlesien zugewiesen worden war. Sie flohen jedoch im Januar 1945 vor der anrückenden Front über Tschechien, und zwar immer Stück für Stück, nicht in einem Zug. Am 03.05.i wurden sie von den Russen überrollt. Sie versteckten sich vier Wochen lang in einer Strohmiete auf einem Hof. Der Vater half in dieser Zeit auf dem Hof. Dann wurden sie ausgewiesen und gelangten mit dem Zug und zu Fuß in die amerikanische Besatzungszone. Von dort zogen sie am 20.06.1945 nach Metelen zurück. Ein halbes Jahr haben sie bei den Eltern gewohnt bis sie eine Siedlungsstelle in Landersum/Neuenkirchen erhielten. Dort haben sie mit vier Familien auf einem Hof gelebt, davon zwei Bauernfamilien. Wie der Vater Mitglied des Flüchtlingsausschusses wurde, konnte der Sohn nicht berichten. Er hörte durch mich zum ersten Mal davon.
[44] Gemeindearchiv Neuenkirchen C 169.
[45] Gemeindearchiv Neuenkirchen C 169.
[46] Interview mit Walburga in Neuenkirchen im März 2010.
[47] Interview mit Carolin in Neuenkirchen im März 2010.
[48] Interview mit Gertrud in Neuenkirchen im November 2009.
[49] Von der Brelie-Lewien, Doris, Schulze, Rainer, Flucht und Vertreibung- Aufnahme und Seßhaftwerdung. Neue Fragen und Ansätze für einen alten Themenbereich der deutschen Nachkriegsgeschichte, in: Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde 30 (1987), S. 106, zit. n. Kossert, Andreas, Kalte Heimat, S. 85.
[50] Linde, Erich, Alte und neue Heimat, S. 12f.
[51] Gemeindearchiv Neuenkirchen C169.
[52] Gemeindearchiv Neuenkirchen, Protokoll der Ratssitzung vom 03.07.1946.
[53] Gemeindearchiv Neuenkirchen, Protokoll der Ratssitzung vom 06.11.1946.
[54] Gemeindearchiv Neuenkirchen, Protokoll der Ratssitzung vom 23.09.1946.
[55] Linde, Erich, Alte und neue Heimat, S. 18.
[56] Verwaltungsbericht der Rechnungsjahre der Jahre 1945/46 bis 1955/56 Landkreis Steinfurt, Kreisarchiv Steinfurt.
[57] Interview mit Zeitzeugin Walburga am 17.03.2010.
[58] Interview mit Zeitzeugin Gertrud am 19.10.2009.
[59] Gemeindearchiv Neuenkirchen C 179.
[60] Interview mit Zeitzeuge Helmut am 19.01.2011.
[61] Interview mit der Zeitzeugin Barbara am 02.11.2009.
[62] Bednorz, Lehrer an der Volksschule Dorfbauerschaft, S. 296.
[63] Bednorz, Lehrer an der Volksschule Dorfbauerschaft, S. 297.
[64] Bednorz, Lehrer an der Volksschule Dorfbauerschaft, S. 301.
[65] Gemeindearchiv Neuenkirchen, Bericht an den Oberkreisdirektor über durchgeführte Maßnahmen zur Lösung des Flüchtlingsproblems, C 179.
[66] Gemeindearchiv C 169.
[67] Interview mit Zeitzeuge Helmut am 19.01.2011.
[68] Käss, Friedrich, Die Arbeits- und Wohnraumbeschaffung, in: Hans Joachim von Merkatz (Hg.), Aus Trümmern wurden Fundamente, Düsseldorf 1979, S. 77.
[69] Kossert, Kalte Heimat, S.110f.
[70] Wehmschulte, Unser Dorf, S. 15f.
[71] Interview mit dem Zeitzeugen Helmut am 19.01.2011.
[72] Münsterländische Volkszeitung, Rapide Entwicklung von St. Anold, 28.09.1963.
[73] Gemeindearchiv Neuenkirchen, Protokoll der Ratssitzung vom 06.11.1946.
[74] Gemeindearchiv Neuenkirchen, Protokoll der Ratssitzung vom 04.12.1947: Beschluss über den Kauf und die Bedingungen.
[75] Gemeindearchiv Neuenkirchen, Protokoll der Ratssitzung vom 07.01.1947.
[76] Gemeindearchiv Neuenkirchen, Protokoll der Ratssitzung vom 08.09.1948, 07.02.1949.
[77] Gemeindearchiv Neuenkirchen, C 304.
[78] Interview mit den Zeitzeuginnen Bettina und Inge am 26.03.2010.
[79] Kossert, Kalte Heimat, S. 119.
[80] Interview mit Zeitzeugin Gertrud am 19.10.2009.
[81] Interview mit Zeitzeugin Carolin am 24.03.2010.
[82] Interview mit dem Zeitzeugen Helmut am 19.01.2011.
[83] Kreisarchiv Steinfurt, Übersicht über Akten der Britischen Militärregierung, die als Kopie im Kreisarchiv Steinfurt und im Stadtarchiv Rheine vorhanden sind, PRO FO 1013/314.
[84] Ewering, Manfred, Baracke wird zum "fliegenden Klassenzimmer", Westfälische Nachrichten vom 20.05.2009.
[85] Kreisarchiv Steinfurt, Verwaltungsbericht des Kreises Steinfurt der Rechnungsjahre 1945/46 bis 1955/56, Landkreis Steinfurt.
[86] Interview mit Zeitzeuge Josef am 26.01.2011.
[87] Bednorz, Anton, Chronik, S. 284 f.
[88] Bednorz, Anton, Chronik, S. 286.
[89] Bednorz, Anton, Chronik, S. 291.
[90] Chronik der Dorfbauerschaftsschule zum 100jährigen Jubiläum 2001, S. 35.
[91] Brehm, Willi, Vor 50 Jahren-Momentaufnahme-Nach 50 Jahren, in: Chronik der Dorfbauerschaftsschule zum 100jährigen Jubiläum 2001, S. 53 ff.
[92] Bednorz, Anton, Chronik, S. 307 f.
[93] Chronik der Dorfbauerschaftsschule zum 100jährigen Jubiläum 2001, S. 37.
[94] Ewering, Manfred, Baracke wird zum "fliegenden Klassenzimmer", Westfälische Nachrichten vom 20.05.2009.
[95] Interview mit Zeitzeugin Gertrud am 19.10.2009.
[96] Interview mit Zeitzeuge Helmut am 19.01.2011.
[97] Interview mit Zeitzeuge Josef am 26.01.2011.
[98] Bednorz, Anton, Chronik, S. 275.
[99] Brehm, Willi, Vor 50 Jahren-Momentaufnahme-Nach 50 Jahren, in: Chronik der Dorfbauerschaftsschule zum 100jährigen Jubiläum 2001, S. 53.
[100] Interview mit Zeitzeugin Gabi am 21.10.2009.
[101] Bischof Clemens August Graf von Galen, Es geht um die katholische Schule, in: Kirche und Leben, 17.03.1946.
[102] Kreisarchiv Steinfurt: Statistisches Landesamt Nordrhein-Westfalen, Namentliche Liste der öffentlichen und privaten Volksschulen in Nordrhein-Westfalen nach dem Stand vom 15.05.1950.
[103] Interview mit Zeitzeuge Helmut am 19.01.2011.
[104] Interview mit Zeitzeugin Gabi am 21.10.2009.
[105] Kleinert, Uwe, Die Flüchtlinge als Arbeitskräfte, in: Klaus J. Bade (Hg.), Neue Heimat im Westen. Westfälischer Heimatbund, Münster 1990, S. 37-60, S. 39.
[106] Gemeindearchiv Neuenkirchen C180, Rundverfügung Nr. 4/47 des Arbeitsministers des Landes NRW.
[107] Gemeindearchiv Neuenkirchen C180, Brief vom Landesflüchtlingsamt Westfalen.
[108] Gemeindearchiv Neuenkirchen C180.
[109] Interview mit Zeitzeugin Walburga am 17.03.2010.
[110] Köster, Markus, Jugend, Wohlfahrtsstaat und Gesellschaft im Wandel. Westfalen zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik, Paderborn 1999, S. 397.
[111] Interview mit Zeitzeugin Gertrud am 19.10.2009.
[112] Lehmann, Albrecht, Im Fremden ungewollt zuhaus, Flüchtlinge und Vertriebene in Westdeutschland 1945-1990, München 1991, S. 67.
[113] Interview mit Zeitzeuge Helmut am 19.01.2011.
[114] Interview mit Zeitzeuge Josef am 26.01.2011.
[115] Kleinert, Uwe, Die Flüchtlinge als Arbeitskräfte, S. 54 f.
[116] Gemeindearchiv Neuenkirchen C179.
[117] Interview mit Zeitzeugin Gertrud am 19.10.2009.
[118] Rauch, Paul, Vertriebene und Nichtvertriebene im Vergleich, in: Hans Joachim Merkatz (Hg.), Aus Trümmern wurden Fundamente, Düsseldorf 1979, S. 263-278, S. 271.
[119] Kleinert, Uwe, Die Flüchtlinge als Arbeitskräfte, S. 57.
[120] Gemeindearchiv Neuenkirchen, erstellt aus dem Ergebnis der Volkszählungen 1939 und 1950, C 467.
[121] Kossert, Andreas, Kalte Heimat, S. 230.
[122] Kossert, Andreas, Kalte Heimat, S. 232.
[123] Evers, Karl, Das Dorf entlang, S. 17.
[124] Interview mit Zeitzeuge Helmut am 19.01.2011.
[125] Interview mit Zeitzeuge Josef am 26.01.2011.
[126] Hirschfeld, Michael, Katholisches Milieu und Vertriebene. Eine Fallstudie am Beispiel des Oldenburger Landes 1945-1965, Köln u.a. 2002, S. 131.
[127] Verbot des Zusammenschlusses, für Flüchtlinge z.B. das Verbot, landsmannschaftliche Interessenorganisationen oder Parteien zu gründen. "Die Furcht vor den häufigen polnischen Interventionen mag der Grund dafür gewesen sein, daß die britische Militärregierung in ihrer Zone ein Koalitionsverbot für die Flüchtlinge einführte." URL: http://www.zeit.de/1949/05/endlich-fluechtlingszentrale.
[128] Hirschfeld, Michael, Katholisches Milieu und Vertriebene, S. 136.
[129] Gespräch mit Georg Bednorz am 21.01.2010.
[130] Joos-Koch, Christiane, Evangelische Kirchengemeinde Jakobi zu Rheine 1938-1988, Chronik zum 150jährigen Bestehen der Kirchengemeinde, Rheine 1988, S. 229f.
[131] Joos-Koch, Christiane, Evangelische Kirchengemeinde Jakobi, S. 237.
[132] LkA EKvW 4.193 Nr. 314, Beschwerdebrief von Pfarrer Hans Matthes an den Oberkreisdirektor vom 20.04.1948.
[133] LkA EKvW 4.193 Nr. 314, Vom Werden und Wachsen der evangelischen Gemeinde, Autor unbekannt.
[134] Interview mit Zeitzeugin Barbara am 02.11.2009.
[135] Gemeindearchiv Neuenkirchen, Protokoll der Ratssitzung vom 04.12.1946.
[136] Flüchtlinge und Vertriebene an Rhein, Ruhr und Weser, Autoren: Fehse, Erika u.a., Dokumentation des WDR 2007, Teil 1: Ankunft im Westen (1945-1949), gesendet am 23.2.2007. Die Dokumentation ist als DVD in der Reihe von WDR und WAZ "Wir in Nordrhein-Westfalen" als Nr. 53 erschienen.
[137] LkA EKvW 4.193 Nr. 14, Brief vom 26.06.1950.
[138] Gemeindearchiv Neuenkirchen, Protokoll der Ratssitzung vom 02.06.1948.
[139] Gemeindearchiv Neuenkirchen, Protokoll der Ratssitzung vom 07.07.1948.
[140] Gemeindearchiv Neuenkirchen, Protokoll der Ratssitzung vom 10.03.1953.
[141] LkA EKvW 4.193 Nr. 270, Akten über den Neubau.
[142] LkA EKvW 4.193 Nr. 314, Predigt zur Einweihung der Friedenskirche Wettringen.
[143] LkA EKvW 4.193 Nr. 270, Akten über den Neubau.
[144] Interview mit Zeitzeugin Barbara am 02.11.2009.
[145] Interview mit Zeitzeugin Gertrud am 19.10.2009.
[146] Interview mit Zeitzeugin Gabi am 21.10.2009.
[147] Interview mit den Zeitzeuginnen Bettina und Inge am 26.03.2010.
[148] Gespräch mit Georg Bednorz am 21.01.2010.
[149] Interview mit Zeitzeugin Carolin am 24.03.2010.
[150] Interview mit Zeitzeuge Josef am 26.01.2011.
[151] Interview mit Zeitzeuge Helmut am 19.01.2011.
[152] Kreisarchiv Steinfurt, Monthly Reort September 1948, in: Akten der Britischen Militärregierung, die als Kopie im Kreisarchiv Steinfurt und im Stadtarchiv Rheine vorhanden sind, PRO FO 171/7971. 1lb. = 453,592 g.
[153] Kreisarchiv Steinfurt, Verwaltungsbericht, S. 48.
[154] Kreisarchiv Steinfurt, Verwaltungsbericht, S. 49.
[155] LkA EKvW 4.193 Nr. 46, Angebot eines Lehrgangs.
[156] Interview mit Zeitzeugin Carolin am 24.03.2010.
[157] LkA EKvW 4.193 Nr. 46.
[158] LkA EKvW 4.193 Nr. 46.
[159] Interview mit Barbara am 02.11.2009.
[160] "42" ist eine Gaststätte in der Bauerschaft Sutrum Harum.
[161] Gaststätte und Hotel Richtung Wettringen.
[162] Interview mit Zeitzeugin Walburga am 17.03.2010.
[163] Interview mit Zeitzeugin Carolin am 24.03.2010.
[164] Interview mit Zeitzeugin Gabi am 21.10.2009.
[165] Interview mit Zeitzeuge Helmut am 19.01.2011. Die Gaststätte "Hanne am Zoo" wurde Ende des Jahres 2010 nach 33 Jahren geschlossen: URL: http://www.hertha.de, (Zugriff am 28.02.2010).
[166] Interview mit den Zeitzeuginnen Bettina und Inge am 26.03.2010.
[167] Interview mit Zeitzeugin Walburga am 17.03.2010.
[168] Interview mit Zeitzeugin Carolin am 24.03.2010.
[169] Interview mit Zeitzeugin Gertrud am 19.10.2009.
[170] Interview mit Zeitzeugin Gabi am 21.10.2009.
[171] LkA EKvW 4.193 Nr.41. Bischöfliche Weisungen an den Klerus über die seelsorgerische Behandlung der Mischehenfrage.
[172] LkA EKvW 4.193 Nr.41.
[173] Interview mit Barbara am 02.11.2009.
[174] URL: http://www.schlesien-bonn.de/seiten/schlesien_entdecken/tradition/sommersingen/index.htm, (Zugriff am 26.01.2011). Die Dialektschreibweise ist unterschiedlich in verschiedenen Quellen.
[175] Interview mit Zeitzeugin Gabi am 21.10.2009.
[176] Bednorz, Anton, Chronik, S. 287 f.
[177] Interview mit Zeitzeugin Gertrud am 19.10.2009.
[178] Interview mit Zeitzeugin Gabi am 21.10.2009.
[179] Interview mit Zeitzeugin Gabi am 21.10.2009.
[180] Interview mit Zeitzeugin Walburga am 17.03.2010.
[181] Interview mit Zeitzeugin Gertrud am 19.10.2009.
[182] Koops, Heinz, Und ich will nur noch sagen..., Die 84-jährige Martha Tebbe erzählt, 2. Teil, Westfälische Nachrichten vom 31.12.2009.
[183] Interview mit den Zeitzeuginnen Bettina und Inge am 26.03.2010.
[184] Lüttig, Andreas, Fremde im Dorf. Flüchtlingsintegration im westfälischen Wewelsburg 1945 – 1958, Historische Schriften des Kreismuseums Wewelsburg, Bd. 1, Kreis Paderborn (Hg.), Redaktion: Michael Drewniok, 1993, S. 80.
[185] Interview mit dem Zeitzeugen Josef: Wer aus dem schneereichen und kalten Osten kam, hatte Schnee in der Tasche.
[186] Interview mit Zeitzeugin Gertrud am 19.10.2009.
[187] Hirsch, Helga, Schweres Gepäck, Flucht und Vertreibung als Lebensthema, Hamburg 2004, S. 221.
[188] Kuhs, Herbert, Heimatbuch Schreibendorf, S. 228.