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1815-1831


9. Öffentliches Wirken und privates Leben

 
 
Wo sollte sich Stein nach den 'Nomadenjahren' im böhmischen Exil, am Zarenhof, im Lager der Alliierten niederlassen? Jahrelang war er von Frau und Töchtern getrennt gewesen. Vom Prager Exil aus waren diese nicht an den Zarenhof gefolgt, sondern nach Berlin gezogen. Die preußische Hauptstadt kam für Stein schon deshalb nicht in Frage, weil er eine Phobie gegenüber Metropolen besaß. Das an der Warthe gelegene Gut Birnbaum reizte ihn gleichfalls nicht. Es lag zu weit weg vom nassauischen Stammsitz, der für einen Tausch nie zur Option stand. Nach den Befreiungskriegen hatten Frau und Kinder, eingemietet bei einem Bankier, ihren Erstwohnsitz in Frankfurt, während Stein zwischen dem Stadtstaat, zugleich Versammlungsort der Bundestagsbevollmächtigten, Nassau und Schloss Cappenberg pendelte.

Das unstete, unruhige Familienleben setzte sich bis zum frühen Tod der Ehefrau am 15.09.1819 mehr oder weniger fort. Der Tod seiner Gemahlin Wilhelmine, die er im Laufe seines Lebens immer mehr schätzen und lieben gelernt hatte, traf ihn tief. Innige Familienbande verknüpften die Hinterbliebenen, den Vater und die beiden Töchter, die nach ihrer Heirat das Haus verließen. Zuvor unternahm Stein mit Henriette und Therese Reisen in die Schweiz und nach Italien (1820/1821) oder ließ sich von ihnen bei Freundschaftsbesuchen begleiten. Der vornehmlich im Winter aufrechterhaltene Frankfurter Haushalt wurde 1824/1825 aufgelöst. Übrig blieben als Domizile Nassau und das im Tausch gegen Birnbaum erworbene westfälische Cappenberg bei Selm.

Eine Beschränkung auf die nassauischen Güter kam für Stein nicht in Frage, zumal er mit dem herzoglichen Haus in gespannten Beziehungen stand und dezidiert bekannte, preußischer 'Untertan' (1818) zu sein. Nach seiner zweiten Entlassung aus dem Ministeramt und der Ächtung durch Napoleon war die Güterverwaltung in die Hände der herzoglich-nassauischen Regierung geraten. 1814 erhielt er seinen Besitz mit großzügigen Entschädigungen zurück. Dessen Verwaltung oblag fortan wie zuvor seiner Schwester Marianne. Während der Sommermonate pflegte Stein einige Zeit in Nassau zu verbringen. Für seine im Herzogtum gelegenen Gutsdörfer hatte er vom Landesherrn die Patrimonialgerichtsbarkeit zurückgefordert - ein anachronistisches Anliegen. Er wirkte dennoch an der Verabschiedung der nassauischen Verfassung am 02.09.1814, der ersten Verfassung eines deutschen Staates, mit und erhielt eine Virilstimme für den Landtag. Er schied aus dem nassauischen Landtag zwangsläufig wieder aus, als er im Jahre 1818 die Leistung des Untertaneneids gegenüber dem Herzog verweigerte.

Nicht realisieren ließ sich Steins Wunsch auf den Erwerb von Johannisberg im Rheingau, wo Metternich den ersten Zugriff hatte. Ein Immobilienerwerb links des Rheins war für ihn nicht attraktiv, nicht zuletzt wegen des dort weiterhin geltenden Code Civil. Im Zuge der Eroberung des linksrheinischen Gebietes durch Frankreich hatte er seine dort gelegenen Besitztümer veräußert. Dafür hatte er 1802 in der Provinz Posen die an der Warthe gelegene Herrschaft Birnbaum erworben. Schon kurz nach den Befreiungskriegen steckte er die Fühler bei der preußischen Regierung aus, um eine Tauschmöglichkeit auszuloten.

Das Tauschobjekt suchte er in Westfalen, dessen Bewohner er in seiner langen Beamtentätigkeit kennen und schätzen gelernt hatte. In Frage kamen die säkularisierten Klöster Liesborn und Cappenberg. Die Entscheidung fiel für letzteres, ein ehemaliges Prämonstratenserkloster. Bei der Realisierung des Tausches im Jahre 1816 erhielt er die Unterstützung der Regierung in Berlin und des Oberpräsidenten Ludwig Freiherr von Vincke. 1823 erwarb Stein für 41.000 Taler darüber hinaus das bei Wickede (Ruhr) gelegene ehemalige Kloster Scheda. 1825 verlieh der preußische König dem Gut Scheda die Rechte eines Rittergutes und erhob es 1826 zusammen mit Cappenberg zu einer Standesherrschaft.

Für die Töchter war der Aufenthalt in Cappenberg nur eine kurze Episode. Die ältere, Henriette, vermählte sich 1825 mit dem Franken Friedrich Karl Hermann Reichsgraf von Giech, die jüngere, Therese, 1827 mit einem Cousin, dem Hannoveraner Ludwig Friedrich Georg Reichsgraf von Kielmansegg. Spätere Erbin des Familienbesitzes wurde die Tochter Therese, die Karl vom Stein im Temperament geglichen haben soll. Deren Sohn lernte Stein zu seiner großen Freude noch kennen.


9.2 Der politische Beobachter

Freiherr vom Stein trat zwar in der Zeit der Restauration nicht mehr in einen Staatsdienst ein, doch er war und blieb ein aufmerksamer Beobachter der politischen Zeitereignisse. Dem preußischen König war er wohl zu unbequem und zu eigenwillig, um ihm wieder ein Ministeramt anzuvertrauen. Den Posten eines Bundestagsgesandten in Frankfurt am Main, den ihm Preußen und sogar Österreich antrugen, schlug er ab. Er hielt sich durch umfangreiche Lektüren von Büchern, Flug- und Zeitschriften deutscher wie ausländischer Provenienz, durch eine rege Korrespondenz mit zahlreichen Brieffreunden und durch eine intensive Pflege gesellschaftlicher Beziehungen auf dem laufenden. In großer Zahl empfing er illustre Gäste in Nassau wie auf Schloss Cappenberg.

Positiv beurteilte er den Übergang der süddeutschen Staaten zum Konstitutionalismus, kritisch wertete er hingegen die Demagogenverfolgung auf der Basis der Karlsbader Beschlüsse (1819), die nach der Feier des Wartburgfestes (1817) und der Ermordung des Schriftstellers August von Kotzebue (1761-1819) verabschiedet worden waren. Die Reaktionen der deutschen Regierungen fand er lächerlich und übertrieben. Im Bericht der Untersuchungskommission des Deutschen Bundes wurde er sogar, mit Wissen Hardenbergs, als einer der geistigen Urheber der angeblichen europäischen Verschwörung denunziert. Er bezeichnete seinerseits die deutschen Regierungen als die wahren Jakobiner. Stein machte sich jedoch keineswegs zum Sprecher der Opposition. Je schärfer die liberalen und konservativen Strömungen der Zeit in Konfrontation gerieten, desto mehr nahm er die überkommenen Autoritäten vor einer zersetzenden Kritik in Schutz.

Steins deutsch-nationale Sympathien fanden eine Entsprechung in seiner internationalen Solidarität für gleichgerichtete Bestrebungen. Als Sympathisant der nationalen Aufstandsbewegungen in der napoleonischen Zeit unterstützte er analog durch große Summen den Freiheitskampf der Griechen im Osmanischen Reich, hatte Sympathien für die unter russischer bzw. englischer Herrschaft leidenden Polen und Iren und begrüßte die Loslösung der südamerikanischen Kolonien von ihren Mutterländern Spanien und Portugal. Darin unterschied er sich nicht von den Liberalen, wohl aber in der Bewertung innenpolitischer Emanzipationsbestrebungen.

Für die Ausbildung von Parteien hatte Stein kein Verständnis. Sie schienen ihm ein Widerspruch zum staatstragenden Gemeinschaftsgeist, ein Ausdruck der Zerrissenheit von Staat und Gesellschaft. Deshalb glaubte er, dass die westeuropäischen Staaten Frankreich und England, in denen sich feste Parteilager ausgebildet hatten, nie zur Ruhe kommen würden. Die nach der Julirevolution aufgebrochenen europäischen Unruhen dienten ihm als sprechender Beweis der Schädlichkeit von Parteibildungen. Er beurteilte die Aufstände jedoch differenziert. Trotz seiner negativen Sicht des französischen Nationalcharakters brachte er etwas Verständnis auf für den Widerstand gegen die Ordonnanzen des Fürsten Auguste-Jules-Armand-Marie de Polignac (1780-1847), die am 26.07.1830 die Revolution und den Herrscherwechsel ausgelöst hatten, nachdem sie das Wahlrecht beschränkt, die Pressezensur verschärft und die Kammern aufgelöst hatten. Stein billigte auch die Aufstände gegen die Willkürregimente der Fürsten in Kassel und Braunschweig. Für "verabscheuungswürdig" hielt er besonders die belgische Revolution, die zur Teilung des Königreichs der Niederlande führte. Hier schien ihm eine Pöbelherrschaft zu drohen.
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Karl Freiherr vom Stein, mit dem 1815 verliehenen Großkreuz des ungarischen St. Stephans-Ordens (unten) und dem 1816 verliehenen Schwarzen Adler-Orden (Stern, oben), 1816


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Kombiniertes Ordensband des Freiherrn vom Stein, 1816-1831


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Totenmaske seiner Frau


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Schloss Cappenberg, 1989


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Schlossanlage Cappenberg mit der Kirche St. Johannes Evangelist, um 1930


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Hauptfront zur Hofseite, um 1930


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Südseite mit Schlosspark, 2007


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Therese Marianne Magdalene (1803-1863), jüngste Tochter des Freiherrn vom Stein, verheiratet 1827 mit Ludwig Graf von Kielmansegg


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Henriette Luise (1796-1855), älteste Tochter des Freiherrn vom Stein, verheiratet 1825 mit Hermann Graf von Giech, Thurnau, 1855


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Bildnis des Freiherrn vom Stein ("Minister vom Stein"), Rom 1821
 
 

9.3 Kenner und Förderer der Geschichtswissenschaft

 
 
 
Sein ganzes Leben hindurch widmete sich Karl vom Stein, wann immer er konnte, dem Studium wissenschaftlicher, insbesondere geschichtlicher Werke. Im Laufe der Jahre umgab ihn eine der reichhaltigsten Privatbibliotheken. Der Wissensdurst leitete ihn schon in der Göttinger Studentenzeit, in der bedeutende Lehrer wie Schlözer und Pütter wichtige Grundlagen schufen. Seine Interessen traten, seit und solange er im preußischen Staatsdienst stand, berufsbedingt in den Hintergrund bzw. verschoben sich. In der erzwungenen Muße der Verbannung befasste er sich wieder mit der deutschen Vergangenheit, aber auch der Antike und der französischen und englischen Zeitgeschichte. In Prag, wo er sich seit Juni 1810 aufhielt, vertiefte er sich in die Lektüre wissenschaftlicher Werke. Dabei bemühte er sich gleichzeitig um eine pädagogische Anwendung. Er widmete sich damals intensiv der Erziehung seiner Töchter und legte dabei größten Wert auf die Vermittlung geschichtlicher Kenntnisse. Auf seinem Familiensitz in Nassau baute er nach dem Wiener Kongress einen Turm zu einer Erbauungs- und Erinnerungsstätte aus.

Die Zeitgeschichte färbte Steins Geschichtsbild, besonders das Urteil über nationale Eigenheiten und Unterschiede. Unter dem Eindruck der Französischen Revolution und der napoleonischen Herrschaft verglich er die deutsche und die französische Geschichte. Im jeweiligen Nationalcharakter sah er die unterschiedliche Entwicklungen begründet: dem "rechtlichen" Sinn der Deutschen stand, wie er meinte, ein "unmoralischer Leichtsinn" der Franzosen gegenüber. Die Deutschen hätten "mehr innere Kraft und Beharrlichkeit", mehr Erfinder (Buchdruck, Luftpumpe) und tiefere Denker (Leibniz, Luther, Kepler, Kant) aufzuweisen. Französischen und türkischen Eindringlingen hätten sie tapfer widerstanden, im Innern bürgerliche Freiheit bewahrt. Napoleons Despotismus habe den Sklavengeist, Egoismus und die Ränkesucht der französischen Nation zu Tage gefördert.

Sein Interesse an der deutschen Geschichte pflegte Stein besonders im Ruhestand und hierbei durchaus mit wissenschaftlichen Ambitionen. Die Historie verdankt ihm die Entstehung eines ihrer bedeutendsten Quellenwerke - der Monumenta Germaniae Historica - der wichtigsten und umfangreichsten Quellensammlung zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Stein war dabei nicht nur von einem historisch-wissenschaftlichen, sondern auch von einem pädagogischen Interesse geleitet. Der Geschichtsunterricht sollte das Nationalgefühl ansprechen und pflegen, ein Gegengewicht gegen einzelstaatliche Partikularismen schaffen. Es entsprach dem Geist der Zeit, dass die nationale Erbauung im Mittelalter gesucht wurde, zu dessen Glorifizierung die Romantik wesentlich beitrug.

Stein knüpfte seit 1815 Kontakte mit Gelehrten, Bibliothekaren, Buchhändlern, Politikern, Fürsten und Königen, um das Editionsunternehmen wissenschaftlich, organisatorisch und finanziell aus der Taufe zu heben. In Frankfurt bemühte er sich um die Mitwirkung befreundeter Bundestagsgesandter - Johann Adam von Aretin (1769-1822) aus Bayern und Karl August von Wangenheim (1773-1850) aus Württemberg. Ein erster organisatorischer Erfolg war erreicht, als am 20.01.1819 die "Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde" gegründet wurde, dessen Präsidium dem Freiherrn zufiel. Bis 1824 leitete er in den Wintermonaten in Frankfurt die Arbeiten der Gesellschaft, dann gewann er mit dem hannoverschen Historiker Georg Heinrich Pertz (1795-1876) einen geeigneten wissenschaftlichen Leiter. Karl vom Stein konnte sich auf die Führung der Verwaltungsgeschäfte beschränken.

Der erste Band der Monumenta mit erzählenden Quellen zur Karolingerzeit erschien 1826. Bis zum heutigen Tag sind weit über hundert, in Serien gegliederte Bände erschienen. Die Anfänge dieser renommierten Edition waren mühsam, eine echte Herausforderung für den energiegeladenen Stein, der auch in der Muße des Lebensabends für gemeinnützige Zwecke tätig sein wollte. Das Interesse des Freiherrn an deutscher Geschichte korrespondierte jedoch auch seinem Selbstverständnis und seiner Selbstfindung. Für den Spross einer Reichsritterfamilie bildete das Alte Reich die Basis seines Standes und seiner Lebensform. Wer nach einer Legitimation für den privilegierten Stand suchte, musste den Blick in die Vergangenheit richten, sich mit Geschichte befassen. Nicht nur das nationale, auch das ständische Denken Steins spielte folglich in dem Unternehmen eine Rolle.

Eine praktische Folgerung aus seinen Prämissen war das Finanzierungskonzept: Der Adel sollte die Edition als Stiftung an das deutsche Volk begreifen und für die Kosten aufkommen. Bürgerliche und ausländische Geldgeber wurden abgewiesen. Der Freiherr erklärte sich gegen einen allgemeinen Spendenaufruf. Die Folge war, dass der Quellenedition von bürgerlicher Seite eine reaktionäre Absicht, die Legitimation feudaler Privilegien, unterstellt wurde. Misstrauen gab es auch auf Regierungsseite, die Karl vom Stein als einen liberalen Volksmann verdächtigte. Doch da die Beiträge des Adels hinter den finanziellen Bedürfnissen zurückblieben, war die Hilfe der Regierungen schließlich willkommen. Der Tod Steins erleichterte sogar deren Zahlungen, da die politischen Vorbehalte schwanden. Fortan lag das Editionsunternehmen stärker in der Hand von Gelehrten. Namhafte Vertreter des Faches haben das Werk fortgeführt. Die Monumenta Germaniae Historica besitzen heute selbst eine eindrucksvolle Geschichte. Das Quellenwerk spiegelt große Leistungen der deutschen Geschichtswissenschaft seit anderthalb Jahrhunderten.
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Achteckiger Turm am Steinschen Stadtschloss ("Steinscher Frey Hoff"), datiert 1815 (Portal), 2007


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Eingang zum achteckigen Turm am Steinschen Stadtschloss, datiert 1815 und bezeichnet "ein veste burg ist unser gott // im jahr als man zaehlt mdcccxv" (Portal), 2007


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Kolossalgemälde "Tod Kaiser Barbarossas im Kalykadnos", hinter dem Bischof stehend der Kanzler mit den Zügen vom Steins nach der Zeichnung von Friedrich Olivier (1791-1859), 1832


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Ausschnitt mit Porträt des Freiherrn vom Stein, 1832


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Titelblatt der ersten Ausgabe der Monumenta Germaniae Historica (MGH) mit Quellen zur Karolingerzeit, herausgegeben von Georg Heinrich Pertz, Hannover 1826


Website der Monumenta Germaniae Historica, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Sitz in München hat. Inzwischen sind viele der bis zum Jahr 2000 publizierten Editionsbände der "Monumenta" online zugänglich.
 
 

9.4 Verfechter des ständischen Prinzips

9.4.1 Die rheinisch-westfälische Ständebewegung
 
 
 
Stein bemühte sich nach seiner Niederlassung in Cappenberg um eine Fortsetzung alter Beziehungen und die Bildung eines neuen Freundeskreises aus dem einheimischen Adel, mit dem er in der Folgezeit in einem engem persönlichen und brieflichen Kontakt stand. Aufgrund ihrer gemeinsamen politischen und sozialen Interessen handelte es sich zugleich um eine Zweckgemeinschaft. Sichtbar wird das vor allem daran, dass Stein in konfessioneller Hinsicht ohne Vorbehalte Brücken zum münsterländischen Adel schlug. Selbst die Verstrickung in Dienste für "Rheinbundfürsten" wie den Großherzog von Berg oder den König von Westphalen ließ ihn nicht zurückschrecken oder auf Distanz gehen. So gehörte Ferdinand August Graf von Spiegel (1764-1835) zu den engsten Vertrauten. Bevor dieser 1825 zum Kölner Erzbischof berufen wurde, übernachtete Stein bei dem Domdechanten, wenn er sich in der Provinzhauptstadt Münster aufhielt. Da Spiegel 1817 in den preußischen Staatsrat berufen wurde, suchte ihn Stein auch als Sachwalter seiner Interessen und als Sprachrohr für seine eigenen Ansichten in Berlin zu gewinnen (Ablösungsfrage, Städteordnung).

Stein beteiligte sich an der rheinisch-westfälischen Adelsbewegung, die Staatskanzler Hardenberg im Februar 1818 eine Petition überreichte. Die Petition wurde maßgeblich von ihm beeinflusst und von Friedrich Christian Schlosser (1782-1829) redigiert. Außerdem wirkten federführend an ihr mit: Johann Franz Josef Graf von Nesselrode-Reichenstein (1755-1824), Friedrich Alexander von Hövel (1766-1826), Romberg, Johann Wilhelm Joseph von Mirbach (1784-1849) und Christoph Alexander Karl Friedrich von Wylich (1753-1831).

In der Diskussion um die Regeneration der alten Stände erklärte sich Stein gegen eine Mitvertretung der Bauern durch den Adel, auch gegen dessen völlige Steuerfreiheit. Doch mit dem Argument, dass der Adel bei einem Verlust der Steuerfreiheit auf alte Rechte verzichte, plädierte er für eine Privilegierung beim Steuersatz. Die Deputierten der Bauernschaft sollten aus dem eigenem Stand kommen. Einem - in Steins Terminologie - akademischen Proletariat (Advokaten, Pamphletisten, Schreiber) oder Landproletariat (Heuerlinge, Tagelöhner, Kötter) wollte er den Zugang zu Repräsentativorganen versperren.

Der Freiherr setzte sich ferner für die Anerkennung des Adels als Korporation ein. Eine hermetische Abschließung, wie sie Nesselrode und Mirbach vorschwebte, lehnte er hingegen wiederum ab. Ständig mischten sich reaktionäre mit modernen, liberalen Denkelementen. Unter Anerkennung des monarchischen Prinzips forderte Stein für seinen Stand das Recht einer erblichen Landstandschaft, einen Vorzug bei der Besetzung der höchsten Stellen im Militär- und Zivildienst und die alten Sonderrechte, die dem Adel eine gehobene Stellung in Kreis und Provinz garantieren konnten, wie privilegierten Gerichtsstand, Petitionsrecht, Patrimonialgerichtsbarkeit, Forstgerichtsbarkeit, Aufsichtsbefugnisse über die Gemeindeverwaltung und Einfluss auf die ständischen Selbstverwaltungseinrichtungen.

Der Kronprinz stimmte den in der Denkschrift formulierten Forderungen grundsätzlich zu. Er berief 1822 als Präsident der Kommission zur Vorbereitung des Gesetzes über die Provinzialstände vorzüglich solche Männer zu Mitgliedern, die in der ständischen Adressenbewegung nach den Freiheitskriegen in erster Linie gestanden hatten, aus Westfalen Steins Freunde und Helfer: August Ferdinand Graf von Merveldt (1759-1834), einst fürstbischöflicher Beamter, 1803 preußischer Kriegs- und Domänenrat, Gisbert Christian Friedrich von Romberg zu Brünninghausen (1773-1859), Friedrich Alexander Freiherr von Hövel und Spiegel, aus dem Rheinland Mirbach und Wylich. Sie konnten nicht alle ihre Vorschläge realisieren. Im Gesetz über die Provinzialstände erhielt der Adel nicht die Rechte einer besonderen politischen Korporation, aber er konnte zwei von vier Ständen besetzen. Auch wurde die alte Gliederung der Provinzen nicht die Grundlage der neuen provinzialständischen Organisation.
 
 Westfälische Länder 1818

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Bildnis von Ferdinand August von Spiegel (1764-1835), Graf zum Desenberg, Erzbischof von Köln, 1895
 
 

9.4.2 Die westfälischen Provinzialstände
 
 
 
Durch Gesetz vom 27.03.1824 wurde die Provinzialordnung für Westfalen verabschiedet. Der Landtag gliederte sich in vier Stände. Standesherren besaßen kraft Person ein Mitgliedsrecht. Bei der Verabschiedung des Gesetzes 1824 betrug ihre Zahl elf. Freiherr vom Stein, ursprünglich Mitglied des Ritterstandes, wurde ein besonderer königlicher Gnadenerweis zuteil, als er 1826 auf der Basis seiner Besitztümer Cappenberg und Scheda für seine Person, d. h. nicht erblich, zum Standesherrn erhoben wurde. Ehemaligen Reichsrittern wurde diese Ehre generell nicht zuteil, da sie auf dem Regensburger Reichstag nicht vertreten waren. Standesherren mussten aber per definitionem ein Territorium besitzen, das mit diesem Status ausgestattet war.

Die Provinz Westfalen war für die übrigen drei Stände in sechs Wahlbezirke aufgeteilt. Der zweite Stand, der die Inhaber landtagsfähiger Rittergüter umfasste, verfügte wie der dritte und vierte über zwanzig Deputierte, war also vom Bevölkerungsanteil her deutlich überrepräsentiert. Der dritte Stand rekrutierte sich aus den Abgeordneten der landtagsfähigen Städte. Je nach Größe und alten Rechten konnten die Städte ein eigenes Mitglied oder mit anderen zusammen ein gemeinsames in den Landtag delegieren. Das Wahlverfahren der Landgemeinden baute auf der Kreisgliederung auf. Manche Kreise bildeten gemeinsam mit einem zweiten oder gar dritten Kreis einen Wahlverband, um einen Deputierten zu bestellen. Der Repräsentationsgrad der vier Stände wurde in dieser Ständehierarchie von oben nach unten immer dünner. Die Vertreter besaßen ein freies Mandat und betrachteten sich als Repräsentanten der Provinzinteressen insgesamt.

Die erste Einberufung des Landtages erfolgte zum 29.10.1826, die Schlusssitzung war am 29.12.1826. Der König ernannte am 17.05. dieses Jahres Stein zum Landtagsmarschall, zum Vorsitzenden des Landtags. Das war sein letztes öffentliches Amt - ein Ehrenamt. Er war bis zu seinem Tode unermüdlich für die Provinzialstände und in ihnen für die Interessen seines Standes tätig. Große - allerdings in eine Enttäuschung mündenden - Hoffnungen setzte er auf eine politische Zusammenarbeit der Stände mit Regierung und Verwaltung. Des weiteren sah er in den Ständen ein wertvolles Erziehungsinstitut für die politische Bildung der Öffentlichkeit. Deshalb legte er großen Wert auf eine Publikation ihrer Beratungsergebnisse. Von seinen Freunden waren Merveldt und Romberg Mitglieder des Westfälischen Provinziallandtages von 1826 bis 1831, in den drei ersten Ständeversammlungen, in denen er das Amt des Landtagsmarschalls inne hatte. Romberg war auf dem zweiten Landtag sein Stellvertreter, Merveldt auf dem ersten Direktor des "Ausschusses für städtische und ländliche Kommunalverfassung", der vom 02.11. bis 19.12.1826 tagte und sich mit der Revision der Städteordnung befasste. Stein leitete die Versammlung im konservativen Geiste. Die ständische Gliederung des Landtages stellte er nicht in Frage.

Die Geschichte der provinzialen Selbstverwaltung, die das politische Werk der Reformzeit fortführte, reicht bis zu parlamentarischen Institutionen der Gegenwart, bis zu den heutigen Landschaftsverbänden Rheinland und Westfalen, die von den ehemaligen Provinzen gleichen Namens übrig geblieben sind. Diese Institutionen haben als Einrichtungen der Selbstverwaltung innerhalb des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen sogar die Auflösung Preußens im Jahre 1947 überdauert.
Königreich Preußen:  "Gesetz wegen Anordnung der Provinzialstände für die Provinz Westfalen", 27.03.1824


Die Sitzungen der Provinziallandtage sind ausführlich dokumentiert:

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Festsaal des ehemals Fürstbischöflichen Residenzschlosses zu Münster, Eröffnungsort des 1. Provinziallandtags 1826, um 1930


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"Friedenssaal" im münsterschen Rathaus, Tagungslokal der Provinzialstände, 1863


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Büste Steins, 1842 für den Provinziallandtag von Jakob Schorb (1809-1858) angefertigt


 Gesetz Nr. 46 der Allierten Kontrollbehörde/Kontrollrat: Auflösung des Staates Preußen, 25.02.1947
 
 

9.4.3 Die preußische Verfassungsfrage
 
 
 
So sehr Stein auch die Provinzialstände schätzte und ihren Wert theoretisch und praktisch zu stärken suchte, so geriet doch nie sein Anliegen aus dem Blick, eine analoge Einrichtung auf gesamtstaatlicher Ebene - für ganz Preußen - zu erhalten. Er war Befürworter eines monarchischen Konstitutionalismus, der durch Reichsstände gekrönt sein sollte. Unter dem Eindruck der revolutionären Unruhen in Europa machten sich Mitglieder des dritten Westfälischen Provinziallandtags, der 1830/1831 tagte, die Verfassungsforderung zu eigen, die in Preußen seit dem Versprechen König Friedrich Wilhelms III. vom 22.05.1815 virulent war. Stein wandte einen direkten Antrag an den König ab, den er für ungebührlich hielt, und schlug vor, einen solchen Prinz Wilhelm (1783-1851), dem Statthalter der westlichen Provinzen, vorzutragen, der wiederum als Mittelsmann gegenüber dem Monarchen fungieren sollte. Aufgrund einer Weisung aus Berlin rügte Prinz Wilhelm, dass die Provinzialstände sich das Recht angemaßt hätten, einen derartigen Antrag zu stellen. Stein, dem nur noch wenige Lebensmonate verbleiben sollten, war über diese Zurückweisung empört. Er trat für die Rechte der Provinzialstände und ihre Selbstständigkeit gegenüber der Berliner Bürokratie ein. Eine antimonarchische Kritik hätte er als eine Anmaßung gefunden, eine antibürokratische Kritik schien ihm legitim, auch wenn daraufhin eine Maßregelung von höchster Stelle aus erfolgte.
 
 
 

9.5 Agrarreformen: Ablösungsfrage, Gemeinheitsteilungen

 
 
 
Nach der Verabschiedung des Oktoberedikts von 1807 belastete die Ablösungsfrage noch Jahrzehnte lang die agrarische Welt, insbesondere die Verhältnisse zwischen Grundherren und Bauern. In den westlichen Provinzen war zunächst nicht dieses Gesetz, sondern der Code Civil eingeführt worden, der von einer Freiheit von Person und Eigentum ausging. Dingliche Abhängigkeitsrechte aus grundherrlichen Verhältnissen sollten im Unterschied zu den persönlichen nicht entschädigungslos entfallen. Insofern stellte sich auch in diesem Rechtsgebiet die Ablösung feudaler Rechte als Problem. Sie wurde infolge der Kürze der Zeit der 'Fremdherrschaft' nicht geregelt. Deshalb musste die preußische Regierung hier die Befreiung von Grund und Boden weiterführen bzw. die Umsetzung des Oktoberedikts und der Folgeedikte zeitlich verzögert in Angriff nehmen. Das bezweckte eine Ablösungsordnung für die westelbischen Gebiete vom 25.09.1820.

In diesen Problemkomplex war Stein als westfälischer Rittergutsbesitzer involviert. Gemeinsam mit dem rheinisch-westfälischem Adel bekämpfte er die Ablösungsordnung von 1820. Nach Berlin zur Anhörung bestellte westfälische Deputierte instruierte er eingehend mit Richtlinien zur Verhandlungsführung. Der Erfolg einer Eingabe bestand in einer neuerlichen Prüfung des Gesetzes durch eine Kommission des Staatsrates, deren Bericht den König veranlasste, die Regierungen der Provinz Westfalen und angesehene Gutsbesitzer, unter ihnen Stein, durch den Minister Schuckmann um weitere Gutachten zu bitten. Steins Urteil lautete: "das vollkommene Recht einer Classe von Staatsbürgern" werde bei dem vorliegenden Gesetz "dem Vorteil einer anderen" aufgeopfert. Am erstrebenswertesten sei es, alle Pläne für eine Befreiung des bäuerlichen Eigentums ganz aufzugeben und den gutsherrlichen Verband in denselben Formen wie bisher bestehen zu lassen. Das Gesetz wurde im Anschluss an die Eingaben sistiert und schließlich aufgehoben.

Am 21.04.1825 wurde ein neues Gesetz zur Regelung der gutsherrlich-bäuerlichen Beziehungen erlassen, das den Wünschen Steins und seiner Freunde weitgehend entsprach. Auf dem ersten Westfälischen Provinziallandtag (1826) war die Ablösungsfrage Gegenstand heftiger Kontroversen zwischen dem Adel und den von den städtischen Abgeordneten unterstützten Deputierten des Vierten Standes, der Landgemeinden. Die Regierung hatte dem Landtag einen Gesetzentwurf zur Begutachtung vorgelegt. Mit 40 gegen 23 Stimmen der Ritterschaft und der Standesherren sprach sich die Versammlung gegen die Aufnahme des Modells der Landabfindung in die Ablösungsordnung aus.

Die Ablösungsordnung vom 13.07.1829, die bis 1850 in Kraft bleiben sollte, verabschiedete die Durchführungsbestimmungen. Nach ihr sollte die Ablösung, wie Stein sich das gewünscht hatte, auf dem Wege freier Vereinbarung die Regel sein. Die Bedingungen und die Art der Entschädigung konnten nach dem Ermessen der Beteiligten festgelegt werden. Das in der Provinz Westfalen überwiegend praktizierte Ablösungsmodell bestand in der Kapitalabfindung.

Steins Verständnis seiner eigenen Beziehungen zu den von ihm abhängigen Bauern war altständisch geprägt. Er war und blieb davon überzeugt, dass bei der Landbevölkerung der Sinn für Sittlichkeit und rechtliche Ordnung zerstört würde, wenn man die Bauern von allen Bindungen an die Gutsherren befreite und sie entsprechend dem Grundsatz individueller Freiheit ganz sich selbst überließe. Bis zu einer persönlichen Bevormundung griff er in die familiären Verhältnisse seines sozialen Machtbereichs ein. Er bezeichnete sich selbst als "Dynast von Kappenberg".

Auch Steins Einstellung zur Aufteilung der "Gemeinheiten" zeigt, dass er ein Gegner der liberalen Wirtschaftstheorie war. Er wollte die Behörden so weit wie möglich aus den Auseinandersetzungen mit seinen Bauern heraushalten, um ihnen gegenüber seinen starken persönlichen Einfluss geltend machen zu können. Alle Anträge auf Teilung von bäuerlichem Besitz nach dem Gemeinen Recht lehnte er ab. In vielen Marken hatte er das Amt des Markenrichters inne, das ihn berechtigte, über die Art der Nutzung der Marken und die jedem Markengenossen zustehenden Rechte verbindlich zu entscheiden. Die Gemeinheitsteilung zog sich in der Provinz Westfalen bis zur Jahrhundertmitte hin.
 
 

9.6 Steuerreformen: Grundsteuern, Kataster, Klassensteuer

 
 
 
In einigen preußischen Provinzen, darunter den westlichen, war der Adel in der Reformära grundsteuerpflichtig geworden. Erst 1861, in der "Neuen Ära", konnte für die Grundsteuer das Prinzip der Steuergleichheit im ganzen Staat durchgesetzt werden. Stein war vor und nach 1815 für die Aufhebung der Grundsteuerfreiheit seines Standes, forderte jedoch beträchtliche Steuerermäßigungen für die adligen Güter um ein Drittel bis zur Hälfte der allgemeinen Sätze.

In den westelbischen Provinzen bzw. Teilprovinzen, in denen die Grundsteuerfreiheit während der Fremdherrschaft entschädigungslos aufgehoben worden war, sollte die Privilegierung nachträglich erfolgen. Heftig umstritten waren Modalitäten der Erhebung und Festsetzung der Grundsteuer. Die Liberalen forderten einheitliche Grundsätze im Staat. Ein anderes Konzept bestand in der Auferlegung eines festen Kontingents für jede Provinz, dessen Verteilung dem Provinziallandtag und der Provinzialverwaltung überlassen bleiben sollte. Für dieses Modell, das sich durchsetzte, erklärte sich Stein. Er hoffte, durch den starken Einfluss der adligen Grundbesitzer in der Provinz immer eine günstige Regelung für seinen Stand erreichen zu können. Zwischen den Provinzen fand ein Grundsteuerausgleich statt, so zwischen Westfalen und dem Rheinland. Stein begrüßte den Ausgleich, weil er für Westfalen vorteilhaft war. Die Liberalen sahen darin den ersten Schritt auf dem Wege zu einem Grundsteuerausgleich im Gesamtstaat unter Aufhebung aller Steuerbegünstigungen.

Mit dem Oberpräsidenten Ludwig von Vincke geriet Stein wegen der Katastrierung des Grundbesitzes im Jahre 1827 in eine heftige Auseinandersetzung, an der ihre Jahrzehnte währende Freundschaft zerbrach. Nach einer späteren Aussöhnung stellte sich die alte Herzlichkeit in ihren Beziehungen nicht mehr ein. Stein kritisierte, dass voreingenommene und unfähige Regierungsbeamte bürgerlichen Standes mit der Katastrierung beauftragt seien. Er wünschte die Hinzuziehung von Vertretern der Bauernschaft und der Landaristokratie. Das wichtigste Motiv für den Widerstand gegen das Parzellarkataster war die Befürchtung, dass die Landvermessung ein erster Schritt auf dem Wege zu einer völligen Steuerangleichung sein würde.

Stein sprach in einem Brief an Vincke von einer "rücksichtslosen und willkürlichen Behandlung der ständischen Anträge". Entgegen den Voten zweier landständischer Korporationen habe der Oberpräsident daran mitgewirkt, "das bisherige Verfahren bei dem Kataster" weiter zu verfolgen, "also kostbare Vermessung, Abgabendruck, Willkür bei Ausmittelung der Reinerträge". Ferner warf er Vincke vor, den Finanzminister gegen die von ihm eingereichten Vorschläge voreingenommen gemacht zu haben. Der Oberpräsident bezeichnete darauf hin die Vorwürfe Steins als "anmaßend" und "rücksichtslos", dessen Position als "Verfolgung einer fixen Idee", die ihn zu "Verirrungen, Bitterkeit und Einseitigkeit" geleitet habe. Einer weiteren schriftlichen Erörterung wollte sich Vincke enthalten.

Einer anderen Forderung Steins zur Festigung der agrarisch-aristokratischen Grundlagen der Ordnung von Staat und Gesellschaft, die fideikommissarische Bindung des Grundbesitzes, entsprach die Regierung. Er war ein Gegner des in den westlichen Provinzen geltenden  "Code Civil" und der von ihm rechtlich begründeten Realteilung und befürchtete, dass diese zu einem Herabsinken der großen Bauern in den Stand der Kötter und Einlieger führen würde. Ein besitzloses Landproletariat stellte nach seiner Meinung die größte soziale und politische Gefahr dar.

Hardenbergs Finanz- und Steuerreformen hielt Stein im Rückblick für kritikwürdig. Das Konsumtionssteueredikt von 1810 hatte die vorher auf die Städte beschränkte Akzise auf die ländlichen Kreise ausgedehnt. Wegen des Ausgleichs der bäuerlichen und städtischen Abgaben und der Freigabe der Gewerbe für das Land handelte es sich nach Stein um ein revolutionäres Edikt. Er kritisierte die "allgemeine Gewerbepatentsteuer", die die Erlaubnis implizierte, auf dem Lande jedes Gewerbe betreiben zu dürfen, und die indirekten Steuern auf das platte Land ausdehnte.
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Ludwig Freiherr von Vincke (1774-1844), Oberpräsident der Provinz Westfalen, nach 1840
 
 
Am 30.05.1820 wurde ein mehr als drei Jahre diskutiertes  Abgabengesetz erlassen. Es brachte für das platte Land und die kleinen Städte die Klassensteuer, für die großen Städte eine Reihe von Konsumtionssteuern mit der Mahl- und Schlachtsteuer als Kernstück. Den Städten war freigestellt, sich für die Klassensteuer zu entscheiden, wenn dadurch zumindest ein ebenso hohes Aufkommen erzielt wurde, wie es bei der Konsumtionssteuer zu erwarten war. Stein hatte an dem Gesetz nicht viel auszusetzen. Er vermisste nur eine zusätzliche Besteuerung der großen Vermögen in den Städten, da die Last der indirekten Steuern hauptsächlich von der breiten Masse getragen werden musste. Doch er dachte nicht an eine analoge Sonderbesteuerung der großen Grundbesitzer, die bei dem niedrigen Maximalsatz der Klassensteuer nur verhältnismäßig wenig zu zahlen hatten.

Mehr als zuvor war die Last der Finanzierung der Staatsausgaben den großen Städten aufgebürdet. Stein sah einen Vorzug darin, dass Stadt und Land steuerrechtlich weiterhin getrennt blieben. Damit war im Steuerwesen ein wichtiges Prinzip der ständischen Ordnung behauptet. Im Sinne Steins war es, dass mit der Einführung der neuen Konsumtionssteuern die Anziehungskraft der Städte auf die Landbevölkerung merklich nachließ, da die Preise der Massengüter des täglichen Verbrauchs sofort stark anzogen. Infolge der Erhöhung der Lebenshaltungskosten ging die Geburtenzahl in den großen Städten zurück, auch dies ganz im Sinne von Stein.
 
 

9.7 Kommunalreformen: Die Revision der Städteordnung

 
 
 
1808 wie 1831 war Stein an der Einführung einer für die betroffenen Provinzen und Städte neuen Kommunalverfassung beteiligt - allerdings mit ganz unterschiedlichen Kompetenzen, das eine Mal als leitender Minister, das andere Mal als ehrenamtlicher Funktionär und Ratgeber. Eine der Fragen, die die territoriale Vergrößerung Preußens nach dem Wiener Kongress aufgeworfen hatte, betraf die 1808 eingeführte Städteordnung. Sollte sie in den neu- oder wiedergewonnenen Provinzen eingeführt werden, wenn ja, in gleicher Form oder reformiert? Oder sollte eine neue Verfassung für ganz Preußen geschaffen werden? In Kommissionen, Ministerien und im Staatsrat liefen die Diskussionen über diese Frage in Berlin seit Jahren, bis sie nach der Einführung der Provinzialstände auf Vertreter der Öffentlichkeit ausgedehnt wurden. Von da an partizipierte Freiherr vom Stein aktiv an dem Weg durch die Instanzen. Nach Vorlage der königlichen Revisionskonzepte auf den preußischen Landtagen (1824-1827), die im Innenministerium und im Staatsministerium vorbereitet worden waren, erfolgten die ständischen Beratungen und Stellungnahmen.

Die offizielle Einbindung in die Diskussion begann für Stein mit der Übertragung eines königlichen Beratungsauftrages an den ersten Westfälischen Provinziallandtag im Jahre 1826. Als Marschall der drei ersten Provinziallandtage in den Jahren 1826, 1828, 1830/1831 besaß er eine herausragende politische Position. Mit Gutachten, Kommentaren und Briefen partizipierte er an dem großen Kommunikationsprozess. Insgesamt nahm das dabei angefallene Schrifttum einen um ein Vielfaches größeren Umfang ein als die in den Reformjahren 1807/1808 aus seiner Feder angefallenen dienstlichen Akten.

Trotz der bescheidenen Möglichkeiten einer politischen Einflussnahme von der Provinz aus mühte sich Stein redlich, an der Revision 'seiner' Städteordnung mitzuwirken. Sobald eine neue Instanz in Berlin (Staatsministerium, Abteilungen bzw. Plenum des Staatsrats) mit dem Reformvorhaben befasst war, meldete er sich von Schloss Cappenberg aus schriftlich zu Wort, insbesondere bei Friedrich von Schuckmann, dem Innenminister, aber auch bei Persönlichkeiten aus dem großen Kreis der Briefpartner, von denen er sich - etwa im Staatsrat - ein Wirken in seinem Sinne versprach. Während des Revisionsprozesses stand er mit Johann Hermann Hüffer (1784-1855), dem Vertreter der Stadt Münster im Provinziallandtag, in engem Kontakt. Hüffer war gewissermaßen der Sprecher des dritten Standes bei diesem Beratungsgegenstand. Während des ersten Landtages 1826 arbeitete er entsprechend den Empfehlungen eines Ausschusses einen eigenen Entwurf für eine neue Städteordnung aus.

Blicken wir auf das Resultat der "Reform der Reformen", die Revidierte Städteordnung, so ist deren Richtung offensichtlich. Die preußische Regierung tendierte zu einer fortschreitenden Einschränkung der bürgerlichen Selbstverwaltung durch Staatsaufsicht und Zensusschwelle. Kommunale Vermögens- und Haushaltsangelegenheiten wurden von den vorgesetzten staatlichen Behörden unter Einbindung des Magistrats genauer und enger geregelt. Zwischen aktivem und passivem Wahlrecht, zwischen Stimmrecht und dem Recht auf Wählbarkeit, wurden Hürden aufgebaut. Vermögen und Einkommen bildeten das Unterscheidungskriterium. Eine soziale Öffnung der Wählerschaft fand insoweit statt, als Grundbesitz nicht mehr die einzige Grundlage für die Wahlberechtigung darstellte, sondern auch das übrige Vermögen und Einkommen herangezogen wurden. Die Veränderungen der Revidierten Städteordnung gingen demnach in eine etatistisch-konservative Richtung.

Wie stand Stein zu dieser neuen Fassung "seiner" Städteordnung? Am 05.04.1831 informierte er Hüffer, dass er ein Exemplar von Vincke erhalten und die revidierte Ordnung "mit großem Interesse durchgesehen" hätte. Sein Urteil war eindeutig positiv: "Sie enthält die wesentlichen Bedingungen, unter denen ein freies städtisches Leben möglich ist, Wahl der Vorsteher der Gemeinde und Bestimmung der Grenzen des freien Wirkungskreises." Für die Landgemeinden erwartete Stein die Verabschiedung einer analogen Verfassung, doch deren Einführung (1841) sollte erst ein Jahrzehnt nach seinem Tod erfolgen.

Anders als Stein werteten die westfälischen Städtevertreter die Revidierte Städteordnung. Die 30 ehemaligen oder aktuellen Deputierten des Standes der Städte trafen sich vom 15. bis 17.04.1831 in Münster, um die von der Regierung gestellte Frage zu beantworten, ob sie eine Einführung der älteren oder der neueren Städteordnung wünschten. Hüffer war von Vincke mit der Leitung des Städtetages beauftragt worden. Der Verleger erklärte sich trotz vieler kritischer Einwände für die Revidierte Städteordnung, konnte die Entscheidung der Städtevertreter gegen diese aber nicht verhindern. Letztes Endes sträubten sich die Deputierten des dritten Standes gegen die über den Magistrat ausgeübte Staatskontrolle. Freiherr vom Stein, wahrlich keiner, dem man fehlende Bürokratiekritik nachsagen könnte, nahm daran aber keinen Anstoß. Bürokratie und Stände wurden von ihm vielfach geradezu als natürliche Gegner gesehen. Die Balance, um die es auch in der Städteordnung ging, stellte sich nicht von selbst ein. Das sah der 50-jährige grundsätzlich nicht anders als der 70-jährige Stein, dennoch teilte er nicht die Bewertung der Städtevertreter.
Siehe den Beitrag von Peter Burg über die  "Steinsche Städteordnung und Westfalen", der auch alle relevanten Ordnungen enthält.


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Medaille "Zur Erinnerung an die Hundertjahrfeier der Städteordnung 1808 - 19. Nov. 1908" (Rückseite), mit einem Porträt des Freiherrn vom Stein
 
 

9.8 Kontinuität und Wandel des politisch-sozialen Weltbilds

 
 
 
Ist ein Wandel zwischen dem Reformer Stein und dem Cappenberger Privatmann festzustellen? Im politisch-sozialen Weltbild wohl. Unterhalb des großen Leitbildes eines monarchischen Konstitutionalismus, an dem Stein kontinuierlich festhielt, lässt sich ein Wandel ausmachen. Wollte Stein als leitender Minister die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kräfte Preußens umfassend mobilisieren, angestoßen vom französischen Nachbarn eine Modernisierung wagen, so bekannte er sich im Restaurationszeitalter zu einem Staatskonservatismus. Die Lösung zur Bannung der Revolutionsgefahr lag für Stein nicht mehr in einer Freisetzung gesellschaftlicher Kräfte wie 1807/1808, sondern in einer Begrenzung. Die optimistische Sicht der Reformzeit war verflogen. Das Zutrauen in die Bürger war entschieden schwächer als das Zutrauen in die Vertreter der Staatsmacht.

Die Rheinbundzeit hatte eine traumatische Wirkung bei Stein hinterlassen. Nur so ist die negative Überzeichnung etwa der aus ihr stammenden Mairien zu verstehen. Ihr stand eine ebenso überzogene Hochschätzung der kleve-märkischen Erben- und Kirchspielstage gegenüber, die er als Beamter in der westfälischen Kammerverwaltung kennen gelernt hatte. Der überwiegende Einfluss der Grundherren auf diesen Tagen war genau das Modell, das Stein auch in der Städte- und der Landgemeindeordnung vorschwebte. Ihm schien nicht ein separates Gutsherrendasein erstrebenswert, wie es im Osten Preußens möglich war, sondern eine Einbindung dieser traditionellen Elite in die kommunalen Vertretungsorgane, um dort einen dominanten Einfluss auszuüben.

Den 'alten Stein' kennzeichnete ferner eine Revolutionsfurcht. Mit dem sogenannten "Pöbel" verband er das Schreckgespenst einer Revolution. Das Eindringen des Pöbels in die Bürgerschaft müsse verhindert werden, so seine Forderung. Das sei besonders wichtig in Fabrikstädten wie Bielefeld, Iserlohn, Altena in der Provinz Westfalen, Elberfeld, Aachen, Köln in der Rheinprovinz, wo der Pöbel zahlreich und "roh" sei. In einer Ansprache an die Abgeordneten des dritten und vierten Standes des Provinziallandtages (14.01.1831) forderte er diese zur Bildung einer Koalition gegen die Besitzlosen auf, statt eifersüchtig auf angebliche Vorzüge des Adels zu schauen.

Mit dem Wandel des politisch-sozialen Weltbildes war ein schleichender Verlust der Gesundheit und mentalen Stärke Steins verbunden. Schon seit 1817 war er durch Altersstar auf dem rechten Auge blind. In den letzten Lebensjahren kränkelte er infolge eines Lungenleidens und wegen Herzverfettung. Karl vom Stein ertrug die körperlichen Leiden in einer stoischen Haltung und sah dem Tod gefasst entgegen. Innerlich vorbereitet starb er am 29.06.1831 auf Schloss Cappenberg an den Folgen eines Schlaganfalls. Seinem letzten Willen entsprechend wurde der Leichnam einbalsamiert und in der Familiengruft in Frücht bei Bad Ems - nahe seines Geschlechts - beigesetzt.
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Letztes Bildnis des Freiherrn vom Stein, vielleicht Skizze von seiner Tochter Henriette (1796-1855), um 1830/1831


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Totenschild von "Heinrich Friedrich Carl Freiherr vom und zum Stein, Königl. Preuss. Staatsminister, geboren den 25ten October 1757, gestorben den 29ten Juni 1831"


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Gruftkapelle für Karl Freiherr vom Stein in Frücht bei Bad Ems, errichtet 1836 vermutlich nach den Entwürfen von Johann Claudius von Lassaulx (1781-1848)


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Grabdenkmal für Karl Freiherr vom Stein in der Gruftkapelle Frücht bei Bad Ems, 1837/1838