Soest > Aldegrever: Raum Lippstadt, Soest und Unna


 
Reimer Möller

Raum Lippstadt, Soest und Unna -
Soziale und politische Verhältnisse in der Epoche Heinrich Aldegrevers

 
 
 
Heinrich Aldegrever wurde 1502 in Paderborn geboren und siedelte sich nach seinen Gesellen- und Wanderjahren in Soest an.

Zu seiner Zeit stand in Deutschland die Gesellschaft schon länger unter Druck. [1] Das Gebiet unseres heutigen Staates litt zwischen 1470 und 1610 unter einer schweren Wirtschaftskrise. Die Bevölkerung war stark angewachsen, die Leistungsfähigkeit von Landwirtschaft und Handwerk aber nicht. Deshalb überstieg die Nachfrage das Angebot und die Preise stiegen. Die Steigerungen waren nicht für alle Warengruppen gleich: Getreide wurde um 260 % teurer, Fleisch um 180 %, gewerbliche Investitionsgüter aber nur um 80 %. Diese Disparität war der Grund dafür, daß es dem Handwerk in den Städten schlecht ging.

Zu diesem allgemeinen Problem kamen spezifische negative regionale Faktoren kumulierend hinzu. Zwischen 1494 und 1503 wurde unsere Region von mehreren Seuchenumzügen heimgesucht. Allein die Pestepidemie von 1517 forderte in Soest 3.600 Todesopfer, ungefähr ein Drittel der Soester Bevölkerung. [2] Welche Ängste diese demographischen Katastrophen ausgelöst haben, kann man sich nicht extrem genug ausmalen. Aldegrevers Zeitgenossen standen dieser verheerend tödlichen Krankheit hilflos gegenüber. Der Übertragungsweg der Pestinfektion ist medizinisch erst in den 1890er Jahren geklärt worden, und erst seitdem kann die Krankheit erfolgreich bekämpft werden. 3.600 Tote waren ungefähr ein Drittel der Soester Bevölkerung.

Hinzu kamen mehrere Mißernten im Umland und die fortwährenden militärischen Repressalien der Kölner Erzbischöfe, die sich mit ihrer Niederlage in der Soester Fehde (1444-1449) nicht abfinden wollten. Zeichen der Krise waren, daß Bettelei und Diebstähle zunahmen. Die Zahl der Verleihungen des Soester Bürgerrechts nahm dagegen ab, ebenso die Zahl der an auswärtigen Universitäten immatrikulierten Soester Studenten. Das waren Indizien dafür, daß die Attraktivität der Stadt sank.
Klaus Kösters /
mit einem Beitrag von Reimer Möller

Bilderstreit und Sinnenlust -
Heinrich Aldegrever (1502-2002)


 
 
Besser als Statistiken zeigt ein rigider Ratsbeschluß, wie schlecht es stand: 1524 strich der Rat alle seine Feste, bis auf eins: Das bis auf den heutigen Tag gefeierte Philips-Essen. Dieses ursprünglich dreitägige Fest zum Gedenken an den 1191 gestorbenen Stadtherrn, den Kölner Erzbischof Philip von Heinsberg, wurde auch nicht aus städtischen Mitteln, sondern aus Erträgen eines Vermögens bezahlt, das der mittelalterliche Würdenträger extra zu diesem Zweck gestiftet hatte. Sonst, in normalen Zeiten, gab der Rat durchschnittlich 13,5 % des Jahresbudgets für seine Feiern aus.


Katholische Geistlichkeit als (wirtschaftliche) Macht

Die Geistlichkeit, immerhin rund 5 % der Soester Bevölkerung, war ein wirtschaftlicher Faktor ersten Ranges. Immerhin waren rund 36 % der Fläche der Soester Börde in kirchlicher Hand. Der geistliche Stand genoß einen besonderen Wettbewerbsvorteil: Er durfte zu den städtischen Lasten und Abgaben nicht herangezogen werden. Diese Sonderstellung war schon immer ein Konfliktpunkt. Jetzt, als die Renten und Einkünfte der städtischen Mittelschicht zurückgingen, potenzierte sich die politische Brisanz dieses Problems. "In diesen so vorbereiteten Nährboden sozialer Spannungen ... konnten die frühreformatorischen Gedanken wie ein Zündfunke einschlagen.“ [3]

Die entscheidenden Ausgangspunkte, die damalige theologische Erneuerungsdiskussion aufzunehmen und in unsere Region zu tragen, waren zwei Klöster: das Augustiner-Eremitenkloser in Lippstadt und das Dominikanerkloster in Soest. Der Augustinermönch Johannes Westermann hatte sich für drei Jahre zum Studium nach Wittenberg begeben und dort 1524 die theologische Doktorprüfung abgelegt. Anschließend predigte er als Lutheraner in Lippstadt und verfaßte einen "Katechismus“. [4] Das war der erste "literarische Versuch, der Lutheraner in Westfalen, der Jugend und dem Volk die evangelischen Glaubenswahrheiten in der Landessprache nahezubringen.“ [5]

Unter dem Eindruck dieser Einwirkungen auf die Öffentlichkeit entstand eine evangelisch gesinnte Bewegung in den Städten. Schon Aldegrevers Elternhaus in Paderborn hatte dazugehört und vermutlich hatte er sich für Soest entschieden, weil die neue Richtung hier besonders stark war. Aldegrever schloß sich den "Eidgesellen“ an. In solchen, auch an anderen Orten bestehenden, evangelischen Geheimbünden traf man sich, um humanistische und reformatorische Schriften zu lesen und zu diskutieren und um gesellig zu essen und zu trinken. Die Soester Eidgesellen entstammten den gehobenen Mittelschichten und waren einflußreich. Es gehörten Patrizier, Bürgermeister, Ratsherren, Richter und Hauptleute der Schützengesellschaften dazu; stark vertreten waren Handwerksmeister.

"Für den freieren Geist, der in diesem Kreise herrschte, spricht nach Meinung des Münsterschen Theologen Christian Peters, auch der Umstand, daß sich der Richter Johann von Affeln und seine Frau, die frühere Begine Gante Stine, nackt von Heinrich Aldegrever zeichnen ließen, wofür sie vom Rat streng bestraft wurden“. [6] Dieses Blatt ist leider nicht überliefert.

Die Ausstellung führt Aldegrevers protestantisch geprägte Arbeiten in Beispielen vor. Etwa die biblischen Geschichten vom armen Lazarus und vom barmherzigen Samariter illustrieren die von der katholischen Lehre verschiedenen Vorstellungen von den Voraussetzungen zum ewigen Leben nach dem Tod.

Aldegrever war auf die geistige Strömung seiner Zeit, den Humanismus, eingeschworen, zu der Interesse an antiken Schriftstellern, an griechischer und römischer Mythologie gehörten. Exemplarisch stehen dafür Aldegrevers Stiche der Heldentaten Herkules und zweier sagenhafter Episoden aus der römischen Geschichte.

Seine Totentanz-Folge präsentiert die Hierarchie der katholischen Geistlichkeit vom Papst bis zum Abt jeweils in der Konfrontation mit dem als Skelett personifizierten Tod. Kritisch wird auf sittliche Fehlverhaltensweisen der hohen Kleriker angespielt, etwa das Streben nach Reichtum durch Ablaßhandel und Pfründenwirtschaft oder Einmischung in weltliche Dinge durch politische Machtausübung.

Das aggressivste Motiv zeigt Mönch und Nonne bei der körperlichen Liebe. Tatsächlich war es an der Wende vom 15. zum 16. Jh. um die Normgerechtigkeit der Lebensführung des westfälischen Klerus nach kirchlichen Maßstäben besonders schlecht bestellt. Beklagt wurden Konkubinate, d.h. eheloses Zusammenleben mit Frauen, und uneheliche Kinder. Nach heutigen Vorstellungen war die "Sittenlosigkeit“ recht undramatisch. Sie bestand im wesentlichen darin, daß die damaligen Kleriker einen Drang zu Lebensformen hatten, wie sie für Erwachsene nichtgeistlichen Standes üblich waren.


Zunehmende Verwilderung der Sitten

Die "Verwilderung“ in dieser Hinsicht wird in der Literatur auf die fortgesetzten kleineren kriegerischen Verwicklungen in der Region, insbesondere die Soester Fehde, zurückgeführt. Verschiedene, von Alois Teodoruk zusammengestellte Anzeichen deuten darauf hin, daß die westfälische Bevölkerung am Sexualleben der Geistlichen weitgehend uninteressiert war. In den scharfen polemischen Kontroversen mit den Klerikern spielten Fragen ihrer persönlichen Lebensführung keine Rolle, insofern ist Aldegrevers Blatt für die Hellweg-Region nicht repräsentativ.

1531 setzte sich die Reformation in Soest und Lippstadt durch. Die Lippstädter hatten Gerd Oemeken, einen der erfolgreichsten westfälischen Reformatoren, in ihre Stadt geholt. Er kämpfte mit äußerster Entschiedenheit, Aggressivität und Kompromißlosigkeit. "Die Obrigkeiten in Stadt und Land fürchteten ihn, weil überall, wo er auftrat, das politische und soziale Gefüge ins Wanken geriet und Aufruhr und Streit entstanden, eine Wirkung, die Oemeken zweifelos beabsichtigte.“ [7]

Gerade in Lippstadt war die Gewalt der landesherrlichen Obrigkeit recht schwach. Die Stadt gehörte zugleich zum Herzogtum Kleve und zur Grafschaft Lippe, und die Reibungsverluste dieses "Kondominiums“ öffneten dem Lippstädter Rat weitgehende politische Selbständigkeit.

So beschwerte sich Herzog Johann III. vergeblich, daß der Rat Prediger ohne Zustimmung der beiden Stadtherrn eingestellt habe. Gerade das Auftreten Oemekens mußte er als Provokation empfinden, nachdem er den radikalen Prediger gerade aus Büderich verjagt hatte.

Am "Fastelabend“ 1531 setzten die Lippstädter Gilden unter Dr. Westermanns Führung den Rat unter Druck. Die Menge vertrieb die katholisch gebliebenen Mitglieder und ersetzte sie durch Anhänger der neuen Richtung. Ein 16köpfiger Reformationsausschuß wurde gebildet, der dem eigentlichen Rat der Stadt Weisungen erteilen konnte.

Oemeken arbeitete nach Wittenberger Vorbild eine Gottesdienstordnung aus und am 20.08.1531 wurde der erste Gottesdienst in deutscher Sprache abgehalten.

Im November 1531 verhängten die beiden Stadtherren, der Herzog von Kleve und der Graf von der Lippe, gemeinsam mit dem Erzbischof von Köln und weiteren Verbündeten eine Verkehrssperre über Lippstadt, die die Wirtschaft stark schädigte und die erst nach der Kapitulation der Stadt am 13.06.1535 aufgehoben wurde.

Die Stadt mußte einen Vertrag schließen, der sie verpflichtete, die kirchlichen Neuerungen zurückzunehmen, eingezogenes Kirchengut zurückzugeben und altgläubige Prediger einzustellen, die das Abendmahl in herkömmlicher Weise ausgaben. [8] Eine Klausel sah allerdings vor, daß die Prediger bis zu einem allgemeinen Konzil berechtigt sein sollten, jedem, der es nicht anders mit seinem Gewissen vereinbaren konnte, das Abendmahl auch in beiderlei Gestalt zu geben. Die politische Autonomie des Lippstädter Rates ging verloren. "Die reformatorische Bewegung Westfalens", schreibt Schröer, "hatte einen gefährlichen Rückschlag erlitten." [9] Im kirchlichen Leben änderte sich wegen der dehnbaren Bestimmungen und Herzog Johanns Verzicht auf kontrollierende Eingriffe allerdings wenig. Unter dem Druck der evangelischen Bevölkerungsmehrheit wurden die Altgläubigen und ihre Einrichtungen schrittweise zurückgedrängt.

In Soest waren die Vorgänge um den "Thomasauflauf“ im Dezember 1531 entscheidend. Zwischen dem 2. und 3. Advent kam der Geistliche Johann Wulf von Kampen nach Soest. Ein Mann, der für kurze Zeit der führende Kopf der reformatorischen Bewegung wurde, sie später aber wegen seiner zwielichtigen Machenschaften in eine Krise stürzte. [10] Mit Einverständnis der anderen evangelisch gesinnten Prediger hielt er am Thomastag, den 21.12.1531, die Frühpredigt in St. Pauli.


Ruhe und Ordnung kaum zu gewährleisten

Vor seiner Nachmittagspredigt in St. Petri wurde er von den städtischen Stockknechten, den städtischen Ordnungshütern, verhaftet. Zur Sicherung von Ruhe und Ordnung hatte der Rat nämlich seit einiger Zeit generell auswärtigen Predigern die Soester Kanzeln verboten. Die Stockknechte hatten einen schweren Stand. Von Kampen wurde von der Gemeinde auf der Stelle befreit. Die empörte Menschenmenge setzte die beiden katholisch gesinnten Bürgermeister gefangen und plünderte deren Häuser. In der Stadt kam es zu Ausschreitungen.

Nach Verhandlungen kamen die Bürgermeister wieder frei und die Unruhen konnten beigelegt werden. Das Ergebnis wurde am 23.12.1531 im sogenannten "Bundbrief“ festgehalten. Darin stand auch, daß Gottes Wort in allen Soester Kirchen so gepredigt werden solle, wie in Wittenberg, Nürnberg, Augsburg, Rostock, Hamburg und anderen Zentren der Reformationsbewegung. Damit war Soest evangelisch geworden.

Aufgrund der weitgehenden Autonomie der Stadt stand der Rat vor der Aufgabe, die kirchlichen Verhältnisse neu zu regeln. Unter den evangelischen Prädikanten der Stadt hatte niemand die Voraussetzungen, eine neue Kirchenverfassung auszuarbeiten. Als geeignet erschien Superintendent Magister Gerd Oemeken. Im Auftrag des Soester Rates reiste Heinrich Aldegrever am Neujahrstag 1532 nach Lippstadt, um Oemeken für die zugedachte Aufgabe zu gewinnen - mit Erfolg.

Bis Mitte April 1532, also rund drei Monate, brauchte Oemeken für seine "Ordinanz“, in der Glaubensinhalte, die Rechts- und Zuchtordnung, die Verwaltungs- und Führungsstruktur der Gemeinden, die Form der Gottesdienste festgelegt und das Ausbildungswesen neu gestaltet wurden. Das noch heute bestehende Amt des Soester Superintendenten und das Archigymnasium gehen auf diese "Kirchenverfassung" zurück.

In ruhigen Bahnen vollzog sich die weitere Entwicklung gerade nicht. Am Sonntag Laetare, dem 23.05.1533, fand der evangelische Superintendent de Brune während seines Gottesdienstes die Kanzel im Partokli-Münster mit Galgen und Rad bemalt. [11] In seiner Predigt erhob er die Anschuldigung, dieser Schimpf sei von Papisten angerichtet worden. Die Malereien sollten nicht ihn persönlich beleidigen, sondern seien zum Hohn des Evangeliums ausgeführt worden.

Darauf reagierte die Öffentlichkeit aggressiv. Unbekannte brachen die Tür zum Patrokli-Turm auf und läuteten die Glocken. Das war das Zeichen für die Bürgerschaft, sich vollzählig nach Hofen geordnet auf dem Petrikirchplatz zu versammeln. Die gesamte altgläubige Geistlichkeit wurde zur Befragung ins Rathaus beordert. Dort ließen sich geordnete Verhandlungen gegen den Tumult nicht durchführen. Die Geistlichen und die Ratsmitglieder mußten fliehen. Die Volksmenge drang in die Wohnungen der katholischen Kleriker ein, scheint aber keinen großen Schaden angerichtet zu haben. Die Quellen berichten nur, daß den Betroffenen ihr Bier ausgetrunken wurde. Die unruhige Aufruhrstimmung hielt eine ganze Woche lang an. Der Druck auf die altgläubigen Geistlichen ließ nicht nach, sie verließen die Stadt.


Verhältnisse beginnen sich zuzuspitzen

Die nächste brisante Zuspitzung begann banal. In länger zurückliegenden Zeiten war es Brauch gewesen, im Weinhaus an dem Tag, an dem der Rat die städtische Waage verpachtete, den Wein frei auszuschenken. Dieser Brauch mußte wegen der angesprochenen mißlichen Lage der städtischen Finanzen aufgehoben werden. Am 02.05.1533 war die Verpachtung wieder unter Dach und Fach gebracht und im Weinhaus zechten fünf Männer. Einer von ihnen, nach den Quellen, "der jüngste und dümmste“, kündigte dem anwesenden Kämmerer an, alle fünf Zecher wollten im Hinblick auf den alten Brauch nicht zahlen. Würde auf Bezahlung bestanden, wollten sie dermaßen gewalttätig werden, daß man noch 50 Jahre später davon reden würde.

Johann Cubach, der Kämmerer, lenkte ein. Dennoch kam es zu tätlichen Auseinandersetzungen mit anderen Gästen. Die Prügelei verlief glimpflich.

Der Rat ließ die fünf verhaften. In den Verhören gestanden sie, sich im vorhinein verbunden zu haben, um einen Auflauf herbeizuführen. Wegen Verschwörung verurteilte der Rat alle fünf zum Tode. Zur kurzfristig angesetzten Hinrichtung hatten sich 2000 Menschen auf dem Markt versammelt. Beim ersten Delinquenten schlug der Henker fehl. Er traf die Schulter. Auch der zweite Hieb traf den Hals nicht. Trotz seiner Verletzungen hatte der Delinquent Johann Schachtorp Kraft genug, mit den Zähnen seine Handfessel zu lösen und dem angetrunkenen Henker das Richtschwert wegzunehmen. Eine Zeitlang - bis ihn die Kräfte verließen - konnte Schachtorp das Schwert um den Kopf schwingen und so den anderen Henker abwehren.

Das makabre Schauspiel ließ im Publikum die Wut gegen die Scharfrichter steigen. Um ihr Leben zu retten, flüchteten sie ins Graue Kloster. Die vier unversehrten Todeskandidaten wurden ins Rathaus zurückgebracht, der Verletzte in sein Haus geschafft; er starb am folgenden Tag.

Der Rat begnadigte die vier Verurteilten, verwies sie aus der Stadt und stellte die bezeichnende Bedingung, sie müßten mit Brief und Siegel anerkennen, sie seien zu Recht zum Tode verurteilt worden und sie müßten weiter erklären, daß weder sie selbst noch ihre Erben noch ihre Verwandten gegen den Soester Rat vorgehen würden. Die damaligen politischen Repräsentanten waren sich offenkundig nicht mehr ganz sicher, mit ihrem nur kurze Zeit reflektierten, mörderischen Urteil der Gerechtigkeit einen Dienst erwiesen zu haben.

Sein Ziel, durch konsequente Härte seine Autorität zu stärken, hatte der Rat nicht erreicht, im Gegenteil: Alle fünf zum Tode Verurteilten waren evangelisch, der Hingerichtete sogar Eidgeselle gewesen. Große Teile der Bevölkerung empfanden den Vorgang als Schlag gegen die evangelische Bewegung. Deshalb konnten die verantwortlichen Politiker ihres Lebens nicht mehr sicher sein. Zwei Bürgermeister und mehrere Ratsherren mit Familienangehörigen zogen es vor, Soest für einige Zeit zu verlassen. Zu den 16 Angehörigen der politischen Prominenz, die nach Hamm ins Exil gingen, gehörte auch Andreas von Dael, der Bauherr des Hauses, das die gegenwärtige Ausstellung beherbergt.

1534 quartierten sich acht Missionare der Täufer in Soest ein. Dieser Zweig der radikalen Reformation hatte die Stadt Münster unter Kontrolle gebracht und weitgehende sozialreformerische Umgestaltungsversuche unternommen. An der Spitze der Münsterschen Täufer stand der Schneidergeselle Johann van Leyden als König. Unter ihm regierten 12 Herzöge. Einer von ihnen, Bernd Knipperdolling, übte die Gerichtsbarkeit aus. Er ist verantwortlich für viele Hinrichtungen.

Daß der Soester Rat die Täuferbewegung als politische Gefahr empfand, ist verständlich. Deshalb ließ der Rat die Fremden zweimal auffordern, die Stadt zu verlassen. Als sie sich weigerten, wurden sie verhaftet, zum Tode verurteilt und am 23.10.1534 zwischen dem inneren und äußeren Osthofentor - also im heutigen Bereich der Fahrbahn des Nelmannwalls - mit dem Schwert hingerichtet.


Täuferrepublik blutig niedergeschlagen

Im Jahr darauf wurde die Täuferrepublik in Münster nach einer Belagerung blutig niedergeschlagen und ihre Führer gefoltert und hingerichtet. Ihre toten Körper wurden in Eisenkäfigen am Turm der Lamberti-Kirche befestigt. H. Aldegrever hat van Leyden und Knipperdolling, die führenden Täufer porträtiert. Er sie nicht herabsetzend karikiert, sondern respektvoll mit feudalen Herrschaftsattributen dargestellt. Nur die Inschriften der Kupferstiche bringen Verurteilung zum Ausdruck. Deshalb wurde in der Literatur die Geradlinigkeit seiner lutherischen Ausrichtung in Zweifel gezogen. Daß er tatsächlich keine täuferischen Sympathien hatte, belegt auch das ausgestellte Blatt "die Badestube der Wiedertäufer“, das sexuelle Polemik gegen diese Bewegung richtet.

Bekanntlich geriet die Reformation durch Entwicklungen auf höchster Ebene in eine äußerst schwere Krise. Die im "Schmalkaldischen Bund“ zusammengeschlossenen evangelischen Reichsstände erlitten 1546/47 eine militärische Niederlage. [12]

Lippstadt wurde im März 1547 von den Söldnern des Landsknechtsführers Andreas Packemoir besetzt. Wegen Begünstigung des Schmalkaldischen Bundes verurteilte das Reichskammergericht in Speyer die Stadt Lippstadt später zu 7000 rheinischen Goldgulden Geldstrafe.

Am 15.05.1548 verkündete der in Augsburg versammelte Reichstag das "Augsburger Interim“, das zwar evangelischen Vorstellungen vom Abendmahl Rechnung trug, aber die Durchführung der Gottesdienste in katholischen Formen vorschrieb. Am 15. Juni erschien ein kaiserlicher Herold in Soest, der den Rat aufforderte, das neue Reichsgesetz in allen Punkten anzuerkennen und durchzuführen.

Diplomatischer hinhaltender Widerstand war vergeblich. Der Rat mußte die Oemekensche Kirchenordnung aufheben, seinen evangelischen Predigern die Kanzeln verbieten und sie schließlich sogar der Stadt verweisen. Äußerlich wurde Soest völlig rekatholisiert.

Auch Aldegrever hat sich gegen das Interim aufgelehnt, in welcher Form ist nicht bekannt. Im Ratsprotokoll ist notiert, daß er am Montag nach andrea apostoli 1548 vorgeladen wurde. Belangt wurde er nicht, aber er mußte künftiges Wohlverhalten geloben und dafür Bürgen stellen. [13]

In Lippstadt fanden sich die beiden Stadtherrn am 10.11.1548 im Rathaus ein. Sie warfen dem Rat vor, die Verpflichtung aus dem Kapitulationsvertrag, das lutherische Bekenntnis aufzugeben, nicht eingehalten zu haben. Die Geistlichen mußten sich einer Bekenntnisprüfung durch die Räte der Stadtherrn unterziehen, die dann über Verbleib oder Entlassung entschieden. Die Bemühungen um Rekatholisierung verliefen schleppend.

Im Juni 1552 wurde das Interim durch den "Passauer Vertrag“ aufgehoben. [14] Herzog Moritz von Sachsen hatte das Heer, das ihm zur Belagerung der evangelischen Stadt Magdeburg zur Verfügung gestellt war, zweckentfremdet und eingesetzt zu einem Überfall auf Kaiser Karl V. in seinem Lager bei Innsbruck. Damit war die Macht des Kaisers gebrochen und die Kräfte der Rekatholisierung hatten überraschend und schlagartig ihren Rückhalt verloren.

In Soest hatte der Rat wieder freie Hand zur Ordnung der kirchenpolitischen Verhältnisse. Die Genugtuung über das Obsiegen seiner Richtung hat Heinrich Aldegrever nicht lange auskosten können. Seine letzte datierte Arbeit trägt die Jahreszahl 1555. In einem Archivdokument aus dem Jahre 1561 ist von seinem Nachlaß die Rede. Im dazwischenliegenden Zeitraum ist er gestorben.

In Unna gewann die Reformation erst nach Aldegrevers Tod und dem Augsburger Religionsfrieden (1555) an Boden, was an der persönlichen Zugkraft des Geistlichen Johann zum Brock lag, eines entschiedenen Katholiken, der sich der Neuerungsbewegung entgegenstellte. Auf Dauer konnte er sich aber nicht durchsetzen. Seine drei Hilfsgeistlichen und der Schulrektor hielten Gottesdienste in deutscher Sprache mit Billigung des Rates. Zu Allerheiligen 1559 nahm der Rat der Stadt das Abendmahl in beiderlei Gestalt und 1561 fand die letzte Karfreitagsprozession statt. [15] Angesichts dessen wollte Pfarrer zum Brock aus dem Dienst ausscheiden, wurde aber von Bürgermeister und Rat gehalten. [16]




Anmerkungen

[1] Henning, Friedrich Wilhelm: Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft in Deutschland. Band 1: 800 bis 1750. Paderborn 1979, S. 183ff.
[2] Teodoruk, Alois Walter: Rat, Bürgerschaft und Klerus in Soest am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Hausarbeit zum Staatsexamen für das Lehramt in der Sekundarstufe II. Tskr. Münster 1983, S. 124.
[3] Teodoruk, Rat, S. 225.
[4] Schüpp, Heinrich W.: Handlungsspielräume einer Bürgerschaft während der Frühzeit der Reformation. In: Lippstadt. Beiträge zur Stadtgeschichte. Hrsg. von Wilfried Ehbrecht. Teil I. Lippstadt 1985 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Lippstadt, Bd. 2), S. 261ff.
[5] Schröer, Alois: Die Reformation in Westfalen. Der Glaubenskampf einer Landschaft. Band 1. Münster. 1979, S. 296.
[6] Peters, Christian: Vom Wormser Edikt (1521) bis zum Augsburger Religionsfrieden (1555). Der Beitrag der Prädikanten zur Soester Stadtreformation. In: Soest. Geschichte der Stadt. Band 3: Zwischen Bürgerstolz und Fürstenstaat. Soest in der frühen Neuzeit. Hrsg. von Ellen Widder. Soest 1995 (Soester Beiträge, Bd. 54), S. 3.
[7] Schröer, Reformation, Bd. 1, S. 298.
[8] Ausführlich dazu: Remling, Ludwig: Die konfessionelle Entwicklung von der Niederlage der Stadt (1535) bis zum Westfälischen Frieden (1648). In: Lippstadt, S. 281ff.
[9] Ebenda, S. 304.
[10] Peters, Edikt, S. 13.
[ 11] Schwartz, Hubertus: Geschichte der Reformation in Soest. Soest 1932, S. 96ff.
[ 22] Peters, Edikt, S. 34.
[ 13] Schwartz, Reformation, S. 225.
[ 14] Peters, Edikt, S. 42.
[ 15] Schröer, Reformation, Bd. 1, S. 256f.