PERSON

FAMILIEKoch
VORNAMEChristine


GESCHLECHTweiblich
GEBURT DATUM1869-04-23   Suche
GEBURT ORTHerhagen bei Meschede
EHEPARTNER1905 Wilhelm Koch
TOD DATUM1951-04-18   Suche
TOD ORTBracht


VATERWüllner, Caspar
MUTTERNolte, Luise


BIOGRAFIEDie "sauerländische Nachtigall" wurde spät entdeckt - in einem kleinen Dörfchen namens Bracht. Hier, auf einem Bauernhof mit dazugehöriger Gastwirtschaft, lebte, arbeitete und dichtete Christine Koch, geborene Wüllner. Sie war immerhin bereits 55 Jahre alt, als im Jahr 1924 ihre erste Sammlung von Gedichten in Sauerländer Dialekt erschien unter dem plattdeutschen Titel "Wille Räusen" ("Wilde Rosen").

Das schmale Bändchen, das sie "meinem lieben Sauerland" gewidmet hatte, erntete beste Kritiken. Ein Kenner plattdeutscher Dichtung rühmte, Christine Koch sei eine "niederdeutsche Dichterin von großem Wohllaut und feinem, echten Gefühl", sie sei "eine schlichte reine Seele von großer Herzensgüte und tiefer Frömmigkeit". Und Augustin Wibbelt, der damals schon bekannte plattdeutsche Lyriker, rühmte die Landwirtstochter und Lehrerin, die Bäuerin und Lyrikerin Christine Koch mit folgenden Worten: "Sie hat neben dem Vorzuge der engen Naturverbundenheit den ergänzenden Vorzug eines erweiterten Gesichtskreises, ohne daß man irgendwo störend die 'Bildung' spürt. Dazu ist sie viel zu sehr Dichterin, zu schlicht und zu echt."

Chistine Koch verfaßte auch zahlreiche Erzählungen und Geschichten. Vor allem aber ihre Heimat- und Naturgedichte, zumeist in Sauerländer Dialekt geschrieben, brachten ihr den Ruf der "sauerländischen Nachtigall" ein.

Weniger bekannt freilich sind andere Seiten ihres dichterischen Werkes: die satirischen Seitenhiebe auf betuliche und fragwürdige Heimattümelei beispielsweise, in dem Gedicht "Iulen / Eulen" vorgetragen, die düstere und ausdrucksstarke Anklage ländlichen Elends ("Awer't achte is däot / Aber das Achte ist tot") oder schließlich - um ein weiteres Beispiel zu nennen - die mit wenigen kraftvollen Strichen gezeichnete ländliche Idylle ("Hius in der Sunne / Haus in der Sonne").

Christine Koch selbst sah sich als "Herrgottsschreiberlein", wie sie in einem plattdeutschen Gedicht bekannte. "Ich bin nicht groß und auch nicht klein", heißt es da nüchtern und doch durchaus selbstbewußt. Und weiter: "Ich schreibe, weil ich schreiben muß / ich singe auch, wenn das Herz blutet / die Klänge ziehe durch Wiese und Feld / sie sind nicht für die große Welt."

Christine Wüllner - so ihr Geburtsname - wurde am 23. April 1869 in Herhagen, einem kleinen Dorf zwischen Eslohe und Meschede, geboren. Ihre Mutter Luise Wüllner, geborene Nolte, stammte aus dem nahen Reiste und war Tochter des Dorflehrers und Organisten; ihr Vater Caspar Wüllner war Landwirt. Er hatte - für einen Bauern in damaliger Zeit - ein ungewöhnliches Hobby: Caspar Wüllner las leidenschaftlich gern und viel. Die Wohnstube des Bauernhauses, so wird überliefert, muß eine regelrechte Bibliothek gewesen sein, in dem plattdeutsche Lesebücher ebenso zu finden waren wie die Werke der deutschen Klassiker.

Christine Wüllner wuchs also in einer literarisch "vorbelasteten" Umgebung auf. Die Eltern förderten ihre Tochter und ermöglichten ihr nach dem Besuch der Volksschule eine fundierte Berufsausbildung: Gerade 16jährig bestand Christine Wüllner die Aufnahmeprüfung für das Lehrerinnenseminar am Ursulinenkloster in Duderstadt. Zwei Jahre später legte sie vor der staatlichen Prüfungskommission in Hannover ihr Abschlußexamen zur Volksschullehrerin ab.

Als 19jährige junge Frau arbeitete sie wenige Monate in Niedermarsberg, bevor sie in Radberg ihre erste Stelle als Lehrerin antrat. 13 Jahre unterrichtete sie dort sämtliche Fächer der damaligen Volksschule - bei eher kärglicher Entlohnung. 880 Mark erhielt sie jährlich an Gehalt; diese Summe, so ermittelte ein Heimatchronist, entsprach einem Wert von 40 dt Weizen.

Um die Jahrhundertwende verließ Christine Wüllner das Sauerland. Sie unterrichtete fortan in Essen-Vogelheim, wurde hier sogar Leiterin einer vierklassigen Mädchenschule.

Im Mai 1905 heiratete Christine Wüllner den Landwirt Wilhelm Koch. Ihr Mann besaß in Bracht, einem Sauerländer Dörfchen zwischen Grevenbrück und Schmallenberg, einen bescheidenen Bauernhof sowie eine kleine Dorfgaststätte. Christine Koch, geborene Wüllner, brachte vier Kinder zur Welt.

Ihren Beruf als Lehrerin, in dem sie bis dahin so erfolgreich tätig gewesen war, hatte sie aufgeben müssen. Denn Ehefrau, Mutter und gleichzeitig Lehrerin - das durfte nach damaligen Vorstellungen nicht sein. Christine Koch fand eine andere Möglichkeit, pädagogisch zu wirken: Für Kinder und Jugendliche verfaßte sie religiöse Gedichte, lehrhafte Kurzgeschichten, und kleine Erzählungen, die ab 1924 im "Kindersonntag", einer Beilage zur wöchentlich in Essen erscheinenden katholischen Kirchenzeitung, veröf fentlicht wurden.

Die "Trutznachtigall", die Zeitschrift des Sauerländer Heimatbundes hatte bereits seit 1921 mundartliche Prosastücke Christine Kochs veröffentlicht. Erst 1923 wurde in dieser Zeitschrift das erste plattdeutsche Gedicht von ihr gedruckt.

Unter Mithilfe von Freunden veröffentlichte Christine Koch im "Sauerländischen Musik- und Kunstverlag König & Co." in Neheim 1924 den ersten, eingangs erwähnten Gedichtband unter dem Titel "Wille Räusen"; er gilt bis heute als ihr eigentliches Meisterstück. Ferner erschien eine erzählende Prosaschrift "Rund ümme´n Stimmstamm rümme...", 1929 schließlich der zweite Gedichtband "Sunnenried".

Der erste Gedichtband wurde bis 1962 insgesamt fünf Mal wiederaufgelegt - und er erfuhr dabei mehrfache Änderungen. Zum einen wurde die Schreibweise des Titels, um die Aussprache zu verdeutlichen, in "Wille Räosen" abgeändert. Zum anderen weichen die jeweiligen Auflagen inhaltlich erheblich voneinander ab: In der zweiten Auflage beispielsweise waren 13 Gedichte der Erstausgabe nicht mehr enthalten, dafür aber andere Gedichte hinzugefügt. In der vierten Auflage wurden 20 Gedichte der vorgehenden Ausgabe nicht mehr aufgenommen. 14 Gedichte aus dem Nachlaß schließlich wurden 1962 der bislang letzten, 5. Auflage hinzugefügt. Im gleichen Jahr übrigens wurde der Band sogar in die japanische Sprache übersetzt.

Schon früh wurden die Verse Christine Kochs bekannt, und das weit über einen eingeweihten Kreis literarisch Interessierter hinaus. Viele ihrer Gedichte wurden im Sauerland weniger gelesen als gesungen; sie wurden auf diese Weise, "was man von Lyrik in der Regel nicht sagen kann, in hohem Maße volkstümlich", so das Urteil Siegfried Kessemeiers.

Schon der "Entdecker" Christine Kochs, der Sauerländer Musiker Georg Nellius, hatte in den 20er Jahren damit begonnen, zahlreiche ihrer Gedichte zu vertonen.

Besonders bekannt wurde die Sammlung von Kinderliedern, die Georg Nellius 1933 veröffentlichte unter dem Titel: "Opus 30. Lusteg Laierbauk viär klaine un gräute Kinger / Lustiges Liederbuch für kleine und große Kinder". Insgesamt vertonte Nellius etwa hundert Gedichte, die Hälfte des lyrischen Gesamtwerks Christine Kochs.

Der Komponist und die Dichterin erarbeiteten ferner gemeinsam eine "Duitske Misse". Sie wurde 1932 in Frankfurt mit dem Preußischen Staatspreis für Chorkompositionen ausgezeichnet. Die Ausstrahlung dieses Werks im Februar 1933 zählt zu den frühen Mundartsendungen der Westdeutschen Rundfunks. Das dichterische Schaffen Christine Kochs wurde mehrfach ausgezeichnet. 1939 erhielt sieden erstmals vergebenenen "Klaus-Groth-Preis für niederdeutsche Lyrik" zu ihrem 75. Geburtstag 1944 wurde ihr der Westfälische Literaturpreis zuerkannt - "gerechte Würdigung ihrer besonderen Sprachkraft", wie die Literaturhistorikerin Renate von Heydebrand urteilt.

Bereits 1935 war Christine Koch im Gespräch gewesen, als der mit 2500 Reichsmark dotierte Westfälische Literaturpreis vergeben werden sollte. Doch für die zuständigen Kulturgremien der Provinz Westfalen war nicht allein das schriftstellerische Werk entscheidend, sondern auch, wie es hieß, die "kämpferische Betätigung in Wort und Schrift im Interesse der Neuerung des deutschen Volkes". Christine Koch allerdings, so meinte einer der NS-Kulturideologen 1935, "würde Deutschland nichts mehr geben können". Folgerichtig wurde denn auch der erste Westfälische Literaturpreis nicht an Christine Koch, sondern an die Blut-und-Boden-Dichterin Josefa Berens-Totenohl verliehen.

Mehrmals noch wurde die Preisvergabe an Christine Koch erwogen. Erst 1944, als der Westfälische Literaturpreis zum fünften Mal vergeben wurde, fiel die Wahl auf die sauerländische Dichterin, die zurückgezogen und häufig krank auf ihrem Bauernhof in Bracht lebte.

Auch diesmal scheint die Preisverleihung innerhalb der NS-Partei- und Kulturbürokratie umstritten gewesen zu sein. Denn es war bekannt, daß Christine Koch fromme, vom Katholizismus geprägte Gedichte verfaßt hatte. Ande erseits hatte die im Kaiserreich aufgewachsene Dichterin vor allem in ihrer Natur- und Heimatlyrik, vaterländisch-patriotische Töne angeschlagen - Töne, die sich zwar deutlich vom aggressiven Nationalismus der Nazis, von den Blut-und-Boden-Mythen unterschieden, die aber doch für die "Heimat"-Ideologie der Nazis verwertbar schienen. Hinzu kam schließlich, daß ihr Werk protegiert wurde von der sauerländischen Blut-und-Boden-Dichterin und Nazi-Propagandistin Josefa Berens-Totenohl. Sie hatte jeweils das Vorwort der verschiedenen Ausgaben von "Wille Räosen" verfaßt.

Diese Protektion und diese Vereinnahmung für die Kulturarbeit des NS-Regimes sind "zweifellos einer adäquaten Beurteilung und Erschließung ihres Schaffens hinderlich gewesen", so das Urteil Siegfried Kessemeiers. Der Wert des Koch'schen Werkes werde davon jedoch nicht berührt. Die Lyrik Christine Kochs, so Kessemeier weiter,
"hat jenseits dessen, jenseits der immer wieder mit ihr im Zusammenhang genannten sauerländischen Autorinnen Josefa Berens und Maria Kahle, Eigenständigkeit und Rang als Beitrag zur niederdeutschen Literatur und speziell zur Mundartliteratur des Sauerlandes. Man sollte sie neu zu sehen versuchen: als literarische Form und Aussage, als dichterische Gestaltung."

Ein Großteil ihres Werkes ist freilich noch immer unentdeckt. Die meisten ihrer Erzählungen und Gedichte, die sie im hohen Alter verfaßte, konnte Christine Koch nicht mehr publizieren. Die Essener Kirchenzeitschrift, in der sie bereits früh veröffentlicht hatte, hatte 1936 das Erscheinen einstellen müssen; die Heimatblätter des Sauerlands waren längst auf NS-Parteilinie eingeschwenkt. "Meine letzten Lieder", so bekannte sie 1944 in einem frommen Altersgedicht, " (werden) niemals den Weg zu Menschen finden". Am 18. April 1951 starb Christine Koch in Bracht, wenige Tage vor ihrem. 82. Geburtstag.

QUELLE  Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | s. 105-108
PROJEKT  Lebensbilder westfälischer Frauen
AUFNAHMEDATUM2004-09-09


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QUELLE    Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 105-108

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Zeit3.8   1850-1899
3.9   1900-1949
3.10   1950-1999
Sachgebiet15.7   Literatur, Schriftstellerin/Schriftsteller
DATUM AUFNAHME2003-10-10
AUFRUFE GESAMT6943
AUFRUFE IM MONAT296