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(81 KB)   Henriette von Noel (1833-1903) / Bochum, Stadtarchiv   Informationen zur Abbildung

Henriette von Noel (1833-1903) / Bochum, Stadtarchiv
FAMILIENoël, von
VORNAMEHenriette


GESCHLECHTweiblich
GEBURT DATUM1833-03-20   Suche
GEBURT ORTBochum
TOD DATUM1903-02-19   Suche
TOD ORTMünster


VATERNoël, Leopold von
MUTTERFlügel, Caroline


BIOGRAFIEBei der "Königlich Hochlöblichen Regierung zu Arnsberg" traf am 16.02.1860 ein "gehorsambstes Gesuch" ein, mit feinem Strich geschrieben und sorgsam unterzeichnet von der Lehrerin Henriette von Noël aus Bochum. Sie bat um "Verstattung zur Errichtung und Leitung einer höheren Privat-Mädchen-Schule", die sie in ihrer Heimatstadt Bochum gründen wollte.

Der Antrag wurde an den Bochumer Schulinspektor, den Pfarrer Franz Ekel weitergereicht. Es hätte durchaus sein Einverständnis finden müssen, daß die Lehrerin eine "Höhere katholische Mädchenschule" gründen wollte - sozusagen als Gegenstück zu der Höheren evangelischen Töchterschule, die es bereits gab. Doch dem Pfarrer mißfiel es, daß Henriette von Noël um die Erlaubnis gebeten hatte, "Schulpflichtige Kinder beider Confessionen" in ihre Lehranstalt aufzunehmen. Im übrigen fürchtete der Pfarrer die Konkurrenz für die kirchlichen Schulen: "Unsere Mädchenschulen sind gut eingerichtet und haben deshalb keine fremde Aushülfe nöthig."

Der Vorstand der katholischen Gemeinde hingegen, geleitet von dem aufgeschlossenen Bochumer Bürgermeister Max Greve, beurteilte das Vorhaben der jungen Lehrerin als "äußerst zweckmäßig". Dieses Votum scheint bei der Arnsberger Regierung den Ausschlag gegeben zu haben. Denn am 09.03.1860 erteilte die Arnsberger Behörde "dem Fräulein Henriette von Noël aus Bochum die Concession zur Gründung und Leitung einer höheren Privat-Mädchen-Schule daselbst". Wenige Tage später konnte sie im "Märkischen Sprecher" eine Anzeige aufgeben, in der sie für die neue "Höhere Töchterschule zu Bochum" warb. Wer war nun diese unternehmensfreudige Schulgründerin?

Henriette von Noël, am 20.03.1833 in Bochum geboren, war die älteste von sieben Töchtern des stadtbekannten Kreisgerichtsrats Leopold von Noël und seiner Frau Caroline Flügel. Die Mutter stammte aus einer Familie Bochumer Ärzte und Apotheker, ihr Vater aus einer einflußreichen, 1806 geadelten Juristen- und Beamtenfamilie. In beiden Familien gab es etliche Lehrerinnen und Lehrer, so daß Henriette von Noël in einer pädagogisch geprägten Umgebung aufwuchs. Drei ihrer Schwestern wurden später ebenfalls Lehrerinnen.

Die wohlhabenden Eltern konnten es sich leisten, ihre älteste Tochter Henriette nach der Volksschule auf eine weiterführende Schule zu schicken. Da es eine solche Mädchenschule in Bochum noch nicht gab, besuchte die gerade 15jährige Henriette von Noël für ein Jahr die angesehene Klosterschule der Ursulinen in Dorsten - damals eine der ältesten unter den wenigen Höheren Mädchenschulen Westfalens.

In dieser Zeit scheint in ihr der Entschluß gereift zu sein, Lehrerin zu werden - welcher Beruf auch hätte ihr als Frau sonst noch offengestanden? Mit 21 Jahren unterrichtete sie für zwei Jahre im belgischen Lüttich deutsche Sprache. Ihre erste Lehrerinnenprüfung legte sie 1856 in Köln mit "recht gutem" Erfolg ab; drei Jahre später bestand sie ebenfalls in Köln das Examen für höhere Mädchenschulen. Im Februar 1860 schließlich kehrte sie nach Bochum zurück - entschlossen, sich selbstständig zu machen und in ihrer Heimatstadt eine "Höhere Privat-Mädchen-Schule" aufzubauen.

Nach der Genehmigung durch die Schulbehörden ließ Henriette von Noël Handzettel drucken, auf denen sie für ihre Schule folgendermaßen warb: "Die Anstalt wird zunächst den Zweck haben, den aus der Elementarschule entlassenen Töchtern eine weitere Bildung zu geben. Um dieses Ziel zu erreichen, wird die Vorsteherin der Erziehung und dem Unterrichte alle Sorgfalt zuwenden und auch durch letzteren wahre Religiosität und Sinn für Häuslichkeit zu befördern suchen."

Die Anfänge der Noël'schen Schule waren dürftig. Als Schulraum diente ein Zimmer in ihrem elterlichen Wohnhaus in Bochum. Mehr Platz wurde vorläufig auch nicht benötigt, denn Henriette von Noël begann vor lediglich zwölf jungen Schülerinnen am 3. Mai 1860 ihren Unterricht. Sämtliche Unterrichtsfächer erteilte Henriette von Noël zunächst allein. "Kopf- und Tafelrechnen" stand ebenso auf dem Lehrplan wie Religionslehre, "Welt- und Naturgeschichte", ferner Deutsch, Englisch und Französisch, Zeichnen, Schönschreiben sowie "feine und häusliche Handarbeiten".

Als Schulgeld verlangte Henriette von Noël 16 Taler pro Jahr und Schülerin. Diese Summe konnten zu jener Zeit nur wenige Familien Bochums aufbringen. Bochum war damals noch eher eine Ackerbürger- als eine Industriestadt. Zwar rotierten schon einige Zechenräder, und eine Stahlfabrik goß bereits Kirchenglocken und Kanonen; die meisten Menschen jedoch lebten als Bauern, Kötter und Tagelöhner von Ackerbau und Viehzucht, oder sie betrieben Handwerk oder Kleinhandel.

Nur wenige Familien, die wohlhabenderen Unternehmer- und Beamtenfamilien und die großen Bauern und Gutsbesitzer des Bochumer Umlands, konnten es sich leisten, ihre Töchter auf die Schule der Henriette von Noël zu schicken. Ein Schulinspektor notierte denn auch, "daß die Kinder den besseren Familien angehören".

Die Schulgründerin muß eine ausgesprochen talentierte Pädagogin gewesen sein. Der Schulinspektor urteilte: "Sie weiß sich der Fassungskraft aller Kinder in ihrer Lehrweise zu accomodiren" - heute würde man sagen: anzupassen -, "so daß auch die minder begabten unter ihnen immerhin angeregt sind und mit Ruhe und Aufmerksamkeit dem Unterrichte folgen." Ein anderer Schulinspektor lobte später: "Fräulein von Noël ist nicht allein eine tüchtige Lehrerin, sondern auch zur Leitung einer solchen Anstalt vorzüglich qualifizirt." Er bescheinigte ihr ferner "treue Pflichterfüllung", Geschick und "den sicheren Takt, welchen sie im Verkehr mit den Eltern der Schülerinnen und mit dem Publikum zu machen versteht".

Die Schule der Henriette von Noël genoß in Bochum bald einen ausgezeichneten Ruf. Von Jahr zu Jahr wurden mehr Schülerinnen angemeldet. 1866 waren es 30 Schülerinnen, so daß Henriette von Noel eine zweite Klasse einrichten und eine weitere Lehrerin einstellen konnte; 1869 besuchten 50, ein Jahr später 60 Schülerinnen den Unterricht.

Die Schule platzte bald aus allen Nähten. Auch finanziell war es nicht zum besten gestellt, denn von den 16 Talern pro Schülerin mußten sämtliche Unkosten bestritten werden. Henriette von Noël mußte die Stelle der zweiten Lehrerin ständig neu besetzen, denn - so ist einer Schulchronik zu entnehmen: "Die Hülfslehrerinnen betrachteten bei dem bescheidenen Gehalt, das sie erhielten, ihre Stelle nur als Durchgangsstation und verließen dieselbe, sobald sich etwas Besseres bot. Auf die Dauer konnte es doch nicht so weiter gehen; die Kraft der Vorsteherin drohte unter dem Übermaß der Anstrengungen und Sorgen zusammenzubrechen."

Um die Schule vor dem drohenden Ruin zu bewahren, schlossen sich im März 1870 die Eltern der Schülerinnen zu einem eigenen Schulverein zusammen. Er übernahm die Trägerschaft der Schule und unterstützte Henriette von Noël finanziell. Vordringliches Ziel war es zunächst, ein neues Gebäude zu errichten, das der expandierenden Mädchenschule ausreichend Platz bieten sollte. Bereits im April 1872, gut zwei Jahre nach der Gründung des Elternvereins, konnte das neue Schulgebäude, ein geräumiger, dreigeschossiger Ziegelsteinbau, offiziell eingeweiht werden.

Weitere 22 Jahre leitete Henriette von Noël die Schule. 1894/95 erlitt die inzwischen 61 jährige Frau zwei Schlaganfälle. Auf dringendes Anraten des Arztes bat sie den Vorstand des Elternvereins um vorzeitige Versetzung in den Ruhestand. Ihre langjährige rechte Hand, Minna Pieper, Tochter eines Gutspächters aus Welda im Kreis Warburg, wurde zur neuen Schulleiterin gewählt.

Henriette von Noel verließ Bochum. Gemeinsam mit ihrer Schwester, die in Lippstadt Lehrerin gewesen war, zog sie nach Münster, um dort ihren Lebensabend zu verbringen. In Münster starb die Schulgründerin am 19.02.1903.

Kurz bevor sie ihre Bochumer Schule verließ, hatte Henriette von Noël noch einmal ihr Erziehungsideal niedergelegt. Sie hatte 1895 ihrer Nachfolgerin ins Stammbuch geschrieben: Nur dann könne sie neue Schulleiterin werden, "wenn sie im festen Anschlusse an unsere heilige Religion und Kirche die Kinder zur Frömmigkeit, Einfachheit, Bescheidenheit heranbildet, etwaige Auswüchse des Kastengeistes energisch unterdrückt, die Reinheit der Sitten über alles hochhält und mit einem gediegenen Unterrichte eine wahrhaft weibliche Erziehung verbindet".

Angesichts solcher Erziehungsideale ist Henriette von Noël schwerlich als Frauenrechtlerin, als Vorkämpferin weiblicher Emanzipation zu bezeichnen. Sie war, wie ihre Biographin Gisela Wilbertz urteilt, "eine tüchtige, kirchentreue und sittenstrenge katholische Lehrerin, die Wert legte auf solides Wissen und fachliches Können." Und Gisela Wilbertz fügt hinzu. "Doch indem sie dies tat, bahnte sie - ungewollt und wahrscheinlich sogar gegen ihre Absicht - den Weg für die Gleichheit der weiblichen Bildung und Ausbildung, die eine der Voraussetzungen ist für die Anerkennung der Gleichwertigkeit, Ebenbürtigkeit und Selbstbestimmung von Frauen und Männern."

QUELLE  Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 88-90
PROJEKT  Lebensbilder westfälischer Frauen
AUFNAHMEDATUM2004-09-09


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QUELLE    Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 88-90

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Zeit3.8   1850-1899
3.9   1900-1949
Ort1.1   Bochum, Stadt <Kreisfr. Stadt>
Sachgebiet6.8.8   Frauen
10.10   Landwirtschaft, Landwirtin/Landwirt
12.3   Schulen, Schulformen
DATUM AUFNAHME2003-10-09
DATUM ÄNDERUNG2019-06-11
AUFRUFE GESAMT1870
AUFRUFE IM MONAT155