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(105 KB)   Ehemaliges Krematorium des Konzentrationslagers Niederhagen/Wewelsburg / Privatbesitz   Ehemaliges Krematorium des Konzentrationslagers Niederhagen/Wewelsburg / Privatbesitz
TITELEhemaliges Krematorium des Konzentrationslagers Niederhagen/Wewelsburg
URHEBER ABBILDUNGSander, O.


INFORMATIONSS und Gestapo handelten zum großen Teil auf der Grundlage von Sondergesetzen und Geheimerlassen. In vielem scheint sich ihr Vorgehen für die Zeitgenossen in einer von der "normal" fortbestehenden Rechtsordnung geschiedenen Sphäre abgespielt zu haben. Dennoch bleibt das Massensterben in den Konzentrationslagern in oder bei deutschen Städten und Dörfern nicht ohne Zeugen. Es vollzog sich innerhalb eines Rechtssystems, das kein folgenloses Vernichten von Menschenleben zuließ und Mord auch weiterhin unter Strafe stellte, Die SS war daher gezwungen, Spuren zu beseitigen, Wege der Täuschung der Öffentlichkeit zu finden und den Kreis derjenigen, die etwa in lokalen Behörden zu Mitwissern wurden, möglichst klein zu halten.

Der Umgang mit den Toten zeigt die dabei auftretenden Probleme: Der zuständige Amtsarzt mußte die Todesursache bescheinigen und - wo der Verdacht eines unnatürlichen Todes bestand - entsprechende Hinweise an die Staatsanwaltschaft geben, das Standesamt mußte eine Sterbeurkunde ausfertigen, wofür außer dem amtsärztlichen Totenschein die Geburtsurkunde und andere Dokumente erforderlich waren, ein Bestattungsschein mußte ausgestellt werden ... Die amtsärztlichen Funktionen im KZ Niederhagen nahm der jeweilige SS-Lagerarzt wahr, ausnahmsweise der SS-Standortarzt, so daß selten Probleme hinsichtlich der Angabe der Todesursache auftraten. Ein Teil der Todesfälle war vordergründig unverdächtig. Die Mehrzahl der Häftlinge starb wirklich an Entkräftung, Hungerödemen, Infektionskrankheiten oder Arbeitsunfällen. Das Standesamt mußte nur davon absehen, daß diese Todesursachen auf die bewußt so gestalteten Lebens- und Arbeitsverhältnisse im Lager zurückzuführen waren. In allen Fällen wirklichen Mordes wurde die Todesursache gefälscht. Aus einer Erschießung wurde "auf der Flucht erschossen", aus einem Totschlag ein "Unglücksfall". Damit entfiel für alle beteiligten Instanzen die Pflicht, die Staatsanwaltschaft einzuschalten, was in der Anfangsphase des KZ-Systems 1933 in München noch gelegentlich vorgekommen war. Dennoch mißtraute die SS den lokalen Behörden und versuchte, sie aus allen das Massensterben im KZ berührenden Fragen herauszudrängen. Seit 1941 finden sich z.B. keine gerichtlichen Bestattungsscheine des Amtsgerichts Büren mehr. Die Aufgabe dieser Beurkundung hatte das SS- und Polizeigericht II in Düsseldorf übernommen. So ist auch die zentrale Anordnung von 1942 zu verstehen, wonach in Konzentrationslagern, die noch über keine lagereigenen Standesämter verfügten, solche zu errichten seien. Das KZ Niederhagen erhielt mit Wirkung vom 1.1.1943 ein eigenes Standesamt, dessen Kosten allerdings die Gemeinde zu tragen hatte. Der Amtsbürgermeister machte sich Sorgen. In einem Antrag an den Regierungspräsidenten in Minden vom 4. März 1943 heißt es:
"Die kleine Gemeinde Wewelsburg mit nur 1086 Einwohnern würde demnach zurzeit verpflichtet sein, (bei 800 Todesfällen im Jahr, d. Verf.) einen Standesamtsaufwand zu bestreiten, der einem Bezirk von (...) rd. 13000 Einwohnern entspricht. Ihr fielen Einnahmen aus dem Betriebe des Konzentrationslagers nicht zu. (...) - Daraus geht hervor, daß die Standesamtskosten für die bisher nicht vorhanden gewesenen Konzentrationslager als Reichskosten auf die Lagerverwaltung übernommen werden müssen".
Unbewußt formulierte der Amtsbürgermeister in seiner Kostenrechnung für die Toten hier eine Argumentation, die nach 1945 in der öffentlichen Diskussion großen Einfluß üben sollte: Da das KZ noch nicht einmal wirtschaftlich in den Ort bzw. die Region integriert gewesen sei, im Gegenteil nur Schäden und Kosten verursacht habe und seine Entstehung schließlich auf politische Entscheidungen der Zentralinstanzen in Berlin zurückgehe, brauche man sich am Ort - so nach 1945 - auch nicht mit seiner moralischen Dimension auseinanderzusetzen.

Eine Tatsache erleichterte diese Haltung: Die Toten waren - im Wortsinn - spurlos verschwunden. Das Krematorium des Konzentrationslagers Niederhagen war zum Zeitpunkt der hier wiedergegebenen Nachkriegsaufnahme bereits umgebaut und diente als Unterkunft für Flüchtlinge und Vertriebene. Zum Bau des Krematoriums hatten verschiedene Gründe geführt: Die im Jahr 1942 rapide ansteigenden Todeszahlen (1942 starben im ersten Quartal 93, im zweiten Quartal 232 Menschen), die mit der Einlieferung von jüdischen, polnischen und sowjetischen Häftlingen zusammenhingen, führten zu einer Überlastung der bisher benutzten Friedhofskrematorien in Bielefeld-Brackwede und Dortmund. Außerdem schienen der SS die häufigen Leichentransporte, die bei Entfernungen von 50 bzw. 70 Kilometern einen hohen Aufwand an Personal und Fahrzeugen erforderten, zu auffällig. Da das Konzentrationslager einer breiteren Öffentlichkeit außerhalb des Bürener Raumes allenfalls als "Arbeitslager" bekannt war, hätte es auf Dauer seinen wahren Charakter offenbart.

So nahm am 24.10.1942 das neue Krematorium seinen Betrieb auf. Ein penetranter Geruch war zwar überall in Wewelsburg wahrzunehmen, ein Landwirt erinnerte sich an den "süßen, fauligen Geruch, der aus dem Lager ins Dorf zog". [1] Die Öffentlichkeitswirksamkeit blieb damit jedoch auf das Dorf beschränkt. Schließlich wurden die Urnen, um die hohen Todeszahlen zu verschleiern, nicht beigesetzt, vielmehr verstreute man - wofür alle Hinweise sprechen - die Asche bzw. benutzte sie als Düngemittel in der lagereigenen Gärtnerei. War es der SS nicht möglich, die Spuren der Existenz der Menschen in Urkunden auszulöschen, so konnte sie sie doch nicht nur töten, sondern ihnen, die sie als "Untermenschen" betrachtete, sogar ein Grab und damit einen Ort individuellen Gedenkens verweigern.


[1] Aussage eines Zeugen im zweiten Wewelsburg Prozeß 1970/71; Prozeßunterlagen betr. KL Niederhagen-Wewelsburg, AZ: 24JS2/69/Z) HStADÜ, Zweigstelle Kalkum/Rep. 118 Nr. 855-935), auch zitiert in: K. John: "Mein Vater wird gesucht ..." Häftlinge des Konzentrationslagers in Wewelsburg, Essen 1996, S. 68.


TECHNIKFoto
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OBJEKT-PROVENIENZPrivatbesitz


QUELLE    Hüser, Karl / Brebeck, Wulff E. | Wewelsburg 1933-1945 | Dia 10, S. 51-53
PROJEKT    Diaserie "Westfalen im Bild" (Schule)

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ35   Bildmaterial (Reproduktion, Foto)
Zeit3.9   1900-1949
Ort2.7.4   Büren, Stadt
Sachgebiet3.2   Politische Ideologien
DATUM AUFNAHME2004-02-25
AUFRUFE GESAMT6305
AUFRUFE IM MONAT459