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4. Examen - Ehe -
Ehrenamt


 
 
 
Konservative Kreise unterstellten den ersten Studentinnen bloße Heiratsambitionen. Zu den Klischees gehörte die Frau mit »langen Haaren und kurzem Verstand«, die im Hörsaal auf "Männerjagd" geht. Tatsächlich mieden gleichaltrige Männer noch in den 1940er Jahren ihre Kommilitoninnen eher, sind persönlich zurückhaltend und bändeln lieber mit Frauen aus anderen Schichten an. Studentin und Student lernten sich selten im Hörsaal, sondern auf Bällen oder Festen der studentischen Verbindungen näher kennen. Oft spielen Brüder, Cousins oder andere männliche Verwandte eine vermittelnde Rolle.

Begegneten Konservative der akademisch gebildeten Frau zunächst mit Skepsis, schätzten sie sie bald als Partnerin auf Augenhöhe. Ehen zwischen der "studierten Tochter aus gutem Hause" und dem bereits etablierten Akademiker kamen in Mode. Die examinierte Ehefrau stützte die beruflichen Ziele des Mannes, repräsentierte souverän und förderte die Bildung der Kinder.

Das neue Leitbild setzte sich im Bürgertum seit den späten 1920ern durch. Ehe und Mutterschaft waren für die meisten Studentinnen vorrangiges Lebensziel. Die akademische Qualifikation diente vielen nur als Faustpfand für Notlagen. Die Vereinbarkeit von Ehe und Beruf bleibt ein Zukunftsthema.

Doch nicht alle Frauen fanden angesichts dezimierter Männerjahrgänge den richtigen Partner fürs Leben. Zudem wurden nicht wenige durch die "Zölibatsgesetze" gezwungen, nach der Heirat aus ihrem Beruf auszusteigen.
 
 

Lebenswege

 
 









Almut Gilhaus (geb. 1928)
geb. Meier

 
 
 
Bei Almut Gilhaus wird der Einfluss einer starken Vaterfigur deutlich. Sie ist 1928 als Tochter eines Pfarrers in Gladbeck geboren, er legt Wert auf ein Studium aller fünf Kinder - ein finanzieller Kraftakt. Explizit will er der einzigen Tochter durch ein Studium zu Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit verhelfen. Als Almut Meier 1947 ihr Abitur am örtlichen Mädchengymnasium macht, möchte sie einen sozialen Beruf ergreifen. Doch sie trifft die Entscheidung nicht allein. Der ehrgeizige Vater würde sie gern als Kinderärztin sehen, die Mutter drängt zu einer klassisch weiblichen Ausbildung. So wählt sie den Beruf der Gewerbelehrerin mit textiler Fachrichtung - ohne Kenntnis des Berufsalltags.

Die Ausbildung ist lang. Nach zweijähriger Schneiderlehre und zweijähriger Frauenfachschule in Rheydt folgt 1951 ein Pädagogikstudium in Hamburg, das sie 1954 mit dem Ersten Staatsexamen abschließt. Dann kommt das Referendariat, das sie 1956 mit dem Zweiten Staatsexamen beendet. Zu Beginn des Studiums hat sie ihren Mann, Karl Heinrich Gilhaus, kennen gelernt, ebenfalls angehender Pfarrer. Als sie 1956 heiraten, ist beiden klar, dass Almut Gilhaus ihren Beruf nur nach erheblichen Interventionen wird ausüben können. Die Landeskirche setzt die Mitarbeit der Ehefrau implizit voraus.

Doch der Schulalltag lockt wenig, und die Familiengründung hat Priorität. Almut Gilhaus zieht vier Kinder auf und engagiert sich in verschiedenen kirchlichen Gruppen. Als sie 1972 eine Rückkehr in den Beruf erwägt, wird ihr Mann Superintendent des Kreises Recklinghausen. Eine "doppelte Karriere" schließt das Paar aus. Sie unterstützt ihn in einer Zeit erheblicher kirchlicher Umbrüche. Nach seiner Pensionierung 1986 kehren sich die Rollen um.

Almut Gilhaus übernimmt ehrenamtlich leitende Funktionen in der Evangelischen Frauenhilfe in Recklinghausen, ihr Mann wird ihr 'Sekretär'. 1992 zieht sie sich ins Privatleben zurück.
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Almut Gilhaus (um 1955)

 Immatrikulationsbestätigung der Universität Hamburg (1951)

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Evangelischen Frauenhilfe Recklinghausen
 
 









Mechthild Roth (geb. 1925)
geb. Gies

 
 
 
Das Beispiel von Mechthild Roth, Jahrgang 1925, belegt den Wandel im ehrenamtlichen Engagement von Frauen. Ihr Einsatz dient nicht mehr der Repräsentation und Unterstützung ihres Mannes, sondern entspringt dem Wunsch nach eigener Entfaltung.

Sie wächst mit vier Geschwistern in Frankfurt auf; der Vater ist Ingenieur bei der Marine, später Geschäftsführer. Den Töchtern steht die Berufswahl frei. Das Bewusstsein um das Unrechtssystem im Dritten Reich bewegt Mechthild Gies zum Jurastudium in Frankfurt und Heidelberg. Früh lernt sie ihren Mann Albrecht Roth kennen; sie heiraten 1949 im Studium. Mechthild Roth will Kinder haben, aber der eigene Beruf ist als "Faustpfand" unverzichtbar. Die Gesundheit ihres Mann ist nach dem Krieg labil, sie will im Notfall jederzeit berufstätig sein können - auch falls keine Kinder kommen. 1952 und 1956 macht sie beide Staatsexamina und sammelt - schon mit Baby - Berufspraxis in einer Kanzlei. Ihr Mann, ein Altphilologe, wird Studiendirektor am Gymnasium Leopoldinum in Detmold. Das Paar bekommt fünf Kinder, zwei sterben früh.

Bald wachsen Mechthild Roth neue Aufgaben zu. Ihr Hauptinteresse gilt Kindern und Frauen. Sie wird für eine ehrenamtliche Mitarbeit geworben. Seit 1969 engagiert sie sich dafür zunächst in Detmold, dann kommt harte Verbandsarbeit. Ihre juristische Ausbildung ist dabei von hohem Wert. Von 1975 bis 1986 ist sie Landesvorsitzende des Deutschen Kinderschutzbundes, davon vier Jahre Vizepräsidentin des Bundesverbandes. 1992 gründet sie eine örtliche Stiftung für Abiturienten, engagiert sich für Migranten. Daneben ist sie seit 1962 in der FDP aktiv und kämpft dort für frauenpolitische Ziele. Bis 2005 ist sie aktiv in politischen Foren tätig und setzt sich gegen Gewalt an Kindern und Frauen ein. Ein Beruf, da ist sie sicher, hätte ihr diese vielfältigen Erfahrungen niemals bieten können. 2002 wird sie mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse ausgezeichnet.
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Mechthild Roth (um 1950)

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Jahreshauptversammlung des Landesverbandes des Deutschen Kinderschutzbundes (1978)
 
 
Vor allem die examinierten Ehefrauen der ersten Generation lebten ihre Ehe sehr symbiotisch; sie waren in all ihrem Tun stark auf den Mann bezogen. Diese Frauen lebten sprichwörtlich "an seiner Seite". Agnes Schwartz, eine selbstständige, zielstrebige junge Frau, die Studium und Beruf hervorragend meisterte, führt seit ihrer Kündigung im Schuldienst, ein Leben wie im "Paarlauf". Das Ehrenamt war Teil der symbiotischen Ehe. Es verhalf der Ehefrau zu belebenden Anregungen und fördert das Ansehen der Familie im gesellschaftlichen Umfeld, vor allem aber nahm die Frau Anteil an der Welt des Mannes, an seinen Ideen und Erfahrungen. Erst in den 1960er Jahren mehrten sich Frauen, die bewusst durch ihr Engagement einen Kontrapunkt setzten. Sie eroberten sich eine eigene Welt und lehnten zunehmend eine Ausrichtung auf den Mann ab.
 
 









Agnes Schwartz (1883-1970)
geb. Schlett

 
 
 
An der Biografie von Agnes Schwartz lassen sich gleich mehrere Muster der ersten Akademikerinnengeneration verdeutlichen. Agnes Schlett ist 1883 als Kaufmannstochter in Soest geboren; der Vater stirbt früh. Die Mutter, Tochter eines Gymnasiallehrers, zugleich Stadtbibliothekar und -archivar, zieht Agnes und ihre beiden älteren Schwestern allein auf. Mit dem Verkauf der Seifenfabrik ihres Mannes und einer Erbschaft ist die wirtschaftliche Situation gut. Bildung und Kunst spielen in der Familie eine große Rolle. Die Motive für Ausbildung und Studium der jungen Frau sind unbekannt.

Eine Mädchenschule, die zum Vollabitur führt, gibt es damals nicht in Soest. Agnes Schlett erwirbt 1902 an einer Lehrerinnenanstalt eine Lehrbefugnis für Elementarschulen und muss 1908 für das Studium mit 25 Jahren das Große Latinum als Externe ablegen. Dafür nimmt sie vermutlich Privatunterricht. Sie gehört zu den ersten Studentinnen der Universitäten Bonn und Freiburg.

Mit dem Ersten Staatsexamen glückt die Bewerbung als Oberlehrerin am öffentlichen Lyzeum in der Heimatstadt 1912 sofort. Doch ihr Arbeitsvertrag legt das gesetzlich vorgeschriebene Ausscheiden bei Heirat fest. Als sie 1915 Dr. Hubertus Schwartz das Ja-Wort gibt, wird sie wegen Männermangels zunächst weiter beschäftigt.

1917 kündigt sie, um ihrem Mann nach Danzig zu folgen; der Jurist ist dort Senator. Agnes Schwartz führt ein Leben an der Seite ihres Mannes; das offene Haus empfängt viele Gäste. Auch nach ihrer Rückkehr nach Soest 1932 wird sie nie mehr berufstätig sein. Die Laufbahn ihres Mannes als Notar, Bürgermeister und Landrat bestimmt auch ihr Leben, er steht im Mittelpunkt der Beziehung. Sie unterstützt seine Forschungen, engagiert sich wie er im kirchlichen und sozialen Leben und trägt die repräsentativen Verpflichtungen seiner Ämter voll mit. Das kinderlose Paar nimmt intensiv am kulturellen Leben teil. Agnes Schwartz stirbt 1970.
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Agnes Schwartz (um 1900)

 Verlobungsanzeige (1917)

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Geburtstagesfeier im Burghof (1953)
 









Cäcilie Willeke (geb. 1935)
geb. Hidding

 
 
 
Junge Frauen auf dem Land waren von Bildungsangeboten besonders lange ausgeschlossen; sie stießen erst in der dritten Akademikerinnengeneration allmählich dazu. Cäcilie Hidding ist eine von ihnen. Sie wird 1935 auf einem Bauernhof in Billerbeck (Kreis Coesfeld) geboren. Der einzige Sohn soll den Hof übernehmen, sie ist das älteste von fünf Mädchen. Ein Lehrer rät, sie zum Gymnasium zu schicken. Die Eltern zögern. Bargeld ist knapp auf dem Hof, und die Schule kostet Geld; dennoch sollen die Mädchen eine gute Ausbildung erhalten. Cäcilie Hidding bleibt so lange wie möglich auf der Volksschule und geht dann auf ein Internat, um lange Fahrwege zu vermeiden.

Sparsamkeit bleibt oberstes Gebot. Das gewünschte Medizinstudium ist nicht finanzierbar, denn vier Schwestern kommen noch nach. Die junge Frau wählt deshalb ein kurzes Lehramtsstudium an der Pädagogischen Akademie in Münster, das sie 1957 abschließt. Ein Stipendium ermöglicht ein Aufbaustudium für das Lehramt an Realschulen an der Sporthochschule in Köln, das sie 1958 in einem ersten Schritt abschließt. Unmittelbar danach beginnt das Referendariat in Ochtrup (Kreis Steinfurt). 1961 wird sie nach dem Zweiten Staatsexamen verbeamtet.

1963 heiratet sie, zieht zu ihrem Mann Dr. Clemens Willeke nach Dortmund und unterrichtet an einer Sonderschule. Das Aufbaustudium gibt sie unter den veränderten Lebensumständen auf. 1965 kündigt Cäcilie Willeke; vier Kinder werden geboren. Trotz des frühen Todes ihres Mannes, Direktor des Dortmunder Reinoldus-Gymnasiums, kehrt sie nicht mehr in den Beruf zurück. Sie engagiert sich über viele Jahre in ihrer katholischen Kirchengemeinde und ist seit 1995 auch ehrenamtlich als Grüne Dame an einem Dortmunder Krankenhaus aktiv.
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Cäcilie Willeke (um 1955)

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Schulklasse (1961)

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Ausstellungseröffnung (2009)