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Das rasante Wachstum der Schülerzahlen durch die Aufnahme der Flüchtlinge und Vertriebenen sowie die Zerstörung von Schulen im Bombenkrieg machen vielerorts den Neubau von Schulen nötig. Das Bild zeigt die Grundsteinlegung der Alexanderschule in Raesfeld 1949 (Ausschnitt) / LWL-Medienzentrum für Westfalen







Aufwachsen in Westfalen

Krisenjahre und Aufbruchsstimmung -
die Nachkriegszeit in Deutschland
1945-1965



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Inhaltsverzeichnis
Veronika Jüttemann /  Einleitung

Thomas Abeler /  1. Von der Not zur Normalität

Adalbert Hoffmann /  2. Kriegskinder

Ursula Janik /  3. Freizeitverhalten von Jugendlichen

Hans-Peter Johannsen /  4. Töchterheim Sonnenwinkel

Edith Kreyenschulte /  5. Vertriebenenkinder

Angela Prinz /  6. "Aufwachsen" im Sportverein

Norbert Schäfers und Roland F. Stiegler /  7. Besatzungskinder

Wilfried Voß /  8. Evangelische Kindheit



 
 




Veronika Jüttemann

Einleitung

 
 
 
 

1. Wie alles begann...

 
 
 
"Krisenjahre und Aufbruchsstimmung. Die Nachkriegszeit in Deutschland 1945-1949" lautete der Titel eines Seminars, das ich im Wintersemester 2008/2009 im Rahmen des Studiums im Alter an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster anbot. Das Interesse der Teilnehmer war groß: 30 Studierende meldeten sich zu der Veranstaltung an. Die Gründe für die Teilnahme waren jedoch sehr unterschiedlich. Einige Studierende hatten ein ausgeprägtes historisch-politisches Interesse und wollten sich intensiv mit der unmittelbaren Nachkriegszeit und der doppelten deutschen Staatsgründung beschäftigen, um so die deutsche Geschichte nach 1945 insgesamt besser verstehen zu können. Anderen Studierenden ging es eher darum, ihre persönlichen Erinnerungen in einen breiteren historischen Kontext einordnen zu können. Sie hatten ihre Kindheit oder Jugend in der unmittelbaren Nachkriegszeit verlebt und wollten nun besser verstehen, unter welchen Umständen sie aufgewachsen waren. Wieder andere Studierende interessierten sich vor allem für die Methoden historischen Arbeitens, die in dem Seminar ebenfalls vorgestellt und eingeübt werden sollten. Sie wollten lernen, wie man in Archiven arbeitet, Quellen interpretiert und Sekundärliteratur auswertet.

Am Ende des Semesters war die Neugier der Teilnehmer noch nicht befriedigt, sie entwickelte sich jedoch in verschiedene Richtungen. Während die meisten Studierenden wissen wollten, wie es mit der deutschen Geschichte "weiterging", und daher im folgenden Semester ein Seminar über die 50er Jahre besuchten, wollte eine kleinere Gruppe von Studierenden sich noch intensiver mit der Nachkriegszeit beschäftigen und auch selber hierzu forschen.

Für sie bot ich ab dem Sommersemester 2009 das Seminar "Forschendes Lernen - Nachkriegszeit" an. Im Vorlesungsverzeichnis kündigte ich als Ziel des Seminars an, in der Gruppe ein Forschungsprojekt zum Thema 'Nachkriegszeit in Münster und Umgebung' zu entwickeln und über mindestens zwei Semester gemeinsam durchzuführen, sowie die Ergebnisse am Ende zu publizieren. Aus den zwei Semestern wurden jedoch vier und auch die Teilnehmerschaft des Seminars zog weitere Kreise. Zu den Studierenden, die das einleitende Seminar zur Nachkriegszeit besucht hatten, stießen weitere hinzu, die sich durch die Ausschreibung im Vorlesungsverzeichnis angesprochen fühlten, so dass sich letztlich eine Gruppe von zehn "Nachkriegsforschern" - drei Frauen und sieben Männern - bildete.
 
 
 
 

2. Die Wahl des Themas

 
 
 
Das Thema, das die Gruppe bearbeiten wollte, war nach angeregten Diskussionen in der ersten Sitzung schnell gefunden: "Aufwachsen in Westfalen 1945-1965". Die Gründe für die Wahl des Themas waren sowohl persönlicher, als auch forschungspragmatischer und wissenschaftlicher Natur. So hatten die Studierenden ihre Kindheit und Jugend in der Nachkriegszeit verbracht und wollten wissen, wie sich ihre persönlichen Erinnerungen in systematisch erarbeitete Forschungsergebnisse zum Aufwachsen in dieser Zeit einordnen ließen. Auch aus forschungspragmatischer Sicht schien das Thema günstig gewählt. Bisherige Arbeiten hatten die Grundlagen zur Bearbeitung des Themas gelegt, gleichzeitig jedoch noch spannende Fragen offen gelassen. [1] Zudem gab es vielfältiges Archivmaterial, zeitgenössische Publikationen und auskunftsbereite Zeitzeugen, in anderen Worten: eine solide Quellenbasis. Auch wissenschaftlich versprach der Blick auf Kindheit und Jugend interessante Einsichten zur Nachkriegsgeschichte insgesamt, verkörperte die heranwachsende Generation doch in besonderem Maße die Hoffnung auf Aufbruch und Neubeginn, die die Nachkriegszeit neben allen Krisenerfahrungen maßgeblich prägte. Nicht nur die Alliierten, sondern auch deutsche Politiker, Pädagogen, Publizisten und Kulturschaffende erwarteten von der heranwachsenden Generation, die nationale Zukunft Deutschlands in Frieden und Freiheit zu gestalten. Denn anders als die Generation ihrer Eltern und Großeltern waren die Kinder und Jugendlichen noch zu jung gewesen, um sich an den kleinen und großen Verbrechen des nationalsozialistischen Systems zu beteiligen. In diesem Sinn konnten sie unbelastet die eigene Zukunft in Angriff nehmen.
 
 
 
Gleichzeitig trieb die Zeitgenossen jedoch die Sorge um Kinder und Jugendliche um: Waren sie überhaupt noch in der Lage, diese Hoffnungen zu erfüllen? Schließlich waren die älteren von ihnen in Schule und HJ bzw. BDM mit dem nationalsozialistischen Gedankengut infiltriert worden und mussten nach Kriegsende mit der Erkenntnis fertig werden, dass das, woran sie bislang geglaubt hatten, nicht nur gescheitert, sondern vor allem verbrecherisch war. Zahlreiche Jugendliche fühlten sich verraten und moralisch desorientiert. Nicht zuletzt waren die Erfahrungen von Millionen von Kindern und Jugendlichen jeden Alters geprägt von Tod, Gewalt, Flucht, Vertreibung, Hunger, Wohnungsnot und zerstörten Familien - wie sollte vor diesem Hintergrund der Neubeginn gelingen? [2] Die heranwachsende Generation sei introvertiert, pragmatisch und misstraue jeglichen Ideologien, beschreibt der Soziologe Helmut Schelsky 1957 die sogenannte "skeptische Generation", die lange das Bild der Nachkriegsjugend prägte. [3]
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Der Soziologieprofessor Helmut Schelsky (1912-1984) prägt 1957 den Begriff der "skeptischen Generation" zur Beschreibung der zeitgenössischen Jugendlichen.
 
 

Die Studierenden bewegten ähnliche Fragen wie die Zeitgenossen der Nachkriegszeit: In welcher Lage befanden sich die Kinder und Jugendlichen bei Kriegsende und danach? Zwischen welchen Typen (Nach)kriegs-Schicksalen gilt es zu unterscheiden und wie prägten sie das Leben der Kinder und Jugendlichen? Welche Rollen spielten Familien, Freunde, Nachbarn, Schule, Vereine oder der Staat beim Aufwachsen der neuen Generation? Und welche Rolle spielten die Kinder und Jugendlichen in der und für die Entwicklung der jungen Bundesrepublik?
 
 
 
 

3. Die Konzeption des Projekts

 
 
 
Aus diesen Überlegungen ergaben sich fünf wichtige Konsequenzen für die weitere Konzeption des Projekts. Um der Vielzahl der Fragen gerecht werden zu können, suchten sich die Studierenden erstens einen speziellen Aspekt des Themas "Aufwachsen in Westfalen" aus, den sie alleine oder zu zweit eigenverantwortlich bearbeiteten - ohne dabei den Anspruch zu erheben, das Gesamtthema gemeinsam vollständig abzudecken. Das Spektrum der Fragestellungen reicht hierbei von der Ernährungs- und Gesundheitssituation der Kinder und Jugendlichen über ihr Freizeitverhalten bis hin zu spezifischen Gruppen von Heranwachsenden wie den Heim-, Evakuierten-, Flüchtlings- oder Besatzungskindern. Im Seminar stellten die Studierenden ihre Forschungsergebnisse regelmäßig vor und diskutierten sie mit der Gruppe. Gleichwohl sind die Beiträge dieser Veröffentlichung allein die Leistungen der Autorinnen und Autoren. Die Einleitung sollte die Entstehung des Projekts dokumentieren und Grundlegendes zur Geschichte der Kinder und Jugendlichen im Westfalen der Nachkriegszeit erläutern.

Denn der zweite Entschluss der Gruppe lautete, ihre Forschungen auf Westfalen zu beschränken. Viele Studierende wählten sogar bewusst den methodischen Zugang einer Lokalstudie und nahmen ihren Heimatort als Fallbeispiel. Dies hatte nicht nur forschungspragmatische Gründe wie die bessere Erreichbarkeit von Archiven und Zeitzeugen. Lokale und regionale Studien bieten zudem den Vorteil einer größeren Verdichtung des Themas und sind angesichts der örtlich stark unterschiedlichen Lage in der Nachkriegszeit auch wissenschaftlich sinnvoll.

Gemeinsam entschied die Gruppe zudem drittens, dass der Untersuchungszeitraum mit der unmittelbaren Nachkriegszeit von 1945 bis 1949 zu eng gewählt war, um die aufgeworfenen Fragen zu beantworten. Stattdessen sollte das Jahr 1965 das Ende des Untersuchungszeitraumes markieren. 1945 geborene Kinder hatten zu diesem Zeitpunkt das Erwachsenenalter erreicht. Und nach zwanzig Jahren, so die anfängliche Einschätzung der Studierenden, sei auch die Nachkriegszeit im weiteren Sinne abgeschlossen. Im Laufe des Projektes stellte sich jedoch heraus, dass die Nachkriegszeit je nach Fragestellung zu verschiedenen Zeiträumen endete. Während sich die Ernährungslage bereits um 1950 herum wieder normalisiert hatte, waren die Folgen des Krieges etwa für die Kinder der Vertriebenen in ihrem Alltag deutlich länger spürbar. Gleichzeitig begann das Nachkriegsschicksal einiger Kinder und Jugendlicher bereits vor 1945, etwa wenn sie evakuiert wurden oder vor der Roten Armee fliehen mussten. Die Jahresdaten der Untersuchung sind daher nur als grober Orientierungsrahmen zu verstehen. Sie erzählen, wie Martin Broszat für die Zäsuren der bundesrepublikanischen Geschichte allgemein argumentiert hat, "Teilgeschichten und Entscheidungsprozesse innerhalb des Gesamtverlaufs", der gerade durch diese unterschiedlichen Geschichten jedoch an "Farbe und Leuchtkraft gewinnt." [4]

Eine weitere Entscheidung der Gruppe betraf die Methodik der Untersuchung. Während die meisten Studierenden am Anfang vor allem Zeitzeugen mit Hilfe narrativer Interviews befragen wollten, stellte sich relativ bald heraus, dass dieses Vorgehen je nach Fragestellung unterschiedlich sinnvoll war. Daher einigte sich die Gruppe darauf, dass jedes Einzelprojekt seine eigene Methodik entwickeln sollte. Je nach Fragestellung verwandten die Studierenden so einen individuellen Methodenmix aus Recherchen in verschiedenen Archiven und Bibliotheken, schriftlichen Befragungen von Zeitzeugen sowie narrativen und Leitfaden-Interviews. Allen Zeitzeugen, Archivaren und Bibliothekaren, die die Arbeit der Gruppe so intensiv unterstützt haben, sei an dieser Stelle von Herzen gedankt.

Die fünfte und letzte Grundsatzentscheidung, die die Gruppe traf, nämlich ihre Ergebnisse auf den Seiten des Internet-Portals "Westfälische Geschichte" zu veröffentlichen, hat vor allem zwei Gründe. So ermöglicht es das Medium Internet zum einen, neben Texten und Bildern auch Audio-Quellen wie Ausschnitte von Zeitzeugeninterviews zu veröffentlichen, zum anderen hofft die Gruppe über das Internet eine breitere und jugendlichere Leserschaft zu erreichen als dies durch ein Buchprojekt möglich wäre.
 
 
 
 

4. Das Kriegsende in Westfalen

 
 
 
Am 02.04.1945 besetzten britische und amerikanische Truppen Münster. Die umliegenden Dörfer und Gemeinden erreichten die Soldaten zwischen dem 30.03. und dem 05.04. Am 17.04. hatten die Alliierten ganz Westfalen besetzt. [5] Der Zweite Weltkrieg war in Westfalen somit bereits einige Woche vor der Kapitulation Deutschlands am 08.05.1945 beendet.

Für die Menschen begann der Nachkriegsalltag. Doch je nachdem, wo sie lebten, konnte dieser Alltag sehr unterschiedlich aussehen. Während viele Städte zerbombt waren - das Stadtgebiet von Münster war etwa zu 61,2 Prozent, die Innenstadt sogar zu über 90 Prozent zerstört - waren viele Landgemeinden von den Bombardierungen verschont geblieben. Die Zerstörung von Wohnraum und öffentlichen Gebäuden, Verkehrswegen und Versorgungsleitungen, die Beseitigung der Trümmer und erste Wiederaufbaumaßnahmen betrafen in Westfalen wie anderswo daher die Bewohner der Städte deutlich stärker als auf dem Land.

Zudem machte sich die Rationierung von Lebensmitteln und Kohle in urbanen Räumen viel schmerzlicher bemerkbar, als auf dem Land, wo die Menschen über ausreichend Garten- und Ackerflächen verfügten, um sich selbst mit Lebensmitteln zu versorgen. [6] Durch sogenannte "Hamsterfahrten" ins Umland versuchten viele hungernde Städter ihre Not zu lindern.

Dennoch verbinden auch die westfälischen Landgemeinden mit dem (Ende des) Zweiten Weltkrieg(s) einschneidende Erfahrungen, werden ihnen neben den Evakuierten mit den Flüchtlingen und Vertriebenen doch innerhalb kürzester Zeit eine große Anzahl fremder Menschen zugewiesen, die Unterkunft, Verpflegung und, wenn möglich, auch Arbeit brauchen.

Nach der ersten Flüchtlingswelle 1945 erreichten Massentransporte von Vertriebenen Westfalen vor allem zwischen Februar und Herbst 1946 - bis zum 01.08.1947 sind es 604.552 Personen. [7] Welche Herausforderungen die stark steigenden Bevölkerungszahlen für alle Beteiligten mit sich bringen, macht folgende Zahl deutlich: Der Anteil der nicht einheimischen Bevölkerung etwa im Landkreis Münster beträgt zu diesem Zeitpunkt bereits 25 Prozent. [8] Und der Zustrom der Menschen reißt nicht ab, bis 1950 werden weitere 621.541 Menschen gezählt, die sich in Westfalen neu niederlassen. Zusätzlichen Konfliktstoff bietet die Konfessionsfrage. Mehrheitlich evangelische Flüchtlinge und Vertriebene stoßen auf eine stark und an vielen Orten bislang sogar ausschließlich katholisch geprägte einheimische Bevölkerung. [9]

Für viele Menschen auf dem Land und in den Städten ist die unmittelbare Nachkriegszeit jedoch vor allem eine Zeit des Trauerns um die Toten des Krieges und des Wartens auf vermisste Verwandte und Freunde. Allein in Münster hatten 1.644 Menschen bei Luftangriffen ihr Leben verloren, circa 4.000 Soldaten waren gefallen und mehr als 1.000 Menschen galten als vermisst. [10]
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Westfalen gehörte zur britischen Besatzungszone. Britische Soldaten - hier 1946 vor der Feuerwache in der Hafenstraße in Münster - hatten gemeinsam mit weiteren alliierten Truppen Westfalen bereits Anfang April 1945 besetzt.


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Die Innenstadt von Münster ist - wie hier an der Königsstraße - im Krieg zu über 90 Prozent zerstört worden. Sofort nach Kriegsende beginnen die Menschen mit dem Räumen der Trümmer.


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Diese Flüchtlingsfamilie lebt in einem Zimmer
 
 
 

5. Die Nachkriegszeit in Westfalen

 
 
 
In der Berliner Deklaration vom 05.06.1945 teilen die Alliierten Deutschland in vier Besatzungszonen auf. Das gesamte Gebiet Westfalens gehört zur Britischen Zone. Zentrale Ziele der britischen Besatzungsmacht sind neben der Lösung der existentiellen Versorgungsprobleme der Bevölkerung die Entnazifizierung und Demokratisierung des gesamten öffentlichen Lebens und insbesondere der Verwaltungen, Schulen und Universitäten. Während leitende Beamte und Angestellte - Regierungspräsidenten, (Ober)bürgermeister, Landräte - zunächst sehr schnell aus ihren Ämtern entfernt werden, zieht sich die politische Überprüfung der Lehrer, Professoren und sonstigen Verwaltungsangestellten und -beamten über mehrere Jahre hin. Sie führt aus verschiedensten Gründen - sich ständig ändernde Vorgaben zur Entnazifizierung, problematische Verfahren, Fehlen eines fachlich qualifizierten Ersatzes für politisch belastete Fachleute, Erlangung von sogenannten "Persilscheinen" durch Falschaussagen - häufig zu fraglichen Ergebnissen: Viele ehemalige überzeugte Anhänger der NSDAP behalten ihre Stellen; diejenigen die ihre Stellen verlieren, sind nicht immer die, die am meisten Schuld auf sich geladen haben. [11]

Unmittelbar nach Kriegsende stellen die Briten Regeln auf, die das Leben der Menschen stark beeinträchtigen: Außer Gottesdiensten sind alle öffentlichen Versammlungen verboten, ab 18 Uhr gilt die Sperrstunde. Für die eigenen Besatzungssoldaten erlassen die Briten, wie die Amerikaner und Franzosen auch, ein striktes Fraternisierungsverbot, jegliche freundschaftlichen und privaten Kontakte zwischen Deutschen und Besatzern sind verboten. [12]

Mit der Zeit lockern sich die Bestimmungen sowohl für Besatzer wie für Besetzte, die Deutschen dürfen immer mehr selbst bestimmen: Im Laufe des Jahres 1945 lassen die Briten deutsche Vereine, Gewerkschaften und Parteien wieder zu und heben das Fraternisierungsverbot im Herbst 1945 auf. Im Juli 1946 gründet die britische Regierung das Land Nordrhein-Westfalen, am 20.04.1947 werden die ersten Landtagswahlen abgehalten, Kommunalwahlen haben bereits am 13.10.1946 stattgefunden. Drei Jahre später, am 14.8.1949, wählen die Westdeutschen ihren ersten Bundestag. Zu diesem Zeitpunkt ist die Bundesrepublik drei Monate alt. Die Verkündung des Grundgesetzes am 23.05.1949 gilt als ihre Geburtsstunde. Ein bis auf die Frage der Wiedervereinigung weitestgehend souveräner Staat wird die Bundesrepublik jedoch erst mit den Pariser Verträgen von 1955.

Nicht nur in der politischen Selbstbestimmung, auch im Alltag der Menschen dauert es Jahre, bis wieder so etwas wie "Normalität" einkehrt. So ist die Ernährungslage in den Jahren nach Kriegsende für die Deutschen deutlicher schlechter als während des Krieges, den dramatischen Höhepunkt bildet der Hungerwinter 1946/47.

Eine Besserung der Versorgungslage tritt mit der Währungsreform vom 20.06.1948 ein, die letzten Rationierungen durch Lebensmittelmarken werden in der Bundesrepublik jedoch erst im Mai 1950 aufgehoben. Noch länger - bis zum 23.06.1960 - bewirtschaftet der Staat den vorhandenen Wohnraum. Erst danach hat sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt so weit entspannt, dass der Wohnungsbau in das System der freien Marktwirtschaft eingegliedert wird.

Auch das sogenannte Wirtschaftswunder setzt nicht unmittelbar mit der Währungsreform 1948 ein, sondern beginnt erst nach dem Ausbruch des Koreakrieges 1950. Bis 1960 verdoppelt sich in der ganzen Bundesrepublik das Realeinkommen pro Kopf, und die hohe Arbeitslosigkeit, die viele Familien wie die Gesellschaft insgesamt Anfang der 50er Jahre belastet, ist am Ende des Jahrzehnts einem Mangel an Arbeitskräften gewichen. [13] Der Aufbruch ist Ende der 50er Jahre zumindest in seinen materiellen Aspekten im Alltag der Menschen angekommen.

Viele Zeitzeugen erinnern sich an die Erfahrungen dieses Jahrzehnts tatsächlich wie an ein "Wunder". Der rasante Wandel vom existentiellen Mangel und den Entbehrungen der ersten Nachkriegsjahre hin zu einer Konsumgesellschaft trifft sie unerwartet und unverhofft, ruft darum aber auch umso größere Begeisterung hervor.
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Auf Grund der schlechten Versorungslage stehen die Menschen vor den Geschäften Schlange, sobald es etwas zu erwerben gibt, wie hier 1947 vor dem Tabakgeschäft Finke in Münster.

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Mit dem Beginn des "Wirtschaftswunders" füllen sich auch wieder die Schaufenster und versetzen nicht nur die Kinder vor diesem Spielzeugwarenladen in Soest 1951 ins Staunen.
 
 
 

6. Kinder und Jugendliche in der Nachkriegszeit

 
 
 
So unterschiedlich wie die Bevölkerung insgesamt erleben auch die Kinder und Jugendlichen das Kriegsende. Eine wesentliche Rolle spielt hierbei das Alter. So macht es einen großen Unterschied, ob die Kinder und Jugendlichen zu Kriegsende Säugling oder Kleinkind, Schülerin und BDM-Mädel oder bereits jugendliche Flakhelfer sind.

Entscheidenden Einfluss auf die Situation der Kinder und Jugendlichen hat auch die Frage, wo und unter welchen Umständen sie leben: in einer zerstörten Stadt, in einer weitgehend unzerstörten Stadt, auf dem Land oder auf der Straße; in einer eigenen Wohnung oder einquartiert in Baracken oder bei fremden Leuten oder Verwandten; in einer intakten Familie oder als Halbwaise oder Waise; als Einheimischer oder als Flüchtling; als (ehemals) überzeugte Anhänger des Nationalsozialismus oder als Gegner oder Opfer des Dritten Reiches, mit Erfahrungen von Bombardierung, Tod und Gewalt im mentalen Gepäck oder unbelastet von solchen Erlebnissen.

Doch so unterschiedlich die individuelle Situation der Kinder und Jugendlichen nach Kriegsende sein mag, teilen sie einige grundlegende Erfahrungen mit der Gesamtbevölkerung. Den Verlust geliebter Menschen, Hunger, beengte Wohnsituationen und materielle Not erfahren viele Kinder und Jugendliche am eigenen Leib oder erleben es in ihrem näheren Umfeld mit.

Eine Umfrage unter 1.500 Berufsschülern in Münster Anfang 1947 zeichnet hier ein deutliches Bild: 36 Prozent der Schülerinnen und Schüler verfügen nicht über ein eigenes Bett, 78 Prozent haben keinen Schlafraum für sich allein, 21 Prozent leben in einer (halb)zerstörten Wohnung, fünf Prozent besitzen keine Schuhe, und 62 Prozent können sich nicht immer, 32 Prozent sich nie richtig satt essen. [14]
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Bei Kriegsende haben viele Jugendliche, die vorher mit Begeisterung bei der HJ oder dem BDM mitgemacht haben, mit dem Zusammenbruch des bisherigen Weltbildes zu kämpfen. Das Bild zeigt die Dortmunder HJ beim Pfingsttreffen in Raesfeld im Kreis Borken 1938.


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Diese Behelfswohnung richtet sich die Familie Neufelder an der Rückseite ihres Ladengeschäftes an der Warendorfer Straße in Münster mitten in den Kriegsruinen ein. Sie wohnt dort von 1953 bis 1959.
 
 
 

7. Die Schule

 
 
 
Kinder- und jugendspezifisch ist sicherlich das Erleben der Schulzeit in der Nachkriegszeit. So bleiben die Schulen unmittelbar nach Kriegsende zunächst geschlossen. Erst ab Herbst 1945 beendet die Militärregierung eine erste Entnazifizierung der Lehrer und gibt einzelnen Schulen die Erlaubnis, wieder mit dem Unterricht zu beginnen. Zunächst öffnen die Volksschulen ihre Tore, danach die weiterführenden Schulen, manche von ihnen jedoch erst im Sommer 1946. [15] Viele Schulen können den Unterricht jedoch nur im Schichtbetrieb wieder aufnehmen: In Städten wie Münster liegt das vor allem daran, dass viele Klassenzimmer durch die Bombenangriffe zerstört worden waren; in den Landgemeinden können die alten Schulräume die durch die Flüchtlingskinder stark gestiegene Schülerzahl teilweise nicht mehr beherbergen.

Probleme hat die Militärregierung auch mit ihren Plänen, die Unterrichtsmaterialien auszutauschen und den Erfordernissen einer demokratischen Erziehung anzupassen. Zum einen gibt es kaum Schulbücher, die den neuen demokratischen Richtlinien entsprechen würden, zum anderen sind Papier, Schreibwaren und sonstige Unterrichtsmaterialien in den ersten Nachkriegsjahren absolute Mangelware, so dass die Lehrer auch diesbezüglich improvisieren müssen. [16]

Im Vergleich zur Zwischenkriegszeit relativ unverändert bleibt jedoch die Wahl des Bildungsweges, den die Eltern für ihre Kinder bestimmen. Anders als heute wird der Kindergarten bis zur Bildungsreformdebatte Ende der 60er Jahre nicht als Teil des Bildungssystems, sondern eher als Einrichtung der Sozialfürsorge betrachtet. Mitte der 60er Jahre besuchen ihn nur ein Drittel aller Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren. [17] "Normal" bleibt, die ersten sechs Jahre zu Hause zu verbringen und dann die Volksschule zu besuchen.

So beenden in Nordrhein-Westfalen 1952 noch 86 Prozent aller Kinder ihre Schullaufbahn mit dem Volksschulabschluss, das Abitur legen nur drei Prozent eines Jahrgangs ab. 1961 haben sich diese Zahlen bereits leicht verändert, sind aber immer noch weit entfernt von heutigen Verhältnissen: Der Anteil der Abiturienten eines Geburtsjahrganges beträgt nun sieben Prozent, für 77 Prozent aller Mädchen und Jungen eines Jahrganges endet die Schullaufbahn aber auch 1961 noch mit dem Volksschulabschluss. [18]
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Das rasante Wachstum der Schülerzahlen durch die Aufnahme der Flüchtlinge und Vertriebenen sowie die Zerstörung von Schulen im Bombenkrieg machen vielerorts den Neubau von Schulen nötig. Das Bild zeigt die Grundsteinlegung der Alexanderschule in Raesfeld 1949.


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Gut eingerichtet und ausgestattet ist dieser Klassenraum in der Erziehungsanstalt Marienburg bei Coesfeld, so dass der Rechenunterricht in dieser Mädchenklasse 1950 problemlos durchgeführt werden kann.


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Der Sohn der Familie Becker aus Raesfeld begeht um 1950 seinen ersten Schultag. Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass er seine Schullaufbahn mit dem Abitur abschließt, ist äußerst gering. Noch 1961 endet die Schule für 77% aller Kinder mit dem Volksschulabschluss.
 
 
 

8. Ausbildung und Arbeit

 
 
 
Im Idealfall schließt sich für die Mehrheit der Jugendlichen, die einen Volksschulabschluss erwerben, an die Schulzeit eine Lehre an. Bis zum Anziehen des Wirtschaftswunders und der Trendwende auf dem Arbeitsmarkt 1953/54 sind die Jugendlichen jedoch von der ohnehin hohen Arbeitslosigkeit überproportional stark betroffen. Besonders schwerwiegend ist der Mangel an Lehrstellen, um die nicht nur die geburtenstarken Vorkriegsjahrgänge miteinander konkurrieren, sondern auch diejenigen Jugendlichen, die wegen des Krieges keine Ausbildung abschließen bzw. überhaupt erst beginnen konnten. Auf diesem heiß umkämpften Ausbildungs- und Arbeitsmarkt werden die Mädchen besonders benachteiligt. Mit dem Argument "Mädchen heiraten ja doch!" erklären viele Eltern, Arbeitgeber aber auch einige weibliche Jugendliche selbst ihre Ausbildung für weniger wichtig als die ihrer männlichen Altersgenossen.

Mitte der 50er Jahre hat das rasante Wirtschaftswachstum das Problem der Jugendarbeitslosigkeit in der jungen Bundesrepublik gelöst. Am Ende des Jahrzehnts bricht unter den Unternehmen gar ein Konkurrenzkampf um die Lehrlinge aus.

Diese Entwicklung hat auch Auswirkungen auf die Arbeitsmarktchancen der Mädchen. So verdoppelt sich die Zahl der weiblichen Lehrlinge zwischen 1950 und 1958 beinahe; die Mädchen bleiben jedoch im Hinblick auf Anzahl und Qualität der Ausbildungsplätze den Jungen gegenüber deutlich benachteiligt. [19]

Das Leben der Jugendlichen in den 50er Jahren ist wesentlich von Arbeit geprägt. 1961 sind in Nordrhein-Westfalen fast achtzig Prozent der jungen Frauen zwischen 15 und 25 Jahren erwerbstätig und sogar über 90 Prozent der Männer gleichen Alters. Während die Mädchen in der Mehrheit in Handel, Verkehr, Gesundheitswesen und sonstigen Dienstleistungsberufen beschäftigt sind, erlernen über zwei Drittel der Jungen einen Beruf in Industrie oder Handwerk. [20] Die Arbeit nimmt zudem einen beträchtlichen Teil des Tages der Jugendlichen ein. Bis zur Novellierung des Jugendarbeitsschutzgesetzes 1960 beträgt die wöchentliche Höchstarbeitszeit für Jugendliche 48 Stunden, eine repräsentative Umfrage unter Jugendlichen ergibt jedoch 1950, dass 36,2 Prozent der Jugendlichen sogar länger als 48 Stunden pro Woche arbeiteten.

Die längsten Tage absolvieren die in der Landwirtschaft beschäftigten Jugendlichen mit elf bis zwölf Stunden pro Tag, die übrigen berufstätigen Jugendlichen arbeiten acht bis zehn Stunden täglich, die Schüler und Studenten verbringen mit circa vier bis acht Stunden die kürzesten Arbeitstage. [21]
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Diese Hebammenschülerinnen in der Provinzial-Hebammenanstalt in Paderborn 1950 sind mit ihrer qualifizierten Ausbildung unter ihren Altersgenossinnen eher die Ausnahme. Auf dem heiß umkämpften Ausbildungsmarkt zu Beginn der 50er Jahre werden Mädchen benachteiligt, da sie - so die Meinung vieler Arbeitgeber und Eltern - als spätere Hausfrauen und Mütter keine Ausbildung bräuchten.


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Gegen Ende der 50er Jahre bricht eine Konkurrenz der Wirtschaft um Lehrlinge aus. Die Lehrlinge - hier der Elektrikerlehrling Horst Neufelder 1957 - müssen sich keine Sorgen mehr um einen Ausbildungsplatz machen.


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Bis zur Novellierung des Arbeitsschutzgesetzes 1960 dürfen Jugendliche bis zu 48 Stunden pro Woche arbeiten. Wie hoch die Wochenarbeitszeit des Autoelektrikers Theo Nießing aus Raesfeld war, ist nicht bekannt.
 
 
 

9. Freizeit

 
 
 
Angesichts dieser langen Arbeitszeiten verwundert es kaum, dass Mitte der 50er Jahre veröffentlichte Umfragen des Emnid-Instituts zur Lage der westdeutschen Jugendlichen ein sehr häusliches Bild vom Freizeitverhalten der Jugendlichen zeichnen: Lesen und andere Hobbies, die wie Basteln, Radiohören oder die Brieftaubenzucht zu Hause ausgeübt werden konnten, führen die Rangliste der "liebsten Freizeitbeschäftigungen" an.

Eine große Bedeutung nimmt jedoch auch der Sport ein; die Sportvereine erleben in der Nachkriegszeit einen großen Zulauf, andere Jugendorganisationen etwa aus dem kirchlichen, gewerkschaftlichen oder politischen Bereich klagen in den 50er Jahren jedoch über Nachwuchsmangel.

Vor allem am Wochenende steht noch eine weitere Freizeitaktivität auf dem Programm der Jugendlichen: der Kinobesuch. 1953/54 gaben fast zwei Drittel der von Emnid-Befragten Jugendlichen an, mindestens zwei Mal pro Monat ins Kino zu gehen. [22]

Unmittelbar nach Kriegsende hatten zahlreiche Erwachsene, vor allem Jugendpfleger und Jugendfürsorger, noch ein anderes Bild des Freizeitverhaltens der Heranwachsenden gezeichnet: Von "Vergnügungstaumel", "Tanzwut", "Erlebnishunger" und "lange aufgestautem Lebensdurst" ist in ihren Berichten die Rede. [23]

Und auch die Münsteraner Zeitzeugen, Erwachsene wie Jugendliche, die die Historikerin Sabine Heise zur Nachkriegszeit interviewt hat, geben an, nach Kriegsende einen großen Wunsch nach "abwechslungsreicher Freizeitgestaltung" gehabt zu haben. Besonders das "Nachholbedürfnis" an kulturellen Veranstaltungen, an im Dritten Reich verbotenen Musik- und Theaterstücken, sei groß gewesen. Bereits im Sommer 1945 finden im zerbombten Münster improvisierte Konzerte und Theateraufführungen statt. [24]

Ab der zweiten Hälfte der 50er Jahre machen Historiker eine weitere Veränderung im Freizeitverhalten der Jugendlichen aus: Eine neue Generation, die größtenteils in der Bundesrepublik groß geworden ist, erreicht nun das Jugendlichen-Alter. Im Zuge der beginnenden Arbeitszeitverkürzungen verfügen diese Jugendlichen nicht nur über mehr freie Zeit, sondern auch über immer mehr eigenes Geld, mit dem sie ihre Konsumwünsche befriedigten. Viele junge Männer sparen auf ein Moped, die jungen Frauen auf ihre Aussteuer. Doch auch die relativ teuren Schallplatten wecken die Sehnsüchte vieler Jugendlicher. Die Jugendmusikkultur beginnt zu boomen, der Rock 'n' Roll begeistert einen Teil der Jugendlichen nicht nur als Musik, sondern auch als Lebensgefühl. Dieses neue Lebensgefühl erfährt unter den Jugendlichen jedoch ganz unterschiedliche Ausprägungen. Während kleine Gruppen zumeist aus dem Arbeitermilieu als sogenannte "Halbstarke" mit Jeans, Lederjacken, Elvis-Tolle, Motorrädern und ihrem als provokant empfundenen Auftreten die Erwachsenen verschrecken, entwickelt die "Teenagerkultur" eher an bürgerliche Ideale angepasste Ausdrucksformen und findet sehr viel stärkere Verbreitung. [25]

Dieser zunehmende Einfluss der amerikanischen Kultur auf die Freizeitgestaltung (nicht nur) der Jugendlichen und das Entstehen spezifischer Jugendkulturen verunsichert Ende der 50er Jahre zwar zahlreiche erwachsene Beobachter. Rückblickend sind beide Phänomene jedoch ein sicheres Indiz dafür, dass die Geschichte von Kindheit und Jugend in der Nachkriegszeit mit diesen Aufbrüchen zu neuen Ufern ihr Ende erreicht.
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Lesen gehört zu den "liebsten Freizeitbeschäftigungen" der Jugendlichen in den 50er Jahren, so auch das Zeitungslesen von Horst Neufelder aus Münster 1958.


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Sport treiben immer mehr Jugendliche in der Nachkriegszeit nicht nur in der Schule, wie hier auf dem Bild von der Gehörlosenschule in Büren 1954. Auch der Vereinssport wird immer beliebter.


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Beim Kostümfest der Landjugend in Raesfeld im Kreis Borken wird 1950 Musik gemacht und getanzt. Jugendpfleger kritisieren nach dem Krieg die "Tanzwut" der Jugendlichen.


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Die sogenannten "Halbstarken" mit Jeans, Lederjacke und Elvis-Tolle stellen nur eine kleine Gruppe von Jugendlichen. Die Mehrheit lebt angepasster und wählt, wie Horst Neufelder beim Lernen 1958, den Anzug als Kleidungsstück. Einen Ansatz von Tolle wagt er trotzdem.
 
 
 

10. Literatur

 
 
 
Abelshauser, Werner, Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945, München 2004.

Bartram, Christine / Krüger, Heinz-Hermann
Vom Backfisch zum Teenager. Mädchensozialisation in den 50er Jahren, in: Ders. (Hg.), "Die Elvis-Tolle, die ich mir unauffällig hatte wachsen lassen". Lebensgeschichte und jugendliche Alltagskultur in den fünfziger Jahren, Opladen 1985, S. 84-102.

Broszat, Martin
Einleitung, in: Ders (Hg.), Zäsuren nach 1945. Essays zur Periodisierung der deutschen Nachkriegsgeschichte, Münschen 1990, S. 9f.

Granicki, Günter
Die Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen. Ergebnisse der Flüchtlingszählung 1947, Troisdorf 1949.

Jakobi, Franz-Josef / Link, Roswitha (Hgg.)
Geschichte im Gespräch: Kriegsende 1945 und Nachkriegszeit in Münster, bearbeitet von Sabine Heise unter Mitarbeit von Gerburg Harenbrock, Münster 1997.

Kampmann, Jürgen
Migration und konfessionelle Identität in Westfalen nach 1945, in: Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte 2010, Bd. 106, S. 375-421.

Klueting, Harm
Geschichte Westfalens. Das Land zwischen Rhein und Weser vom 8. bis zum 20. Jahrhundert, Paderborn 1998.

Konrad, Franz-Michael
Der Kindergarten. Seine Geschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart, Freiburg 2004.

Köster, Markus
Jugend, Wohlfahrtsstaat und Gesellschaft im Wandel. Westfalen zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik, Paderborn 1999.

Schelsky, Helmut
Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend, Köln, Düsseldorf 1957.

Schildt, Axel
Von der Not der Jugend zur Teenager Kultur: Aufwachsen in den 50er Jahren, in: Ders./Sywottek Arnold (Hgg.), Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre, Bonn 1993, S. 335-348.

Schildt Axel
Moderne Zeiten. Freizeit, Massenmedien und 'Zeitgeist' in der Bundesrepublik der fünfziger Jahre, Hamburg 1995.

Vollnhans, Clemens
Entnazifizierung, politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen, München 1991.

Wagner, Beate
Jugendliche Lebenswelten nach 1945. Sozialistische Jugendarbeit zwischen Selbstdeutung und Reeducation, Opladen 1995.

Wehler, Hans-Ulrich
Deutsche Gesellschaftsgeschichte Bd. 5: Bundesrepublik und DDR 1949-1990, München 2008.

Züchner, Dörte
Münster unter britischer Besatzung. Versuch der Reorganisation und Demokratisierung von Gesellschaft und Verwaltung, unveröffentlichte Magisterarbeit Universität Münster 2000, einsehbar im Stadtarchiv Münster.
 
 
 



Anmerkungen

[1] Als ersten Überblick siehe: Schildt, Axel, Von der Not der Jugend zur Teenager Kultur: Aufwachsen in den 50er Jahren, in: Ders./Sywottek Arnold (Hgg.), Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre, Bonn 1993, S. 335-348. Zu Kindheit und Jugend in Westfalen siehe folgende grundlegende Studie: Köster, Markus, Jugend, Wohlfahrtsstaat und Gesellschaft im Wandel. Westfalen zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik, Paderborn 1999, bes. S. 383-429.
[2] Zu den zeitgenössischen Hoffnungen und Sorgen bezüglich der Jugend siehe: Wagner, Beate, Jugendliche Lebenswelten nach 1945. Sozialistische Jugendarbeit zwischen Selbstdeutung und Reeducation, Opladen 1995, S. 45-58.
[3] Schelsky, Helmut, Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend, Köln, Düsseldorf 1957.
[4] Broszat, Martin, Einleitung, in: Ders (Hg.), Zäsuren nach 1945. Essays zur Periodisierung der deutschen Nachkriegsgeschichte, München 1990, S. 9f.
[5] Jakobi, Franz-Josef / Link, Roswitha (Hgg.), Geschichte im Gespräch: Kriegsende 1945 und Nachkriegszeit in Münster, bearbeitet von Sabine Heise unter Mitarbeit von Gerburg Harenbrock, Münster 1997, S. 10f. , S. 13.
[6] Jakobi/Link (Hgg.), Geschichte, S. 11, S. 15.
[7] Klueting, Harm, Geschichte Westfalens. Das Land zwischen Rhein und Weser vom 8. bis zum 20. Jahrhundert, Paderborn 1998, S. 418.
[8] Eigene Berechnung auf Grundlage von , Jakobi/Link (Hgg.), Geschichte, S. 17. Zur Verteilung der Flüchtlinge auf NRW insgesamt siehe: Granicky, Günter, Die Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen. Ergebnisse der Flüchtlingszählung 1947, Troisdorf 1949.
[9] Kampmann, Jürgen, Migration und konfessionelle Identität in Westfalen nach 1945, in: Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte 2010, Bd. 106, S. 375-421, S. 376f.
[10] Zusätzlich starben in Münster während des Krieges ungefähr 900 der 10.000 dort eingesetzten ausländischen Zwangsarbeiter, von den ursprünglich 708 Münsteraner Jüdinnen und Juden überlebten nur 24 das Ende des Zweiten Weltkrieges. Jakobi/Link (Hgg.), Geschichte, S. 12f.
[11] Zur Entnazifizierungspolitik siehe: Vollnhans, Clemens, Entnazifizierung, politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen, München 1991. Zur Entnazifizierung in Münster siehe: Züchner, Dörte, Münster unter britischer Besatzung. Versuch der Reorganisation und Demokratisierung von Gesellschaft und Verwaltung, unveröffentlichte Magisterarbeit Universität Münster 2000, einsehbar im Stadtarchiv Münster, S. 96-104.
[12] Jakobi/Link (Hgg.), Geschichte, S. 14f.
[13] Wehler, Ulrich, Strukturbedingungen und Entwicklungsprozesse der Wirtschaft, in: Ders, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 5 Bundesrepublik und DDR 1949-1990, München 2008, S. 48-58. Ausführlicher hierzu auch, Abelshauser, Werner, Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945, München 2004, S. 120-361.
[14] Zitiert nach: Köster, Jugend, S. 384.
[15] Jakobi/Link (Hgg.), Geschichte, S. 167, Züchner, Münster, S. 115-118.
[16] Jakobi/Link (Hgg.), Geschichte, S. 168.
[17] Konrad, Franz-Michael, Der Kindergarten. Seine Geschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart, Freiburg 2004, S. 205-210.
[18] Zitiert nach Köster, Jugend, S. 402f.
[19] Schildt, Axel, Moderne Zeiten. Freizeit, Massenmedien und 'Zeitgeist' in der Bundesrepublik der fünfziger Jahre, Hamburg 1995, S. 156; Bartram Christine, Krüger Heinz-Hermann, Vom Backfisch zum Teenager. Mädchensozialisation in den 50er Jahren, in: Ders (Hg.), "Die Elvis-Tolle, die ich mir unauffällig hatte wachsen lassen". Lebensgeschichte und jugendliche Alltagskultur in den fünfziger Jahren, Opladen 1985, S. 84-102.
[20] Kösters, Jugend, S. 400.
[21] Schildt, Not der Jugend, S. 338f.
[22] Schildt, Zeiten, S. 163-179; Kösters, Jugend, S. 406-409.
[23] Zitiert nach Kösters, Jugend, S. 393.
[24] Jakobi/Link (Hgg.), Geschichte, S. 253.
[25] Kösters, Jugend, S. 410-420; Schildt, Not der Jugend, S. 343-347.