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1. Römische Geschichte im westfälischen Raum


 
 
 
Bereits im 2. Jh. v. Chr. waren die Römer mit verschiedenen Stämmen aus dem Norden in Berührung gekommen. Vermutlich wegen Klimaveränderungen und Sturmfluten in ihrer angestammten Heimat an der Nordsee waren die Kimbern und Teutonen auf der Suche nach neuem Siedlungsland durch Europa gezogen. Ihre Streifzüge führten dabei letztendlich in Richtung Norditalien. Nach zahlreichen, für die Römer äußerst verlustreichen Kämpfen, wie etwa 105 v. Chr. die Schlacht bei Arausio (dem heutigen Orange in Südfrankreich), gelang es dem römischen Heer auf den sogenannten Raudischen Feldern bei Vercellae 101 v. Chr. den Germanen eine vernichtende Niederlage beizubringen. Die Angst vor der Aggressivität der Barbarenhorden des Nordens, der so bezeichnete "furor teutonicus", sollte jedoch lange Zeit als traumatische Erinnerung im kollektiven Gedächtnis der Römer verankert bleiben.
 
 

 

1.1 Der Rhein wird zur
Nordgrenze Roms

 
 
 
Durch die Eroberung Galliens unter Caius Iulius Caesar im Zuge des Gallischen Krieges (58 v. Chr.-52 v. Chr.) wurden das als Germanien bezeichnete Gebiet rechts des Rheins direkter Nachbar an der Nordgrenze des römischen Reiches. Caesar hatte das Herrschaftsgebiet Roms von der heutigen Provence bis an den Atlantik im Nordwesten und den Rhein im Osten erweitert. Zur Sicherung der von ihm in kurzer Zeit eroberten Gebiete stationierte er große Truppenkontingente in Gallien. Mit ihrer Hilfe konnten Städte und die Verkehrsverbindungen kontrolliert, aber auch die Infrastruktur nutzbringend ausgebaut werden. Die Eroberung bedeutete für Rom nicht nur einen Zuwachs an Territorium, sondern auch einen Wirtschaftsaufschwung: Abgaben und Steuern der Bewohner der neuen Provinzen sollten den Wohlstand Roms vergrößern.

Die römische Kultur, die gemeinsam mit den neuen Machthabern in Gallien einzog, faszinierte einen Teil der Einheimischen, auch über den Grenzfluss hinweg. Die Hoffnung einen mächtigen neuen Verbündeten bei internen Auseinandersetzungen zu finden, ließ manche freiwillig zu Verbündeten der Römer werden. Versprach doch etwa der Dienst für das römische Militär in einer Hilfstruppeneinheit eine sichere Lebensgrundlage und eine vielversprechende Zukunftsperspektive. Am Ende der Dienstzeit lockte der Erhalt des römischen Bürgerrechtsstatus, ein ebenso begehrtes wie angesehenes Privileg in der romanisierten Bevölkerung. Andererseits mochten große Teile der einheimischen Bevölkerung den Verlust ihrer eigenen Tradition unter der fremdbestimmten Verwaltung nicht so leichtfertig hinnehmen. Von zahlreichen Aufständen, die gegen die Römer in den eroberten Provinzen angezettelt wurden, sei im Falle von Gallien exemplarisch der Aufstand des Vercingetorix genannt, den Caesar nur unter Aufbringung größter militärischer Kräfte bei der Schlacht von Alesia im Jahr 52 v. Chr. beenden konnte.

In seinem Werk "Commentarii de Bello Gallico" beschreibt Caesar auch die geografische Situation mit dem Rhein als Grenze zu Germanien bzw. als ethnologische Grenze zwischen Kelten und Germanen. Der Begriff "Germanien" wurde wohl erstmalig 80 v. Chr. vom Schriftsteller und Universalgelehrten Poseidonios gebraucht und ebenso von Caesar verwendet. Allerdings übernahm er den Sammelbegriff "Germanen" ungeachtet der vorliegenden Situation, indem er die Bezeichnung eines linksrheinischen Stammes auf die gesamte Ethnie übertrug. Der "Germane" lebte jedoch innerhalb eines lockeren Gesellschaftsverbandes und verstand sich selbst als Angehöriger eines bestimmten Stammes, also etwa als Sugambrer, Chatte oder Cherusker. Dieses feste Zugehörigkeitsgefühl legte einerseits den Grundstein für diverse Unruhen und Stammeskämpfe, lässt auf der anderen Seite aber auch die römische Sichtweise eines gemeinsamen Identitätsverständnisses der Bewohner der "Germania Magna" als "Germanen" nicht zutreffend erscheinen.

Je weiter sich die römische Kultur und der Wohlstand in den romanisierten Städten im linksrheinischen Gebiet festigte, desto unsicherer wurde die Situation an der neuen Reichsgrenze. Germanische Stämme überschritten mehrfach den Rhein und wurden so zu einem permanenten Unruheherd für das römische Reich. Um dieser Bedrohung zu begegnen, versuchten die Römer die Nordgrenze ihres Herrschaftsgebietes über den Fluss hinweg auszudehnen. 39/38 v. Chr. ist die Rheinüberquerung eines Heeres unter dem Kommando des gallischen Stadthalters Marcus Vipsanius Agrippa überliefert. Die Vorstöße führten jedoch nicht zu der von den Römern auf Dauer gewünschten Befriedung der Nordgrenze. Vielmehr überschritt im Jahre 16 v. Chr. der germanische Stamm der Sugambrer vermutlich nördlich des heutigen Bonn den Rhein in Richtung Westen. Die 5. Legion unter Führung des Statthalters Marcus Lollius stellte sich ihnen entgegen und wurde in der als "clades Lolliana" bezeichneten Schlacht aufgerieben. Ihr Legionsadler, ein nahezu sakraler Gegenstand für die Soldaten, fiel den Sugambrern in die Hände. Dieser Verlust ereilte Rom unerwartet und traf neben der Schmach der militärischen Katastrophe auch das römische Selbstbewusstsein. Der römische Schriftsteller Sueton charakterisierte dementsprechend die Niederlage als "von größerer Schmach als Schaden" (Aug. 23,1).

Im 2. Jahrzehnt v. Chr. sicherte das römische Heer die linke Rheinseite mit einem Netz von Militärstützpunkten. Nach jüngsten Untersuchungen könnte bereits ab 19/18 v. Chr. am Hunerberg im niederländischen Nijmegen ein Militärlager entstanden sein. Später kamen das Lager Castra Vetera beim heutigen Xanten, das Kastell Asciburgium im heutigen Moers-Asberg und schließlich wohl auch das Zweilegionenlager Mogontiacum (Mainz) hinzu. Die Standorte der Anlagen am Ende von Straßen und Wasserwegen, die aus Gallien in Richtung Germanien führten, und gegenüber von Zuflüssen in den Rhein, die einen schnellen Zugang in das Binnenland Germaniens boten, waren taktisch geschickt gewählt. In der Folgezeit bis zu den Feldzügen des Germanicus wurden sie als Basislager für die Militäroffensiven im rechtsrheinischen Gebiet genutzt. Mit diesen Anlagen veränderten die Römer auch den Siedlungscharakter an der linken Rheinseite. Die Kastelle befanden sich in zuvor eher wenig besiedelten Gebieten und die dort stationierten Truppen sowie der zugehörige Tross von Familien, Händlern und Handwerkern brachten die römische Kultur mit sich. Religion, Handel und Handwerk trugen zu einer verstärkten Romanisierung des Umlandes bei und manche der neuen Militärplätze entwickelten sich mit der Zeit zu bedeutenden Wirtschaftszentren.
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Römische Militärstützpunkte an Rhein und Lippe


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Luftbild des Römerlagers Anreppen


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Modell des römischen Lagers Anreppen (Ausschnitt)


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Modell der Speicherbauten im römischen Lager Anreppen


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Fundkarte römischer Importobjekte in Westfalen


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Der Grundriss eines germanischen Wohn-Stallhauses in Paderborn-Saatental


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Paderborn-Saatental: Die Ausgräber haben die Standspuren ehemaliger Hauspfosten durch Hölzer markiert


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Römische Bronzefibel aus Paderborn-Balhorn
 

 
 

1.2 Roms Aufbruch nach Germanien (16-12 v. Chr.)

 
 
 
Bei dem Staatsakt zur Beendung der Bürgerkriege, die nach dem Tod Caesars ausgebrochen waren, hatte Caius Octavius Augustus im Jahr 27 v. Chr. durch den Senat auch die Verwaltung der Provinz Gallia übertragen bekommen. Im Jahr 16 v. Chr. führte er eine Verwaltungsreform durch, in deren Verlauf die große Provinz Gallia (comata) in die drei Provinzen Gallia Aquitania, Gallia Lugdunensis und Gallia Belgica unterteilt wurde. Während dieser Zeit dürfte der Prinzeps damit auch mit der Problematik der Grenzüberfälle aus dem rechtsrheinischen Germanien konfrontiert worden sein. Im Jahr 15 v. Chr. erfolgte ein Zangenangriff der Römer auf die Bergvölker der Alpen und des Alpenvorlandes, der durch die Stiefsöhne des Augustus, Tiberius und Drusus, geleitet wurde. Der erfolgreiche Alpenfeldzug endete mit der Unterwerfung der unruhigen Bergvölker und der Schaffung der Verwaltungsbezirke Raetia und Vindelicia. Roms Machtgebiet verschob sich damit bis an die Donau in den Süden des rechtsrheinischen Germanien hinein. Damit wurde das unruhige Germanien auch im Süden zum unmittelbaren Grenznachbar Roms.

Ab dem Jahr 12 v. Chr. war Drusus nach den erfolgreichen Alpenfeldzügen am Rhein stationiert. Augustus’ außenpolitische Pläne sahen nun auch eine Erschließung des weitgehend unbekannten Germaniens östlich der Rheinlinie und nördlich der Donau vor. Anders als die gelegentlichen Vorstöße des römischen Militärs in das rechtsrheinische Gebiet seit Caesars Eroberung Galliens, die mehr als offensive und abschreckende Antwort auf die Grenzverletzung seitens der germanischen Stämme zu verstehen sind, hatte Augustus eine langfristige Befriedung Germaniens vor Augen. Ständige Präsenz römischer Truppen in Militärposten, Verbesserung und Ausbau des Straßensystems und die Anlage von Zivilsiedlungen sowie der Aufbau eines Rohstoffhandels in den folgenden Jahren weisen darauf hin, dass die "Germania Magna" auf lange Sicht als Provinz dem römischen Reichsgebiet eingegliedert werden sollte.
 
 

 
 

1.3 Die Feldzüge des Drusus
(12-9 v. Chr.)

 
 
 
Da das Gebiet, das Drusus zu erkunden hatte, zunächst so gut wie kein für römische Truppenbewegungen brauchbares Straßensystem aufwies, sorgte er für den Aufbau einer Militärflotte. Mit Hilfe von leichten, wendigen Patrouillenbooten konnten Erkundungszüge und durch Lastkähne die Versorgung der später im rechtsrheinischen Gebiet stationierten Truppen über die schiffbaren Flüsse schneller als auf dem Landweg erfolgen. Noch 12 v. Chr. wurde Drusus in Germanien aktiv, stieß auf seinen Erkundungszügen weit in das unbekannte Terrain vor und zog durch die Stammesgebiete der Usipeter, Tenkterer und Sugambrer bis zu den Cheruskern im Bereich der Weser.

In Westfalen zeugen heute noch die Spuren eines von 11-8/7 v. Chr. bestehenden Legionslagers in Bergkamen-Oberaden und eines Uferkastells im etwa 2,5 km entfernten Lünen-Beckinghausen an der Lippe von der Präsenz der römischen Truppen. Das Militärlager von Oberaden bot auf einer Grundfläche von rund 56 ha ausreichend Raum für zwei Legionen. Etwa im Zentrum der Anlage, dicht bei dem Stabsgebäude (principia), befand sich ein auffallend großzügig angelegtes Wohngebäude, das vermutlich als Wohnsitz des Oberkommandanten Drusus (praetorium) zu identifizieren ist. Die zeitgleich errichtete Befestigungsanlage des Uferkastell bei Beckinghausen umschloss lediglich eine Grundfläche von 2,5 ha. Von seiner Innenbebauung sind Anlagen von Töpferöfen und Speicherbauten nachgewiesen, was bedeutet, dass es vermutlich als Produktionsstätte und Versorgungsstation für das Legionslager diente.

Eine weitere Bewegungsrichtung der römischen Truppen erfolgte über eigens angelegte Kanäle vom Rhein aus über die Zuidersee bis zur Nordsee. Von hier aus erreichte die Flotte schließlich die Ems, die einen schnellen Zugang in das Binnenland bot. Das Zusammentreffen mit den einheimischen Stammesverbänden verlief dabei nicht immer friedlich, so kam es zu Kämpfen mit den Chatten im heutigen Hessen und mit den Markomannen, die sich schließlich weit in das Hinterland vor den Römern zurückzogen. Allerdings schlug den Truppen nicht gänzlich Feindschaft und Misstrauen entgegen. Die Oberhäupter der Cherusker etwa, zu denen auch Segimer, der Vater des Arminius, gehörte, begegneten den Römern aufgeschlossen und kooperativ.

Im Jahr 9. v. Chr. ereilte Drusus auf seinem Rückzug von der Elbe ein Unglück. Der erfolgreiche Heerführer stürzte vom Pferd und erlitt dabei schwere Verletzungen, an denen er kurz darauf verstarb. An Drusus erinnert heute noch der sogenannte Drususstein in Mainz, die Ruine eines mächtigen Grabmonumentes, das mit einem zu Ehren des Oberbefehlshabers von den römischen Truppen im Militärlager Mogontiacum errichteten Scheingrabes identifiziert wird.
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Drusus (38 v. Chr.-9 v. Chr.)
 

 
 

1.4 Tiberius in Germanien
(9 v. Chr.-6 n. Chr.)

 
 
 
Tiberius, der zweite Stiefsohn des Augustus, wurde nach dem tödlichen Unfall an den Rhein gesandt und übernahm ab 8 v. Chr. die Aufgaben seines Bruders Drusus. Unter seinem Oberbefehl wurde die schiffbare Lippe zu einer permanenten Stationslinie für römische Truppen ausgebaut. Dieser Ausbau mit Militärstützpunkten und Hafenplätzen kann als Basis für eine dauerhafte römische Präsenz verstanden werden, wobei dem Aufbau der Militärstation von Haltern am See eine wichtige Rolle zugedacht war. Das 16,7 ha große Hauptlager auf dem heutigen Silverberg wies neben den üblichen Mannschaftsbaracken und Verwaltungsbauten auch ein Lazarett (Valetudinarium) und eine ungewöhnlich hohe Anzahl an Wohnbauten für hochrangige Offiziere, die sogenannten Tribunhäuser, auf. Es bleibt zu vermuten, dass hier auch hochrangige Verwaltungsbeamte angemessen untergebracht werden konnten, die sich um den Aufbau einer Verwaltungsstruktur kümmern würden. Im Vorfeld des Lagers ist ein ausgedehnter Töpfereibezirk nachgewiesen worden. Die Produktion war vermutlich nicht allein auf die lokalen Bedürfnisse beschränkt, was durch Funde von Keramik aus Haltern in anderen Truppenstützpunkten an der Lippe und am Rhein nahegelegt wird.

Nicht weit vom Hauptlager entfernt befand sich ein an der Lippe gelegenes Uferlager, in dem die Spuren von Bootshäusern nachgewiesen wurden. Sie dienten vermutlich als Basisstation für eine Flotte von Flusskriegsschiffen, die für den Truppentransport und die Sicherung eine wichtige Rolle spielten. Ebenso wurde dicht am Hauptlager ein ausgedehntes Gräberfeld entdeckt, dessen unterschiedliche Bestattungsformen von einfachen Urnen bis hin zu aufwändigen Grabhügelbestattungen reichen. Analysen bezeugen neben Männerbestattungen auch Frauen und Kinder, was auf eine Lagervorstadt hindeutet, in der die Angehörigen der stationierten Soldaten oder auch Händler und Handwerker mit ihren Familien lebten.

In den Jahren bis 6 v. Chr. kümmerte Tiberius sich um eine Befriedung des neuen Territoriums, indem er mit zahlreichen Stämmen Verträge schloss und aktiv in ihre Siedlungspolitik eingriff. Die Sugambrer erhielten neues Siedelland jenseits des Rheins im Gebiet des heutigen Krefeld, um den Bevölkerungsdruck im Gebiet des Mittelrheins auszugleichen und Unruhen zu vermeiden. Velleius Paterculus, ein Geschichtsschreiber im Umfeld des Tiberius, schrieb ihm später den Verdienst zu, das Land so gänzlich bezwungen zu haben, dass er es beinahe zu einer tributpflichtigen Provinz gemacht habe (II,97,4).

Zwischen den Jahren 6 v. Chr. und 4 n. Chr. verließ Tiberius Germanien, um in ein selbstgewähltes Exil nach Rhodos zu gehen und damit gegen die von Augustus getroffene Nachfolgeregelung zu protestieren, die ihn zugunsten seiner Neffen Caius und Lucius Caesar außer Acht ließ. Unter seinem Nachfolger Lucius Domitius Ahenobarbus kam es in Germanien schon kurz darauf zu einem oder mehreren Aufständen, deren Ursachen nicht vollends geklärt sind. Gänzlich bezwungen, wie Velleius Paterculus die Situation beschreibt, waren die germanischen Stämme folglich nicht und der in den römischen Quellen so benannte "gewaltige Krieg" (immensum bellum) forderte die Schlagkraft des römischen Heeres abermals heraus. 4 n. Chr. war Tiberius wieder in Germanien aktiv und konnte die Unruhen dem Schreiber Paterculus zufolge erfolgreich niederschlagen. Nach dem frühen Tod der designierten Nachfolger hatte Augustus Tiberius in jenem Jahr adoptiert und in die Nachfolge gesetzt. Der Zwist, der Tiberius ins Exil abwandern ließ, war damit beigelegt.

Sein Winterlager auf dem Vormarsch an die Weser bezog Tiberius mit seinem Heer im Jahreswechsel 4/5 n. Chr. an der Lippe. Aus dieser Zeit stammt der am Oberlauf der Lippe im Süden der heutigen Stadt Delbrück gelegene Stützpunkt bei Anreppen. In dem etwa 23 ha großen Militärlager wurden u.a. mehrere große Speicherbauten und ein Magazingebäude nachgewiesen. Diese Speicherkapazität zeigt eindrucksvoll, wie wichtig die Lippe für die Versorgungslogistik war. Vermutlich war der Fluss nur bis zum Lager bei Anreppen schiffbar, sodass hier ein Versorgungsendpunkt eingerichtet wurde, ab dem Waren und Nahrung wohl nur noch mühsam über den Landweg weitertransportiert werden konnten.

Im Verlauf seines Feldzuges gelang es Tiberius 5 n. Chr. bis zur Elbe vorzudringen. Paterculus berichtet, dass es zu diesem Zeitpunkt in Germanien nur noch das Volk der Markomannen zu besiegen gab (II,108,1). Das Stammesgebiet der Markomannen unter König Marbod reichte jedoch vom Elberaum bis weit in das heutige Böhmen hinein. Zudem verfügte Marbod über ein schlagkräftiges Heer, das im Zuge des "immensum bellum" ständig Zulauf durch aufständische Flüchtlinge bekommen hatte. Marbod hatte ihnen Schutz vor den römischen Truppen gewährt. Die wachsende Macht des Markomannenkönigs musste den Römern gerade nach den jüngsten Unruhen in Germanien als Bedrohung ihres Interessengebietes erscheinen.

6 n. Chr. zogen römische Truppen in einem Zangenangriff gegen das Markomannenreich. Ein Heeresteil unter der Führung des Legaten Caius Sentius Saturninus stieß von Mogontiacum (Mainz) aus in Richtung Südosten vor. Der zweite Teil wurde von Tiberius geführt und setzte sich von Carnuntum (Deutsch-Altenburg bei Wien) in Richtung Norden gegen den Gegner in Bewegung. Noch während diese Offensive gegen Marbod durchgeführt wurde, entflammte in der jungen Provinz Pannonien ein Aufstand gegen die römische Besatzung. Diese Erhebung auf dem Balkan ließ es notwendig werden, alle einsatzbereiten römischen Truppen aus dem Umfeld zusammenzuziehen. Der Angriff auf das Markomannenreich musste abgebrochen werden. Notgedrungen kam es zu einer vertraglich festgesetzten Friedensregelung zwischen Rom und König Marbod. Der Pannonische Aufstand sollte noch bis 9 n. Chr. große römische Truppenteile binden.
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Kaiser Tiberius (42 v. Chr.-37 n. Chr.)


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Modell der römischen Marinebasis auf der "Hofestatt" Haltern am See


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Modell der Bootshäuser auf der "Hofestatt", Haltern am See


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Modell des römischen Hauptlagers Haltern am See


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Modell eines Grabtumulus im römischen Hauptlager Haltern am See


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Modell eines Töpferbezirks im römischen Hauptlager Haltern am See


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Kleine Maske aus Elfenbein mit eingelegten Augen aus Glas, Haltern am See
 

 
 

1.5 Die Okkupation scheitert
(6-9 n. Chr.)

 
 
 
Der Abzug eines großen Teils des römischen Besatzungsheeres auf den Balkan wirkte sich für die Pläne der Provinzialisierung Germaniens ungünstig aus. Neben Paterculus glorifizierender Ausführung der umfassenden Befriedung Germaniens durch Tiberius steht die Aussage des Cassius Dio. Er berichtet in Bezug auf Germanien, die Römer hielten "gewisse Teile des Landes in ihrer Gewalt, nicht ein zusammenhängendes Gebiet, sondern nur solche, wie sie gerade hier und da von ihnen unterworfen worden waren (...)" (56,18,1). Roms Herrschaftsbereich schien demnach in Germanien noch zahlreiche Lücken aufzuweisen und der Pannonische Aufstand, der sich trotz eines Großaufgebots des römischen Heeres über Jahre hinzog, mochte Augustus klar vor Augen geführt haben, dass ein zeitgleicher Aufruhr in Germanien die militärische Widerstandsmöglichkeit Roms auf äußerste strapaziert hätte. Im Jahr 7 n. Chr. sandte er Publius Quinctilius Varus als "Legatus Augusti pro praetore" nach Gallien. Neben dem Oberbefehl über das Heer besaß Varus alle Vollmachten eines Statthalters. Er sollte in Germanien für den Ausbau der Infrastruktur Sorge tragen, Steuern erheben und römisches Recht sprechen, auch um innergermanische Streitigkeiten zu schlichten, sodass die Befriedung des Landes auf Dauer gewährleistet war. Auch sollte er Unruhen vermeiden und Germanien gleichzeitig in den Status einer ordentlichen, römischen Provinz überführen. Augustus hatte gute Gründe für sein Vertrauen.

Für seine Aufgaben in Germanien konnte Varus auf einen reichen Erfahrungsschatz als Legionsführer und Statthalter verschiedener Provinzen zurückgreifen, wo er sich als fähiger Verwalter ausgezeichnet hatte. Auch in Germanien agierte Varus pflichtbewusst. Das zeigt sich schon an der Reaktion des Statthalters, als ihn 9 n. Chr. die Nachricht über einen Aufruhr ereilte. Unverzüglich setzte er sich mit einer Armee aus drei Legionen, der 17., 18. und 19. samt Reiteralen und sechs Kohorten in Bewegung. Der Zug endete für die Römer in einer militärischen Katastrophe. Arminius, ein Sohn des römerfreundlichen Cheruskerfürsten Segimer, hatte es geschafft, mehrere Stämme heimlich unter seinem Oberbefehl zu vereinen und Varus mit dem Bericht über einen Aufruhr zu alarmieren. Arminius hatte selbst im römischen Militär gedient und kannte die Schwächen der Phalanx der Römer. Der Militärzug wurde auf unwegsames Terrain gelockt und von den verschanzten germanischen Kriegern vollständig vernichtet. Noch während der Kämpfe beging Varus angesichts der sicheren Niederlage Selbstmord. Der siegreiche Arminius versuchte nach seinem Triumph über die römische Besatzungsmacht ein Bündnis mit dem Markomannenkönig Marbod zu schmieden, um eine noch mächtigere Widerstandsbewegung ins Leben zu rufen.

Allerdings scheiterten die Verhandlungen, als Marbod sich weigerte, den drei Jahre zuvor mit Tiberius geschlossenen Vertrag zu brechen. Der Untergang der Legionen des Varus markiert auch das Ende der Militärstationen an der Lippe, die bald nach der Niederlage von den Aufständischen überrannt wurden. Nach Ausweis der antiken Quellen konnten sich die verbliebenen Soldaten nur eines Militärstützpunktes an der Lippe längere Zeit gegen die Germanen behaupten und sich nach seinem Fall bis zum Rhein durchschlagen. Der Name dieses Lagers ist durch die antiken Autoren als "Aliso" überliefert worden, das durch die archäologische Forschung noch nicht sicher identifiziert worden ist. Es könnte sich allerdings um den Militärstützpunkt in Haltern gehandelt haben. Die Nachricht über die verheerende Niederlage in Germanien überschattete in Rom die Freude an dem etwa zeitgleich errungenen Sieg über die Aufstände auf dem Balkan. Nach Sueton erschütterte sie Augustus dermaßen, dass er öffentlich in Trauer auftrat.
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Kaiser Augustus (63 v. Chr.- 14 n. Chr.)
 

 
 

1.6 Unruhige Zeiten zwischen Rhein und Elbe (9-13 n. Chr.)

 
 
 
Der Verlust eines großen Teils der Rheinarmee unter einem fähigen Legaten des Augustus und der anschließende Aufruhr in der "Germania Magna" wurde in der neuzeitlichen Geschichtsforschung oftmals als Wendepunkt in der römischen Expansionspolitik rechts des Rheins oder auch als Wendepunkt in der europäischen Geschichtsentwicklung betrachtet. Diese Sichtweise verknüpft die Aufgabe der Provinzialisierung Germaniens mit einem Ereignis, das in den Augen der Zeitgenossen eher als militärische Tragödie denn als außenpolitische Katastrophe eingestuft wurde. Auch die antiken Autoren, die in ihren Geschichtswerken einige Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte später auf die Varusniederlage zurückblickten, zogen keine Verbindung zur endgültigen Aufgabe der Expansionspläne Roms in Germanien. Die Selbstsicherheit, mit der in den Jahren seit den erfolgreichen Befriedung durch Drusus und Tiberius die Provinzialisierung des Gebietes zwischen Rhein und Elbe vorangetrieben wurde, war sicherlich durch die völlig unerwartete Niederlage des Varus erschüttert worden. Die anschließenden Unruhen wirkten sich ganz offensichtlich negativ auf die bereits begonnene römische Erschließung des Gebietes aus. Allerdings sind die Ereignisse von 9 n. Chr. nicht als plötzlicher "Befreiungsschlag" der Bewohner Germaniens von der römischen Besatzungsmacht zu werten. Diese Besatzungsmacht wandte sich anschließend nicht eilig von Germanien ab, sondern wieder verstärkt zu.

Im Frühjahr des Folgejahres übernahm Tiberius abermals den Oberbefehl über die Rheinarmee, deren Stärke auf acht Legionen erhöht worden war. Bis 12 n. Chr. war Tiberius auch im rechtsrheinischen Gebiet im Einsatz. Über die von ihm durchgeführten Militäraktionen lässt sich aus den antiken Quellen nur wenig in Erfahrung bringen. Velleius Paterculus erwähnt Feldzüge mit der Flotte und dem Landheer, nennt aber keine Details. Allerdings scheint der Einsatz aus römischer Sicht erfolgreich verlaufen zu sein, sodass Ovid im Jahr 10 n. Chr. in seinen "Tristia" hoffnungsvoll dichten konnte: "Nun ist das wilde Germanien wohl den Caesaren erlegen, hat, wie die übrige Welt, endlich die Kniee gebeugt (...)" (IV,2,1-2). Paterculus zufolge konnte Tiberius die Verhältnisse nach der Varusniederlage schneller als allgemein angenommen zum Guten wenden (II,122,2). Dass dies nicht der realen Situation entsprach, sollten die folgenden Jahre zeigen.
 
 

 
 

1.7 Rache und Verlust: Die Feldzüge des Germanicus (14-16 n. Chr.)

 
 
 
13 n. Chr. erhielt Germanicus, der leibliche Sohn des Drusus und seit der Nachfolgeregelung des Augustus im Jahre 4 n. Chr. der Adoptivsohn seines Onkels Tiberius, den Oberbefehl über die Rheinlegionen. In den kommenden Jahren bis 16 n. Chr. führte er Feldzüge gegen verschiedene Stämme der Germanen. Die ersten Übergriffe des römischen Heeres konzentrierten sich in den Jahren 14 und 15 n. Chr. auf die Stämme der Marser und Chatten im Gebiet zwischen Lippe und Ruhr. Von dort marschierte Germanicus bis in das Stammesgebiet der Cherusker an der Weser, einem Hilferuf des mit Rom verbündeten Cheruskers Segestes folgend. Segestes hatte seine schwangere Tochter Thusnelda gewaltsam ihrem Ehemann Arminius entzogen und wurde nun von seinem Schwiegersohn belagert. Germanicus gelang es, Segestes zu befreien und Thusnelda in Gewahrsam zu nehmen, um damit den Widersacher Arminius persönlich zu treffen.

Nicht lange darauf erfolgte ein Angriff der geballten Schlagkraft der römischen Truppen auf das Kernland der Cherusker. Germanicus nutzte mit seinen vier Legionen die Flotte, um über die Nordsee an die Ems zu kommen. Derweil marschierte Aulus Caecina Severus, der Legat der niedergermanischen Truppen, mit weiteren vier Legionen durch das Stammesgebiet der Brukterer Richtung Ems. Eine Reiterabteilung näherte sich über das Gebiet der Friesen dem Fluss, an dem das Heer zusammengeführt wurde. Bei einem Vorstoß gegen die Brukterer konnte der Legionsadler der unter Varus besiegten 19. Legion sichergestellt werden. Kurz darauf suchte Germanicus den Ort der Niederlage des Varus auf, um die dort verbliebenen Gefallenen angemessen bestatten zu lassen. Anschließend nahm er die Kämpfe gegen Arminius wieder auf, die jedoch zu keiner Entscheidungsschlacht führten. Auf dem Rückmarsch, bei dem das Heer ebenfalls wieder auf getrennten Wegen zum Rhein geführt wurde, wurde der Teil des Truppenkontingentes unter der Führung des Aulus Caecina Severus in ein Gefecht mit den Truppen des Arminius verwickelt. An den sogenannten pontes longi, einem künstlich befestigten, sumpfigen Engpass an der Ems, konnte Caecina nur sehr knapp und mit großen Verlusten aus einem ähnlichen Hinterhalt entkommen, der den Legionen des Varus einige Jahre zuvor zum Verhängnis geworden war. Weitere hohe Verluste kamen hinzu, als ein Teil des Heeres des Germanicus, das zu Fuß an der Küste entlangmarschierte, in eine Springflut geriet.

Im Jahr 16 n. Chr. erfolgte ein Angriff des Legaten Caius Silius auf das Stammesgebiet der Chatten. Zur gleichen Zeit marschierte Germanicus mit sechs Legionen an der Lippe auf, um ein nicht näher bestimmbares, von germanischen Truppen belagertes Militärlager zu befreien. Im Anschluss an die erfolgreiche Beendigung der Belagerung wurde die Lippelinie bis zum Rhein mit Dämmen und Grenzwegen neu befestigt. Der Bericht, der in den Annalen des Tacitus überliefert ist, zeigt indirekt auch an, dass erneut römische Truppen dauerhaft an der Lippe stationiert worden sein müssen. Wie im Jahr zuvor kam es zu einem Großangriff auf den Stamm der Cherusker im Weser/Ems-Gebiet. Germanicus ließ nun das gesamte Heer mit der Flotte heranführen und konnte so Arminius überraschen. Der Niederlage der germanischen Truppen in der Schlacht bei Idistaviso, bei der der Cheruskerfürst nur knapp entkam, folgte eine weitere am Angrivarierwall, der das Stammesgebiet der Angrivarier von dem der Cherusker trennte. Germanicus gelang es, Arminius’ Truppen zu besiegen, jedoch nicht vollständig zu bezwingen. Nach der Schlacht zogen sich die Römer zurück. Der militärische Erfolg wurde abermals überschattet, als auf dem Rückmarsch in die Winterquartiere ein Teil der Flotte in der Nordsee durch einem Sturm verloren ging. Die Nachricht über die gravierenden Verlust im römischen Heer ermutigte germanische Verbände abermals zu Revolten. Wieder zog Silius gegen die Chatten, während sich Germanicus gegen die Marser wandte, bei denen er ein weiteres der in der Varusniederlage verlorenen Feldzeichen sicherstellen konnte.

Noch im selben Jahr wurde Germanicus von Tiberius, der nach dem Tod des Augustus im Jahr 14 n. Chr. in die Nachfolge getreten war, nach Rom zurückbeordert. Schon im Vorjahr hatte Tiberius seinen Adoptivsohn eindringlich zum Rückzug aufgefordert und bestand nun mit Nachdruck auf diese Forderung. In allen Ehren erhielt der Feldherr 17 n. Chr. einen Triumphzug für seine siegreichen Feldzüge rechts des Rheins. Nach Germanien kehrte er nicht mehr zurück, da er zwei Jahre später während eines Einsatzes im Osten des Reiches in Antiochia am Orontes verstarb.
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Germanicus (15 v. Chr.-19 n. Chr.)
 

 
 

1.8 Kein Erbe des Augustus -
Tiberius verzichtet auf Germanien

 
 
 
Es bleibt zu fragen, wie weitreichend die Ziele der militärischen Offensive des Germanicus gesteckt waren. Seine Feldzüge der Jahre 14–16 n. Chr. werden oftmals als Rachefeldzüge bezeichnet, die römische Antwort auf die Verschwörung gegen den Statthalter Varus und die anschließenden Revolten der germanischen Stämme. In der Tat hatten sich die Feldzüge des Germanicus vornehmlich auf die Truppen des Arminius und die mit ihm verbündeten Stämme konzentriert. Auch waren die Legionsadler zweier untergegangener Legionen zurückerobert und der Ort der Niederlage des Varus besucht worden. Obwohl er mit massiven Truppenverbänden mehrere Jahre in Germanien unterwegs war, haben sich trotz intensiver archäologischer Forschung kaum Spuren dieser Feldzüge gefunden. In den seit 9 n. Chr. aufgelassenen oder zerstörten bekannten Militäranlagen an der wichtigen Aufmarschlinie an der Lippe sind der Überlieferung zum Trotz für die Zeit des Germanicus keinerlei Instandsetzungen oder Umbauten eindeutig nachweisbar. Wenn Germanicus feste Militärlager an anderen Standorten anlegen ließ, so sind sie bislang unentdeckt geblieben. Erklärungsbedürftig ist auch die Abberufung des Germanicus zu dem Zeitpunkt, als gegen die Truppen des Arminius die ersten Siege zu verzeichnen waren.

In der Forschung geht man in Anlehnung an die antiken Autoren heute einerseits davon aus, dass Tiberius die ernormen Verluste an Menschen und Material, die die Feldzüge unter Germanicus im rechtsrheinischen Gebietes mit sich gebracht hatten, nicht weiter hinnehmen wollte. Zum anderen wird vermutet, dass er seinen ehrgeizigen Adoptivsohn als wachsende Bedrohung empfunden haben könnte. Der Rückhalt, den Germanicus bei seinem beachtlichen Heer der Rheinlegionen gewonnen hatte, dürfte von dem vorsichtigen Tiberius misstrauisch verfolgt worden sein. Bereits kurz nach dem Tod des Augustus hatte eine Meuterei in der Rheinarmee im Jahr 14 n. Chr. beinahe zur Akklamation des Germanicus geführt, der dieses Angebot jedoch von sich gewiesen hatte. Auf jeden Fall stand für Tiberius fest, die dauerhafte Befriedung oder gar die Provinzialisierung des Gebietes zwischen Rhein und Elbe, die Augustus noch in seinem Testament, den "Res gestae divi Augusti", seinem bekannten Tatenbericht, als politische Leistung verbuchte hatte, aufzugeben. In Germanien ließen die Römer dabei nicht nur wirtschaftlich interessante Rohstoffquellen wie Bleibergwerke zurück, sondern gaben auch bereits erfolgte Stadtgründungen wie etwa die römische Handelskolonie bei Waldgirmes an der Lahn in Hessen der Auflassung preis. In den folgenden Jahren stand der Aufbau einer sicheren Rheingrenze für den Schutz Galliens im Vordergrund, hinter die sich das Weltreich Rom vor den germanischen Stämmen zurückzog.

Auf der anderen Rheinseite flammten die internen Stammeszwiste wieder auf. Dass Arminius im Jahr 21 n. Chr. vermutlich von den eigenen Verwandten ermordet wurde, mag zeigen, dass die Verbindung unterschiedlicher Stämme gegen die drohende römische Besatzungsmacht zu kurzlebig und die gemeinsam erbrachten Siege zu singulär waren, um ein überregionales Zusammengehörigkeitsgefühl zu erzeugen und daraus eine dauerhafte Gemeinschaft hervorzubringen. Ein "Volk der Germanen" existierte weiterhin nur in der antiken Geschichtsschreibung. In der Folgezeit verfestigte sich der Rhein mit seiner Kette römischer Militärstützpunkte als Grenze zum rechtsrheinischen Gebiet, doch bestanden einige Handelskontakte über den Grenzfluss hinaus wohl fort.