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Eintrittskarte zum offiziellen Eröffnungsspiel des Dortmunder Westfalenstadions (Deutschland-Ungarn) am 17.04.1974 (Ausschnitt) / Foto: Privat





Katinka Netzer

2. April 1974 -
Eröffnung des Dortmunder
"Westfalenstadions"


Als am 02.04.1974 das Westfalenstadion in Dortmund eröffnet wurde, endete eine über zehnjährige Planungsphase. Borussia Dortmund bekam eine neue Spielstätte, die Maßstäbe für den Bau und Ausbau vieler Stadien setzte. Es war das erste reine Fußballstadion in Deutschland, keine Laufbahn trennte die Zuschauer vom Spielfeld. Im Zusammenspiel mit der Dachkonstruktion, die für eine besondere Akustik sorgte, schuf das eine "englische Atmosphäre", meinte der Sportjournalist Dieter Kürten und verwies dabei auf die geradezu legendäre Stimmung im Mutterland des Fußballs. Entsprechend begeistert fiel das Presseecho auf die Eröffnung aus: Von einer "Fußball-Arena von Weltklasse" und einem "Prachtstück" war die Rede, in dem die Arbeitsbedingungen weit besser seien als in der Fußballhochburg München.
 
 
Die fußballerische Ära im Westfalenstadion begann mit einem Klassiker, einem Freundschaftsspiel zwischen dem "Ballsportverein Borussia " - kurz: BVB - und seinem Erzrivalen FC Schalke 04. Das erste Tor war allerdings schon im Vorprogramm gefallen: In der 18. Spielminute der Begegnung der Frauenteams des TBV Mengede und des VfB Waltrop schoss Margarethe Schäferhoff Mengede in Führung...
 
 
 
Schon lange hatten sich die Dortmunder Hoffnungen auf ein neues Stadion gemacht. 1961 hatte sich der Sportausschuss der Stadt erstmals mit der Erweiterung der "Kampfbahn Rote Erde", der damaligen Spielstätte des BVB, befasst, die den Erfordernissen eines professionellen Fußballbetriebs nicht mehr entsprach. 1965 beschloss der Haupt- und Finanzausschuss den Neubau eines "Zwillingsstadions" parallel zur "Roten Erde". Doch die Frage der Finanzierung schien unlösbar. Die Stadt Dortmund sah sich im Zeichen der beginnenden Krise der Montanindustrie außer Stande, eine solche Investition zu leisten.

1966 schien eine Lösung in Sicht. Der Deutsche Fußballbund (DFB) erhielt den Zuschlag für die Ausrichtung der Weltmeisterschaft 1974. Den austragenden Städten wurden hohe Zuschüsse für den Ausbau ihrer Stadien zugesagt, so dass sich Dortmund als WM-Stadt bewarb. Dass die "Rote Erde" für die ständig steigenden Zuschauerzahlen zu eng wurde, machte ein legendärer Zwischenfall am 06.09.1969 mehr als deutlich: Beim Spiel gegen Schalke standen die Zuschauer dicht gedrängt bis an die Seitenauslinie, beim Schalker Führungstreffer stürmten sie das Spielfeld. In diesem Durcheinander wurden zwei Schalker Spieler von Hunden der Ordner gebissen, ein Spieler schied verletzt aus. Anschließend wurden die Zuschauer durch Gitter vom Spielfeld getrennt.

Den Durchbruch in der Planung des neuen Stadions brachte der Vorschlag des Sportdezernenten Ernst Rüttel, die Arena als Fertigbausystem in Palettenbauweise zu errichten, was die voraussichtlichen Kosten halbieren sollte. Die Zuschüsse von Land und Bund sowie Einnahmen aus der Fernsehlotterie "Glücksspirale" und aus Spenden machten 80 Prozent der Gesamtkosten von 32,7 Millionen Mark aus. Und als Dortmund 1971 nach einem Rückzug der Kölner Bewerbung den Zuschlag als WM-Stadt erhielt, wurde der Bau im Oktober 1971 endgültig im Rat beschlossen.
 
Das Dortmunder Westfalenstadion im Bau, 1973


 
Tribüne der "Kampfbahn Rote Erde" mit dem "Westfalenstadion", 2006



 
Der "Signal Iduna Park" (Westfalenstadion") vom Fernsehturm aus gesehen, 2006
 
 
Schon Ende 1971 bekam das neue Stadion seinen Namen. Eine Dortmunder Lokalzeitung, die "Westfälische Rundschau", lobte im November 1971 einen Wettbewerb zur Namensgebung aus. Ein Drittel der Leser schlug "Westfalenstadion" vor; diese Bezeichnung setzte sich auch im Rat durch. Neben Westfalenhalle und Westfalenpark besaß Dortmund nun auch noch das Westfalenstadion; diese "westfälischen Drillinge" waren der Grundstein für eine Werbekampagne. Dortmund bekräftigte damit seinen Anspruch, westfälische Metropole zu sein und nicht länger als ewiger Zweiter hinter Münster zurückzustehen.
 
 
 
In nur knapp drei Jahren wurde das Stadion vollendet. Das erste Länderspiel in der "neuen guten Stube Dortmunds", so die Lokalzeitung, fand am 17.04.1974 statt, in einer Neuauflage des WM-Klassikers von 1954 spielte Deutschland gegen Ungarn. Der Bau des Westfalenstadions war für die Stadt ein insgesamt lukratives Geschäft. Sie musste nur 6 Millionen Mark beisteuern, die Unterhaltungskosten wurden durch die vom BVB zu entrichtende Miete fast vollständig gedeckt, außerdem sollten die Einnahmen aus der Stadionwerbung komplett in die Stadtkasse wandern. Darauf verzichtete die Stadt zwar allerdings bis 1976, um dem finanziell schwer angeschlagenen Verein zu neuem Aufschwung zu verhelfen. Der BVB spielte in dieser Zeit nur in der Regionalliga West und drohte seine Lizenz zu verlieren. Die Stadt verzichtete zunächst auf die Rückzahlung eines Darlehens, Industrie und Handel spendeten etwa eine Million DM und verschafften dem BVB dadurch die Chance, sich für die zweite Bundesliga zu qualifizieren.

Solche Solidaritätsaktionen spiegeln die Bedeutung wider, die der Fußball insbesondere im Ruhrgebiet hat. Dabei war der Fußball in Deutschland in seiner Anfangsphase kein Massenphänomen, sondern setzte sich relativ spät durch. Bis 1890 wurde Fußball in Deutschland vor allem als Schulsport an Gymnasien und anderen höheren Lehranstalten betrieben. Dass sich der Fußball in Deutschland im Vergleich beispielsweise zu England nur schwer etablieren konnte, lag an der Dominanz der deutschen Turnbewegung. Organisiertes Sporttreiben bedeutete lange Zeit die Mitgliedschaft in einem Turnverein. Doch die Turnbewegung, von "Turnvater" Friedrich Ludwig Jahn im Vormärz begründet und wichtiger Teil der deutschen Nationalbewegung, wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts von vielen Fußballanhängern als deutschtümelnd und militaristisch empfunden. Auch in Dortmund entstanden die ersten Vereine im bürgerlichen Milieu, in den südlichen Stadtteilen. Die proletarischen Klubs formierten sich etwas später. Der Ballsportverein Borussia 09 war ein klassischer Arbeiterverein, der im kirchlichen Umfeld entstand und zeigte, wie Integration durch gemeinsame Aktivitäten funktionieren kann. Der Verein bildete sich aus dem Jünglingsverein der katholischen Dreifaltigkeitsgemeinde, einer Gemeinde vor allem der polnischen Zuwanderer. Rund um den Borsigplatz, einem Zentrum der Nordstadt, hatten sich viele Immigranten angesiedelt, die im Zuge des Booms der Kohle- und Stahlindustrie ins Ruhrgebiet gekommen waren. Hier gründete sich der BVB, in dessen ersten Mannschaften viele Einwanderer spielten.
 
Eintrittskarte zum Fußballländerspiel Deutschland-Ungarn am 17.04.1974



 
Fußballländerspiel (Deutschland-Ungarn?) im Dortmunder Westfalenstadion, 1974
 
 
Zu einem Massenphänomen entwickelte sich der Fußball nach dem Ersten Weltkrieg. Die Vorherrschaft der Turnbewegung war endgültig gebrochen. Viele ihrer Anhänger, die aus nationalen Kreisen stammten, waren im Krieg gewesen. Die jüngere Generation hatte die Abwesenheit der "Turnväter" genutzt, um dem von ihr bevorzugten Ballsport Geltung zu verschaffen. Im Zuge der wirtschaftlichen Demobilmachung wurde im November 1918 die tägliche Arbeitszeit auf acht Stunden verringert, so dass erstmals seit Beginn der Industrialisierung auch Arbeiter Gelegenheit hatten, Freizeit zu gestalten. Fußball wurde zum beliebtesten Sport vor allem der Industriearbeiterschaft im Ruhrgebiet. Anders als andere Sportarten erforderte Fußballspielen kaum finanzielle Investitionen; ein einigermaßen ebener Platz und ein runder Gegenstand, im Idealfall ein Lederball, reichten einer Hobbymannschaft. Auch die Ausrüstung eines Vereinsspielers war erschwinglich, lediglich Schuhe, Hemd und Hose wurden benötigt. Dietrich Schulze-Marmeling, Autor einer BVB-Geschichte, führt an, dass Fußball vor allem Industriearbeitern bekannte Fähigkeiten abforderte: Um zu gewinnen, waren Ausdauer, Härte, Kraft und kollektives Handeln gefragt - Eigenschaften, die den Arbeitern im Betrieb ebenso zugute kamen wie auf dem Sportplatz. Außerdem bot das Fußballspiel am Samstagnachmittag die ideale Alternative zur monotonen Arbeit in Bergbau und Stahlwerk: Anstelle sturer Pflichterfüllung waren hier Kreativität und sportliche Cleverness gefordert. So trat der Fußball als der Arbeitersport schlechthin besonders im Ruhrgebiet seinen Siegeszug an. In keiner anderen Region war die Dichte an Klubs so hoch, hatten Spiele so viele Zuschauer. Die Verwurzelung dieses Sports im Arbeitermilieu war Aktiven wie Fans bewusst und wirkt teilweise bis heute nach: So gilt im Revier derjenige als ein guter Spieler, der "malochen" kann.

In der Weimarer Republik erlebte Deutschland einen nie gekannten Sportboom. Sportveranstaltungen wurden zum festen Bestandteil der Freizeitkultur, zudem setzte eine umfangreiche Sportförderung aus öffentlichen Mitteln ein. Deutschland konnte sich Mitte der 1920er Jahre erstmals in internationalen Wettkämpfen mit traditionellen Sportgroßmächten wie Großbritannien und den USA messen. Auch dem Fußball kam diese Entwicklung zugute, wenn auch noch nicht dem Dortmunder. Der Fußball im Ruhrgebiet wurde in jenen Jahren völlig vom FC Schalke 04 dominiert.
 
 
 
Die Popularität des Sports war auch nach dem Zweiten Weltkrieg ungebrochen; nun stieg der BVB zur deutschen Spitzenmannschaft auf. Vor allem im Revier wurde die Wiederaufnahme des regulären Spielbetriebs und die Einführung neuer Ligen begeistert aufgenommen. In den ersten Nachkriegsjahren festigte sich das Image des sport- und fußballbegeisterten Ruhrgebiets, das bis heute nachwirkt. Die Region an Rhein und Ruhr hatte besonders unter den Auswirkungen des Krieges zu leiden, und Fußball war in dieser Situation lange Zeit das einzig mögliche Freizeit- und Unterhaltungsangebot, so dass jedes Spiel der Borussia Menschenmassen mobilisierte. Der Sport bot die Möglichkeit, dem tristen und schweren Alltag der Trümmerjahre zumindest für kurze Zeit zu entfliehen. Außerdem verhalf er dem angeschlagenen Selbstbewusstsein der Deutschen schon bald wieder zu neuem Aufschwung. Die Fußball-Weltmeisterschaft von 1954 mit dem als "Wunder von Bern" legendär gewordenen Endspiel zwischen Ungarn und Deutschland verschaffte der Bundesrepublik zumindest auf sportlicher Ebene wieder internationales Ansehen und nationalen Auftrieb: Man war wieder wer.

In den nächsten Jahrzehnten erlebte der deutsche Fußball eine zunehmende Professionalisierung. Auffälligster Ausdruck dieser Entwicklung war beim BVB der Bau des Westfalenstadions 1974. Damit nannte der Verein eine Arena sein eigen, die noch heute Vorbild für den Bau und Ausbau vieler deutscher und europäischer Fußballstadien ist. Seit Mitte der 1990er Jahre wurde das Westfalenstadion in mehreren Phasen ausgebaut. Heute bietet es bei Bundesligaspielen knapp 83.000 Zuschauern Platz und ist damit das größte Fußballstadion Deutschlands. Und über noch einen Superlativ verfügt das Stadion: Die Südtribüne ist mit 25.000 Plätzen die größte Stehplatztribüne Europas.
 
Fans bejubeln den Fußballvizemeister BVB im kriegszerstörten Dortmund, 1949



 
Der Deutsche Fußballmeister BVB, 1956
 
 
Mit der Professionalisierung ging eine Kommerzialisierung einher, die besonders an einem Klub wie dem BVB deutlich wird, der lange Zeit sein proletarisches Image bewusst pflegte. In den 1990er Jahren präsentierte sich eine neue Borussia der Öffentlichkeit, die das traditionelle Klischee vom Ruhrgebietsklub aufbrach. Ein professionell arbeitendes Management betrieb eine ehrgeizige Einkaufspolitik, Spieler von Weltklasse wurden nach Dortmund geholt und das Westfalenstadion wurde ausgebaut, um so den ständig steigenden Bedarf an Eintrittskarten decken zu können. 1997 war das Erfolgsjahr der Vereine aus der Region: Der BVB gewann die Champions League und Schalke wurde UEFA-Cup-Sieger. In der Außen- wie Innenwahrnehmung wandelte sich das Ruhrgebiet im Rahmen des Strukturwandels vom Verlierer zum Gewinner, dessen auffälligste Repräsentanten die Fußballklubs waren. Es gab wieder eine gemeinsame Ruhrpott-Identität, die mit diversen Imagekampagnen gestärkt wurde. Nach dem Börsengang im Jahr 2000 machte der BVB allerdings vor allem durch finanzielle Kapriolen von sich reden. Zu den Konsequenzen gehörten Sparmaßnahmen und der Verkauf der Namensrechte des damaligen Westfalenstadions: Seit Dezember 2005 heißt es nun "Signal Iduna Park".
 
 
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Stadionbau
Gedruckte Literatur
  • Dietrich Schulze-Marmeling: Der Ruhm, der Traum und das Geld. Die Geschichte von Borussia Dortmund, Göttingen 2005
  • Gerd Kolbe/Dietrich Schulze-Marmeling: Westfalenstadion. Die Geschichte einer Fußball-Bühne, Göttingen 2004
  • Gerd Kolbe: Der BVB in der NS-Zeit, Göttingen 2002