QUELLE

DATUM1915-02-15 / 1915-02-16   Suche   Suche DWUD
TITEL/REGESTLeitsätze zur Aufklärung über Volksernährungsfragen im Ersten Weltkrieg für den Regierungsbezirk Arnsberg
TEXT[S. 1] Leitsätze
Versammlungstechnik und rednerische Unterweisung.

1. Eine einzelne Versammlung mit dem Thema: Volksernährung genügt nicht, sondern die Aufklärung, sowohl die theoretische wie die praktische, muß eine dauernde sein entsprechend den Veränderungen des Lebensmittelmarktes.

2. Wir bedürfen deshalb einer großen Zahl rednerischer Kräfte, deren Ausbildung zu den Hauptaufgaben unserer Organisationen gehört.

3. In der Schar dieser rednerischen Kräfte müssen mit in erster Linie Hausfrauen vertreten sein.

4. Die Versammlungen sind sorgfältig vorzubereiten unter Zuhilfenahme der Presse, der weltlichen und geistlichen Behörden, der Schule usw.

5. Tag und Stunde der Versammlungen sind nach örtlichen Verhältnissen festzulegen.

6. Zu den großen Versammlungen mehr allgemeinen Charakters sind für gewöhnlich Männer und Frauen gemeinsam einzuladen.

7. Die Versammlungen, die der mehr ins einzelne gehenden fortdauernden Belehrung dienen, sind möglichst nach Interessenkreisen und Berufsgruppen zu gliedern.

8. Auf die Gestaltung der Diskussion ist besonderer Wert zu legen ( : eventuell zur schriftlichen Fragestellung auffordern : ). Auch der Redner sollte die Geschäftsordnung einer Versammlung beherrschen.

9. Der Redner muß nicht nur über die allgemeinen Verhältnisse unserer wirtschaftlichen Lage sich fortdauernd auf dem laufenden erhalten, sondern er muß sich auch vor jedem Vortrag über die örtlichen Verhältnisse seines Zuhörerkreises genau unterrichten.

10. Jederzeit sollte der Redner von allgemein- volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgehen und den Blick über die Bedürfnisse [S. 2] des Einzelhaushaltes hinaus für die Bedürfnisse des Gesamtvaterlandes zu weiten suchen.

11. Für die Rede ist im wesentlichen folgendes zu beachten:
klare Herausarbeitung einer Disposition, Ausscheidung dessen, was nicht zum Thema gehört oder das Gedächtnis der Hörer unnötig belastet;
Einstellung auf die seelische Verfassung der Hörer; Anschaulichkeit, Einfachheit, stete Bezugnahme auf die praktischen Verhältnisse des Alltags;
kein Schimpfen und unfruchtbares Kritisieren; Burgfrieden; keine apodiktischen Forderungen in strittigen Fällen;
eingehende Berücksichtigung des vorliegenden Agitationsmaterials schon während der Rede.

12. Der Redner muß danach streben, bei seinen Zuhörern letzten Endes nicht nur einen Zuwachs an politischem und volkswirtschaftlichem Verständnis, sondern auch an nationalem Pflichtgefühl und an Vaterlandsliebe zu erzielen.



[S. 3] ]Leitsätze
Aders.

Zeitgemässe Lebenshaltung

1.) In Kriegszeiten ist die Anschauung einer rein persönlichen Lebensführung auszuschalten, - dieselbe hat nur Berechtigung, soweit die Allgemeinheit nicht dadurch geschädigt wird.

2.) In Kriegszeiten hat sich die Lebenshaltung den bestehenden Tatsachen unterzuordnen und ihr Handeln darnach einzurichten.

3.) Als Richtschnur dieses Handelns mögen in Ernährungsfragen die Worte gelten: Spare und - spare nicht!


Kriegsküche.

1.) In der Küche, im Haushalt sind in dieser Zeit grosse Aufgaben zu lösen im Hinblick auf die richtige Verwertung der vorhandenen Nahrungsmittel.
a. Einschränkung des Fleischverbrauchs, der Fette, Schaffen von Dauerware. - Fische.
b. Mehrverbrauch von Magermilch, Quark und Käse.
c. Das Kriegsbrot, Getreideprodukte.
d. Vernünftige Verwertung des vorhandenen Kartoffelvorrats; Kartoffelprodukte.
e. Mehr Gemüsekost!
f. Vorschläge, um unsrer Ernährung den Ueberschuss an Zucker dienstbar zu machen.

2.) Reste- und Abfallverwertung.

3.) Sparen von Brennmaterial - Kochkiste -

4.) Werden die im Haushalte liegenden Machtmittel von allen Hausfrauen durchdacht und ehrlich wollend benutzt, so muss der Aushungerungsplan Englands an diesem Bollwerk scheitern!



[S. 4] Leitsätze
Ernährung und Volksgesundheit im Hinblick auf den Krieg.
Stadtarzt Dr. Wendenburg - Bochum.

1. Unsere bisherige Ernährungsweise bevorzugte einseitig Eiweiß und Fett. Die zugeführte Nahrungsmenge an diesen Stoffen konnte vom Körper nicht voll ausgenutzt werden. Sie war ferner zu sehr geleitet von den Anforderungen des Wohlgeschmacks und der Bequemlichkeit, indem sie es der Nahrungsmittelindustrie überließ, die wertvollsten und wohlschmeckendsten Bestandteile aus den Nahrungsmitteln herauszusuchen.
Die bisherige Ernährung war demnach unbekömmlich, verschwenderisch und teuer.

2. Der Krieg bringt eine Einschränkung des Fleischgenusses. Die Hälfte würde reichlich genügen, 1864 - 70 brauchten wir etwa die Hälfte und leisteten Großes. Der zu erwartende Fettmangel ist insofern unbedenklich, weil der Körper aus Kohlehydraten (Mehl, Zucker) Fett zu bilden vermag. Brot ist für den Körper durch die Kartoffel sehr wohl zu ersetzen. Es wurde vielmehr wegen seiner Bequemlichkeit bei der Zubereitung und leichten Transportmöglichkeit bevorzugt, als deshalb weil es unentbehrlich war. Mehrverbrauch an Gemüse sättigt, bringt Abwechslung und liefert unersetzliche Nährsalze.

3. Wenn wir die Nahrungsmittel mehr als bisher im Naturzustande genießen, sparen wir und befördern die Tätigkeit unserer Verdauungswerkzeuge.

4. Wir müssen mehr Arbeit auf Zubereitung verwenden. Gute Zubereitung erhöht die Ausnutzbarkeit und spart.

5. Es gilt, an Stelle des gewohnten Ueberflusses, einseitige Befriedigung des Wohlgeschmacks und der Bequemlichkeit [S. 5] zu setzen: Sparsamkeit, Anspruchslosigkeit und Kochkunst.
Die Einführung sparsamer, gut zubereiteter gemischter Kost an Stelle der bisherigen bedeutet keineswegs einen Rückschritt in der Volksernährung sondern einen von den Aerzten seit lange angestrebten Fortschritt, weil sie den anatomischen Verhältnissen unseres Körpers entspricht.



[S. 6] Volksernährung in der Kriegszeit.
Mittel und Wege zur Belehrung der Frauen. Einrichtung von Beratungsstellen in der Hauswirtschaft.
Leitsätze.

1. ist notwendig Aufklärungsarbeit großen Stils in Massenversammlungen - mit verschiedenartiger feierlicher Ausgestaltung - mit Vorträgen über die Frage im Allgemeinen, ohne praktische Einzelheiten - um den Frauen den Ernst der Sachlage und die vaterländische Bedeutung ihrer Aufgabe nahe zu bringen. Das gleiche Ziel ist mit Hilfe der Presse und anderer geeigneter Mittel zu verfolgen.

2. sind unerläßlich wiederholte Vortragsversammlungen mit Aussprache in kleineren, gleichartig gruppierten Kreisen, um
a) das Verantwortungsgefühl immer neu anzuregen
b) Erörterung praktischer Einzelheiten zu ermöglichen
c) die wechselnden Bedingungen des Marktes und der Jahreszeit berücksichtigen zu können.
Diese Veranstaltungen werden am besten von den bestehenden Organisationen und Interessentengruppen, besonders von den verschiedenartigen Frauenvereinen, in die Hand genommen. Der Vortrag muß einfach, von der Praxis ausgehend, möglichst anschaulich sein - die Aussprache auf Beteilung und Mitarbeit der Zuhörer hinzielen.

3. muß die Schule in den Dienst der Sache gezogen werden. Die Schulkinder können die wichtigsten Forderungen an die Lebenshaltung in weiten Kreisen bekannt machen und werden mit begeistertem Eifer für ihre Befolgung in den Familien wirken.

4. Bei allen genannten Veranstaltungen ist auf die zu errichtenden Beratungsstellen für Hauswirtschaft hinzuweisen. Diese müssen bequem und oft zugänglich, den Verhältnissen ihrer Stadtgegend angepaßt sein.
Sie vermitteln allgemeine Ratschläge, Speisezettel, Kochrezepte, geben Auskunft über Preise, Bezugsquellen. Eine Ergänzung der Beratungsstellen bilden kurzfristige, ganz einfache Kochkurse, ausschließlich zur Anleitung in der Kriegsküche.

Martha Dönhoff.



[S. 7] Leitsätze zu dem Vortrage über Gartenbau und die Benutzung von brachliegenden Ländereien während des Krieges von Oekonomierat Schultz-Soest.

1. Der Gartenbau hat in der Kriegszeit zu beweisen, dass er eine ergibige Quelle von Volksnahrung ist, indem er in der bisherigen Ausdehnung sich dem augenblicklichen Bedarf anpasst und ausserdem versucht, die geeigneten, für die Nahrungsmittelerzeugung noch nicht benutzten Flächen in den Dienst der Volksernährung zu stellen.

2. Der Boden ist auf das sorgfältigste vorzubereiten, bisher nicht bearbeitete Ländereien sind sorgfältig auf ihre Brauchbarkeit zu prüfen. Auf rohem, armem Land gedeiht Gemüse nicht. Die Unkosten sind diesem Jahre nebensächlich, es darf aber keine Saat und kein Dünger nutzlos verbraucht werden.

3. Die Gemüsetreiberei ist dem Berufs-Gemüsebauer zu überlassen, die Kriegsgärtnerei beschränkte sich auf den Anbau der leicht zu ziehenden und nahrhaften Massengemüse: Frühkartoffeln, Kohlrabi, Möhren, Grossebohnen, Erbsen, Buschbohnen, Wurzeln, Steckrüben, Gurken, Kürbis und Winterspinat.

4. Durch sachgemässe Samenwahl, Düngung und Pflege sind Höchsterträge von frühreifem Gemüse anzustreben, doch ist zu berücksichtigen, dass spätreifende Sorten grössere Mengen liefern.

5. Es sind zur rechten Zeit kräftige Pflanzen von Kohlrabi, Steckrüben und Krauskohl bereit zu halten zum Wiederbepflanzen abgeernteter Beete. Alle zweiten Saaten bedürfen leichtlöslicher Düngemittel. (Guano, aufgelöster Federviehdünger, Jauche.)

6. Für Unkrautvertilgung und Schädlingsbekämpfung sind rechtzeitig Vorkehrungen zu treffen, Arbeitskräfte und Geldmittel sind bereit zu stellen.

7. Rohes, ungares und nährstoffarmes Land wird durch Gründüngung für das nächste Jahr vorbereitet, zu feuchte Grundstücke sind, wenn tunlich zuvor zu entwässern.


PROVENIENZ  Stadtarchiv Lüdenscheid
SIGNATURA 2107


SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Zeit3.9   1900-1949
Ort1   Arnsberg, Regierungsbezirk
Sachgebiet5.8   Zivilbevölkerung
5.8.1   Kriegsalltag / Zivilbevölkerung
9.4   Konsum, Nahrung
DATUM AUFNAHME2004-03-18
DATUM ÄNDERUNG2010-08-06
AUFRUFE GESAMT3810
AUFRUFE IM MONAT255