PERSON

(78 KB)   Tisa von der Schulenburg (1903-2001) im Ursulinenkloster Dorsten / Münster, Landwirtschaftliches Wochenblatt Westfalen-Lippe/B. Lütke Hockenbeck   Informationen zur Abbildung

Tisa von der Schulenburg (1903-2001) im Ursulinenkloster Dorsten / Münster, Landwirtschaftliches Wochenblatt Westfalen-Lippe/B. Lütke Hockenbeck
FAMILIESchulenburg, von der
VORNAMETisa


GESCHLECHTweiblich
GEBURT DATUM1903-12-03   Suche
GEBURT ORTTressow (Mecklenburg)
EHEPARTNER(I) 1928: Fritz Hess (Scheidung 1938);
(II) 1939: NN (Scheidung 1946)
TOD DATUM2001-02-08   Suche


BIOGRAFIETisa von der Schulenburg wurde im Jahre 1903 als Tochter eines preußischen Generals geboren. Als adlige Offizierstochter verlebte sie eine behütete Kindheit zunächst in London, wo ihr Vater Militärattaché war, dann, nach seiner Versetzung zum Generalstab, in Berlin, zwischenzeitlich auch in Münster. Ihre Kindheitserinnerungen kreisten immer wieder um das Mecklenburger Schloss Tressow, wo sie mit ihrer Familie unvergessene Ferien erlebte: "Der Wagen fuhr ganz leise, die Pferde griffen aus. Die Spannung war kaum zu ertragen. Bald würden wir das Haus sehen. / Durch eine Lichtung sah man es liegen, weiß, langgestreckt, von drei Seiten von Wald umgeben."

Ihre Ausbildung erhielt sie zunächst von Privatlehrern, dann ab 1917 in Heiligengrabe, einer kaiserlich und preußisch orientierten Traditionsschule für adlige Töchter. Dort erlebte sie 1918 den Zusammenbruch des Kaiserreichs.

Die Familie, vor allem ihr Vater, litt unter dem verlorenen Krieg: "Die Niederlage Deutschlands, das Ende der Monarchie, die Wirren im Innern, der Verlust des Vermögens, der Position, die Missachtung des Adels - das alles hatte ihn schwer getroffen." "Der Übergang in die bürgerliche Welt" wurde in der Familie nicht geleistet. "Der Krieg ging gewissermaßen weiter.".

Tisa von der Schulenburg hatte vier Brüder, von denen Fritz-Dietlof ihr am nächsten stand. Im Gegensatz zu seinem Vater und seinen Brüdern, die 1933 die Machtergreifung Hitlers begrüßten, ging Fritz-Dietlof während der Kriegsjahre in den Widerstand und wurde nach dem Attentat vom 20.07.1944 hingerichtet. Der Widerstand gegen die Nazis und der Opfermut ihres Bruders haben Tisa tief geprägt. "Wir haben diese Tat auf uns genommen, um Deutschland vor namenlosem Elend zu bewahren. Ich weiß, daß ich dafür gehenkt werde, bereue es aber nicht, ich hoffe nur, daß ein anderer in einem glücklicheren Augenblick sie durchführen wird, um das Vaterland zu retten." (Fritz-Dietlof von der Schulenburg)

Ihre künstlerische Karriere begann zunächst beinah unbemerkt mit Scherenschnitten für ihren jüngsten Bruder, bis ihr Talent 1917 von Max Liebermann entdeckt wurde. Ihr Entschluss, Künstlerin zu werden, stieß sich zunächst an den konservativen Familientraditionen. 1926 begann sie ein Studium an der Berliner Kunstakademie.

In Berlin lernte sie den jüdischen Bankier Hugo Simon kennen, in dessen Haus u. a. Brecht, Remarque, die beiden Zweigs, Heinrich Mann und Zuckmayer verkehren, auch bildende Künstler wie Pechstein, Kokoschka, und George Grosz, des weiteren die Schauspielerin Tilla Durieux, der Verleger S. Fischer, Rowolth und die Ullsteinbrüder. Man unterhielt sich über Politik und glaubte fest an eine bessere Zukunft. "Es war die Zeit der großen Utopia. Und das hat wohl den goldenen Zwanziger Jahren diesen unvergleichlichen Schwung gegeben." Dort begegnete ihr auch der jüdische Unternehmer Fritz Hess, den sie 1928 heiratete.

Die Weltwirtschaftskrise 1929 traf nicht nur die Familie Hess, sondern konfrontierte Tisa von der Schulenburg mit Elend und Arbeitslosigkeit. Es entstanden Zeichnungen von wartenden Arbeitslosen.

Der Brand des Reichstages wurde zum Auslöser ihrer Flucht nach England: "Der Brand entzündete einen Sturm, der Europa, ja die Welt in Flammen setzen sollte. Es traf uns alle unvorbereitet. Über die Braunhemden hatten wir gelacht. Ja, wir alle hatten wie in einer Seifenblase gelebt."

In England ermutigte Henry Moore sie zum Relief. 1936/37 kam sie mit Hilfe der Künstlergruppe "Artist's International Association" in Kontakt mit den streikenden Bergleuten im Kohlerevier von Durham. Dort gab sie Schnitzkurse und hielt Vorträge über Kunst. Dort fuhr sie auch zum ersten Mal in ein Bergwerk ein. Es entstanden viele Zeichnungen von Bergleuten. "...mir war, als hätte ich nun eine Heimat, eine Aufgabe gefunden."

1938 ließ sie sich von Hess scheiden. Als 1939 ihr Vater starb und im Beisein von Himmler, dem Führer der SS, beerdigt wurde, verweigerten ihr die Einreisebehörden die Rückkehr nach England. Man hielt sie für eine Nationalsozialistin. Sie heiratete ihren Jugendfreund C. U. von Barner und lebte während der Kriegsjahre auf dem mecklenburgischen Gut ihres Mannes. "In diesen Jahren hatte sich alles verändert. Das Deutschland, das ich gekannt und geliebt hatte, war für immer versunken. Sechs Jahre hindurch hatte man Haß gesät. Die Saat war aufgegangen. Haß und Aggression waren an der Herrschaft."

1945 floh sie vor den Russen in den Westen, wo sie als Journalistin arbeitete. Die zweite Ehe wurde geschieden. Es entstanden viele Zeichnungen von Flüchtlingen. Im Ruhrgebiet suchte sie erneut Kontakt zu Bergarbeitern. "Die schwarze Tiefe zog mich mehr denn je an. Ich zeichnete und zeichnete. Mit Wucht brach das Zeichnen wieder durch. Tusche. Schwarz-weiß. Männer beim Gesteinbohren. Männer vor Ort."

Als sie versuchte, 1948 nach England zurückzukehren, wurde ihr wieder die Einreise verweigert, diesmal mit dem Argument, sie sei eine Kommunistin. "Ich war verzweifelt. Am Ende. Ich hatte alles auf eine Karte gesetzt: fort von Deutschland. Der Weg war versperrt. Ich war wie in einer Falle."

Die Unerträglichkeit ihres bisherigen Lebens führte sie immer näher zu Gott: "Ich kam aus dem Dunkel der eigenen Schuld und der Schuld meines Volkes." Sie konvertierte zum katholischen Glauben und trat 1950 als Schwester Paula in das Dorstener Ursulinenkloster ein.

Es entstanden eine Reihe von religiösen Kunstwerken, daneben aber, vor allem nach der Öffnung des Klosters nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, kehrte sie zu ihren Tuschezeichnungen zurück: immer wieder stellte sie Bergarbeiter dar.

In ihren Zeichnungen zeigt sie die Härte der Arbeit, man spürt die körperlichen Anstrengungen, den Staub, die Hitze und den Lärm der großen Abbaumaschinen. Immer wieder stellt sie die Bergleute einzeln oder in Gruppen dar. Sie ruhen sich aus, eng zusammengekauert in den engen Stollen, bedienen die großen Fördermaschinen oder arbeiten mit dem schweren Bohrhammer. Es sind Zeichnungen ohne falsches Pathos, ohne romantische Verklärung der Untertagewelt. Zu oft war die Künstlerin eingefahren und hatte die Arbeit vor Ort beobachten können.

Neben ihrem plastischen Arbeiten, vorzugweise Reliefs und nicht immer überzeugenden Kleinplastiken, verwendete sie seit dem Ende der 60er Jahre vorzugsweise die Rohrfeder. Die Mehrzahl dieser Arbeiten sind reine Linearzeichnungen ohne Schattierung und Utermalung, eher Skizzen gleich, erst später kommen Lavierungen und dann auch farbige Elemente hinzu. Ihre zahlreiche Tusche-Zeichnungen und Reliefs nehmen Stellung zu den Juden-Progromen während des Dritten Reiches, zu den Kriegen in Vietnam, Afrika und im Nahen Osten, zu den Verhungernden in Biafra und Äthiopien, zu den Ereignissen in Chile, zu den ausgestoßenen Lepra-Kranken, zur sozialen Not in den Ländern der Dritten Welt.

Tisa von der Schulenburgs Zeichnungen sind Waffe und Angriff zugleich: Sie zeichnet Warnrufe aus ihrem Wissen um Ungerechtigkeit, Not, Krieg und Tod. Sie ruft zu Wachsamkeit und Standhaftigkeit auf. Die Blätter sind unbequem, hart und erschreckend präzise - auf Kosten der Schönheit und Harmonie, die als die traditionellen Begleiter der Kunst hier außen vor bleiben.

Ihre Arbeiten sind mehr als künstlerische Verarbeitungen existentieller Grenzsituationen. Sie gehen über die Grenzen der Kunst hinaus. Sie ergreifen, verstören, provozieren, schmerzen und sind doch gleichzeitig von Barmherzigkeit und tiefer Menschenliebe erfüllt. Sie zeigt mit ihren Arbeiten den notleidenden Nächsten, der unseres Mitgefühls und unserer Solidarität bedarf. Ihre Arbeiten sind Denkanstöße, erfüllt vom Dasein für den anderen.

Durch Ausstellungen wurde Tisas von der Schulenburgs Werk seit den 70er Jahren einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Tisa von der Schulenburg / Schwester Paula starb im Alter von 97 Jahren am 08.02.2001 in Dorsten.

Klaus Kösters
 

QUELLEBiografie | 2 |
AUFNAHMEDATUM2004-09-09
 
Weitere Biografie/n:
  Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 149-151


PERSON IM INTERNET  Website der "Tisa von der Schulenburg-Stiftung", Dorsten
  Literaturkommission für Westfalen: "Lexikon Westfälischer Autorinnen und Autoren 1750 bis 1950"
Biografien, Literatur und weitere Ressourcen zur Person mit der GND: 118611267
  Wikipedia, deutsch
  Wikmedia Commons
  B3Kat-Verbund (Titelaufnahmen Bayern)
  Bayerische Staatsbibliothek, Katalog
  Bibliotheksservice-Zentrum Baden-Wuerttemberg
  Bibliotheksverbund Bayern
  HEIDI, Bibliothekskatalog der Universität Heidelberg
  Hessische wissenschaftliche Bibliotheken, Verbundkatalog (hebis)
  Landesbibliographie Mecklenburg-Vorpommern
  Personen im Verbundkatalog des HBZ NRW
  Kalliope, Verbundkatalog Nachlässe und Autographen


QUELLE    Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 149-151

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Zeit3.9   1900-1949
3.10   1950-1999
3.11   2000-2049
Ort3.6.3   Dorsten, Stadt
3.6.9   Recklinghausen, Stadt
Sachgebiet15.4.1   Malerei, Maler/Malerin
16.2   Katholische Kirche
16.6.5   Domkapitel / Klöster / Stifte, Klosterleben
DATUM AUFNAHME2003-10-17
DATUM ÄNDERUNG2010-09-20
AUFRUFE GESAMT6049
AUFRUFE IM MONAT588